Die Studentin Luise T. wird auf dem Ringradweg beim Stubentor angehalten. Als die Alkoholprüfung nicht anschlägt, wird sie von den Polizisten - wie sie sagt - "angeschrien". Schließlich bleibt sie unterhalb der erlaubten Promille-Grenze. Der Polizist kontrolliert die Reflektorfolien mithilfe eines Lineals. Weil diese zu klein sind: 45 Euro Strafe.
Der Architekt Robert S. wird wegen Radfahrens in der Fußgängerzone am Kohlmarkt angehalten. Der Polizist kontrolliert die Ausstattung des Rades: Als Robert das Vorgehen des Beamten hinterfragt, wird er auch noch wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt: 496 Euro Strafe.
Der AHS-Lehrer Frederik A. fährt am Ringradweg entlang und quert bei Gelb-Rot eine Ampel. Als ein Streifenwagen den Radweg blockiert, fährt Frederik Richtung Innenstadt davon. Die Polizisten verfolgen ihn und tragen für die Anzeige allerlei Delikte zusammen: 790 Euro Strafe.
Über Fälle wie diese - die Akten liegen dem Autor vor - berichten derzeit viele Radfahrende in den Online-Foren. Tatsächlich besteht heute ein größeres Risiko, auf dem Rad von der Polizei angehalten zu werden, als noch vor einigen Jahren. Johann Golob, der Sprecher der Wiener Polizei, bestätigt, dass auf den Anstieg bei den Radfahrenden reagiert wurde. Sowohl einzelne Wachzimmer als auch Stadtkommanden führten entsprechende Schwerpunkt-Aktionen durch. In welchem Ausmaß kontrolliert wird, quantifiziert der Oberst nicht: "Unsere Landesverkehrsabteilung hat keine Aufzeichnungen über die Gesamtzahl der Aktionen oder wie viele Radfahrer-spezifische Delikte zur Anzeige gelangen."
Fehlerhafte oder schikanöse Rechtsanwendung
Wo keine statistischen Daten greifbar sind, bleibt man auf subjektive Beschwerden von Betroffenen angewiesen. Und die beklagten sich, dass viele Polizisten um die Rechtslage offenbar nicht genau Bescheid wüssten oder die Rechtsordnung bis hin zur Schikane ausreizen. Das mit der als schikanös empfundenen Amtshandlung ist aber so eine Sache, weiß der auf Verkehrsdelikte spezialisierte Rechtsanwalt Johannes Pepelnik: Auch eine äußerst penible Anwendung des Gesetzes sei noch kein Gesetzes-Bruch. "Wir sind uns einig, dass vieles kleinlich und Unfug ist. Aber die einzige Möglichkeit, gegen so etwas effizient vorzugehen, ist eine Gesetzesänderung", sagt der Anwalt.
Nicht nur für Pepelnik ist die Straßenverkehrsordnung in vielen Punkten reformbedürftig. "Grundsätzlich sind Verkehrsregeln einzuhalten. Es gibt zahlreiche Regeln, die aus Perspektive des Kfz-Verkehrs Sinn machen, jedoch als Regel für Radfahrende zu hinterfragen sind", sagt etwa Markus Gansterer vom Verkehrsclub Österreich: "Die Straßenverkehrsordnung wurde geschaffen, um den Kfz-Verkehr zu regeln. Und entsprechend orientieren sich auch die Strafen an den Folgen, die ein Verkehrsdelikt durch ein Kfz verursachen kann."
Anders als etwa Deutschland kennt die österreichische StVO keinen Strafenkatalog, der nach Fahrzeug-Typ unterscheidet. Zwar legt §68 StVO Verhaltensregeln fest, die ausschließlich für Radfahrende gelten. Wenn es um Delikte wie das Queren einer Kreuzung bei Rotlicht oder das Fahren in alkoholisiertem Zustand geht, ist der Strafrahmen aber für alle Fahrzeuge gleich. Das geringere Risikopotenzial des Fahrrades wird nicht berücksichtigt. Gansterer: "Dabei wären allein die physikalischen Gesetze ein Argument für ein Überdenken der gleichen Strafhöhen."
Gefährdungspotenzial wird angeblich berücksichtigt
Auch für Armin Kaltenegger, den Leiter der Rechtsabteilung beim Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV), ist eine Gleichbehandlung zweier so ungleicher Fahrzeuge unsinnig. "Es ist nicht dasselbe, ob ein Radfahrer eine Fußgängerzone kurz quert oder ob ein Sattelschlepper durch die Fuzo rast", sagt Kaltenegger. Allerdings fließe in Österreich das unterschiedliche Gefährdungspotenzial in die Strafbemessung ein. Wo Strafverfügungen diese Verhältnismäßigkeit außer Acht lassen, bewähre sich in der Regel ein Einspruch, so der Jurist.
Während Kaltenegger mit der StVO zufrieden ist, sehen Gansterer und Pepelnik Änderungsbedarf: vor allem bei Vorrangregeln, dem Verbot des Nebeneinanderfahrens und bei der Radwegebenutzungspflicht. Fahrrad-Interessensvertreter gehen sogar noch weiter und fordern eine klare Senkung der Verkehrsstrafen bei Alkoholgrenzüberschreitung, Telefonierverbot und Ampelübertretungen: "Der halbe Wert der Kfz-Mindeststrafe sollte die Maximalstrafe für Radfahrende sein", fordert etwa Alec Hager, der Sprecher der Radlobby Österreich.
Es mag für Radfahrer, die sich ungerecht behandelt fühlen, ein schwacher Trost sein. Aber die Rechtslage hat sich in den vergangenen Jahren ein Stück weit Richtung Fahrrad geöffnet. Die jüngst beschlossene Aufweichung der Radwegebenutzungspflicht, Radstraßen und Begegnungszonen sind erste Erfolge für die wachsende Gruppe der Radfahrer in Österreich. Und die Rechtslage sei nur einer von mehreren Faktoren, die das Miteinander im Straßenverkehr bestimmen, meint Jurist Kaltenegger vom KfV. Es finde ein kultureller Wandel weg von der Auto-Zentriertheit statt.
Strafbares Radfahren - "Straßenverkehrsordnung diskriminiert die Radfahrer" - Wiener Zeitung Online
Information
Strafbemessung
Die Strafhöhen dieser Aufstellung ergeben sich aus den betreffenden Gesetzesbestimmungen bzw. beruhen - was die Höhe der Organmandate angeht - auf den Angaben der Landespolizeidirektion Wien. In die Strafbemessung sind verschiedene Faktoren einzubeziehen. Etwa das konkrete Gefährdungspotenzial des Verkehrsdeliktes in der jeweiligen Situation oder die Einsichtigkeit des Gesetzesbrechers.
Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung: 50 Euro (Organmandat) bzw. 72 Euro (Strafverfügung).
Alkohol: Geldstrafen ab 800 Euro. Der Strafrahmen ist für Radler genauso hoch wie für Motorisierte und reicht bis 5900 Euro. Organmandate sind nicht zulässig.
Freihändig fahren: 30 Euro (Organmandat) bzw. 72 Euro (Strafverfügung).
In der "Fuzo" fahren: Rund 70 Euro (Strafverfügung). Mit Organmandat sind es 30 Euro.
Gegen die Einbahn: Strafrahmen bis zu 726 Euro. Organmandat: 50 Euro.
Ausstattungs-Mängel: 20 Euro (Organmandat) bzw. 70 Euro (Strafverfügung). Im Übrigen treiben mehrere Mängel am Fahrrad die Strafe schnell in die Höhe.
Gehsteig befahren: Als Organmandat: 30 Euro. Bei Gefährdung von Fußgängern: 50 Euro. Die Strafverfügung kommt meistens um die 70 Euro.
Nicht anhalten bei Stopp-Schild: Strafrahmen bis 726 Euro. Als Organmandat: 50 Euro.
Fahren bei Rot: 70 Euro (Organmandat). Strafrahmen bis 726 Euro.
Nicht Anhalten trotz Aufforderung durch die Polizei: Strafrahmen bis zu 726 Euro. Organmandat 50 Euro.