Tja,... wenn ich mir einen aussuchen muß, dann den hier.
Wir schreiben das Jahr 1985. Ich bin 7 Jahre alt, es sind meine ersten Sommerferien, und Christian ist der coolste Junge in der Straße. Zum einen ist er schon elf, spielt aber trotzdem noch mit uns jüngeren. Und zum anderen hat Christian Verwandte in den USA. Und eben jene Verwandte haben ihm ein BMX-Rad mitgebracht. So ein "richtiges". Mit allem, was ,unserer Meinung nach, ein richtiges BMX-Rad ausmachte. Es war weiß-blau, hatte Plastikfelgen, Schaumstoffschoner, eine Startnummer vorne am Lenker, und...... zwei Bremshebel. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Und Christian konnte auch noch damit umgehen. Er konnte Wheelies. Wir nannten es aber "auf dem Hinterrad fahren". Er konnte driften. Wir nannten es jedoch "mit dem Hinterrad schlittern". Er konnte das sogar so gut, daß er nichtmal einen Fuß auf den Boden setzte, wie es alle anderen machten. Zur Sicherheit. Um nicht umzukippen. Und,.... Christians Papa hatte ihm eine Sprungschanze gebaut. Eine richtig hohe. Zumindest höher, als das auf ein Kantholz geschraubte Brett, was wir kleineren hatten. Über diese hohe Rampe trauten sich nur wenige. Und Christian sprang am höchsten, und am weitesten. Kurzum,... er war unser Held.
Anscheinend muß meine ständige Schwärmerei meine Eltern genervt haben, denn an einem Samstag Morgen setzten wir uns ins Auto, und fuhren los. Wohin, sollte ich erst vor Ort erfahren. Es ging zum Fahrradladen. Und ich bekam MEIN BMX-Rad. Es hatte zwar keine Plastikfelgen, sondern normale. Und auch eine Startnummer hatte es nicht, aber es hatte einen schwarzen Plastiksattel, mit Löchern drin. Und gelbe Plastikgriffe, mit einem Handschutz außen. Auch ein Rücktritt, wie an meinem alten Kinderrad, hatte es nicht, sondern zwei richtige Bremsgriffe. Am Lenker war ein Schaumstoffpolster, und auch auf dem Oberrohr war eines. Wir nannten es aber nicht Oberrohr, für uns war es die "Stange". Und auf beiden Schonern stand dick und fett BMX. Das war das wichtigeste, wie es da vor mir stand, in dunklem rot-metallic. Ich habe es geliebt.
Es dauerte nicht lange, und ich wurde mutiger. Mit dem Hinterrad schlittern,... es klappte bald sogar auf der Straße. Zwar immer nur rechts rum, damit der rechte Fuß zur Sicherheit unten war,... aber immerhin. Meine Sprungschanze wurde um ein Kantholz erhöht, und ich sprang weiter denn je.
Tja, und dann war Christian mit seinen Eltern im Urlaub. Und ich hatte mir vorgenommen, daß ich was neues kann, wenn er wieder da ist. Etwas, was noch keiner von uns vorher gemacht hatte.
Mein Opa hatte eine Tiefgarage. Eine relativ steile Abfahrt führte quasi in den Keller, wo Platz für zwei hintereinander geparkte Autos war. Immer wenn die Garage leer war, und das Tor offen stand, war es für uns eine Mutprobe gewesen, die steile Abfahrt hinunter zu fahren. Wer richtig gut war, schaffte es sogar, mit Anlauf, wieder aus der Garage die ganze Auffahrt hochzufahren.
Und ich,... naja, ich wollte diese Auffahrt runterspringen. Zumindest zum Teil. Was sich in meinem Kopf wie die beste Idee anhörte, die ich je hatte, und was vor meinem geistigen Auge noch besser aussah, als die Stunts von Colt Seavers, sollte sich noch als äußerst schmerzhaft herausstellen.
Die ersten Versuche sahen so aus, daß ich einfach schneller als sonst über die Kante fuhr. Das sorgte dafür, daß ich zwar sprang, aber nur relativ kurz. Dann kam ich auf die Idee, mal am Lenker zu ziehen, wenn ich über die Kante kam. Als ich jedoch beim ersten Versuch, nach abermals kurzem Sprung, auf dem Hinterrad landete, und mich fast nach hinten überschlug, fiel diese Version auch weg.
Und dann kam ich auf die Idee, vor den Bürgersteig meine Sprungschanze zu legen. Nachdem ich ein paar mal zuviel Angst hatte, klappte es irgendwann. Ich sprang über den Bürgersteig, landete auf der Schräge der Abfahrt, fuhr unten in die Garage und kam hinten vor der Wand im Drift zu stehen. Ich war der tollste. Und sobald Christian wieder aus dem Urlaub da war, würde ich es ihm zeigen.
Und dann kam er. Der Tag, an dem ich Christian beweisen wollte, daß ich so cool war wie er. Ich hatte mir überlegt, daß er am besten unten auf Höhe des Garagentors stehen sollte. So konnte er sowohl meinen Sprung bewundern, wie auch meine Bremsaktion in der Garage. Ich wollte es von Anfang an richtig machen. Kein Probelauf. Einfach so, wie ich es ja schon einmal gemacht hatte. Daß es an diesem Tag leicht nieselte,... das hält einen Stuntman doch nicht auf. Wohl aber etwas anderes.
Christian stand bereit. Ich nahm Anlauf, rollte über die Rampe, schneller noch als bei meinen Testläufen. Meine Landung war butterweich. Aber ab dann,... meine Bremsen griffen ins Leere. Ich zog mit aller Kraft an den Hebeln, aber langsamer wurde ich kaum. In dem Sekundenbruchteil habe ich also quasi den Zusammenhang der Bremskraft von Felgenbremsen auf nassen Felgen demonstriert bekommen. Alles lief irgendwie schnell ab, und gleichzeitig auch langsam. Ich konnte Christian "BREMS" rufen hören, als ich rechts an ihm vorbei in die Garage schoß. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war ich schon halb durch die Garage, und fuhr auf die Stirnwand zu. Langsam zeigten meine Bremsen Wirkung. Ich wurde langsamer, aber nicht langsam genug. Der Schwung, mit dem ich gegen die Mauer fuhr, reichte aus, um mich nach vorne und oben zu schleudern. Ich bin mit dem Kopf voran an die Mauer geprallt. Bevor ich den Schmerz spüren konnte, fiel ich dann wieder runter, um mittig auf der "Stange" vom Rad zu landen. Da prangte zwar mein toller Schoner (mit BMX-Aufschrift, wichtig), aber glaubt mir,... DIE Schmerzen waren sofort spürbar. Natürlich mußte ich dann auch noch rechts mit dem Fuß wegrutschen, um mit dem Ellenbogen an der Seitenwand lang zu Boden zu gehen.
Da lag ich nun. Christian hatte ich nicht zuviel versprochen. SOWAS hatte er noch nicht gesehen. Und ich,... so hatte ich noch nie AUSGESEHEN. Ich hatte eine Platzwunde. OBEN auf dem Kopf. Ich hatte eine weitere Platzwunde. Am Steißbein. Die Familienjuwelen taten mir ebenfalls so RICHTIG weh. Damals verstand ich noch nicht, warum sich meine Eltern darum die meisten Sorgen machten. Schließlich waren die Teile ja nutzlos, in meinen Augen. Und mein rechter Ellenbogen war richtig gut aufgeschürft.
Alles in allem ist das der Crash, den ich nicht nochmal so wiederholen möchte. Er tat weh, und zwar so richtig. Er war peinlich, und zwar so richtig. Mein Steißbein,... sagen wir mal so. Kartfahren geht nur mit Polster, sonst tut es heute noch weh.
Und wann immer ich Christian mal über den Weg laufe, was höchstens ein, zweimal im Jahr passiert, erzählt er mir mit strahlenden Augen von meiner "Vorführung".