Schluss mit fluffigen Berichten und schönen Bildern, ich kann das nicht mehr hören! Ich fang mal mit der traurigen Wahrheit, ganz von vorne, an:
Uuuups!
Den Anstoà zu der ganzen unheilvollen Entwicklung gab eine Tour durchs Brandenburgische. Irgendwo zwischen Golzow und Chorin schaute ich in die dröge Landschaft und sagte zu mir âMach doch mal was! Was Anderes. Was GroÃes!â Um irgendwas zu machen teilmobilisierte ich bald darauf, tarnte das Manöver als Salzkammerguttrophy und konnte den schönen Erfolg verbuchen, dass ich nach Aussage meines Gewährsmannes im russischen Generalstab, diesen in erhebliche Aufregung versetzte. Das ermutigte mich, am 15. August ein Ultimatum an die britische Krone zu senden, in der ich sie vor die Alternative stellte, mich mit der Südlichen Hemisphäre zu belehen, andernfalls ich Konsequenzen ziehen würde. Das hatte zur Folge, dass GroÃbritannien die Beziehungen zu mir abbrach und mir in scharfer Form erklärte, ich solle auf der Stelle eine Neutralitätserklärung sowie meinen Verzicht auf die persische Erbfolge bekanntgeben. Ich antwortete, dass mein Stolz es mir verbiete, auf diese ungeheuerlichen Zumutungen auch nur einzugehen und ernannte stattdessen den gesamten Balkan zu meinem Einflussbereich.
Dieser Schritt führte zum russisch-serbischen Beistandspakt, der mich dazu zwang, an der österreichischen Nordgrenze aufzumarschieren, um nicht vor aller Welt unglaubwürdig zu erscheinen. Inzwischen hatten die Ereignisse jedoch eine unheilvolle Wendung genommen. Die Deutsche Regierung, die nichts von meinen Aktivitäten wusste, deutete den russisch-serbischen Pakt als Bedrohung und rief- ohne mich zu konsultieren â den Dreibund ins Leben. Als ich diese Nachricht erhielt, witterte ich eine britische Falle und bot Frankreich einen Nichtangriffspakt an, um mir den Rücken freizuhalten. Mit diesen Schritten hatte ich die internationale Szene bereits dermaÃen unübersichtlich gestaltet, dass ein Funke genügen musste, um eine unheilvolle Kettenreaktion hervorzurufen. Er zündete, als Frankreich den von mir angebotenen Pakt unter einem nichtigen Vorwand ablehnte. Um die britisch-russische Einkreisung zu durchbrechen, blieb mir nur noch die Flucht nach vorn. Am 25.8. marschierte ich unter klingendem Spiel in Ãsterreich ein, was serbische Nationalisten, die in mir eine Mobilmachung der verhassten österreichischen Militärmacht vermuteten, zu ihrem unseligen Attentat von Sarajevo veranlasste. Alles Weitere dürfte bekannt sein. Mein übereiltes Vorgehen bewirkte, dass eine Macht nach der anderen ebenfalls in den Konflikt schlitterte â der Weltbrand war nicht mehr aufzuhalten. Und alles war meine Schuld.
Ich erzähle das nur, weil ja immer wieder Fragen aufkommen, woran man so denkt, wenn man eine Stunde lang eine PassstraÃe hochfährt.
Beim Pass handelt es sich übrigens um den beeindruckenden Kaiserjägerweg. Die Reisegruppe kurbelt ihn gerade hoch. Ich habe einfach mal ein bisschen an der Zeitschraube gedreht und den Beginn der Erzählung in den Vormittag des nächsten Tages verlegt. Dort sind wir also bereits; den Anschlussfehler erkennt man übrigens daran, dass mein
Sattel die Farbe geändert hat.
Wie kam es eigentlich dazu?
Der Morgen am Passo di Valles hatte mit einem reichlichen Frühstück begonnen und setzte sich mit der üblichen Morgengymnastik fort. Einige hundert Höhenmeter nach dem morgendlichen Mahl treiben zuverlässig den Schlaf aus den Augen. Herauf ging es zum Col Margherita, der sich irgendwo auf 2400m hinter Nebelschwaden versteckte. Bei der Auffahrt verlor ich wiederholt den
Sattel, aber nicht den Mut, nur so weitergehen konnte das nicht! Am Tag zuvor war mir nämlich, was bisher verschwiegen wurde, die Satteldecke gebrochen. Oder die Platte darunter, ich kenne mich mit der Terminologie nicht so aus, sitze da ja nur 10 Stunden am Tag drauf und hinterfrage das sonst nicht weiter. Das Gestell war auf jeden Fall in Ordnung, der Rest flog gelegentlich ab. So war also der Stand der Dinge, an einem Sonntagmorgen, im Nebel auf 2400m. Nach einem kurzen Leninschen âWas nun!?â wurde beschlossen, die hochalpine Expedition abzubrechen, zur PassstraÃe zurückzufinden und auf dem Asphalt einem neuem
Sattel entgegenzustreben.
Im âUnter 80 km/h-Tiefflugâ ging es nach Predazzo. Dort gelang es uns in der Touri-Info, den Inhaber des örtlichen Fahrradladens zu erreichen, welcher mich auch schon 15min später vor seinem Geschäft in Badelatschen und mit Einkaufstaschen in der Hand begrüÃte. So unkompliziert ging es gleich weiter und der neue
Sattel war auch gar nicht so teuer wie befürchtet. Da wir endlich, an einem Sonntag von allen Tagen, einen Fahrradladen gefunden hatten, stellte Schnecke sogleich ihr Problem vor und Eispickel versuchte Bremsbeläge zu erwerben. Leider fand sich in der Kramkiste nur noch ein einzelner Belag und der gute Mann war überfordert mit der Abrechnung einer solch unüblichen Abgabemenge. Dann wurde noch am Geldautomaten die existentielle Frage âWie kommt es, dass am Ende des Geldes noch soviel AlpX übrig bleibt?â zwar nicht erschöpfend beantwortet, aber zu mindestens seufzend angerissen.
Mit neuem
Sattel ging es weiter Richtung Manghenpass. Empfehlen kann man diesen guten Gewissens eigentlich nicht. Eine kühne Kurvenführung sei ihm zugeschrieben, auch die Steigungsprozente sind nicht ohne. Aber man fährt die ersten 800 Höhenmeter durch ereignislosen Wald und erst im letzten Drittel kann man etwas von der umgebenden kargen Landschaft erahnen. Was mich noch mehr nervte, aber das war mein spezielles Problem, dass ich schon einige Male diese steilen Rampen befahren hatte. Ach ja, da konnte man schon ins Träumen geraten. Nochmal Student sein, richtig Zeit haben und mit der Ducati über die Alpen. Wie damals im Sommer â¦. aber nee, ich muss ja.
Den Anstoà zu der ganzen unheilvollen Entwicklung gab eine Google-Suche nach mir nicht mehr erinnerlichen technischen Details. Sieger war MTB-News, das Forum half mir nicht wirklich weiter, aber es gab ja einen Lokalteil und eins führte zum anderen. Und jetzt, noch nicht mal 2 Jahre später ⦠eine typische Karriere, wenn ich mich manchmal so umschaue.
Sei es drum, auf der Passhöhe angekommen, flüchteten wir vor den motorisierten Bikermassen (ganz schlimmes Pack, so solidarisierte ich mich schon wieder scheinheilig mit Schnecke
) erst einmal auf einen Felsvorsprung. Unser treuer kundiger Berater, die Kompasskarte, bot zwei knackige Gipfel auf verdächtig gestrichelten Wegen an. Die ersten 500m wurden bezwungen; ein unfahrbares Abenteuer auf Kletterpfaden, wie sich bald herausstellte. Und so wurde basisdemokratisch mit 2:1 Stimmen beschlossen, dass angesichts der fortgeschrittenen Zeit diese Art der Wegführung nicht in Frage käme. Eispickel ADLERTE noch etwas vor sich hin, wie immer beeindruckend anzuschauen, auch wenn ihm das ein oder andere Mal gar zu arge Schlüsselstellen verboten wurden.
Zurück zur StraÃe und auf der Südseite ging es wieder runter. Man glaubt gar nicht, wie störend langsam Autos auf engen Abfahrten sein können, wenn ich das mal arrogant einfügen darf. Auf 1600m Höhe erreichten wir eine geschäftige Alm samt Rifugio. Dort wurde Rast gemacht und das Rifugio Sette Selle jenseits der 2000m ins Visier genommen. Es war wieder einmal angerichtet: 17:00 Uhr, 600 Höhenmeter zum Tagesausklang, nur kamen diesmal Kletterstiege und eine telefonisch nicht erreichbare Hütte hinzu. Die Kompasskarte hörte einfach nicht auf zu drohen. Keine einfache Entscheidung, auch wenn es für den AuÃenstehenden vielleicht so aussieht. Die Vernunft obsiegte schon wieder mit 2:1 Stimmen und wir blieben vor Ort, dem Rifugio Malga Valtrighetta. Ein Zimmer wurde in Besitz genommen und da bis zum Abendessen noch 2 Stunden blieben, wurde Richtung Passo Cagnon di Sopra gefahren. 400 Höhenmeter regen den Appetit an, auÃerdem konnte man mal schauen, wohin uns der geplante Weg verschlagen hätte. Hossa, das wäre eine Kletterei geworden, dachte ich, als wir am Einstieg in den Himmel schauten. Schnecke hingegen, sah nur sehnsüchtig die Sonne hinterm Berg und begann an der Demokratie zu zweifeln. Zwei Niederlagen an einem Tag, das war hart.
Die Abfahrt machte noch einmal richtig SpaÃ, die SchotterstraÃe wurde mehr oder weniger gemieden, es ging teilweise einfach quer und steil zum Abendessen. Einmal noch war das Fleisch willig, aber das Gras nass. Von niemandem beobachtet muss Eispickel einen kontrollierten Abgang über den Lenker hingelegt haben. Das Abendessen gab es in einem Wohnzimmer, eine GroÃfamilie besetzte den groÃen Tisch und im Fernsehen lief der Disneykanal, aber niemand schaute hin.
Am nächsten Morgen ging es mit der Abfahrt nach Albergho weiter; und denn mal schauen. Zwar stellte der Kaiserjägerweg das ungefähre Tagesziel dar, dieser war aber mit nur 50km Entfernung und keinen weiteren Erhebungen dazwischen, unter unseren Ansprüchen. Kaum eine Woche im Gebirge und das Gesindel aus dem Sandland wird verwegen!
Wir waren inzwischen im Niemandsland des Trentino angekommen, die ganz groÃen alpinen Sensationen lagen hinter uns, Riva lockte bereits hinter den letzten Erhebungen. Man sprach kein Deutsch mehr und das Frühstück wurde immer unergiebiger.
"Morgens sollst du essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann." Da kommen wir her, so ist das zu Hause. Denn seit jeher verlangt der protestantische Arbeitsethos ein nahrhaftes Frühstück, um gut gestählt ans Tagewerk gehen zu können. Im Katholizismus hingegen gilt das Gebot, nüchtern zum Gottesdienst zu erscheinen. Darum bekommt man in Italien nur Hörnchen und Espresso zum Frühstück. Das teilweise unzureichende Frühstück hatte uns bereits einigen Ãrger eingebracht, es war immer ein schmaler Grat gewesen. Ist es schon verwerflich, ein Brötchen mehr zuzubereiten und als Proviant mit auf die Reise zu nehmen? Und war überhaupt genug da, um dieses Vorhaben zu verwirklichen? War uns der Ruf als allesfressende Raupe, die sich ihren Weg nach Süden bahnte, bereits vorausgeeilt? Manchmal machte es den Eindruck. Früh blieb nichts übrig und Abends gab es mindestens zwei Portionen Nudeln und süÃen Nachtisch.
Wer so zum Abendessen erscheint, muss sich über den resultierenden Ruf nicht wundern.
Es ging rauf, es ging runter. Das Wetter war unwirtlich, ohne richtig ärgerlich zu sein. Die Abfahrt nach Levico verzögerte sich, da im Tal ein Gewitter tobte. Wir entschlossen uns, nicht den direkten Weg zu nehmen, sondern noch einmal auf 1600m zu fahren. Oben angekommen gerieten wir in eine richtig dicke Nebelsuppe und stürzten uns sogleich wieder ins Tal. Die Verhandlungen in Levico verliefen zäh. Hütten und Hotels gaben sich wenig auskunftsfreudig und so beschlossen wir, es auf eigene Faust zu versuchen. Also wieder mal zum Tagesausklang hoch, war ja bisher immer gut gegangen. Inzwischen schreiben wir aber Montag, den 1. September, was nicht etwa bedeutet, dass es mit dem Ferienende in Italien Nebensaisonpreise gibt. Nein, die Hütten machen gleich ganz dicht. Und so kamen wir in die unangenehme Situation, 19.00 Uhr auf dem Berg zu stehen und nacheinander 3 Geisterhäuser abfahren zu dürfen.
Blick auf Lago di Caldonazo
Also immer weiter abwärts und endlich gelang es uns in Vattaro ein Hotel zu organisieren. So luxuriös hatten wir bisher noch nicht genächtigt, und günstig war es auch. Am Morgen ging es als erstes in den Anstieg zum Kaiserjägerweg. Ein spektakuläres Serpentinenvergnügen, senkrecht in die Felswand gemeiÃelt, schmale uneinsehbare Tunnel, traumhafter Blick auf den Lago di Caldonazzo, und ordentlich Hitze als Zugabe; so macht auch ein StraÃenpass mal SpaÃ. Weiter ging es über den Friedensweg, immer an der 14-18er Frontlinie zwischen Italien und Ãsterreich-Ungarn entlang. Mehr oder wenige intakte Festungen grüÃen am Wegesrand und zeugen von einer Vergangenheit die nicht annähernd so pittoresk gewesen sein wird, wie es die immer noch stolzen Zeugnisse der Kuk-Monarchie vermuten lassen.
Ãber Folgaria und den Passo Sommo ging es steil und steiler, mitten durchs Skigebiet, zum Passo Coe. Wenn man auf einer schwarzen Skipiste, direkt unter einen Lift, gen Gipfel strebt, ist einem schon klar, dass es hier eigentlich nicht rauf geht. Vorgesehen war das jedenfalls nicht. Aber die Zeit war wieder mal knapp, es hilft nicht, wir müssen da rauf. Den Passo Coe erreichten wir nach einigem Auf und ab, und dort erwartete uns ein Rifugio, in welchem wir die einzigen Gäste waren. Die Abendsonne glänzte zum Abschied goldmagentaoranje und hinter den baumbestandenen schwarz melierten Hügeln bedeckte eine Wolkenebene, weit wie ein Ozean, ein Tal, was niemand vermisste. Es war wie âTitanicâ ohne Tränen. Einfach nur wow! Wie wäre man wohl, erblickte man jeden Abend solch schöne, gesammelte Ewigkeit? Antwort: Wahrscheinlich anders!
Einmal werden wir noch wach, Riva del Garda wir kommen!