Mein erstes MTB war 1989 ein Vaterland Freedom aus Neuenrade im Sauerland Nordrhein-Westfalens als ich unschuldige 10 Jahre jung war und so eben auf ein Fahrrad mit 26"-Rädern passte. Es war ein absolut schweres und starres Rad, das komplett alltagstauglich ausgestattet war und heute wohl eher als "ATB" oder 26"-Trekkingbike vermarktet worden wäre.
Als Besonderheiten hatte es nirgendwo
Shimano *-Komponenten. Die Kettenschaltung war eine 18-Gang "Suntour XCT Accushift" Kettenschaltung mit Daumenschaltung und diese war nur hinten indiziert. Die
Bremsen * waren vor allem bei schlechten Wetterbedingungen stets zuverlässige und verschleißarme gut zu dosierende Trommelbremsen von Sachs, die mich umso mehr faszienierten, weil sie von Polizisten bei Fahrradkontrollen an den Schulen immer besonders gelobt wurden. Überhaupt hielt mein Vater mit mir gemeinsam mein Fahrrad immer in einem einwandfreien Zustand und die verliehenen farbigen Plaketten der Polizei sammelte ich jedes Schuljahr mit Stolz auf meinem Oberrohr. Dieses polizeiliche Lob gab mir das überlegene Gefühl, das beste Fahrrad der Schule und eines der besten Fahrräder überhaupt zu besitzen.
Mein Vaterland-Fahrrad vertrug ohne weiteres alle meine Zeiten hohen technischen Verschleißes ohne Probleme. Ausser einer bis heute einzigen gerissenen Kette kam es sonst nur zu Schäden durch Neid und Vandalismus anderer Kinder.
Erinnern kann ich mich noch daran, dass ich damals einen wenig älteren Jungen dabei erwischte, wie er meine
Felgen * in den typischen öffentlichen Radständern verbog und zerstörte. Nach einer schweren Tracht Prügel, die ich mit einem stolzen Sieg ohne nennenswerte eigene Verletzungen als Zwölfjähiger überstand, bekam ich durch die Haftplfichtversicherung seiner Eltern neue Alu-Holkammerfelgen von
Mavic * als Ersatz für meine vorigen billigen Alu-Kastenfelgen. Das fand der kleine Randalierer von damals noch Jahre danach sehr "ungerecht". Doch einen Racheakt wagter er nie.
Ich dagegen war "stolz wie Oskar" und fing darauf an mein Fahrrad zu tunen. Mit Taschengeld war zwar nicht viel möglich, aber es reichte immerhin für einen Selle Royal Uno als sportlicheren und schmaleren
Sattel * anstelle des breiten und schweren "Iscaselle Mountain". Auch die chromatierten, breiten und langgezogenen Schutzbleche tauschte ich zu gunsten einer sportlicheren Optik gegen schwarze
SKS * Kunststoff Steckschutzbleche. Für die
Reifen * wählte ich welche nur deshalb von
Continental *, weil ich ein sehr junger kleiner Autonarr war und
Schwalbe * für mich zu brav klang und keine Autoreifen herstellte. Ich fand es einfach toll, etwas von einer Marke am Fahrrad zu haben, die auch etwas für Autos herstellte. ;-)
Die Schutzbleche und die Lichtanlage, die von anderen Gleichaltrigen damals entfernt wurde, weil alles was als vorschriftsmäßig galt, als unsportlich, brav und bieder verhöhnt wurde, behielt ich am Fahrrad. Dies freute nicht nur meine Mutter wegen der sauberer bleibenden Kleidung. Ich selbst fand den öligen Straßendreck mancher großer Fützen schon damals ekliger als erdigen Schlamm der Natur. Ausserdem liebte ich es bei jedem Wetter zu fahren und so auch im Dunkeln während des Winters oder gar nachtsüber, wenn es sich in den Ferien ergab. Dann fuhr ich meinen unbeleuchteten Freunden immer voraus und sie brav und schüchtern hinterher. "in" oder "angesagt" war mein Fahrrad aber bei ihnen trotzdem nie.
Der oben erwähnte "Kampf um mein heißgeliebtes Fahrrad", die ersten Schraubversuche und viele schöne Fahrten und zahlreiche Abenter wie illegales Querfeldein durch Wälder über Äcker abseits der Feldwege und auf versteckten von uns Kindern als "Geheimpisten" bezeichneten Plätzen, bauten zu diesem Fahrrad eine große idielle und emotionale Bindung auf. Wahrscheinlich kenne ich auch heute noch viele Teile des Rades mit Namen und Modellbezeichnung.
Auch muss ich wohl großes Glück gehabt haben. Denn meine abenteuerlichen Zeiten erlebte und überlebte ich auf dem Fahrrad allesamt ohne
Helm *. Heute kann und will ich seit einem schwereren Unfall 2010 gar nicht mehr ohne ihn fahren.
Ich liebte mein Fahrrad sehr, auch wenn ich heimlich von den moderneren Rädern und den Marken wie Scott, Giant, Votec und andere mehr und mehr schwärmte, von denen ich im Bike-Magazin las, dessen Ausgaben ich während Gleichaltrige damals die Bravo verschlangen.
Leider kam es mangels eines lokalen MTB-Vereins sowie Lern- und Trainingsmöglichkeiten dazu, das ich meine Fahrfähigkeiten hätte professionalisieren können. Ich begann mit dem Kanusport, fuhr mit Freunden Kajaks im Wildwasser und unternahm zum Ausgleich Fahrradtouren und schließlich bald Radreisen mit Gepäck.
Dies und gelegentliche Fahrten mit dem alten Rennrad meines Vaters aus den 60ern führte mich zu den sportlichen Trekkingrädern. Ich wollte eine eine eierlegende Wollmilchsau. Ein leichtes, agiles und komfortables Rennrad, sportlich geländefähig aber auch alltagstauglich und belastbar für Reisegepäck sowie bergtauglich wie ein Mountainbike. So sparte ich zwei Jahre auf ein Scott Atacama, welches ich im Winter 1995 kaufte und heute noch mit Begeisterung fahre, nachdem mir mein Vaterland Freedom an einem Bahnhof 1999 tagsüber gestohlen wurde, trotz Sicherung mit einem Bügelschloss.
Das Bügelschloss wurde mit einem kompakten Hydraulikwagenheber geknackt. Das MTB hatte ich bis dahin lange nicht und erst am Tag zuvor gründlich gereinigt. Ich nutzte es nach 6 Jahren nur noch als Zweitrad neben dem Trekkingbike. Es entsprach bis auf frische Verschleißteile nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik, war aber durch seinen guten Grundzustand optisch wohl attraktiv genug. Blitzblank wie neu war es wohl für Diebe nur allzu verlockend.
Tja, dass war mein Vaterland Freedom Mountainbike, was mich ein Jahrzehnt treu begleitete und mit dem ich im Alter ab 10 Jahren meine Heimat von der Haustür aus in immer größeren Radien neugierig weiter erkundete, mit Freunden, mit den Eltern und meiner Schwester oder auch sehr oft gern allein und so oft ich konnte.
Viele meiner damaligen Freunde bekamen öfter ein neues Fahrrad, hatten sich wohl öfter über etwas neues freuen können als ich, aber eine Faszination und Begeisterung zum Radfahren hatte sich bei ihnen nie wie bei mir entwickelt bis auf zwei Ausnahmen. Der eine ist heute aktiver Triathlet,wie ich bei einer glücklichen Wiederbegegnung erfahren konnte. Ein anderer neuer Freund fährt heute Rennrad, MTB und Cyclocross und ich bin bis heute ein den Weg genießender Reiseradabenteurer, der aber die Lust am MTB wiederentdeckt hat. Für sportlichen Spaß im Gelände ist mir mein feiner Trekker doch zu schade und mit Gepäck eh doch etwas zu schwerfällig.
Den kleinen Hersteller Vaterland gibt es seit 2007 nicht mehr. Das Image der Marke wurde durch Massenproduktion von Billigsträdern für Discountsupermärkte wie Aldi schwer beschädigt. In dem für heutige Verhältnisse kleinen Fabrikgebäude in Neuenrade befindet sich heute ein Seniorenwohnheim.
Vaterland hätte mit seinem Ruf und als kleiner deutscher Traditionshersteller eher auf den Manufakturradmarkt setzen sollen und individuelle Räder in Kleinserie bauen sollen, statt auf minderwertige Massenprodukte, die sich zu deren Bedingungen vor Ort nur unrentabel fertigen ließen. Mitschuld wahr wohl auch eine schlechtes Marketing, das in den 90er Jahren nie dem Zeitgeist entsprach. Außerdem hatte der Name "Vaterland" vermutlich aus der Zeitgeschichte Deutschlands heraus leider immer noch einen negativen Beigeschmack.