Echte Dichter dichten leichter bei Licht. Freche Fechter fechten mitternachts nicht.
Zungenbrecher (10x, laut)
Schattenseiten des Lichts oder auf der Suche nach Dunkeldeutschland*
Die Nacht ist keine Nacht mehr. Ein Allgemeinplatz. StraÃenlaternen, Ampeln, beleuchtete Schriftzüge und Werbetafeln, aber auch Autoscheinwerfer und elektrisches Licht in Häusern und Wohnungen lassen es nicht mehr dunkel werden, sondern versetzen uns nur noch in einen künstlichen Dämmerzustand. Sterne sind oft nur noch vereinzelt zu sehen.
Es ist ein kultureller Verlust, eine Verkümmerung, es ist ein Jammer. Ein Teil des Lebens, die Bedeutung der Nacht, des Nachthimmels geht verloren und damit auch ein Gespür für die Dimension des Universums. Wer einmal auf einer Hütte in den Alpen, auf dem Roche de los Muchachos auf La Palma oder in der Sahara einen klaren, dichten Sternenhimmel sehen durfte, sehnt sich nach der Wiederkehr dieses Anblicks. Der Gedanke beschäftigte mich schon einige Zeit, und die Karten des
Dark Sky-Projekts offenbaren, das Nordbrandenburg/MeckPom die einzige wage Möglichkeit in Deutschland dafür bieten.
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Aber der Termin verschob sich immer mehr nach hinten; Neumond verstrich im Juni, im Juli, im August, und vor Ende des Sommers blieb nur noch ein Vollmond übrig: Dienstag, 24. August 2010 ... was mit Rücksicht auf lohnabhängige Beschäftigung auf Sonntag verlegt wurde.
Auf dem Weg zum Treffpunkt leistete ich erst einmal Ersthilfe bei einem heftigem Verkehrsunfall, welcher sich spektakulär vor meinem Augen entwickelte und in voller Wucht vollendete. Zwischen geschätzt 16 Airbags suchte und fand ich den Fahrer unverletzt, und stieà mir zum Ausgleich gleich mal heftig den Kopf an der B-Säule. Damit hatte dieser Unfall auch endlich seinen Verletzten und ich konnte nach Protokollierung meiner Aussage beruhigt des Weges ziehen. Eispickel dämmerte derweil in der Oranienburger Hitze vor sich hin, war aber voller Geduld. Der folgende Transfer in die Uckermark gestaltete sich unspektakulär und so waren wir des späten Nachmittags bereit für das Helle im Dunklen. Wenn nur die Wolken nicht gewesen wären. Es war schwül und es war bedeckt, Gewitter waren angesagt, für das Projekt Sternenhimmel sah es gar nicht gut aus.
Augustablick am Peetschsee
Das letzte Abendmahl: Blaubeeren im Eierkuchen
Richtig los ging es in Bredereiche, kurze Fahrt zum Augustablick, so genannt nach Augusta Karoline von Cambridge, Prinzessin von GroÃbritannien, Irland und Hannover. Aber das ist doch kein griffiger Name für einen Ausblick! Ein Bad im Peetschsee für den Einen, der kurzen Aufbruchszeit geschuldet, technische Abnahme des Materials für den Anderen, markierte den Beginn der Tour. Dann folgte auch gleich das Abendbrot, welches nicht ganz korrekt abgerechnet wurde, was aber erst auffiel, als der Ziegenhof, bekannt aus unzähligen Westuckermärkischen Seetouren, beinahe ereicht war. Er sollte unser Eingang zum Truppenübungsplatz werden, ein erster Versuch in Sachen Dunkelheit und sicher ein Garant für wenig Lichtquellen. Inzwischen war es dunkel geworden; Grisu und DX brannten Löcher in den Sand, am Horizont blitzte und wetterleuchtete es. Wir machten ordentlich Strecke, der Lichtzug schlingerte gelegentlich im tiefen Sand, musste aber im Gegensatz zu Neigezügen der Bahn nie die Geschwindigkeit verringern. Dann kam das Kommando âLicht ausâ und wir standen im Dunkeln. Die Augen brauchten eine Weile und dann war da am Horizont nur noch ein leichtes Schimmern zu erahnen. Glamouröses, glitzerndes, Pariser Licht. GleiÃen! Blendende Versprechungen! La Ville-Lumiere! Templin?
Dunkelheit
.... Restlichtverstärkung: 60s, Blende 1,7, ISO 800
Da es in der anderen Ecke aber nicht mehr blitzte, lies sich dieser letzte Lichthort leicht ignorieren. Es war wirklich amtlich dunkel! Wir waren endlich in Nordkorea angekommen, dem schwarzen Fleck auf der globalen Lichtverschmutzungskarte.
Denn Kommunismus ist Rätemacht plus Elektrifizierung. Planerfüllung im Dunkeln! Unter unermüdlicher Anleitung Kim Jong Ils lodert hell die Flamme der Revolution im Songun-Zeitalter und erfasst das ganze Land mit pulsierender revolutionärer Begeisterung und ebensolchem Kampfelan. Die groÃartigen Siege bestätigen eindeutig, dass das Vaterland auf dem geflügelten Ross des Sprungs fürchterlich emporsteigt und der Tag naht, an dem die groÃe aufblühende Macht verkündenden Siegesfanfaren erklingen werden. .... Entschuldigung, ich muss den Brigadier verschluckt haben.
Vor Ort war von revolutionärem Pathos wenig zu spüren. Kein Mond, keine Sterne, Dutzende gleich aussehende Sandwege, abseits derer Altlasten und Munition auf leichtsinnige Reisende lauerten. Es begann wieder zu nieseln oder auch nicht, zweimal im Kreis gefahren, Spuren im Sand, die Orientierung war irgendwann verloren, ein perfekter Sonntagabend also.
Das nächste Kommando lautete: Runter vom Platz, Waldrand ansteuern, operativ entscheiden! Der Lichtzug setzte sich in Bewegung und nahm zügig Fahrt auf. Der Vorwärtsdrang wurde erst an einer unbekannten Furt gestoppt, die uns ob des Wasserverlaufs völlig verwirrte und letzte Zweifel über die hoffnungslose Orientierungslage beseitigte. Das Wasser wurde gequert, der Zug nahm Fahrt auf, als ein gleiÃendes Licht unsere Aufmerksamkeit erregte. Man hört gelegentlich von nächtlichen Ernteeinsätzen, Mähdräscher die vor erwartetem Regen noch das Getreide einholen. Aber wir waren immer noch in Sperrzone 1 und Fahrten mit schwerem Gerät nur mit Panzerung zu empfehlen. Wir näherten uns weiter dem Licht, welches sich als einzelne helle, ca. 2m hohe Lichtquelle herausstellte. Es sah aus wie eine Tür, es konnte sich nur um ein Tor handeln. Die Frage war nur noch: ein Tor in eine andere Welt oder eine andere Zeit und würde man Postkarten von dort schicken können? Das Tor wurde von einem Hüter bewacht, den könnte man ja mal fragen.
Der Wächter war ein Entomologe, wie langweilig!, das Tor ein Netz mit einer Lampe, und das Ganze eine Insektenfalle. Im Laufe des Gesprächs wurde die Sache dann doch immer interessanter; wir erfuhren viel über den Klimawandel, italienische Heuschrecken mit roten Beinen und das Verschwinden einheimischer, feuchteliebender Insektenarten. Seit 1983 (nicht ununterbrochen, also bitte!) sitzt der Lehrer für Deutsch und Geschichte in der Uckermark und fängt Insekten, wir hörten einige spannende Anekdoten über Begegnungen mit Panzern und Grillen, aber hörten auch so einige Male, dass er hier noch nie nachts Fahrradfahrern begegnet sei.
Das sei so ziemlich das Verrücktestete! Wir bekamen noch einen Tipp für einen spannenden Weg nach Annenwalde; links hinter dem Friedhof in Beutel, wen es interessiert. Den folgenden Uferweg verdanken wir dem Biber, der fleiÃig Seen vergröÃert und Dutzende Türen baut, die es zu öffnen und zu schlieÃen galt. Es war inzwischen Mitternacht und endlich zeigte sich auch mal der Mond. Ein kurzer Fotostop und dann schmiss uns der Trail in Annenwalde raus. Ein letzter kleiner Anstieg, ein Hügel war erreicht und eine Ãberraschung erwartete uns: ein stattliches Büffet war aufgebaut. Für uns? Eine Schubkarre mit Bier, FruchtspieÃe, Salat, Fleisch, Brot, alles was des Reisenden Magen begehrt. Eispickel stürmte das Büffet sofort, ich inspizierte erst einmal die Wiese, welche interessanterweise mit allerlei religiösen Artefakten vollgestellt war. Alttestamentarische Schrifttafeln, Zitate aus Genesis und Exodus auf Stahl, Glaskunst, dazwischen banale Sinnsprüche die nur Peter Hahne ironiefrei rüberbringen könnte. Der passende Kontext für ein nächtliches Mahl. Das schlechte Gewissen verflog schnell, wir nahmen nur was wir essen konnten, der Hunger war nicht groÃ, wir machten keine Unordnung und auÃerdem war klar, dass am Morgen niemand etwas vermissen würde. Der unbewacht zurückgelassene weltliche Besitz lieà nur den Schluss zu, dass das Buch der Sektenmassenselbstmorde ein weiteres Kapitel dazugewonnen hatte. Und wenn nicht, umso besser!
Gegen 0 Uhr
Wir hatten uns inzwischen mal wieder verfahren, fanden in Densow eine Karte die uns nicht weiterhalf, zogen weiter nach Lychen und hatten wieder Orientierung. Es wurde der Schotti-Westuckermärkische Seentour 2007-Auftakt-Gedächtnistrail gerockt: allerlei fliegendes Zeugs stob bei unserem vorbeistreichen von den Blättern auf, Spinnenweben rissen, widerspenstiges Grün umspannte und griff nach uns, Brennneseln, Diesteln und Dornen lauerten unseren Leiber auf bis das Blut hervorsickerte und zögerlich über die krustigen Waden hinabrann. Der Wahnsinn hatte Methode und endete am Seeufer. Ein Steg versprach interessanten Ausblick, Sterne waren immer noch keine da, aber wenigstens etwas Mond. Immerhin.
Gegen 2:00 Uhr ...
Das Motiv aus der Warsteiner-Werbung ...
Der letzte Teil der Reise ist schnell erzählt. Den Weihnachtsmann in Himmelpfort geweckt, in Bredereiche den Ausgangspunkt erreicht, Transfer ins Zentrum der Macht und 4:15 Uhr passierte ich das Brandenburger Tor. Ãber dem Fernsehturm plautzte dick und fett der Mond, grinste so, als wäre er nie weg gewesen. Die Stadt war am Erwachen, erstaunliche Massen fahren um diese Zeit bereits auf den AusfallstraÃen Richtung Innenstadt. Und während die letzten ausnüchtern, betrinken sich die ersten schon wieder. Der ewige Kreislauf.
Der Wecker sollte um 7 Uhr klingeln und als Fazit blieb am Morgen festzuhalten: In Sachen "Das Helle im Dunklen suchen", Thema verfehlt, die Wolken waren schuld. Aber war trotzdem spannend genug. Ein kleines Abenteuer.
*) Dunkeldeutschland - Ironismus für östliche Bundesländer; Kandidat zum Unwort des Jahres 1994, zusammen mit Buschzulage in der Vorrunde ausgeschieden