Ackebua
Im Winter gibt es Schnee.
Die Friedensfahrt ist gestorben, also liegt es von nun an bei mir, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen und unsere Nachbarn, die seit ESK-Gedenken unter unserer unbarmherzigen Herrschaft schmachten müssen, durch vorgetäuschte sportliche Aktionen und heuchlerischen Besucherdrang davon zu überzeugen, daß sie nicht von Ihrem Glauben ablassen, der ESK sei ein Herd der Superlative, und es gilt diesen zu verehren. Doch lest selbst, wie es sich am vergangenen Sonnabend zutrug:
Der Wecker mahnt um exakt 0450 zum Erwachen, als ich aus einem kleinen Holzvorsprung meines heimischen Bettes hervorschnelle und das erbärmliche Zeitgerät mit einem kurzen und knackigen Fausthieb zum Schweigen bringe. Flugs eile ich in die Küche und setze das halbe Kilo Haferflocken auf. Schnell noch zwei Pampelmusen* entsaftet und ein paar Bemmem zum Mitnehmen geschmiert. Dann der übliche Usus: flüchtige Körperhygiene, Mundinnenraumsäuberung und Darmentleerung alles läuft wie geschmiert. Gegen 0550 rolle ich vom Hof bewaffnet mit meiner spanischen Lotusblume. In den Trikottaschen finden die suchenden Finger lediglich ein Schläuchlein, ein Pümpchen, vier Stullen, etwas Westgeld und einen mobilen Fernsprecher. In Schönholz, meiner beheimateten ÖPNV-Schnittstelle, besteige ich die S-Bahn, die ich an meinem eigentlichen Startpunkt Oranienburg wieder verlasse. Hier wird noch schnell der Tacho genullt und ab geht die Post.
Es ist noch ein klein wenig luftig um die Ärmchen, aber ich ziehe es vor, ohne Ballast (Ärmliche, Weste, Beinliche ) die Reise anzutreten. Zum Glück ist es nicht mehr dunkel, aber die Sonne wird wohl noch etwas auf sich warten lassen. Ich verlasse OBurg über Eden und düse in gemächlichem Tempo gen Kremmen. Die Luft ist zu dieser Zeit noch schön frisch, es riecht nach Tausenden von Pflänzchen, und kein nervendes Auto ist auf den ersten Km auszumachen. Ein tolles Gefühl, über einsamste Sträßchen zu fegen, während das gemeine Volk noch in den Federn pieft. Es herrscht einfach eine absolute Stille, und nur das Surren meines Antriebs und das Rauschen der Reifen durchbricht die Einsamkeit des frühen Morgens.
Linum wird durchfahren, bevor ich nach einer halben Ewigkeit Fehrbellin erreiche. Von hier an sehe ich ständig diesen Ballon am Himmel, der irgendwie immer meinen Weg kennzeichnet. Es muß da oben also Südostwind herrschen, hier unten merke ich davon allerdings nichts. Je näher ich an Neuruppin komme, desto mieser wird die Gegend. Plattes Land, unschöne Straßen und Dutzende Technologiezentren, die der Stadt vorgelagert sind. Und von überall scheint es Zufahrtswege zu einer Unmenge von Industrieanlagen zu geben. Ich passiere Neuruppin und halte mich nach dem Ortsausgang westwärts. Ab hier macht das Radfahren wieder Spaß. Eine sehr schöne einsame Landstraße, kein Verkehr und viel welliges Terrain erwarten mich auf den nächsten Kilometern. Als ich Katerbow durchfahre, scheint es mir, als befinde ich mich noch in einer etwas anderen Epoche. Vor allem der Straßenname Straße zum Rinderkombinat läßt mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Etwas später quere ich die Autobahn und peile Herzsprung an, ein idyllisches Örtchen, daß ich eigentlich nur von Autobahnschildern kenne. Wider Erwarten ist hier relativ viel bewaldetes Gebiet, und der Anstieg raus aus dem Ort fordert selbst den geübten Zweiradpiloten aus dem Sattel. Eine lange und steile Rampe wie diese habe ich nun wirklich nicht erwartet, aber es mach Spaß und läßt leichtes Alpenfieber aufkommen.
Nach weiteren 10 Km erreiche ich Wittstock, wähle allerdings die neue Ortsumgehung östlich der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt stelle ich ein erhöhtes Aufkommen an Wohnmobilen fest, wenn man überhaupt von einer Art Verkehrsaufkommen sprechen kann. Immer noch scheint es mir, als wäre unsere Republik ausgestorben. Nur in der Nähe der größeren Ortschaften kann ich vermehrt Lebewesen und Fahrzeuge feststellen. Hinter der agrikulturellen Hochburg Biesen überquere ich abermals die Autobahn und dringe weiter bis Freyenstein vor. Der Duft der Müritz bezirzt meine Sinne, aber ich kann standhalten und drehe nicht nördlich bei, sondern halte volle Granate auf Meyenburg zu. Ab hier habe ich zum ersten Mal das Gefühl, leichten Rückenwind zu verspüren. Zeitweise kann ich eine 40 auf der Uhr erkennen und leichtes Rennfieber packt mich. Dennoch überrascht an jeder Ecke immer wieder ein Lüftchen von schräg vorn, und ich ahne noch nicht, was da noch kommen sollte.
Auch Meyenburg ist irgendwann erreicht und ich stelle fest, dass meine Wasservorräte bis auf den letzten Tropfen erschöpft sind. Also möchte ich gleich einmal die Gastfreundschaft der von uns unterjochten Region untersuchen und betrete einen lokalen Getränkestützpunkt:
Ich: Guten Tag, junge Frau. Ich brauche stilles Wasser. Haben Sie so etwas da?
Sie: Ja.
Ich: Und wo finde ich die Flaschen?
Sie: (sie zeigt nach hinten links)
Ich: Gut. Ich nehme dazu noch ein Twix. Was macht das zusammen?
Sie: Zwei achtzig.
Ich: Ach so, ist denn auf die Flaschen Pfand? Ich möchte sie nur umfüllen?
Sie: (rollt ihre Augen, stöhnt leise und gibt mir ein paar Taler zurück)
Ich: Tschüß und einen schönen Tag noch.
Sie: Ja, Tschüß (und nimmt ihre Illustrierte wieder vors Gesicht).
Gut, denke ich. Entweder haben die Leute hier wirklich Ehrfurcht vor ihren Besatzern oder sie sind einfach nur vorsichtig. Sicher hat die arme Dame Angst, ich könne sie ins Arbeitslager schicken, wenn sie etwas Falsches sagen würde. Ach, es ist schon herrlich, solche Macht ausspielen zu können. Meyenburg wird mit dem Wissen hinterlassen, dass hier alles in Zucht und Ordnung abläuft da wird sich die Führungsriege ja freuen. Also weiter geht es auf meiner Kontrollfahrt durchs Mecklenburgische. Wieder einige Km später kann ich eine noch viel größere Form der Verehrung des ESK seitens der ortsansässigen Population ausmachen. Zu meinen Ehren hat man ein kleines Dorf kurzerhand auf den Namen Groß-Pankow umbenannt, als man von meiner Stippvisite erfuhr. Mal schauen, wann ich vielleicht Menisburg, Riflin oder gar Hustenhude duchfahren werde.
Inzwischen kann ich immer mehr ein leichtes Lüftchen von schräg vorn ausmachen, was mich leicht beunruhigt. Es ist noch etwas mehr ein nur einen Katzensprung bis zum Ziel, also sollte sich Petrus mit seinem Geblase gefälligst etwas zurückhalten. Als ich endlich Parchim erreiche, habe ich auch schon satte 160 Km auf der Uhr, und ich hege seit einiger Zeit Gedanken an süße Leckereien. Kurzum erinnere ich mich an die Mecklenburgrundfahrt und fahre ein kleines schmuckes Café an, das sich direkt an einem See befindet. Damals sind wir daran vorbei gerauscht, doch jetzt will ich dem Wirt einfach mal einen Besuch abstatten. Ich setze mich zu einer netten jungen Dame an den Tisch und bestelle Kuchen, Kaffee und Cola. Als mir die Köstlichkeiten gereicht werden, frage ich den Wirt: Wie weit ist es eigentlich von hier bis Schwerin? Was? Sie wollen noch bis Schwerin? Mit dem Fahrrad? Oh Gott, das sind mehr als 40 Km. Wo kommen Sie denn her? Aus Berlin Ach Du grüne Neune, da sind Sie ja bestimmt die ganze Nacht durchgefahren!
Ich kläre ihn natürlich ob der zu erreichenden Durchschnittsgeschwindigkeiten und Streckenlängen auf, worauf er nur meint: Ich brauche ja schon 2 Stunden mit dem Fahrrad zu Bauer Lübke (der übrigens in Dargelütz wohnt, was ca. 5 Km weg liegt). Ich schlürfe meinen Kaffee aus und begebe mich wieder auf mein Arbeitsgerät. Getreu dem Motto wer rastet, der rostet mache ich mich weiter auf meinen einsamen Weg.
Mein nächstes Ziel soll Crivitz sein, ich ziele also genau nordwestlich. Nur der Wind bläst entgegen der Vorhersage der Wetterfritzen ebenso genau aus dieser Richtung. Wie kann denn das sein? Ich bin dem Fluchen nahe, nur würde mich hier in dieser Einöde eh niemand wahrnehmen. Also stampfe ich, wenn auch nicht mehr ganz so runden Trittes, Crivitz entgegen. Landschaftlich erlebe ich seit den letzten beiden Stunden einen Höhepunkt nach dem anderen. Die Gegend ist dermaßen prachtvoll, daß ich es nicht in Worte zu kleiden vermag. Unendliche Felder, heideartige weite Flächen, unberührte Waldstücke und immer wieder eine gewaltige Fernsicht auf das wellige Land. Es sieht so herrlich unbewohnt aus, und ich möchte es mit einer Zeichnung in einem Bilderbuch vergleichen. Damals während der Mecklenburgrundfahrt hatte ich zuviel Streß, um die Schönheit der hiesigen Natur in mich aufzusaugen. Schön, daß ich noch mal vorbei kommen konnte.
Dann das Ortseingangsschild von Crivitz. Ein hässlich modernes Stadtbild begrüßt mich mit all dem neumodischem Schnickschnack, den ich eigentlich nur von bayrischen Kleinstädten kenne: Dutzende Supermärkte, Landmaschinenverleihe, Bauunternehmen, viel Beton, Ausstellungshallen für Baustoffe, Pflanzenmärkte und so weiter. Ich stürme eiligst durch den Ort und begebe mich auf das letzte Teilstück meiner Tour. Um einen letzten riesigen Umweg zu vermeiden, wähle ich die direkte Route über die B321. Anfangs hält sich der Verkehr in Grenzen, ja, es ist erstaunlich leer für diesen Abschnitt. Doch die LKW, die mich überholen, scheinen ein Spiel zu spielen, wer den geringsten Abstand zu mir schafft. Es ist schier zum kotzen, die Autobahnmaut fordert hier auf dieser Straße in mir ihr erstes Opfer. Zudem ist die Straße sowieso zu schmal für die dicken Dinger. Zum Glück hat man nach ein paar Km einen Radstreifen nebenher gebaut, den ich dankend annehme. Es läuft derweil kräftemäßig wieder besser, ich hatte kurz vor meiner Pause in Parchim einen leichten Hänger. Nur der Wind scheint etwas gegen mein schnelles Ankommen in Schwerin zu haben und bläst frontal aus West.
Doch da taucht auch schon das Ortsschild der Landeshauptstadt vor meinen Augen auf. Ich habe es also geschafft. Den Weg durch Schwerin wähle ich unten über Zippendorf am Schweriner See entlang, quasi der Kronprinzessinnenweg der Stadt. Nach 202 Km und knappen 6 ½ Stunden erreiche ich mit einem ganz passablen 31er Schnitt die Behausung der mich erwartenden Freunde nebst meiner Geliebten, und ich bin natürlich der eigentliche Held der abendlichen Geburtstagsfeier: Wer ist denn eigentlich dieser Verrückte, der mit dem Fahrrad aus Berlin gekommen ist?
Schöne Gegend, schönes Wetter und schöne Erinnerungen nehme ich abends mit ins Bett. Das nächste Mal hätte ich aber gern einen Begleiter dabei.
* Für anglizistisch geprägte Leser: Grapefruit
Der Wecker mahnt um exakt 0450 zum Erwachen, als ich aus einem kleinen Holzvorsprung meines heimischen Bettes hervorschnelle und das erbärmliche Zeitgerät mit einem kurzen und knackigen Fausthieb zum Schweigen bringe. Flugs eile ich in die Küche und setze das halbe Kilo Haferflocken auf. Schnell noch zwei Pampelmusen* entsaftet und ein paar Bemmem zum Mitnehmen geschmiert. Dann der übliche Usus: flüchtige Körperhygiene, Mundinnenraumsäuberung und Darmentleerung alles läuft wie geschmiert. Gegen 0550 rolle ich vom Hof bewaffnet mit meiner spanischen Lotusblume. In den Trikottaschen finden die suchenden Finger lediglich ein Schläuchlein, ein Pümpchen, vier Stullen, etwas Westgeld und einen mobilen Fernsprecher. In Schönholz, meiner beheimateten ÖPNV-Schnittstelle, besteige ich die S-Bahn, die ich an meinem eigentlichen Startpunkt Oranienburg wieder verlasse. Hier wird noch schnell der Tacho genullt und ab geht die Post.
Es ist noch ein klein wenig luftig um die Ärmchen, aber ich ziehe es vor, ohne Ballast (Ärmliche, Weste, Beinliche ) die Reise anzutreten. Zum Glück ist es nicht mehr dunkel, aber die Sonne wird wohl noch etwas auf sich warten lassen. Ich verlasse OBurg über Eden und düse in gemächlichem Tempo gen Kremmen. Die Luft ist zu dieser Zeit noch schön frisch, es riecht nach Tausenden von Pflänzchen, und kein nervendes Auto ist auf den ersten Km auszumachen. Ein tolles Gefühl, über einsamste Sträßchen zu fegen, während das gemeine Volk noch in den Federn pieft. Es herrscht einfach eine absolute Stille, und nur das Surren meines Antriebs und das Rauschen der Reifen durchbricht die Einsamkeit des frühen Morgens.
Linum wird durchfahren, bevor ich nach einer halben Ewigkeit Fehrbellin erreiche. Von hier an sehe ich ständig diesen Ballon am Himmel, der irgendwie immer meinen Weg kennzeichnet. Es muß da oben also Südostwind herrschen, hier unten merke ich davon allerdings nichts. Je näher ich an Neuruppin komme, desto mieser wird die Gegend. Plattes Land, unschöne Straßen und Dutzende Technologiezentren, die der Stadt vorgelagert sind. Und von überall scheint es Zufahrtswege zu einer Unmenge von Industrieanlagen zu geben. Ich passiere Neuruppin und halte mich nach dem Ortsausgang westwärts. Ab hier macht das Radfahren wieder Spaß. Eine sehr schöne einsame Landstraße, kein Verkehr und viel welliges Terrain erwarten mich auf den nächsten Kilometern. Als ich Katerbow durchfahre, scheint es mir, als befinde ich mich noch in einer etwas anderen Epoche. Vor allem der Straßenname Straße zum Rinderkombinat läßt mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Etwas später quere ich die Autobahn und peile Herzsprung an, ein idyllisches Örtchen, daß ich eigentlich nur von Autobahnschildern kenne. Wider Erwarten ist hier relativ viel bewaldetes Gebiet, und der Anstieg raus aus dem Ort fordert selbst den geübten Zweiradpiloten aus dem Sattel. Eine lange und steile Rampe wie diese habe ich nun wirklich nicht erwartet, aber es mach Spaß und läßt leichtes Alpenfieber aufkommen.
Nach weiteren 10 Km erreiche ich Wittstock, wähle allerdings die neue Ortsumgehung östlich der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt stelle ich ein erhöhtes Aufkommen an Wohnmobilen fest, wenn man überhaupt von einer Art Verkehrsaufkommen sprechen kann. Immer noch scheint es mir, als wäre unsere Republik ausgestorben. Nur in der Nähe der größeren Ortschaften kann ich vermehrt Lebewesen und Fahrzeuge feststellen. Hinter der agrikulturellen Hochburg Biesen überquere ich abermals die Autobahn und dringe weiter bis Freyenstein vor. Der Duft der Müritz bezirzt meine Sinne, aber ich kann standhalten und drehe nicht nördlich bei, sondern halte volle Granate auf Meyenburg zu. Ab hier habe ich zum ersten Mal das Gefühl, leichten Rückenwind zu verspüren. Zeitweise kann ich eine 40 auf der Uhr erkennen und leichtes Rennfieber packt mich. Dennoch überrascht an jeder Ecke immer wieder ein Lüftchen von schräg vorn, und ich ahne noch nicht, was da noch kommen sollte.
Auch Meyenburg ist irgendwann erreicht und ich stelle fest, dass meine Wasservorräte bis auf den letzten Tropfen erschöpft sind. Also möchte ich gleich einmal die Gastfreundschaft der von uns unterjochten Region untersuchen und betrete einen lokalen Getränkestützpunkt:
Ich: Guten Tag, junge Frau. Ich brauche stilles Wasser. Haben Sie so etwas da?
Sie: Ja.
Ich: Und wo finde ich die Flaschen?
Sie: (sie zeigt nach hinten links)
Ich: Gut. Ich nehme dazu noch ein Twix. Was macht das zusammen?
Sie: Zwei achtzig.
Ich: Ach so, ist denn auf die Flaschen Pfand? Ich möchte sie nur umfüllen?
Sie: (rollt ihre Augen, stöhnt leise und gibt mir ein paar Taler zurück)
Ich: Tschüß und einen schönen Tag noch.
Sie: Ja, Tschüß (und nimmt ihre Illustrierte wieder vors Gesicht).
Gut, denke ich. Entweder haben die Leute hier wirklich Ehrfurcht vor ihren Besatzern oder sie sind einfach nur vorsichtig. Sicher hat die arme Dame Angst, ich könne sie ins Arbeitslager schicken, wenn sie etwas Falsches sagen würde. Ach, es ist schon herrlich, solche Macht ausspielen zu können. Meyenburg wird mit dem Wissen hinterlassen, dass hier alles in Zucht und Ordnung abläuft da wird sich die Führungsriege ja freuen. Also weiter geht es auf meiner Kontrollfahrt durchs Mecklenburgische. Wieder einige Km später kann ich eine noch viel größere Form der Verehrung des ESK seitens der ortsansässigen Population ausmachen. Zu meinen Ehren hat man ein kleines Dorf kurzerhand auf den Namen Groß-Pankow umbenannt, als man von meiner Stippvisite erfuhr. Mal schauen, wann ich vielleicht Menisburg, Riflin oder gar Hustenhude duchfahren werde.
Inzwischen kann ich immer mehr ein leichtes Lüftchen von schräg vorn ausmachen, was mich leicht beunruhigt. Es ist noch etwas mehr ein nur einen Katzensprung bis zum Ziel, also sollte sich Petrus mit seinem Geblase gefälligst etwas zurückhalten. Als ich endlich Parchim erreiche, habe ich auch schon satte 160 Km auf der Uhr, und ich hege seit einiger Zeit Gedanken an süße Leckereien. Kurzum erinnere ich mich an die Mecklenburgrundfahrt und fahre ein kleines schmuckes Café an, das sich direkt an einem See befindet. Damals sind wir daran vorbei gerauscht, doch jetzt will ich dem Wirt einfach mal einen Besuch abstatten. Ich setze mich zu einer netten jungen Dame an den Tisch und bestelle Kuchen, Kaffee und Cola. Als mir die Köstlichkeiten gereicht werden, frage ich den Wirt: Wie weit ist es eigentlich von hier bis Schwerin? Was? Sie wollen noch bis Schwerin? Mit dem Fahrrad? Oh Gott, das sind mehr als 40 Km. Wo kommen Sie denn her? Aus Berlin Ach Du grüne Neune, da sind Sie ja bestimmt die ganze Nacht durchgefahren!
Ich kläre ihn natürlich ob der zu erreichenden Durchschnittsgeschwindigkeiten und Streckenlängen auf, worauf er nur meint: Ich brauche ja schon 2 Stunden mit dem Fahrrad zu Bauer Lübke (der übrigens in Dargelütz wohnt, was ca. 5 Km weg liegt). Ich schlürfe meinen Kaffee aus und begebe mich wieder auf mein Arbeitsgerät. Getreu dem Motto wer rastet, der rostet mache ich mich weiter auf meinen einsamen Weg.
Mein nächstes Ziel soll Crivitz sein, ich ziele also genau nordwestlich. Nur der Wind bläst entgegen der Vorhersage der Wetterfritzen ebenso genau aus dieser Richtung. Wie kann denn das sein? Ich bin dem Fluchen nahe, nur würde mich hier in dieser Einöde eh niemand wahrnehmen. Also stampfe ich, wenn auch nicht mehr ganz so runden Trittes, Crivitz entgegen. Landschaftlich erlebe ich seit den letzten beiden Stunden einen Höhepunkt nach dem anderen. Die Gegend ist dermaßen prachtvoll, daß ich es nicht in Worte zu kleiden vermag. Unendliche Felder, heideartige weite Flächen, unberührte Waldstücke und immer wieder eine gewaltige Fernsicht auf das wellige Land. Es sieht so herrlich unbewohnt aus, und ich möchte es mit einer Zeichnung in einem Bilderbuch vergleichen. Damals während der Mecklenburgrundfahrt hatte ich zuviel Streß, um die Schönheit der hiesigen Natur in mich aufzusaugen. Schön, daß ich noch mal vorbei kommen konnte.
Dann das Ortseingangsschild von Crivitz. Ein hässlich modernes Stadtbild begrüßt mich mit all dem neumodischem Schnickschnack, den ich eigentlich nur von bayrischen Kleinstädten kenne: Dutzende Supermärkte, Landmaschinenverleihe, Bauunternehmen, viel Beton, Ausstellungshallen für Baustoffe, Pflanzenmärkte und so weiter. Ich stürme eiligst durch den Ort und begebe mich auf das letzte Teilstück meiner Tour. Um einen letzten riesigen Umweg zu vermeiden, wähle ich die direkte Route über die B321. Anfangs hält sich der Verkehr in Grenzen, ja, es ist erstaunlich leer für diesen Abschnitt. Doch die LKW, die mich überholen, scheinen ein Spiel zu spielen, wer den geringsten Abstand zu mir schafft. Es ist schier zum kotzen, die Autobahnmaut fordert hier auf dieser Straße in mir ihr erstes Opfer. Zudem ist die Straße sowieso zu schmal für die dicken Dinger. Zum Glück hat man nach ein paar Km einen Radstreifen nebenher gebaut, den ich dankend annehme. Es läuft derweil kräftemäßig wieder besser, ich hatte kurz vor meiner Pause in Parchim einen leichten Hänger. Nur der Wind scheint etwas gegen mein schnelles Ankommen in Schwerin zu haben und bläst frontal aus West.
Doch da taucht auch schon das Ortsschild der Landeshauptstadt vor meinen Augen auf. Ich habe es also geschafft. Den Weg durch Schwerin wähle ich unten über Zippendorf am Schweriner See entlang, quasi der Kronprinzessinnenweg der Stadt. Nach 202 Km und knappen 6 ½ Stunden erreiche ich mit einem ganz passablen 31er Schnitt die Behausung der mich erwartenden Freunde nebst meiner Geliebten, und ich bin natürlich der eigentliche Held der abendlichen Geburtstagsfeier: Wer ist denn eigentlich dieser Verrückte, der mit dem Fahrrad aus Berlin gekommen ist?
Schöne Gegend, schönes Wetter und schöne Erinnerungen nehme ich abends mit ins Bett. Das nächste Mal hätte ich aber gern einen Begleiter dabei.
* Für anglizistisch geprägte Leser: Grapefruit