Wegen PhüSick und so...
Wie ist das eigentlich mit dem Gewicht und den rotierenden Massen? Manche Radfahrer sind ja mental total blockiert wenn der
Reifen 100 Gramm mehr wiegt, dabei müsste doch gerade bei unebenen Untergrund ein schwerer
Reifen wie ein Schwungrad wirken und für eine gleichmäßigere Fahrt sorgen, wenn er erstmal in Schwung gebracht ist, oder hab ich da einen Denkfehler?
M.
Das ist eigentlich ganz sick…
Also grundsätzlich musst du unterscheiden zwischen gleichmäßiger Bewegung und beschleunigter Bewegung, wobei man Bewegung bergauf physikalisch als beschleunigte Bewegung auffassen kann, weil nach unten die Gravitation wirkt, häufig ja durch die Erdbeschleunigung „g“ charakterisiert. Man kann das aber auch als gleichmäßige Bewegung auffassen, wobei aber ein Potential überwunden werden muss…
Bei der gleichmäßigen Bewegung muss man, wenn keine Verluste bestehen, keine Kraft aufbringen, um sich fortzubewegen (Impulserhaltung), sprich dafür braucht es keine Energie (Energie=Kraft x Weg). Leider gibt es aber Verluste, im wesentlichen die Rollreibung und den Luftwiderstand (Reibung im System Fahrrad kann man dagegen meist vernachlässigen). Man muss also fürs gleichmäßige Fortkommen die beiden Reibungskräfte (
Reifen und Luft) mit einer entsprechenden Gegenkraft neutralisieren. Die Rollreibung ist dabei die Normalkraft (Kraft senkrecht zur Oberfläche, in der Ebene also einfach die Gewichtskraft) mal einen Reibungskoeffizient, der im Wesentlichen von
Reifen und Untergrund abhängig ist, aber nicht von der Geschwindigkeit. Luftwiderstand ist dagegen sehr von der Geschwindigkeit abhängig (näherungsweise quadratisch für relevante Geschwindigkeiten) und bei geringen Geschwindigkeiten eher zu vernachlässigen. Insbesondere bergauf bleibt also die Rollreibung, die aber vom Gesamtgewicht abhängig ist, welches pi mal Daumen 100 kg für Fahrer und Rad beträgt. Bei 100 g Mehrgewicht haben wir also ein Promille Mehraufwand. Wer das spürt, Respekt! Bergauf kommt dann natürlich die Gewichtskraft dazu, wobei da eben ebenfalls das Gesamtgewicht relevant ist, wir also ebenfalls über ein Promille Mehraufwand bei 100 g Mehrgewicht sprechen.
Kommen wir jetzt zur beschleunigten Bewegung. Wenn ich eine Masse in Bewegung versetzen will, muss ich dazu eine Kraft aufbringen, und zwar ist die Kraft gleich Masse mal Beschleunigung. Wenn ich dazu etwas in Rotation versetzen will, dann muss man dazu das Trägkeitsmoment überwinden (Drehmoment, quasi das Kraftäquivalent, ist dann Trägkeitsmoment mal Winkelbeschleunigung). Man kann sich leicht ausrechnen, dass bei der Annahme, dass die gesamte Masse eines Reifens ganz außen sitzt, ein rollender
Reifen genauso viel kinetische Energie aus der gleichmäßigen Fortbewegung des Schwerpunkts hat wie Rotationsenergie aus der Drehung des translatorisch unbewegten Rads. (Superpositionsprinzip). Sprich wenn deine 100 g Mehrgewicht im
Reifen und damit im Prinzip ganz außen sitzen, ist es dasselbe, als würdest du 200 g Mehrgewicht etwa am Rahmen beschleunigen wollen. Zu bedenken ist aber, dass man wieder die Gesamtmasse beschleunigen muss. Wenn die 100 g im
Reifen sitzen, dann ist der Mehraufwand also 2 Promille im Gegensatz zu 1 Promille, wenn das Mehrgewicht etwa in der Wasserflasche wäre.
Für die Gesamtbilanz ist es nun so, dass man sich überlegen muss, was mit der Energie passiert, die man durch die Beschleunigung in Form von kinetischer Energie (vor allem) und Rotationsenergie (weniger, weil sich beim Rad plus Fahrer nur ein kleiner Teil der Masse dreht) erzeugt. Man will sich ja eigentlich gleichmäßig fortbewegen, außer einer initialen Beschleunigung brauche ich daher eigentlich keine Kraft bis auf die Kraft, die wir schon kennengelernt haben (Rollreibung). Sonst verschwindet keine Energie, weil die gleichmäßige Bewegung keine intrinsischen Verluste hat (Impulserhaltung) und dasselbe gilt für die Rotation, wenn wir mal die Verluste durch Luftverwirbelungen an den Speichen oder in den Lagern vernachlässigen. Selbst wenn ich also „unrund“ fahre, sprich immer wieder etwas beschleunige, wenn ich optimal Kraft beim Treten übertrage, und dann leicht abgebremst werde, wenn man nicht so optimal tritt, hat man keinen Mehraufwand. Warum? Weil das, was uns abbremst, ist die Rollreibung. Die muss ich dann aber quasi nicht mehr überwinden, weil dafür die Energie aus der Bewegung verwandt wird, die ich davor aufgebracht habe. Es ist also ein Nullsummenspiel. Wenn ich nun mehr Gewicht, eventuell auch in
Reifen, beschleunigen muss, habe ich zwar mehr Aufwand, aber dann auch mehr Potential in Form von Bewegungseneegie, von der ich profitiere. Das Mehrgewicht ist in dieser Hinsicht also irrelevant, wenn ich eine gleichmäßige Bewegung betrachte (abgesehen natürlich für den Aufwand für Überwindung von RoWi und Gravitation in der gleichmäßigen Bewegung, die eben vom Gesamtgewicht abhängig sind).
Etwas anderes ist es, wenn man sich das Wippen einer Federung ansieht - oder auch das kleine Auf und Ab beim Fahren auf unebenem Untergrund, was auf derselben Überlegung beruht. Wenn ich mich nach oben bewege, dann gewinne ich potentielle Energie im Schwerefeld, die wieder freigesetzt wird, wenn ich wieder runter gehe. Wäre nun die Federung eines Fullys eine perfekte Feder, oder auch ein
Reifen eine perfekte Feder, würde die potentielle Energie der Gravitation in eine potentielle Energie der Feder überführt und würde ohne Verluste hin und her oszillieren und man hätte keinen Mehraufwand. Nun hat aber jedes Federelement eine Dämpfung und auch ein
Reifen hat Dämpfung (die Dämpfung ist übrigens essentiell für Grip, weil sich der
Reifen durch die Dämpfung länger an die Oberfläche anpasst, was auch erklärt, warum Grip im Widerspruch zu Leichtlauf steht) und deshalb geht Energie verloren - Dämpfung ist ja im Prinzip nichts anderes als Umwandlung kinetischer Energie in Wärme, die dann an die Umgebung verloren geht. Hier ist es also so, dass ein Mehrgewicht ein mehr an Aufwand bedeutet, weil es eben zur Rollreibung noch einen weiteren Verlust gibt, der aber auch wieder vom Gesamtgewicht abhängig ist. Wir sprechen also auch hier bei 100 g Mehrgewicht von einem Mehraufwand im Promillebereich.
Noch kurz abschließend eine Bemerkung, wann 100 g Gewicht eine Rolle spielen können:
Wenn ich eine einzelne Bewegung beim Radfahren betrachte, wo eventuell kurzzeitig nicht die Gesamtmasse beschleunigt werden muss, sondern nur das Rad an sich - man denke etwa an das Hochfahren über eine Treppenstufe, wo das Fahrergewicht sich eher gleichmäßiger bewegt und das Rad kurzzeitig unter dem Fahrer nach vorne oben beschleunigt wird - dann sind 100 g im
Reifen (Äquivalent zu 200 g im Rahmen) bei einem 10kg Rad halt schon 2 Prozent und nicht mehr 2 Promille. Wenn man dann bedenkt, dass man vorne und hinten
Reifen und Laufräder hat (wobei bei letzteren vor allem die
Felgen wichtig sind wegen Trägheitsmoment), dann kann man schon in den zweistelligen Prozentbereich bei solchen Manövern zwischen leichten XC-
Reifen mit passendem Laufrädern und dem Enduro-Äquivalent liegen. Für längere Betrachtungen, wo ja immer das Gesamtgewicht entscheidend ist - man will sich ja nicht von seinem Rad entfernen - sind Unterschiede aber sehr überwiegend durch unterschiedlichen RoWi von
Reifen zu spüren und nicht durch Gewicht.
Hoffe die Ausführung ist erPhüllend genug.