Als am 2. August 1972 der Entwurf eines Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz - BayNatSchG) dem Landtag vorgelegt wurde (Drucksache 7/3007), galt auf dem Gebiet des Naturschutzes noch das ehemalige Reichsnaturschutzgesetz von 1935 (mit einigen zwischenzeitlichen Modifikationen). Aufgrund der bereits angesprochenen Problematik und Ungewissheit im Hinblick auf die Entwicklungen bei der Gesetzgebungskompetenz im Bund erschien es Bayern angesichts der ständig wachsenden Belastungen für Natur und Landschaft nicht vertretbar, die Entwicklung auf Bundesebene länger abzuwarten.
Neben Themen des Natur- und Landschaftsschutzes sollte bei der Gesetzgebung schließlich auch
die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Allgemeinheit in verstärktem Maße Natur und Landschaft erleben will. Gerade die Funktion der Landschaft als Erholungsraum würde in Zukunft immer größere Bedeutung erlangen. Das durch Art. 141 Abs. 3 der Bayerischen Verfassung verbürgte Grundrecht auf Genuss der Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur sollte praktikabler gemacht und daher durchsetzbar gestaltet werden.
Sehen wir uns daher mal an wie die Regelung entstanden ist, die seit 1973 das Radfahren in der freien Natur vorwiegend bestimmt und später dann auch wie der bayerische Gesetzgeber die Schranken des Art. 141 Abs. 3 BV (tatsächlich) konkretisiert hatte und mit welchen Regelungen er Rechtssicherheit vermitteln und vor allem Rechtsfrieden erreichen wollte.
Der ursprüngliche Entwurf von 1972 zum "Radfahren auf Wegen" unterschied sich nur wenig von der beschlossenen Fassung, die dann am 1. August 1973 in Kraft trat und auch von der Fassung, die seit der Novelle 1982 unverändert gilt:
Artikel 16 (Entwurf 1972)
Benutzung von Wegen zum Wandern und Radfahren
(1) Jedermann darf auf Privatwegen in der freien Natur wandern und, soweit sich die Wege hierfür eignen, mit Fahrzeugen ohne Motorkraft fahren.
Artikel 23 (BayNatSchG 1973)
Benutzung von Wegen zum Wandern und Radfahren
(1) Jedermann darf auf Privatwegen in der freien Natur wandern und, soweit sich die Wege dafür eignen, mit Fahrzeugen ohne Motorkraft, sowie Krankenfahrstühlen mit Elektromotor fahren.
Artikel 28 (BayNatSchG 2011 - 1982 und 1998 noch Art. 23)
Benutzung von Wegen; Markierungen
(1) Jedermann darf auf Privatwegen in der freien Natur wandern und, soweit sich die Wege dafür eignen, reiten und mit Fahrzeugen ohne Motorkraft sowie Krankenfahrstühlen fahren.
Obwohl die Unterschiede dieser drei Fassungen marginal sind, enthalten sie den Schlüssel das große Missverständnis um diese Norm aufzuklären. Denn wie fragte noch der Abgeordnete Felbinger 2011:
"Im Bayerischen Naturschutzgesetz (BayNatSchG), Teil 6, Artikel 28 Absatz 1 wird erneut der Begriff „geeignete Wege“ genannt, was ist darunter zu verstehen?"
Jetzt muss ich der Geschichte doch etwas vorgreifen: Der Begriff "geeignete Wege" war noch nie in einem Art. 28 enthalten; er wurde 1998 in Art. 25 Abs. 2, dem heutigen Art. 30 BayNatSchG eingefügt und findet sich seit 2005 auch in Art. 13 Abs. 4 BayWaldG. Wie er jeweils dorthin gekommen ist, weshalb eine verfassungskonforme und mittlerweile wohl auch vom Bayerischen Umweltministerium so gesehene Anwendung dieser Vorschriften zu keiner anderen Rechtslage als 1973 führt (was übrigens nie bestritten wurde), wird dann zu gegebener Zeit wieder Thema sein. Halten wir deshalb einfach mal, wie im Gesetzentwurf 2010, fest, dass sich seit 1973 für Radfahrer nichts geändert hat.
Mögliche Missverständnisse gehen insbesondere auf Formulierungen in der Begründung zur Novelle 1982 und in dessen Folge insbesondere auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17.01.1983, jeweils hinsichtlich des
Reitens, zurück. Leider bezieht sich der größte Teil der Autoren unreflektiert auf dieses Urteil, was konkret dazu führt, dass die Rechtslage, wie sie seit 1973 gilt, seither in der Literatur kaum noch korrekt wiedergegeben wird. Zum Teil wiedersprechen sich die Autoren insbesondere
durch die Unterscheidung der Rechtslage zum Radfahren und Reiten auch noch selbst.
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Seite der Bayerischen Forstverwaltung bzw. des Bayersichen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten:
Erholung und Freizeit im Wald, mit der sich dieser Thread dann später noch eigens beschäftigen wird.
Obwohl die Rechtsgrundlage zum Radfahren und Reiten identisch ist (siehe oben), werden die Regelungen zu den beiden Erholungsformen gänzlich unterschiedlich dargestellt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass mindestens eine Ausführung nicht korrekt sein kann - tatsächlich ist es dort keine. Schon wieder haben wir mindestens drei Meinungen.
Zurück zum BayNatSchG 1973:
Aus der Gesetzesbegründung:
Angesichts des umfassenden Betretungsrechts nach Art.15 hat Art.16. für den Wanderer keine allzu große Bedeutung, ...
Ein echtes Bedürfnis besteht für eine ausdrückliche Zulassung des Radfahrens auf Privatwegen.
Der Kommentar Engelhardt (Rd.Nr. 4 zu Art. 28) folgert bezüglich des Wanderns übrigens genau das Gegenteil:
Essentiell ist das Recht, auf Privatwegen zu Fuß zu gehen, in Absatz 1 Satz 1 als „wandern“ bezeichnet, ...
Abgesehen davon, dass sich in Art. 28 Abs.1 Satz 1 BayNatschG 2011 der Systematik des Art. 27. Abs. Satz 2 BayNatSchG folgend gerade keine Schranke des Grundrechts konkretisiert, folgte in der 2. Lesung am 17.07.1973 (Plenarprotokoll Drucksache 7/69) die Klarstellung:
Artikel 23. Dazu liegt Abänderungsantrag der SPD vor gemäß Ziffer 6.
(Abg. Dr. Kaub: Zur Klarstellung!)
Darüber besteht völlige Klarheit, der Antrag ist zu übernehmen, da ist ein Fehler unterlaufen. Zweifelsohne darf jeder als Privatmann in der freien Natur wandern und, soweit sich die Wege eignen, mit Fahrzeugen ohne Motorkraft fahren. Dann hat man hinzugefügt „ausgenommen Krankenfahrstühle mit Elektromotor“. Man hat also den nicht geschriebenen Zwischensatz, daß Motorfahrzeuge verboten
sind, dazugedacht. Man hat aber nur festlegen wollen, wer fahren darf, also muß es heißen „und“ oder „sowie“. Ich würde empfehlen, daß es heißt: „und, soweit sich die Wege dafür eignen, für Fahrzeuge ohne Motorkraft sowie Krankenfahrstühle mit Elektromotor fahren. Dem Fußgänger gebührt der Vorrang.“ Sie sind damit einverstanden?
Damit stellte der Gesetzgeber klar, dass er niemals im Sinn hatte, das Betretungsrecht über die Formulierung "soweit sich die Wege dafür eignen" zu beschränken. Vor allem ist es in dem Zusammenhang unvorstellbar, dass der bayerische Gesetzgeber gerade Nutzern von Krankenfahrstühlen den Zugang zur Natur mit dieser Formulierung erschweren wollte. Aus dem Kontext ergibt sich vielmehr, dass Rollstuhlfahrer damit auskommen müssen, aus faktischen Gründen einen Weg nicht befahren zu können und keinen Anspruch gegenüber den Grundeigentümer geltend machen können, den Weg in einen für sie geeigneten Zustand zu versetzen, um ihnen den Naturgenuss dort zu ermöglichen.
Ausgerechnet einen Kommentar zum Bundesnaturschutzgesetz (
Ulf Marziku/ Thomas Wilrich, RdNr. 5 zu § 56) kann die korrekte Bedeutung noch entnommen werden.
Wikipedia führt im Artikel zur Barrierefreiheit aus: „Da es die vielfältigsten Behinderungen gibt, ist Barrierefreiheit lediglich ein Ideal, dem sich die Realität nur annähern kann. Insbesondere die Natur selbst schafft immer wieder Barrieren, die auch von nicht behinderten Menschen nur schwer zu überwinden sind. Alle durch Leistungseinschränkungen bewirkten Handicaps durch technische Maßnahmen zu kompensieren ist unmöglich, widerspräche zudem auch anderen Idealen (z. B. dem der Naturnähe: Alle Wanderwege behindertengerecht herzurichten könnte auch als Verschandelung der Natur bewertet werden).“
Für das Radfahren ergibt sich nichts anderes. Martin Burgi führt in
Erholung in der freien Natur * entsprechend Folgendes aus:
lm übrigen müssen die Wege für die Ausübung der jeweiligen Benutzungsart geeignet sein (vgl. z.B. § 37 Abs. 3 NatSchG BW), weshalb dem Fahrer eines Mountain-Bikes mehr Wege offenstehen dürften als dem "normalen" Radfahrer. Vor allem ergibt sich für den nicht seltenen Fall, dass jemand einen Weg für das Radfahren ungeeignet hielte und dieser dennoch befahren würde, dem Art. 141 Abs. 3 BV hierfür keine Schranke immanent wäre, die das Grundrecht diesbezüglich einschränken würde. Hier gilt eher die nicht justiziable Bergsteigerweisheit, die Preuss´sche Grundregel "Das Können ist des Dürfens Maß". Die Schranken des Grundrechts hat der Gesetzgeber eigens an anderer Stelle konkretisiert.
Zudem enthielt Art. 33 Abs. 2 BayNatSchG (heute Art. 37) tatsächlich schon seit 1973 die Formulierung:
Außerdem sollen geeignete Wege und Flächen für den Reitsport bereitgestellt werden.
Auch hier hatte der Gesetzgeber nicht die Natur-, Eigentümer- und Gemeinverträglich des Reitens im Sinn, sondern vor allem die Bereitstellung von Wegen und Flächen, die aufgrund ihrer
Bodenbeschaffenheit insbesondere auch den Pferden zuträglich sein sollten, um so dem Reitsport gerecht zu werden.
Des Weiteren sei noch darauf hingewiesen, dass bereits rein sprachlich das Wort "eignen" immer einen Bezug braucht. In Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 Abs. 2 BayNatSchG bezieht es sich ausschießlich auf die genannten Erholungsformen und schließt damit klar jede Bedeutungserweiterung aus. Zwischenzeitlich werden aber sämtliche immanente Schranken des Art. 141 Abs. 3 BV entgegen der Systematik des Gesetzes in dieses Wörtchen implementiert.
So findet sich z. B. im Kommentar "Bayerisches Naturschutzgesetz *" (2007) von Christian Tausch vom Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU), folgende Erklärung:
Während Fußgänger alle Privatwege benutzen dürfen, gilt dieses Recht nicht für Fahrzeuge mit Motorkraft und nur eingeschränkt für Reiter, nicht motorisierte Fahrzeuge und Krankenfahrstühle mit oder ohne Antrieb. Diese dürfen nur geeignete Wege nutzen, wobei die Eignung alle Aspekte einer natur- und eigentumsverträglichen sowie sicheren Nutzung einschließt. Der Eigentümer muss die danach zulässige Nutzung und die damit verbundene Abnutzung seines Wegs dulden.
Unter diesen Voraussetzungen hätte sich der Gesetzgeber aber die Mühen der einfachrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechts auch sparen können, denn durch diese Auslegung, die die Konkretisierung der Schranken im Bayerischen Naturschutzgesetz ignoriert, ist man der Rechtssicherheit so nah wie vor 1973 und der Rechtsfrieden sogar zerstört, wie die fortdauernde Kontroverse um die Eigenschaften von Wegen im Hinblick auf die Formulierung ", soweit sich die Wege dafür eignen" aus Art. 28 Abs. 1 BayNatSchG belegen. Dabei wollte der Gesetzgeber doch das durch Art. 141 Abs. 3 der Bayerischen Verfassung verbürgte Grundrecht auf Genuss der Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur praktikabler und daher durchsetzbar gestalten, was ihm eigentlich auch gelungen war.