Eigentlich hatte ich Anfang November ein Tourslot vorgesehen, aber das erwies sich am Ende weder für mich noch für meine Frau als praktisch. Und so verschoben wir es auf Mitte Dezember - wie ich letztes Jahr in
den hohen Weiten der rauen Margeride
feststellen durfte, kann das eine tolle Zeit sein für Touren.
Die letzten Wochen habe ich an ein paar Pässen in den südöstlichen Alpen rumgesabbert. Alpenpässe haben aber im Winter den Nachteil, dass man in den tiefen Tälern sehr viel am Schatten fährt, und bei Schnee hört der Spass natürlich auch irgendwann auf. Zudem habe ich mich die letzten Tage nicht so viel bewegt - da zwecks Anreise nochmal ein paar Stunden im Zug zu hocken, fand ich nicht so anmächelig.
Und so verabschiede ich heute Morgen meine Frau zur Arbeit, die Kinder in die Schule und die Katze in mein Bett. Ich überlege kurz, es ihr nachzutun: der Schneeregen draussen lässt eine Velotour nicht als logischste Option erscheinen. Aber am Ende schalte ich das Hirn aus und purzle los.
Da ich am Wochenende leichtes Fieber hatte, spüre ich auf den ersten Kilometern nach, wie es mir geht. Dabei gehen mir zwei Gedanken durch den Kopf: ich bin gesund, und ich bin in Sicherheit. Was für wunderbare Privilegien
Auch ein Prvileg: in der Schweiz leben zu dürfen.
Nach nicht mal 20 km ein leichtes Schöckchen: ich muss hinten schon nachpumpen. Ob das gut kommt mit meinem Tubeless-Setup? Jedenfalls scheint es nach dem Pumpen vorerst zu halten.
Nach dem Rhoneknie hört der Nieselregen auf, und der Himmel hellt ein klein wenig auf.
Die Berge sind aber noch immer tief verhangen.
Ich komme ziemlich zügig an den Lac Léman und überquere in
Saint-Gingolph die Grenze, Der Grenzbach Morge teilt den kleinen Ort, und trotzdem sehen sich der französische und der schweizerische Teil als
ein Dorf. Dieser enge Zusammenhalt kam auch bei der
Tragödie von Saint-Gingolph im Juli 1944 zum Tragen, als die Einwohner des französischen Teils vor den Nazis fliehen mussten.
Es herrscht ein regelrechter Sturm am Léman, und so werde ich nach dem Mittagessen nach Westen geblasen.
Die Strasse führt entlang der Tonkinlinie. Wie Wikipedia weiss, geht der Name auf die Arbeiter zurück, die beim Bau der Tonkinbahn in Indochina eingesetzt wurden und dort ähnliche geologische Bedingungen vorgefunden hatten.
In Evian sause ich an den Verladerampen des Mineralwassers vorbei - eines der wenigen bemerkenswerten Dinge am verkehrsgeplagten und siedlungsbreiigen Südufer des Léman.
Gegen Genf zu wird es ein bisschen gefälliger, aber der Himmel ist inzwischen so dunkel, dass ich nur einen bunt erleuchteten Kiosk fotografieren mag.
Und dann bin ich auch schon in Genf
Beim Jardin Anglais muss ich bereits den dritten Luftverlust des Tages feststellen, und so steuere ich den nächsten Velomech an. Der ist nicht so Tubeless-Fan und haut mir vorne und hinten
Schläuche rein. Ist mir irgendwie auch recht: vielleicht hätte zwar Milch nachfüllen geholfen, aber Genf ist für eine Weile die letzte grosse Stadt, da verzichte ich lieber auf Experimente - nicht, dass ich mich noch in der Pampa mit schlauchlosen Plattfüssen befassen muss...
Als ich aus dem Laden komme, ist es schon dunkel, und es stellt sich die ewige Tourfrage: wo übernachten? Ich spüre noch ein paar Körner in mir und nehme die 40 km bis Bellegarde unter die Räder. An endlosen Staus vorbei fahre ich in den Nieselregen hinein. Der stört mich nicht gross, aber ich stelle mir die bange Frage, wie es wohl in der Höhe schneemässig aussieht?
Aber am Ende ist mir das auch egal, und ich bin einfach nur froh, ein Bett und was zu essen zu haben.
Auf dem Heimweg vom Restaurant klappern mir die Zähne: gegen die dünnen Ausgehhosen und die Müdigkeit hilft auch die Bellegarde'sche Weihnachtsdeko nichts
Karte.
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