Blaubeertrail und Rychlebské stezky #4 und #5
Am nächsten Morgen packe ich mein Zeug zusammen und rolle aus dem Trailparadies.
Jetzt kommt wieder mal ein genialer Plan: statt des anspruchsvollen Dr. Wiessner-Trails will ich ganz entspannt einfach den mit rotem Strich markierten Wanderweg hochkurbeln.
Spätestens jetzt ist mir klar, warum es den dezidierten Uphill-Trail gibt:
Das ist kein Witz, der Wanderweg hat sich mit der Zeit zum Bachlauf entwickelt und der Wald ist zu dicht, um da das Rad schieben zu können. Guter Einstieg in die nächste Bikepacking-Etappe, haha.
Später gelange ich dann auf gut fahrbare Forststraßen, rolle durch kleine Dörfer und über bewaldete Bergkämme in Richtung des Glatzer Schneegebirges. Mein Ziel: der Glatzer Schneeberg (polnisch Śnieżnik Kłodzki, tschechisch Králický Sněžník).
Lasst Euch mal von den 1425 m nicht täuschen. Das Klima da oben ist extrem:
Der Name des Berges wurde von der langen Winterperiode abgeleitet, denn der Berg ist in der Regel bis zu acht Monate im Jahr mit Schnee bedeckt. Der obere Teil des Berges ist von subalpiner Vegetation geprägt, die Waldgrenze befindet sich etwa auf 1200 m Höhe.
aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Glatzer_Schneeberg
Es dunkelt schon, als ich den finalen Aufstieg erreiche und einem Wanderweg folgend, größtenteils schiebe. Der Blick weitet sich:
Ein kurzes Stück folge ich einem offiziell für Radfahrer freigegebenen Weg, dann ist Radfahren untersagt. Da ich sowieso schiebe, stört mich das nicht weiter.
Meter um Meter gewinne ich an Höhe:
Ja, ein letztes Mal will ich der Tourenempfehlung aus der
bike eine Chance geben. Sinnlos. Abgesehen vom ausdrücklichen Radfahrverbot - der Grenzweg folgt der Devise, die maximale Zahl an Moorlöchern zu verbinden:
An einem einigermaßen ebenen Stück verstaue ich Rad und Rucksack hinter dichten Büschen und gehe zu Fuß die letzte Meile zum Gipfel. Der ist flach und faktisch eine Baustelle. Offensichtlich will man das ehemalige Gipfelhaus wieder errichten. Aussicht:
Auf dem Rückweg steuere ich ein Zelt auf einer Art
Sattel an, wo ebenfalls Baumaschinen von der Wiederherstellung eines historischen Hüttenstandorts künden.
Ein paar Junge Leute haben sich dort an einem kleinen Lagerfeuer niedergelassen und singen, von der Gitarre begleitet, Lieder.
Ich soll mich doch dazusetzen.
Klar, aber das dauert etwas, da ich erst mein Zeug holen muss.
Kein Problem.
Ob man hier überhaupt zelten darf?
Uuuhm, vielleicht nicht, vielleicht ja - es wird schon keiner kommen und sich beschweren.
Letztlich trage ich alles hinauf, baue mein kleines Tarp auf und dann sitzen wir am Lagerfeuer. Da sitzen 4 Mädels in Jogginghosen und Turnschuhen bei kühlem Wind draußen, eine von denen hat Geburtstag. Das wird gefeiert. Der Bursche scheint ein unerschöpfliches Repertoire an Liedern zu haben, eins nach dem anderen wird gesungen. Die Unterhaltung läuft problemlos auf Englisch.
Das beeindruckt mich. Hierzulande wäre zum 18. ja mindestens ein eigenes Pony fällig, aber wenigstens der Führerschein und ein Fiat 500 als Jahreswagen. Die sitzen da in wirklich unwirtlicher Umgebung mit einem “Equipment”, da würde unsereins sich nicht in die Dresdner Heide zum Sonntagsspaziergang trauen. Und freuen sich des Lebens!
Als sich die fünf jungen Leute in das Dreipersonenzelt geschichtet haben und ich an der Matratze horche, kommt natürlich das obligatorische Gewitter. Willkommen im Glatzer Schneegebirge!
Am nächsten Morgen höre ich tiefe Stimmen. Polnische Bauarbeiter haben unser Camp entdeckt und “drohen” damit, in Prag anzurufen. Als ich dann aus dem Tarp krieche, haben die netten jungen Mädels die Lage durch ihren natürlichen Charme schon deeskaliert und ich packe flugs mein Zeug zusammen.
Nach tagelanger Feuchtigkeit will ich schnell absteigen, um der Nässe und Kälte zu entfliehen. Zuerst schiebe ich hinab
erfreue mich an den ersten Lücken in den Wolken
und dekoriere erstmal eine Schutzhütte mit durchweichten Sachen
Auf ziemlich direkten Wege gelange ich nach Dolní Morava, eine kleines, aber sehr feines Touristenörtchen.
Da entdecke ich auf der Karte etwas, was nach Trailpark aussehen könnte.
Tatsächlich:
Geht noch besser:
Natürlich ist das alles fein säuberlich beschildert:
Der Trail macht einfach nur Spaß, eine schier endlose Spaßfahrt über sauberst geshapte Tables und Anliegerkurven. Da stört auch der Bikepacking-Rucksack nicht. Ich nehme mir vor, auf meiner lokalen Dirtstrecke auch mit dem fetten Hornet zu trainieren, aber auch so macht sich da das regelmäßige Üben mehr als bezahlt.
Nach dem gediegenen Ride gibt es erstmal Bikepflege (gratis, versteht sich)
und ich erkunde die Beschaffenheit des Bikeliftes für spätere Besuche.
Wie man nun diese genialen Trails findet? Ganz einfach, man hält einfach nach diesem Gebilde Ausschau:
Das nächste after-ride-beer wird hier getrunken, das ist ja wohl das Mindeste:
Aber mein Thema ist Bikepacking und noch etwas durch die Gegend rollern. Eine grandiose, offene Landschaft breitet sich vor mir aus:
Die Geschichte ist hier lebendig. Ergänzend zu den sog. “Ohrenbunkern” der Schöberlinie finden sich vereinzelt größere Befestigungen an strategischen möglichen Angriffspunkten, zumeist Bergpässe.
Dann rolle ich über Landstraßen in ein Örtchen und muss erstmal die Geräte bei einem Käffchen laden. Wie weiter?
Die Idee ist nun, entlang diverser Flussradwege soweit wie möglich nach Westen zu gelangen, um dann mit dem Zug zurück zu fahren.
Ein Stückchen fahre ich mit dem Zug und steige dann in einer größeren Ortschaft aus.
An Zielen mangelt es nicht,
ich fahre letztlich einen Radweg in Flussnähe entlang.
Die kleinen Städtchen haben sich herausgeputzt und laden zum beschaulichen touristischen Erkunden ein
Leider hat der Spaß am Fluss ein jähes Ende: Baustelle!
Es geht nochmal ganz übel in die Berge, ich versuche Trails zu finden, aber das wird nichts:
Ein Starkregenereignis hat dort seine Spuren hinterlassen. Ich schaffe es wieder auf den eigentlichen separaten Radweg zurück. Es ist schon spät, so dass keine Baufahrzeuge mehr unterwegs sind. Die zahlreichen tschechischen Radfahrer sehen das genauso.
Zu so einer Pausengelegenheit sage ich nicht nein
und kurbel die Trasse weiter.
Tatsächlich ist da ein regelrechtes Netzwerk an größtenteils separat geführten Radwegen entstanden, die auch für Inline Skater tauglich zu sein scheinen.
Leider machen sich nun zwei fatale Umstände bemerkbar: den ansonsten gut bekömmlichen “Hermelín”-Käse, eine in Öl und Peperoni eingelegter Camembert-Imitation, vertrage ich heute gerade gar nicht gut und Durchfall kündigt sich an.
Offensichtlich bin ich erschöpfter nach den Aktionen der letzten Tage, als ich - stets übermotiviert - wahrgenommen habe. Somit leidet die Verdauung darunter. Also fahre ich sehr unentspannt und suche eigentlich nur noch abgelegene, blickdichte Wäldchen.
Der zweite fatale Umstand: nach den Regengüssen haben sich die Mücken zahlreich vermehrt und nutzen mein Mampf-Malheur gnadenlos aus. Ich kann mich auf eine kleine Anhöhe retten und fahre dann flussabgewandt zu einer Stelle, wo ich eine Quelle vermute. Mit Wasser versorgt, gibt es erstmal die gewohnte (Schon-)-Kost und ich übernachte dann soweit oben, in so trockener Gegend wie nur möglich.
Da merke ich, dass ich “durch” bin und eigentlich nur noch nach Hause bin. Die Essensvorräte sind komplett erschöpft, ich habe eigentlich nicht so recht einen Plan und so fahre ich am nächsten Morgen einfach in den nächsten Ort zurück.
Mit einigen Umstiegen und Schienenersatzverkehr lande ich in Liberec, um dort noch einen kühlen Gerstensaft in einer der zahlreichen Craftbierbrauereien (“Pivovar” bzw. “Minipivovar”) zu schlürfen.
Die angepeilten Etablissiments haben alle geschlossen oder sind nicht in Betrieb, so dass ich letztlich bei einer Art “Werksverkostung” der Konrad-Brauerei lande, die nun wirklich nicht Mikro ist. Egal, aus dem Fass schmeckt es nochmal so gut:
Beim zweiten Gerstenschaumsüppchen entdecke ich in OSMAnd verdächtige Markierungen. Potzblitz, haben die hier hinter jedem zweiten Misthaufen einen Trailpark?
Ja.
Noch Fragen?
Damit endet mein Tourenbericht.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß auf meiner Suche nach heftigen wilden Trails und sanft gerundeten Dirthügeln
Zwei Wochen später bin ich in Klinovec blöd geflogen und hatte mir dabei zwei Knochen in der Hand gebrochen, so dass ich erstmal bikemäßig ein Vierteljahr auf Eis gelegt war.
Aber jetzt fährt er wieder, sowohl auf dem roten Dirtbike als auch auf dem schwarzen Hornet!
ride on!
tanztee