6.2.2 Urteil des VG Augsburg vom 17.11.2015, Az. Au 2 K 15.160
Zum Sachverhalt:
Der Kläger begehrte die Verpflichtung der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde zur Anordnung der Beseitigung der Beschilderung, die das Mountainbike-Fahren auf zwei Privatwegen in einem zum Naturpark „...“ gehörenden Teil des Gemeindegebiets der Beigeladenen betreffen.
Bei der Beschilderung eines der Wege handelt es sich um eine rechteckige, weiße, etwa 30 auf 20 cm große Tafel, die im oberen Drittel einen mit schwarzen Linien abgesetzten rot-weißen Streifen aufweist über dem mit schwarzer Schrift links beginnend zum einen aufgedruckt ist: „Mountainbike & Downhill ...“ und im rechten Teil in teils schwarzer und teils roter Schrift zum anderen „Respektiere“, wobei in Fortsetzung dieses Schriftzuges unmittelbar unter dem rot-weißen Streifen in schwarzer Schrift angefügt ist: „deine Grenzen“. In der Mitte des Schildes steht in schwarzer Schrift: „Weg zum Radfahren nicht geeignet! Bitte nicht Befahren! Grund: Weg wird von Wanderern stark frequentiert. Gefahr beim Downhill! Danke!“ Im linken unteren Bereich des Schildes sind zwei Logos und ein Gemeindewappen aufgedruckt („Allgäu“, „Naturpark ...“ und „Gemeinde ...“) sowie rechts unten in kleiner Schrift „...“. Bei dem Weg über das „...“ zur Bildkapelle handelt es sich nach
den Angaben der Beteiligten um eine ca. vier Kilometer lange unbefestigte Strecke, die zu drei Vierteln bzw. vier Fünfteln im Wald und in relativ steilem Gelände verläuft.
Die Beschilderung des anderen Weges ist mit Ausnahme der den „Grund:“ angebenden Textzeile identisch. Diese Tafeln weisen in Abweichung zum Text des oben beschriebenen Schildes die Zeile auf: „Grund: neu angepflanzter Schutzwald“. Der etwa drei bis vier Kilometer lange Weg führt im ersten Viertel über Wiesen und verläuft dann steil bergab im Wald. Dort befindet sich die in der Beschilderung genannte neu angepflanzte Schutzwaldfläche, an der der Weg teilweise seitlich vorbei und durch die er teilweise hindurchführt.
Aus der Urteilsbegründung:
Die angebrachte Beschilderung stelle im vorliegenden Fall jedoch keine „Sperre“ im
Sinn des Art. 34 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BayNatSchG dar... (RdNr. 30).
… Diesem Befund ist bei der Bewertung der Beschilderung wegen der Bedeutung des Schutzes des Grundrechts auf freien Naturgenuss (Art. 141 Abs. 2 Satz 1 BV) gleichsam als Korrektiv mit Kontrollfunktion gegenüber zu stellen inwieweit der Beschilderung (auch) ein benutzungsabwehrendes Element innewohnt, indem bestimmte Benutzergruppen appellativ dazu angehalten werden, sich aufgrund der Hinweise auf mögliche Gefährdungssituationen oder die Schutzbedürftigkeit bestimmter Naturräume mit der Entscheidung, ob der Weg geeignet ist und benutzt bzw. befahren werden kann, auseinanderzusetzen (RdNr. 31).
Anmerkung:
Letztlich kommt das VG Augsburg zu dem Schluss, dass die Feststellung „Weg zum Radfahren nicht geeignet!“ keinen Hinweis auf ein gesetzliches Verbot enthält und daher das Radfahren auf den betroffenen Wegen, welche von „Wanderern stark frequentiert“ (RdNr. 7 u. 32) und „steil und hindernisreich“ seien (RdNr. 10 des Urteils) erlaubt ist (RdNr. 32).
Interpretation des Herrn Gottfried Mayrock, Abteilungsleiter Landratsamt Oberallgäu:
Herr Mayrock wird im Protokoll der Sitzung der Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Bergbauernfragen vom 12.10.2016 mit folgender Aussage zitiert:
"Geradelt werden darf in Bayern jeder Weg, der dafür „geeignet" ist. Nach derzeitiger
Rechtsauffassung bestimmt dies vor allem das Können des jeweiligen Fahrers. …"
Zum einen ist diese Rechtsauffassung dem Urteil des VG Augsburg vom 17.11.2015 nicht zu entnehmen, allerdings löst sie sich von der bisherigen Auffassung des BayVGH. Zum anderen lassen aber weder die Regelungen des Bayerischen Naturschutz- bzw. des Waldgesetzes selbst noch eine immanente Schranke des Grundrechts Raum für diese Interpretation. Sie würde ja ein gesetzliches Verbot mit allen damit verbundenen privat- und öffentlich-rechtlichen Folgen bedeuten, Wege mit dem Fahrrad zu befahren, für die der Erholungsuchende möglicher Weise nicht die Fähigkeiten besitzt. Schon ein Versuch könnte demnach verbotswidrig und damit unzulässig sein. Tatsächlich scheitert in einem solchen Fall die Ausübung des Betretungsrechts in der Form des Radfahrens schlicht an den persönlichen Möglichkeiten des Erholungsuchenden, ohne, dass dies irgendwelche weiteren Konsequenzen, außer für den Radfahrer selbst, hätte.
So auch die
Position der Bayerischen Bergwacht im Hinblick auf Artikel 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:
„Der Mensch ist grundsätzlich mündig und frei in seinen Entscheidungen. Es ist sein
freies Recht, das Abenteuer, die Unsicherheit, die Gefahr und das Risiko zu suchen.
Der Mensch ist nicht verpflichtet, Risiken zu meiden oder sich gegen Risiken zu
versichern, er ist jedoch verpflichtet, für die Folgen seines Handelns die
Verantwortung zu übernehmen und diese zu tragen.
Die Bergwacht Bayern vertritt die folgenden Standpunkte:
- Der Mensch ist verantwortlich für die Folgen seines Handelns und seines Tuns.
- Er ist frei darin, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen und sich dieser zu bedienen.
- Er ist frei darin, sich moderner Ausrüstung und Gerätschaften zu bedienen, die sein Tun und Handeln beeinflussen.
Nachtrag:
Die Auffassungen, dass es "vor allem auf das Können des jeweiligen Fahrers" ankäme, wie Herr Mayrock meint oder "es nicht auf das subjektive Können des Einzelnen" ankäme, wie der
DAV (Beitrag #343) meint, sind juristisch, wie oben bereits dargestellt, nicht relevant. In beiden Fällen beruhen sie auf einer Fehlinterpretation des Fazits der Veröffentlichung der Deutschen Initiative Mountianbike e.V. (DIMB)
Der „geeignete Weg“ – ein Irrweg vom September 2015:
"III. Fazit
Nach der von uns kritisierten Auffassung des BayVGH wären vorhandene Wege über den Begriff des „ungeeigneten Weges“ schon kraft Gesetzes vom Betretungsrecht ausgenommen und wären somit dem durch die Verfassung geschützten Betretungsrecht der freien Natur entzogen, ohne dass dafür gesetzliche Vorgaben, Maßstäbe oder Verfahren bestünden. Diese Auffassung ist jedoch weder vom Wortlaut noch vom Sinn der betreffenden Regelungen des Bayerischen Naturschutzgesetzes abgedeckt. Hinzu kommt, dass auch die Gesetzesbegründung (Drucksache 7/3007) sowie der Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 16.06.1975 (GVBI S.203) für eine solche Auslegung keine Grundlage bieten. In diesem Sinne führt das Urteil des BayVGH in die Irre und auf den falschen Weg.
Art. 28 Abs. 1 BayNatSchG enthält lediglich eine Konkretisierung des Grundrechts auf Erholung in der freien Natur dahingehend, dass einerseits die Eigentümer zur Duldung der genannten Erholungsformen auf ihren Privatwegen verpflichtet sind und andererseits der Erholung suchende Bürger keinen Anspruch darauf hat, dass sich vorhandene Wege für eine bestimmte Nutzungsart auch tatsächlich eignen.
Der Zweck der Formulierung „soweit sich die Wege dafür eignen“ ist deshalb primär darin zu sehen, den Grundeigentümern über die Duldung einer bestimmten Nutzung (z. B. Radfahren) hinaus keine weiteren Pflichten anzutragen. Insbesondere sind die Grundeigentümber nicht verpflichtet, Wege für eine bestimmte Nutzungsart auszubauen oder zu unterhalten. In diesem Sinne dient die Formulierung auch dem Zweck, die Grundeigentümer vor einemunzumutbaren Haftungsrisiko zu schützen.
Von diesem Verständnis ausgehend entscheidet der Erholungsuchende selbst, ob ein Weg im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG für die von ihm gewählte Form der Erholung geeignet ist und trägt damit auch das Risiko einer falschen Beurteilung der Eignung. Schätzt er seine Fähigkeiten falsch ein bzw. überschätzt er sich, so trägt er alleine dafür die Verantwortung. Und dies ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass das Betretungsrecht “auf eigene Gefahr” wahrgenommen wird, auch richtig so.
Für die Wahrnehmung des Betretungsrechts kommt es daher primär darauf an, dass sich der Erholungssuchende, und dazu gehören auch Radfahrer und Mountainbiker, an die in der Bayerischen Verfassung und im Bayerischen Naturschutzgesetz aufgeführten Verhaltenspflichten halten.
So schreibt Art. 141 Abs. 3 Satz 2 BV vor:
„Dabei ist jedermann verpflichtet, mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen.“
Art 26 Abs. 2 BayNatschG konkretisiert diese Pflicht weiter:
„Bei der Ausübung des Rechts nach Abs. 1 ist jedermann verpflichtet, mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen. Dabei ist auf die Belange der Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigten Rücksicht zu nehmen. Die Rechtsausübung anderer darf nicht verhindert oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt werden (Gemeinverträglichkeit).“
Und natürlich gilt für Radfahrer auch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 BayNatSchG:
“Den Fußgängern gebührt der Vorrang.“
Wie man diese einfachen und unverzichtbaren Grundsätze in der Praxis natur- und sozialverträglich einhalten und umsetzen kann, zeigen exemplarisch die DIMB Trailrules."
Fortsetzung folgt ...