Also nachdem man die Interviews auf pinkbike gelesen hat, ist die Sache schon viel klarer
https://www.pinkbike.com/news/interview-richie-rude-comments-on-failed-drug-test.html
https://www.pinkbike.com/news/interview-jared-graves-comments-on-failed-drug-test.html
- Higenamine und Oxilofrine (ohne hier näher auf die Unterschiede einzugehen) sind auf der WADA Liste seit 2017, als "Specified Substances" weil sie im Endeffekt wie das schon seit 2004 verbotene Ephedrin leistungssteigernde Wirkung haben können
- vermutlich ist die Dopingwirkung nicht mit EPO, Testosteron oder Blutdoping zu vergleichen, aber im Endeffekt ist davon auszugehen, dass ein leistungssteigernder Effekt durch bessere Sauerstoffaufnahme, Vigilanz und Steigerung der Herzleistung erzielbar ist. In der EWS gibts sehr knapp zur Sache, manchmal haben schon 2 Sekunden auf oder ab zwischen 1. und 5. Platz entschieden. Und das nach 30min Fahrzeit!
- was macht die Substanz für Sportler besonders attraktiv:
- sie ist problemlos und günstig zu beziehen (ich denke, dass sich zB für Eigenblutdoping allein schon der Aufwand als zu groß erweist), da sie als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen ist. Hier gibts eine spannende Studie wo bei 14 von 27 Proben von Nahrungsergänzungsmitteln die Oxilofrine (=Methylsynephrine) als Inhaltsstoff angeben in 14 (52%) der Fälle die Substanz auch drinnen war, unterhaltsamerweise zwischen 0.0003 bis 75 mg per Gabe, wobei letzteres eigentlich deutlich über pharmakologisch empfohlenen Dosen liegt
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/dta.1976
- als Konsument (=Sportler) geht man daher von einem niedrigen gesundheitlichen Gefahrenpotential aus, was vermutlich auch weitgehend stimmt
- wird man damit erwischt, kann man sich darauf berufen, dass das Zeug als Verunreinigung bzw ohne Angabe wo drinnen war, dass man den Inhaltsstoff überlesen hat, oder, so wie es Graves im Interview ja schon erwähnt - dass man einfach vergessen hat, sich auf den neuesten Stand zu bringen hinsichtlich verbotener Mitteln. Wirklich dirty ist die dort auch in den Raum gestellte Ausrede, dass sie einen Schluck von einem Kollegen getrunken haben könnten, und dort das Zeug drinnen war....
- beide Sportler haben bis dahin noch nie eine Dopingkontrolle bei der EWS erlebt, das Risiko erwischt zu werden erscheint damit entsprechend gering
- sollte man eben doch erwischt werden, darf man bei so einem kleinen Helferlein auf entsprechende Nachsicht hoffen
Das wirklich Depperte an der Sache für die beiden (abgesehen davon, dass jemand auf die blöde Idee kam Dopingtests durchzuführen) ist die Beziehung zum Sponsor Ryno. Die haben schon klar gemacht, dass das in ihren Produkten sicher nicht vorkommt (sie brauchen ja auch das Vertrauen von Profis und Amateuren hinsichtlich der Inhaltsstoffe). Also können Jared und Richie nur entweder gegen ihren Sponsor behaupten, dass sie es doch von dort hätten. Oder sie sagen, dass sie zwar von Ryno gesponsort werden, aber ein anderes Präparat zusätzlich eingenommen haben. Das ist aber auch besonders blöd, weil dann der Verdacht schon sehr nahe liegt, eben bewusst auf ein bewährtes - aber verbotenes - Helferlein gesetzt zu haben. Es könnte sogar sein, dass sie laut Vertrag mit Ryno nur deren Nahrungsergänzungsmittel einnehmen sollen. Das ist natürlich sehr deppert...Möglicherweise wird Richie Rude behaupten es irgendwann unbewusst mit irgendeinem ungeplant spontan eingenommenen unbekannten Drink zugeführt zu haben - so wie es Topsportler ja immer vorm Wettkampf machen... Und Jared Graves erwägt anscheinend zu behaupten, dass er in 20 Jahren als Topsportler auf ein paar Produkte vertraut hat, diese nie als verbotenes Doping eingeschätzt hat (was sie ja früher auch nicht waren), die Änderungen 2017 nicht mitbekommen zu haben (vielleicht hätte mal deren persönlicher Coach nachschaun sollen...), und es deshalb versehentlich genutzt zu haben.
Und jetzt kommt das Interview mit Richie Rude ins Spiel. Ein kluger Jurist hat mal einen Vortrag gehalten, warum er auf keinen Fall je einem Verhör durch die Polizei zustimmen würde -
- dem schließe ich mich an und ergänze: auch Interviews mit wohlgesonnenen Journalisten können einen ordentlich in Erklärungsnot bringen, denn:
Richie Rude behauptet allen ernstes, dass er seit Juli vom positiven Test weiß, auf eine B Probe verzichtet hat, vermutet dass Verunreinigungen in Nahrungsergänzungsmitteln ursächlich waren, damit die kommende Saison gefährdet ist und vieles mehr und er deswegen schon mit seinen Sponsoren RedBull und Yeti gesprochen hat, aber
noch keinen Kontakt zu seinem Sponsor Ryno aufgenommen hat, der für ihn die Nahrungsergänzungsmittel bereitstellt.
Sorry, aber diese Verteidigungsmasche "wir waren ja alle so naiv in der EWS, gottseidank gibt es jetzt unseren ganz harmlosen Fall und ab nächstem Jahr passen wir dann alle viel besser auf" find ich zum Kotzen. Jeder versucht das letzte Quäntchen am Rad zu optimieren, das perfekte Training durchzuziehen, die perfekte Linie zu entdecken. Ich zitiere mal die NADA (
https://www.nada.at/de/boxnewsshow31-achtung-bei-higenamin-in-nahrungsergaenzungsmitteln) "Die Australische Anti-Doping Agentur (ASADA) hat ersten Halbjahr 2017 13 australische Sportler in neun verschiedenen Sportarten aufgrund dieser Substanz positiv getestet,..." Ich will einfach nicht glauben, dass man als Profisportler diese Fälle - umso mehr im eigenen Land! - nicht mitbekommt. Ein Schelm, werr meint jemand hat einfach nur darauf gehofft, dass es eh nicht getestet wird und man - wenn doch - mit einem blauen Auge davon kommt. Dieser Jemand hätte ein mildes Urteil mMn nicht verdient. Vor allem darf es sich die EWS da nicht zu leicht machen und die Sache unauffällig vom Tisch schieben. Das ist Chris Ball all jenen Fahrern schuldig, die nicht mit solchen verbotenen Mitteln noch die ein oder andere Sekunde gegenüber den Kontrahenten rauszuholen versuchen!
Das muss man so klar sagen, auch wenn es mir gerade bei Jared Graves natürlich sehr leid tut, wenn zu der unvorstellbaren Belastung einer so schweren Krebserkrankung auch noch dieser Vorwurf dazukommt. Man muss die Dinge dennoch getrennt voneinander sehen (und ihm das allerbeste für seine Krebsbehandlung wünschen!).