Unabhängig davon jedoch: die Fahrdynamik beim Radeln ist so dermaßen komplex, dass man die Vorgänge nicht so einfach physikalisch beschreiben kann. Vieles muss man einfach für sich selbst entdecken und entscheiden, was sich besser anfühlt.
Jain... Wenn es um Kreiselkräfte geht und wann sich ein Rad z.B. selbst wieder aufrichtet: stimmt, das ist kompliziert. Wenn es um die Federung geht und also um gedämpfte Schwingungen, ist das auch alles andere als trivial.
Wenn es aber einfach nur um Grip beim Kurvenfahren geht, ist das nicht sooo kompliziert. Allerdings ist so einiges, was man hier insbesondere weiter vorne lesen kann, physikalisch gesehen ziemlich... sagen wir mal so, schwierig. Bestes Beispiel: Zentrifugalkraft. Die gibt's eigentlich nur in rotierenden Bezugssystemen. Wenn man das Radfahren bezogen auf die für alle unseren Zwecke ruhende Erdoberfläche betrachtet, ist das einfach nur Massenträgheit (die Zentrifugalkraft ist dann physikalisch gesehen eine Scheinkraft).
Ohne dabei weiter ins Detail gehen zu wollen, bleibt es aber recht einfach: Wir legen uns in eine Kurve, um eine Beschleunigung (bzw. Kraft) zu erzielen, die uns um die Kurve führt (ohne Kraft würden wir einfach weiter geradeaus fahren). Die Beschleunigung ergibt sich beim In-die-Kurve-Legen daraus, dass unsere Gewichtskraft nicht mehr zu
100% von unserem Rad unterstützt wird (Schwerpunkt ist nicht mehr zentral über der Aufstandsfläche des Rades). Dass wir in der Kurve nicht umfallen, ergibt sich aus der Massenträgheit und einer Hebelwirkung (der Schwerpunkt wird um den Aufstandspunkt des Rades gekippt). Fahren wir dagegen keine Kurve und legen das Rad nur schief, fallen wir um. Es gilt also, gleichzeitig sich in die Kurve zu legen und zu lenken (aber natürlich nicht so stark, als würde man ohne Geschwindigkeit nur durch die Lenkbewegung die Kurve fahren wollen; alternativ kann man auch das Rad querstellen und sich in die Kurve schmeißen, ist aber eher Fortgeschrittenenniveau und ohne irgendetwas, gegen das man sich abstützen kann, meistens nicht von Erfolg gekrönt).
Man sollte auch unterscheiden zwischen Anliegerkurven und offenen, flachen Kurven. Im Idealfall ist eine Anliegerkurve so gesehen nämlich gar keine Kurve (wo es um Kurvengrip geht), sondern so etwas ähnliches, als würde man einen Looping fahren. Der Körperschwerpunkt ist dann nämlich genau über der Aufstandsfläche des Rades, es gibt keine Hebelwirkung an den
Reifen und daher auch keine Grip-Probleme. Und man muss bzw. sollte auch überhaupt nicht einlenken. Natürlich muss man das System Fahrer-Rad dazu gegenüber der Erdoberfläche kippen, aber gegenüber dem aktuellen Untergrund ist es nicht gekippt. (Diesen Zustand gibt es allerdings für jede Anliegerkurve nur bei einer speziellen Geschwindigkeit, die sich aus dem Kurvenradius und der Steilheit des Anliegers bestimmt.)
Reale Probleme ergeben sich jedoch dadurch, dass Anliegerkurven zumindest abseits von perfekten Flow-Trails nur selten so harmonisch anfangen und enden, dass man sich einfach bequem hineinlegen kann und auch genauso bequem wieder herauskommt. Stichwort: Catch Berm!
Was beim Kurvenfahren bleibt, sind dann offene Kurven, also idealisiert eine Kurve auf einem ebenen Untergrund. (Das Fahren in Anliegerkurven ist bei nicht idealer Geschwindigkeit - siehe oben - übrigens eine Überlagerung aus einer idealen Anliegerkurve und einer "idealen" offenen Kurve. Umso weniger meine Geschwindigkeit und meine Kurvenlage zum Radius und zur Steilheit des Anliegers passen, umso mehr verhält es sich wie in einer offenen Kurve und Grip-Probleme können auftreten.)
Bei der offenen Kurve treten nun am
Reifen Reibungskräfte auf, die der Massenträgheit entgegenwirken, uns um die Kurve bringen und mittels einer Hebelwirkung verhindern, dass wir einfach umfallen (wir legen uns ja in die Kurve). Wie groß diese Reibungskräfte werden können, bevor der
Reifen wegrutscht (sprich wie schnell wir eine Kurve fahren können) hängt nur von der Wechselwirkung
Reifen-Untergrund ab.
Ganz entscheidend ist hier der
Reifen. (Logisch... ist aber gar nicht sooo trivial.) Bei einem Enduro-
Reifen sind z.B. die Außenstollen so gestaltet, dass die Reibung (man könnte auch sagen: Verzahnung) größer wird, wenn man das Rad schräg stellt. Deshalb will man beim Kurvenfahren das Rad möglichst schräg haben und also das Rad unter sich schräg legen, während der Fahrer selbst eher aufrecht bleibt. Beim Straßenrad ist es dagegen genau umgekehrt. Hier ist die Reibung größer, wenn eine größere Fläche des Reifens auf dem Asphalt aufliegt. Entsprechend versucht man hier, das Rad eher aufrecht zu lassen (die Kontaktfläche ist beim aufrechten Rad größer) und der Fahrer legt sich selbst mehr in die Kurve. Der Gesamtschwerpunkt hat in beiden Fällen (bei gleichen Radien und Kurvengeschwindigkeiten) die gleiche Position, aber die Bike-Fahrer-Separation ist verschieden. Der Zweck ist derselbe: Maximierung der Reibung!
Zwei beachtliche Punkte:
- Da beim Bremsen natürlich auch Reibung wesentlich ist, sollte man in Kurven nicht bremsen. Die Reibung, die man fürs Bremsen aufwendet, fehlt im Zweifel für den Kurvengrip.
- Ein niedriger Schwerpunkt führt zu anderen Hebelverhältnissen. Um den gleichen Kurvenradius zu fahren, muss ich zwar die gleiche Kraft aufbringen (sprich das Gesamtsystem Rad-Fahrer gleich stark in die Kurve legen), aber die Position von Fahrer und Rad im Einzelnen kann dabei durchaus unterschiedlich sein. Da die Reibung z.B. auch vom Neigungswinkel des Rades abhängt (Profil!) kann es also durchaus einen Unterschied machen, ob das Tretlager hoch oder tief ist (hier wird die Physik dann doch wieder komplizierter
).
Was bringt das jetzt alles fürs Kurvenfahren? Leider erst mal nicht viel, denn sehr wesentlich ist ein Gefühl dafür, welche Reibung welche Radneigung bei welchem
Reifen auf welchen Untergrund ermöglicht.
Sprich man braucht viel Erfahrung und muss diese erst mal sammeln. Ich hoffe aber, ein paar Unklarheiten, die ich in diesem Faden lesen konnte, ausgeräumt zu haben. Das andere ist dann zu lernen, wie man die ideale Radneigung zustande bringt (was leider auch alles andere als einfach ist und wo ich keinesfalls ein Meister bin). Anlieger machen es insofern nicht leichter, als dass noch ein weiterer Parameter ins Spiel kommt, aber zumindest verringern sie den Gripbedarf erheblich.
Abschließend vielleicht noch ein kleiner Tipp: Erstmal ein Gefühl für möglichst "ideale" offene Kurven bekommen (also z.B. auch einfach auf einem Forstweg), dann ideale Anlieger kennenlernen (am einfachsten im Bike-Park) und dann versuchen, beides zusammen zu bekommen und in "wilden" Kurven z.B. auch das Gelände optimal zu nutzen.