@Grinsekater :
Erst einmal ein schöner Artikel der die Grundproblematik von Größen und Geometrie-Zusammenhänge wie z.B. Reach und Stack gut und ich denke auch für die allermeisten verständlich erklärt.
Allerdings habe ich auch noch einige Anmerkungen oder Kritikpunkte:
- Du gehst - verständlich - sehr auf große Rahmen ein und natürlich deine Problematik der Vergangenheit ein passendes Bike zu finden, ein paar Worte mehr zu sehr kleinen Fahrern, die das gleiche Problem haben, hätten aber zur Abrundung gut getan.
- Du schreibst erst, dass Bikes und deren Geo (und damit deren Kettenstrebenlänge) ja meist für mittlere Rahmengrößen (meist m und l) ausgelegt und ausgiebig getestet werden. Soweit bin ich deiner Meinung. Dann aber gehst du in deinem Rechenbeispiel davon aus, dass "handeslübliche" 430mm Kettenstreben für die kleinste Größe perfekt wären. Dass widerspricht nicht nur dem, was du davor geschrieben hast, sondern auch der Logik und meinen persönlichen Beobachtungen der Probleme, die kleine Fahrer oft haben. Durch diesen für die Berechnung "falsch angesetzten Nullpunkt" kommt dann auch dein abstrus langer Wert für die errechnete Kettenstrebenlänge des XL Rahmens.
- Die Beispielgeometrie-Werte sind aus der Sicht von Ende 2019 schon veraltete Zahlen (von denen man zum Glück inzwischen weg ist). Das macht zwar deine Intention überdeutlich, ist aber heute eigentlich nicht mehr up to date und erklärt auch zum anderen Teil das seltsame Endergebnis deines Rechenbeispiels.
Ich denke, so wie deine Artikelserie aufgebaut ist, wird dazu noch etwas kommen, ich würde meine "Kritikpunkte" mal noch erläutern und auf die Lücken eingehen. Ich fange mal mit dem letzten Punkt an, ähnlich wie du, damit mal eine Basis für das folgende da ist.
Schaut man mal Bikes an, die so im Laufe des vergangenen Jahres präsentiert wurden, kommt man eher auf eine Größenspreizung beim Reach von 400-500mm. Alles natürlich noch mit vom Stack abhängig. Aber das ist schon eher aktuell Durchschnittlich für Rahmen mit 5 Größen (ich nenne das jetzt mal XS-XL; manche Hersteller sagen auch S-XXL, was aber auf das gleiche raus läuft) und nicht sonderlich extrem.
Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die mittlere Größe (M) (wäre dann Reach bei 450mm) die "erdachte" und getestete Wunschgeo ist , dann bedeutet das, dass die "handelsüblichen" 430mm Kettenstreben dafür perfekt ist. Viele Tests usw. bestätigen diese Richtung. Mit einem modernen spaßorientierten Trail-Enduro Bike sind das zusammen mit einem 65° Lenkwinkel keine schlechten Zahlen.
Macht man nun deine Rechnung kommt man darauf:
500/450 = 1,111
Kettenstreben für XL:
430mm x 1,111 = 478mm
Das hört sich doch schon mal wesentlich vernünftiger an und ist auch nicht mehr weit weg, von ein paar modernen, großen DH Bikes wie zum beispiel Banshee Legend 29 mit 469mm, das der zwar nicht riesige, aber auch nicht kleine (und lange Bikes liebende) Paul Aston wegen seinem Kurvenverhalten sehr lobte. Eine Manual-Maschine ist das zwar auch nicht, aber das ist eine andere Sache.
Ein weiterer Punkt kommt dazu: Du beschreibst das Problem, dass bei den Bikes ohne mitwachsenden Kettenstreben, wegen der schlechten Radlastverteilung untersteuern und Traktion an der Front ein Problem wird. Da stimme ich natürlich zu und es ist eine bekannte Problematik. Kettenstreben sind für die Großen Bikes bei fast allen Herstellern, außer sie verbauen von Grund auf extrem lange (für kleinere Größen betrachtet) oder haben eben mitwachsende Kettenstreben (und das sind die wenigsten) zu kurz.
Aber muss eine Kettenstrebe wirklich um das in der Rechnung beschrieben Verhältnis länger werden? Sicher nicht. Der Grund liegt am Grund des Untersteuerns, der Traktion an der Front. Diese wird durch Last auf der Front beeinflusst, braucht aber nicht im errechneten Verhältnis größer zu werden. Zusätzlich habe ich noch die starke Vermutung, dass es größeren Fahrern leichter fällt (bzw. dies sogar automatisch passiert), Gewicht zu verlagern (Längere Arme und Beine). Aber bei letzterem will ich mich auch nicht 100% festlegen, es ist ein Vermutung.
Deutlicher ist dies sicher so bei sehr kleinen Fahrern und damit komme ich zum letzten Punkt. Wie geschrieben sind die oft "festen Geodaten" wie die Kettenstrebenlänge für die mittlere Größe konstruiert. Also in unserem Beispiel 430mm für 450mm Reach. Diese sind für die kleinste Größe natürlich genauso wenig ideal, wie für die ganz große. Was also tun? Superkurze Kettenstreben für XS? Jaein.
Zunächst mal wäre es teilweise sinnvoll. Denn, das Problem von Untersteuern kennen so kleine Fahrer kaum, dafür das, dass sie zu viel Last auf dem Vorderrad haben. Ein Problem das die Großen Fahrer nur aus der langen Vergangenheit kennen. Bergab nicht angenehm wenn es steil wird und oft verbunden mit dem Problem, die Front schwer hoch zu bekommen. Bei meiner Frau mit 1,58m sehe ich das perfekt.
Aber es gibt ein paar "kleine Größen-spezifische" Probleme:
Nummer 1: der Bauraum. Mit Federung und allem ist oft kein Bauraum für noch kürzere Kettenstreben vorhanden. Größere Laufräder haben das nicht verbessert
Nummer 2: Auch wenn man das mit dem Bauraum hinbekommt, sind kurze Kettensteben an einem eh schon kurzen Bike ( Reach) sinnvoll? Natürlich wird das irgendwann wenig fahrstabil und wenig laufruhig.
Was also bei kleinen Größen tun? Meine Meinung:
Ja, geringfügig kürzere Kettenstreben. Zum Ausgleich und um Länge zu schaffen, flachere Lenkwinkel als bei den größeren Größen und "lange" Gabeloffsets. Das Problem mit Untersteuern durch sehr flache Lenkwinkel haben kleine Bikes nicht. Es bringt Länge, Laufruhe und mehr Sicherheit wenn es steil wird. Den Nachteil durch zu gestrechte Bikes durch sehr flachen LW haben kleine Bikes auch nicht. Ja, das Lenkverhalten ist ein anderes. Teilweise kann das durch sehr kurze Vorbauten (und lieber mehr Reach) und den Einbau von Gabeln die eben keinen modern kurzen Offset haben, ausgeglichen werden. Allgemein sollte man sich - glaube ich - davon verabschieden, dass sich eine Größe wie die andere Fahren soll. Das wird sowieso nie der Fall sein, allein durch ihre Länge. Man sollte viel mehr das beste aus den einzelnen Größen machen. Eine flacherer Lenkwinkel für kleine Rahmen wäre auch einfach und kostenneutral umsetzbar, die Hauptrahmenform ist eh eine andere.
Wie gut das Bike aufs Hinterrad geht, liegt neben der Kettenstrebenlänge auch am Tretlager-Offset. Umso tiefer das Tretlager unter der Hinterradachse hängt, umso schwerer geht auch das Rad aufs Hinterad (auch hier haben große Räder eher Nachteile gebracht). Wenn man das Tretlager aber einfach hoch holt, leidet die eh problematische geringe Laufruhe kleiner Rahmen weiter.
Mullet-Bikes können hier helfen. Sicherheit durch großen Tretlager-offset zum größeren Vorderrad und leichteres ziehen aufs Hinterrad durch geringeren Tretlageroffset zum Hinterrad.
Folgen aus diesen Überlegungen für sehr kleine Bikes auch Erkenntnisse für große Bikes? Vielleicht schon.
Muss ein Bike mit 1300mm Radstand einen 64° Lenkwinkel ( oder flacher) haben, um Laufruhig zu sein, wenn es doch eh Probleme mit Untersteuren hat? Sicher nicht. Natürlich wird es irgendwann nervös, wenn der LW zu steil wird, irgendwo sind da Grenzen und der angenehme Bereich ist sicher nicht riesig. Aber etwas steilere LW für ganz große Rahmen, könnten zumindest bei sonst recht flachen Bikes in XL mehr Vorteile als Nachteile bringen. Eine alternative, die sich wachsender Beliebtheit bei den Herstellern erfreut sind kurze Gabel-Offsets.
Also, zusammengefasst:
-Für die Größen angepasste Kettenstrebenlängen: Ja, bitte.
-Flachere Lenkwinkel für die kleinen Rahmen mit langem Gabeloffset: Ja, bitte.
-Steilere Lenkwinkel oder kurze Offsets für die großen Rahmen: Halte ich für sehr sinnvoll.
-kürzere Vorbauten bei kleinen Rahmen, etwas längere bei großen: Ja, aber wirklich nur in sehr geringem Rahmen (ich würde mich da bei modernen Trail- und Endurobikes nur zwischen 30mm und 50mm bewegen).
-kleinere Laufräder hinten bei kleinen Rahmen wie vorne: Halte ich für sehr sinnvoll für Laufruhe und Möglichkeit das Vorderrad leicht hoch zu bekommen. Außerdem mehr Freiheit nach hinten auch mit kurzen Beinen.
-26"-revival am Hinterrad bei XS Rahmen für Fahrer(innen) unter 1,60m: Wäre witzig, aber nicht kompletter Blödsinn.
Ich habe fertig.