Grundlagen: Ansprechverhalten und Federkennlinien von Luftfeder-Elementen

Floh

Back on a Rune, yeah Baby
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Hannover, Deutschland
Anstoss für dieses Thema war diese Diskussion:
http://www.mtb-news.de/forum/showthread.php?threadid=79346&goto=newpost
Dani und ich waren uns nicht ganz einig über das Ansprechverhalten von Luftfeder-Elementen, deswegen wollte ich die Diskussion jetzt mal getrennt eröffnen.
Dann mach ich mal den Anfang.

Was die Bike üblicherweise so darstellt, ist eine statische Kennlinie. Das heisst, das Element wird beliebig langsam zusammengedrückt, und die entstehende Reaktionskraft wird aufgezeichnet.
Was da am Anfang der Kennlinie immer so steil aussieht, ist die sog. Anfangssteifigkeit. In der sind -leider- auch bei einer statischen Kennlinie die Losbrechkräfte enthalten. Fährt man die statische Kennlinie nicht nur hin (zusammendrücken), sondern auch wieder zurück, sollte man am gleichen Punkt wieder landen an dem man angefangen hat, aber die Retour-Kurve liegt unter der ersten. Das nennen wir Hysterese-Schleife, und die Fläche, die von den beiden Kurven umschlossen wird entspricht der Verlustarbeit (Kraftdifferenz über Weg integriert).
Nun ist eine flache Kennlinie im Arbeitspunkt natürlich ein Zeichen für ein gutes Ansprechverhalten, weil ein kleines delta F benötigt wird, um das Element auszulenken.
Aber: halte ich in der Mitte der Prüfung an und fahre dann wieder los, habe ich einen Knick in der Kennlinie, weil die Losbrechkräfte ja wieder überwunden werden müssen. Es ist also zwar richtig zu behaupten, dass eine grosse Anfangssteifigkeit ein Zeichen für ein relativ schlechtes Ansprechverhalten ist, aber dieses Phänomen hängt in keiner Weise mit der Negativfeder zusammen.
Ein Bild dazu habe ich unten angehängt.
Was macht nun die Negativfeder?
Die Negativfeder dient eigentlich dazu, die Kennlinie gerade zu rücken, denn schliesslich hat ein so kleines Luftvolumen nun mal eine starke Progression - bei gleich grossem verschobenem Volumen je mm wird das Volumen überproportional schnell kleiner, je mehr man einfedert.
Ein kleines Excel-Sheet, mit dem man an den Volumina und Anfangsdrücken der beiden Luftkammern drehen kann, hänge ich nachher nochmal an... Dann werdet ihr sehen was passiert. Die Tragkraft (statische Reaktionskraft) geht runter (ist klar, schliesslich heisst es ja Negativfeder), die Steifigkeit im Arbeitspunkt wird geringer, und insgesamt ist die Kennlinie flacher.
 

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Re: Grundlagen: Ansprechverhalten und Federkennlinien von Luftfeder-Elementen
Was Du schreibst, ist im grossen und ganzen richtig, aber nicht vollständig.
Die Negativfeder dient nicht dazu, die Progression gegen Ende des Federwegs geradezurücken, sondern nur dazu, die Kraft zu reduzieren, die nötig ist, um den Dämpfer in Bewegung zu bringen (bei Null Reibungskraft der Dichtungen).

Als Beispiel nehmen wir einen Dämpfer mit einer Kolbenfläche A von 10 Quadratcentimetern, der mit dem Druck P = 10 Bar befüllt wurde und keine Negativfeder besitzt. Die auf dem Kolben lastende Kraft durch den Luftdruck ist F= A*P = 1000 Newton.

Nehmen wir an, das Fully besitze ein Übersetzungsverhältnis von 1:2, dann muss auf dem Hinterrad ein Gewicht von ca 50 kg lasten (das entspricht dann etwa den 1000N auf dem Dämpfer), damit der Gegendruck auf den Kolben dem inneren Druck entspricht. Erst, wenn mehr als 50 kg Gewicht auf dem Hinterrad lastet, kann der Dämpfer zu federn beginnen.

Die Negativfeder ist dazu da, diese Gegenkraft zu minimieren, welche nötig ist, um den Kolben überhaupt "in der Schwebe" zu halten, bevor er sich bei einer Belastung überhaupt zu bewegen beginnt.

Diese Betrachtungen gehen jetzt mal von einer gegen Null strebenden Reibungskraft aus (Losbrechmoment = Null).

Falls keine Negativfeder vorhanden wäre, würde die Federkennlinie auch bei Null Reibung bei noch voll ausgefedertem Dämpfer erst bei 500 N am Hinterbau bzw 1000 N am Dämpfer beginnen und dann Hyperbelförmig nach rechts oben gehen. Hätte der Dämpfer eine Zylinderlänge von 40mm, worin sich der Kolben bewegen könnte, dann wäre bei 20mm Dämpferhub die dafür notwendige Kraft 2000 N, bei 30mm Hub 4000N, bei 35mm 8000N usw.

Bei einer Negativfeder bzw einem Elastomer wird die Kennlinie dort einen kleinen Knick gegen unten aufweisen, wo die Feder/das Elastomer ganz entspannt ist und dort in die oben erklärte Kuve (Hyperbel) übergehen. Vor diesem Punkt ist die Kurve immer steiler als nach diesem Punkt und das auch bei einem gegen Null gehenden Losbrechmoment.
Bei Luftnegativfeder ist dieser Punkt auch von der Länge bzw dem Volumen der Negativkammer bei ausgefedertem Dämpfer abhängig: Je länger diese Kammer, desto linearer dieser Übergang bzw die Kennlinie in der ersten Hälfte.

Viele Luftdämpfer haben eine eher kurze Negativkammer, so dass auch mit gegen Null gehender Reibung (Losbrechmoment) die Kennlinie in den ersten paar Millimetern steil ansteigt, um dann flacher zu werden und in die Hyperbel überzugehen.
Diese Effekte sind nicht von dem Übersetzungsverhältnis anhängig, da mit grösserem Druck sich auch die Kurve nach oben verschiebt, was aber durch das Übersetzungsverhältnis wieder ausgeglichen wird.
Die Reibungseffekte, welche für das Losbrechmoment des Systems verantwortlich sind, muss man unterteilen in Reibung vom Hinterbau (Dichtungen bzw Gleitlager) und Reibung im Dämpfer selbst.
Die Reibung im Dämpfer selbst steigt wahrscheinlich mit dem Druck im Dämpfer in etwa linear, somit spielt das Übersetzungsverhältnis dort auch keine Rolle (grössere Übersetzung, mehr Druck, mehr Reibung welche aber durch die grössere Übersetzung wieder "neutralisiert" wird.
Was die Reibung des Hinterbaus angeht, bin ich absolut mit Floh einig, die ist umso weniger spürbar, je grösser das Übersetzungverhältnis ist.

Ich hoffe, ich habe alles verständlich genug ausgedrückt.
Gruss
Dani
 
Dann müsste doch eigentlich ein Dämpfer mit Luftnegativfeder besser ansprechen, als einer mit einer Negativfeder aus Elastomer. Und wie läßt sich die Elastomerfeder auf den Druck der Positivkammer einstellen, bzw. wie läßt sie sich auf das Übersetzungsverhältnis des Hinterbaus anpassen?

Die Continental Airbox soll mit drei Luftkammern kommen. Wozu könnte die dritte Kammer dienen? Zur Einstellung der Progression???
 
Ob die Negativluftkammer für besseres Ansprechverhalten sorgt, hängt von deren Länge bzw Volumen ab.
Beim Negativelastomer kommt es auch auf dessen Länge an, was das Ansprechverhalten anbelangt.
Je mehr der Dämpfer gepumpt wird, desto mehr wird das Negativelastomer zusammengedrückt, der Gegendruck des Elastomers entspricht immer dem der Luft, die Frage ist, auf welchen Dämpferhub die Anpassung (Abflachung) der Kurve verteilt ist, das ist eben von der Länge des Negativelements abhängig.
Gruss
Dani
 
Ich meinte gar nicht, dass die Negativfeder die Progression am Ende des Federwegs beeinflusst, ich wollte lediglich ausdrücken dass die Negativfeder, die ja am Anfang des Federweges das Einfedern quasi unterstützt, also um im Koordinatensystem zu bleiben eben eine negative Kraft ist, die Anfangssteifigkeit herabsetzt, aber auch, und das ist wichtig, die Gesamt-Kennlinie tiefer (also weniger Reaktionskraft bei einem bestimmten Weg), denn die Kraft die die Negativfeder aufbringt muss ich ja erstmal abziehen von der Kraft der Positivfeder. Die Tragkraft nimmt also insgesamt gesehen ab, je mehr Druck ich auf die Negativfeder gebe.
Also wir sind uns einig, wo sie wirkt und wie sie wirkt, aber in einem Punkt verstehe ich Dich nicht:
Wenn die Kraft, die das Luftpolster statisch erzeugt, 50 kg am Hinterrad entspricht, und ich habe weniger als 50 kg Last auf dem Hinterrad, wenn der Fahrer draufsitzt, dann habe ich null Sag, also keine statische Einfederung, wie wir immer sagen. Da kann dann natürlich nichts reagieren, bis die Kräfte mindestens grösser als 50 kg sind.
Ich gehe immer davon aus, dass das Element im belasteten Zustand immer etwas eingefedert ist. Dann ist eine Kraft F0 vorhanden, die einen Weg s0 bewirkt. Um diesen Arbeitspunkt reagiert das Element dann auf delta F mit dem Weg delta s, der sich aus der Steigung der Kennlinie ergibt (und eben diese Steigung wird ja auf den ersten sagen wir 15 mm von der Negativ-Kammer beeinflusst). Was die statische Reaktionskraft ist, ist in dem Moment ganz egal. Wenn natürlich zu dem delta F noch ein (auch vorzeichenbehaftetes) Losbrechen kommt, dann fühlt sich das Element bei kleinen Stössen härter an (weil die Losbrechkräfte prozentual einen höheren Anteil an der Gesamt-Steifigkeit haben) - bei grossen Stössen fallen sie dagegen kaum auf. Das nennen wir dynamische Verhärtung, und im Volksmund heisst es, Luftfederelemente wären im Arbeitspunkt zu steif- sind sie gar nicht, aber das Ansprechverhalten ist eben knorzig, um es mal salopp auszudrücken.

Apropos Conti Airbox (Nagel auf den Kopf getroffen, hehe): Das ist ein Luftfederelement, welches mit Mehrkammer-System arbeitet. Das heisst, beim Einfedern wird Luft durch eine Drossel in verschiedene Sekundärvolumina gepumpt. Diese Sekundärvolumina sind aber nicht fest, sondern ändern beim Einfedern ebenfalls ihre Grösse. Dadurch kommt eine zum einen sehr sensible Federung zustande, die mangels gleitender Dichtungen sehr fein anspricht, zum anderen aber dadurch, dass die Dämpfung amplituden- und wegabhängig ist, entsprechende Dämpfungsarbeit leistet wenn der Stoss grösser wird. Durch das insgesamt grosse Luftvolumen ist die Progression nur sehr gering.

Na, klingelts? Ich hoffe ja noch, dass ich so ein Ding auch noch an mein Rad kriege, bis jetzt bin ich nur das Giant AC2 gefahren, dass sie ausgerüstet haben, und das war schon sehr geil. Unheimlich sanft, aber extrem satt was die Dämpfung angeht.
:D :D
 
Da hab ich noch was für euch:
Wie versprochen das Excel-Sheet zum Rumbasteln. Es stehen drei Negativkammern zur Auswahl. Das Element hat immer 50 mm Hub, bei einer definierbaren Kammerhöhe (die das maximal eingefederte Volumen bestimmt).
Die Negativfeder ist veränderlich in Durchmesser (Fläche) und Anfangsdruck sowie Anfangsvolumen.
Die Kennlinie der Negativfeder wird von der der Hauptfeder abgezogen, es resultieren die drei dargestellten Kennlinien.
Gleichzeitig wird die Steifigkeit über den Weg errechnet (die Formel abzuleiten hat mich den letzten Nerv gekostet :D) und dargestellt.
Da kann man mal sehen, was passiert...
 

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Hi ihr alle,
hab mir nochmal mein eigenes Excel-Sheet angeschaut und verstehe jetzt, was Dani meinte:
Teilweise sind die Kennlinien der Luftfeder-Elemente zwar schön flach (geringe Steifigkeit im Arbeitspunkt, also schönes Ansprechverhalten), aber vom Niveau her so hoch angesiedelt, dass man schon fast 3000 N braucht, um das Ding überhaupt zum Einfedern zu bringen.
Die Negativfeder steigert zwar die Steifigkeit im ersten Drittel (ca.) des Weges, senkt aber die Reaktionskräfte auf ein Niveau herunter, die erstmal ein Einfedern erlauben...
*stirnklatsch* das hätte ich auch gleich sehen können.
man kann eben nicht alles haben...
@tyrolens:
Bezüglich der Elastomer-Negativfeder: Das, was z.B. DT Swiss verwendet, ist ein MPU, also ein mikrozellulärer geschäumter PU (Polyurethan). Das Zeug hat im Gegensatz zu normalen Elastomeren (Gummi) die Eigenschaft, volumenkompressibel zu sein, wegen der Blasen im Inneren. Dadurch macht es auch ganz ordentlich Dämpfung und es lässt bei geringer Baugrösse sehr grosse Federwege zu.
Wenn DT Swiss behauptet, das Ding würde "sich selbst einstellen", dann meinen sie eigentlich, dass durch den Druck im Dämpfer, der ja auch auf die Blasen des MPUs wirkt, auch die Steifigkeit des MPUs ansteigt (zumindest ist das der einzige Effekt, den ich mir vorstellen könnte).
Hab ja jetzt selbst so ein Ding (DT Swiss) und werde mal sehen, wie der so funktioniert an meinem neuen Bike...
 
Hallo zusammen,

Obwohl der Thread scho etwas älter ist, wollt ich mal wissen ob sich noch jemand mit diesem Thema beschäftigt?
Ich glaube, grad bei Hinterbau-Feder-Dämpferkombinationen mit den großen Unterschieden zwischen den Kolbenflächen der Positiv- und Negativkammer könnte man noch die Kennlinie optimieren.

mfg
 
kauf dir einen float x und du denkst nicht mehr über das ansprechverhalten nach. ganz sicher
 
kauf dir einen float x und du denkst nicht mehr über das ansprechverhalten nach. ganz sicher

Ansprechverhalten und Reibung ist sicherlich auch nicht zu vernachlässigen, mMn hat dies aber etwas mit Wartung bzw. Schmierung zu tun. Mir gehts aber eher um die kumme Kennlinie von Luftferderlementen und die Anfangskraft, die deutlich höher als Null ist.
 

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Sicher?
Hier mal eine Kennlinie von meinem Bike (rot):


Hab mir das Ganze nochmals überlegt. Je nach Position des Überströmkanals zur Befüllung der Negativkammer kann der Kraftverlauf am Anfangshub wie von dir beschrieben aussehen. Ist nämlich der Kanal direkt am Hubanfang geöffnet, sieht die Kennlinie wie bei meinem oberen Beitrag aus, wenn der Kanal später freigegeben wird gibts einen gutmütigeren Übergang.

Was mir jedoch bei meinem Rad (Cube Stereo 2011 mit Monarch RT3) auffällt: am Anfang ist eine sehr hohe Kraft notwendig um die ersten paar mm einzufedern.
 

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Hier noch ein weiteres Bild: der Druckausgleich findet jetzt bei 10mm statt und das Negativvolumen wurde vergrößert. Sollte ca. dem Konzept der RS Debonair-Luftkammer entsprechen.
Also mir gefällts.
 

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