Eispickel und Runterrauf bei den Friesen

Runterrauf

Weitwinkelpabst
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Ort
Berlin
Eispickel und Runterrauf bei den Friesen - ein Reisebericht

2014: War es im September? Herbstletharghie breitet sich aus. Um die Luft aus den Bikes zu lassen und in den Winterschlaf zu schicken, ist es aber eindeutig noch zu früh. Wir wollen nochmal ganz viel Kilometer schrubben, die ich zumindest, mir dieses Jahr noch schuldig bin. Doch wohin soll die Reise gehen?

Die Alpen verglimmen in dieser Jahreszeit schon zeitig, ringsherum ist es in den Bergen für kurze Hosen auch schon gefährlich kühl. Eispickel setzte sich einige Nächte lang an seinen schnellen Brüter und kam mit der zündenden Touren-Idee: Nord- und Ostsee sind um diese Jahreszeit noch warm und werden uns mit ihren milden Westwinden nach Hause blasen. Einfach mal immer die Küste langfahren, bis das zuhause vorbeikommt… Das klingt verlockend. Überhaupt gilt es noch viele ungeklärte Fragen zu klären:

Wie verhält sich ein notorisch unterfordertes, gelangweiltes Mountainbike? Die Speichengallere macht in Friesland etwa soviel Sinn, wie ein Grand Cherokee auf der Schönhauser Allee. Aus wieviel verschiedenen Richtungen kann Westwind kommen? Macht für einen Deichgrafen ein Fahrradschloß überhaupt Sinn? Und: wie fließend ist unser holländisch? Rudi Carell hat das mit dem Deutsch doch auch so einfach hingekriegt.


Unser Reiseplan lässt uns an der deutsch-holländischen Friedensgrenze starten. Da, wo der Rhein aus Deutschland rausfließt:


Tag 1, 03.10.2014: Berlin - Wijk by Duurstede

Für unsere Anreise aus dem Flachland in das noch flachere Flachland steigen wir am ZOB in den ADAC- Postbus. Der startet aber so gemein in der Herrgottsfrühe, dass ich die letztmögliche S-Bahn Richtung Messe-Nord nehme. Eispickel zieht schon sämtliche Charme-Register, um den Busfahrer bei Laune zu halten. Schließlich muss der heute gaaanz pünktlich los (EP erzählte später irgendwas wegen der Kanzlerin).

Aus der Ferne sehe ich schon den vor Menschen und Bussen überquellenden Busbahnhof und spüre in mir leichte Panik hochkommen, noch rechtzeitig den richtigen Bus mit dem richtigen Eispickel zu finden.

Da wir nicht den Marktführer gewählt haben, steht - sehr übersichtlich- nur ein gelber Bus bereit. Schnell gefunden, und alles geht ratzbatz. Auf nach Duisburg, von da aus soll es mit dem Regio bergrunter an den Rhein.

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Los geht´s durch die Brandenburgische Tiefebene. Der Tag taut auf.


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Wolfsburg... nur für Aussteiger. Irgendwie war das mit dem Postbus doch keine Direktverbindung:D. Ansonsten ist die Busvariante durchaus eine Alternative zum Regionalbahnumsteigewettkampf. Und: wer mal verschiedene Sitze ausprobieren will, sollte auf keinen Fall vorher einen Sitzplatz reservieren. Ja! das geht auch.


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Umstieg in Duisburg. Ein Bahnhof ganz aus Altglas und Klebeband. Ich bin das erste mal in dieser Gegend und ziemlich geschockt, wie runtergerockt das Ruhrgebiet ist. Parallelen zum Lausitzer Bergbau gehen mir durch den Kopf - man sollte bei uns in Brandenburg auf alle Fälle rechtzeitig die Bremse ziehen...


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17:00 Uhr Welcome in Emmerich am Rhein. Es ist sonnig. Die Außentemperatur beträgt angenehme 20 °C. Wir deichen ein und machen uns auf, in eine uns unbekannte Welt.


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Ist das Deichkind?


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Wir begleiten den Rhein für ca 1,5h. Es dämmert, und wir verlassen den Fluß an einem Kanal Richtung Norden, um die GPS-Nadel Richtung Amsterdam auszurichten. Eispickel hat als Etappenschluß Wijk by Duurstede ausgesucht, weil es vom Satelliten nach Mittelgroß und Mittelalter, und ja, hübsch aussieht. :)


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Nach einer kurzen, zweiten, Fährüberfahrt erreichen wir gegen 21.00 Uhr unser Ziel. Irgendwie ist es wie immer... es ist spätgeworden :) Wir halten Kurs auf ein Restaurant mit einer guten Karte und nehmen das Tussengerechten-Menü. Drei nette holländische Mädels vom Nachbartisch verstehen uns in fließendem holländisch: "Kann man hier irgendwo pennen"? und organisieren uns mit 6 Händen am Telefon 300m weiter diese nette Herberge im Duurstete-Skandinavic-Style.


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Nachdem unsere Gastgeberin hörte, wir kommen aus Deutschland, schob sie gleich nochmal Wurst, Käse und Saft ins Kühlschrankfach. Nach 90 km durch einen milden Oktoberabend sind wir platt und haben die Holländer schon ins Herz geschlossen.

... das war ja auch schon ganz schön viel für einen Tag ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Der/Die ein oder andere scheint hier ja mitzulesen. Sehr schön...

Für heute haben wir uns richtig viel vorgenommen. Wir wollen möglichst weit nach Norden vorankommen, damit wir am dritten Tag morgens bestes Kameralicht auf dem Abschlußdeich haben. Der Abschlussdeich ist ca. 30km lang und beinahe schnurgerade. Eine 1932 erbaute künstliche Landbrücke, die das IJsselmeer (heute ein Süsswassersee) auf der einen Seite, von der Nordsee auf der anderen Seite trennt. Und das wollen wir uns so richtig geben :) (Dazu mehr am dritten Tag)

Tag 2, Freitag 04.10.2014:

Wir verlassen Wijk by Duurstede Richtung Nordwesten. Unsere nächstgrößerer nennenswerter Zwischenstopp soll in Utrecht sein. Doch vorher heisst es erstmal Deichsurfen. Holland muss man sich wie eine Schachtel Pralinen vorstellen - man fährt quasi immer auf den Trennstegen entlang, während links und rechts die Häuser oder Felder in den Senken stehen. Alles ganz platt und mit der Wasserwaage und Geodreieck ausgerichtet.


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Wir starten mit einer Stadtrundfahrt in Wijk by Duurstede. Jeder darf sich zur Erinnerung ein Stein mitnehmen...


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Frisch gebuttert Richtung Amsterdam


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die neue Trendsportart: Antimountainebiken, natürlich nur mit echtem Mountainbike :D


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Unsere Fahrt auf der Pralinenschachtel. Hier erleben wir die höchste Baumdichte Hollands.
Um es uns einfach zu machen, nannten wir es "Wald".
Für die Entwässerung des Neubaugebietes auf rechten Seite sind hier ganze 4 Wassergräben nebeneinander. ( Man sieht nur 3 :))Uns bleibt nur die Flucht nach vorn...

Ich muss sagen, wir waren durchaus angetan von dieser (Kunst)Landschaft. Oder lag das einfach nur an dem g...en Wetter? Es ging abwechslungsreich links-rechts durch die Pampa. Hoch-Runter irgendwie nicht.
Wir haben heute Tag 2 mit Schiebewind und kommen auch gut voran. Gegen Mittag sind wir in Utrecht, die viertgrößte Stadt in NL.


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Wenn der Holländer was baut, dann gerade.... und es muß fließen...


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Utrecht ist wirklich ein sympathisches Städtchen, mit viel grün, und einer herrlichen Altstadt.

Die etwas kleinere und ruhigere Ausgabe von Amsterdam...

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Im Innenhof des Doms

Allzuviel Zeit bleibt uns nicht, wir wollen weiter nach Amsterdam, was ca. 50 km weiter nördlich liegt.


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Bei diesem Bild fällt mir ein, dass kurz hinter Utrecht die Tour fast zu Ende gewesen ist: Uns kam an einem Häuserwinkel eine Rennradgruppe, im Zielsprint um die Ecke entgegengeschossen und hat fast Pickel vom Rad enteist. Das war wirklich ganz knapp. Nach dem kurzen Schocker gleiten wir entspannt durch die Vorstadtlandschaft von Amsterdam...

Jetzt gleiten...

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Über Amsterdam verlier´ich mal nicht ganz so viele Worte ()

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Wir fahren immer an der Amstel entlang...

und kommen direkt in die City...

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weiter zum Hauptbahnhof...

mit der legendären Freiluftfiliale von Stadler
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Freitag ist traditionell der Tag, an dem man mit dem Fahrrad in Holland Fähre fährt...
wir reihen uns ein und verlassen Amsterdam Richtung Norden. Wir müssen aufpassen, dass wir die richtige Deich-Autobahn... äh Radweg erwischen:D

Wir haben jetzt etwa 120 km in den Beinen und noch etwa 40 km vor uns
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Wir fahren nach Hoorn und füllen für das nächste Frühstück die Einkaufstaschen:
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Sag ich doch: Holländisch kann jeder

Wir halten uns nicht lange auf und wollen diese Nacht etwa 10 km vor der Nordseeküste mit unseren Schlafsäcken übernachten. Beim FC Medemblik nehmen wir unterwegs eine heiße Lastminute-Dusche, wofür wir auf eine Runde an der lokalen Sportlerbar verpflichtet werden. Es gibt Appelsaft und Smaltalk und der Kneiper erklärt seinen Kumpels ganz erstaunt und mit fast ehrfürchtiger Verwunderung, dass wir nach Friesland wollen. Aus Mitleid vermittelt er uns noch ein gutes Restaurant, welches wir gegen 21.00 Uhr bleischwer verlassen. Boah - Jetzt nur noch ganz ruhig lullern.

Das Wetter hat jetzt spürbar umgeschlagen, es nieselt leicht, und wir entscheiden, einen der Höfe anzusteuern, die jetzt so alle 3 km links am Straßenrand auftauchen. Am zweiten Haus öffnet uns ängstlich ein kleines Rentnerpärchen. Es kommt wahrscheinlich nicht so oft vor, dass Freitag 21.30 Uhr zwei Deutsche mit Fahrradhelm auf´m Kopp an der Tür klopfen. Nachdem Eispickel versprochen hat, das sie auch gerne mit seiner EC-Karten-Kopie einkaufen gehen könne, waren Sie von unseren guten Absichten vollends überzeugt und vermieteten uns ihre Hausdiele als Vollkomfort-Schlafzone. Ach die Holländer :)

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Draußen regnet´s - man sind wir Weicheier geworden. Nach 170 Tageskilometern Gute Nacht.

... Fortsetzung folgt

(EP... der Track bitte!)
 
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Sehr schön, wenn ich schon selbst seit Wochen nicht mehr zum Radfahren komme, kann ich wenigstens Tourberichtelesesport treiben.

Weiter so. :daumen:
 
Genial nun muss ich nur noch mit dem lesen nachkommen, was in diesem Geschäftsstarken Januar echt schwer ist. In diesem Jahr soll ja auch eine meiner Tagestouren in Holland starten. :) Radfahren kann man überall! Auch im flachen Holland.

:winken:
Thomas
 
Danke für die positiven Feedbacks :). Ohne irgend ein Berg ist es gar nicht so einfach, in Fahrt zu kommen. Ich drohe schonmal mit Tag 3! :D

@all commentators: eigentlich sollten wir uns mal wieder im Gelände begegnen, was sich (zumindest bei mir) leider zeitlich immer schwieriger gestaltet

@ep: Danke für das Track zersägen :) und Support
 
Tag 3, 05.10.2014: Wieringerwerf - Uitzhus

Ich muss korrigieren: gestern war Samstag. Jetzt ist Sonntag 07:30 Uhr. Wir haben uns den Wecker gestellt, weil Teil des Geschäfts mit den Gasteltern war, dass wir 08:00 Uhr aus dem Haus sind. Zu unserem Rucksackfrühstück gabs noch für jeden einen hausgemachten Tee aus einem Teebeutel. Also, sogenannter Tee for Two. Eispickel drängelt, weil heute abend soll es wirklich mal nicht so spät werden.

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Unsere Startbahn Richtung Nordsee.
Am Vorabend habe ich auf dieser Straße kurz vorm Ziel noch´ne Ratte überfahren. Meine Federgabel hatte das erste Mal Arbeit.
Dieses Stück Land ist erst durch Eindeichung durch den Abschlussdamm entstanden. Nur noch vorne rechts rum, dann haben wir ihn erreicht.


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Die holländische Sprache ist immer wieder herzerfrischend. Möchte man uns erklären, dass Friesland nicht bereisbar ist? Drauf gepfiffen.


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An der Auffahrt zum Damm. Hier beginnt Friesland. Jippie.


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Auf dem Damm ist ein Radweg, mit einer radwegbegleitenden Autobahn. An beiden Enden des Damms wird die Autobahn regelmäßig aufgeklappt, damit Schiffe zwischen der Nordsee und IJsselmeer fahren können. In diesen Minuten wird's auf dem Radweg irgendwie ziemlich ruhig.


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Blick aufs IJsselmeer


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nach ca. 10 km erreichen wir eine Gedenkstätte, zu Ehren Cornelis Lelys errichtet, der den Bau maßgeblich vorantrieb.


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Nicht ins Wasser plumpsen!


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Beeindruckender Radsporttag. Der Westwind kommt in Friesland aus Osten und macht die Überfahrt auf der Pralinenkante von der Bein- zur Kopfsache.


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spontaner Zwischenstopp bei KM20, Eispickel möchte dem Deichgott ein Schlauch opfern


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... ja, ja, Die Überfahrt hat uns ganz schön geschlaucht. Wegen der steifen Brise haben wir auch deutlich länger gebraucht als erwartet und unser Wecker-Zeitvorsprung ist dahin. Wir wollen als nächstes Harlingen ansteuern und uns eine kurze Pause gönnen.


Da Friesland als nicht bereisbar gilt, hat man uns in Harlingen auch nicht erwartet. Die Suche nach einem Café mit einem Heißgetränk gestaltete sich etwas schwierig.

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Wir klingeln bei der lokalen Niederlassung der Heilsarmee. Aber selbst Frau Kommandante ist hoffnungslos überfordert, uns zu dieser späten Jahreszeit ein um 13.00 Uhr geöffnetes Café zu empfehlen.
Vielleicht lag´s auch nur an an unserem stark gefärbten holländischen Akzent, den man hier nicht versteht .
:lol:

(OK, wir haben ein Café gefunden... Nach Sichtung der unendlich vielen Bilder mit Kaffeetasse, mach ich aber besser einen eigenen Fred dafür auf :eek: )

Der Rest des Tages gestaltet sich navigationstechnisch relativ einfach. Eispickel hat sich fürsorglich um die Ausstattung der Strecke mit Streckenposten bemüht:
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Angst vor Schafscheiße? Don´t Panic it´s organic !!

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Links von uns werden gerade die Halligen freigelegt.

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eine Übersicht der Fietsknooppunten. Beispiellose Fahrradkultur.


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Wir fahren jetzt schon 5 Stunden an diesem elenden, ja man kann sagen, beschissenen :) Nordseedeich entlang und vertreiben uns die Zeit mit allen möglichen Deichsprüchen und Deichreimen, weil es für den Kopp nüscht weiter zu tun gibt. Das alles aufgeschrieben, werden wir mal ein Buch beim Hansa-Verlag rausbringen, glaub ich. Mittlerweile... macht die Sonne ´ne Abkürzung? - oder warum ist es schon wieder so dunkel?

Wir planen für heute als Last Exit die Stadt Uitzhus. Ein aussichtsreiches Lokal am Deich mussten wir leider 20.01 Uhr geschlossen rechts liegen lassen - also doch: Last Exit. Es regnet jetzt - aber alles halb so wild. Gegen 20.30 Uhr erreichen wir das Pasta-Zentrum von Uitzhus und steuern ein zentral gelegenes Restaurant mit ordentlicher Ausstattung an.

Der Wirt empfiehlt uns nach dem verdrückten Nudelberg eine gute Pension an einem Camping, die aber in der Dunkelheit echt schwierig zu finden ist, zudem noch hinter mehreren Bäumen versteckt...

Das iPhone versagt... Ohne Ortshilfe ist dieser Campingplatz einfach nicht zu finden:
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Köhnste please helpe, Campingplatz tu finde!


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Obwohl uns der Wirt telefonisch bei der netten Hausdame angekündigt hat, war die stinksauer, am Sonntag abends um zehn, die Betten für uns aufzuschütteln. Nach 170km ist uns das totmüdeegal.

Schnarch...
 
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... Da wir heute so gut vorangekommen sind machen wir Morgen mal einen kurzen Tag

Solche Aussagen treiben mir den Angstschweiß auf die Stirn. Meistens wird der Tag danach brutal (zumindest, wenn man mit Schnecke unterwegs ist^^)
Voll juter und lustiger Bericht, der hier auf die Mattscheibe gesetzt wurde :daumen:

Weitermachen-weitermachen-weitermachen
:hüpf:
 
Wenn coole und entspannte Typen ein fernes Land beradeln...
welches bekannt ist für seine eigenartigen Bräuche und Sitten...
gewürzt mit einer Sprache die den Kehlkopf überstrapaziert...
dann sitzt man hier gerne in der ersten Reihe und fiebert den
nächsten Aufzeichnungen entgegen...!!! Einfach Klasse, nach wie vor !!!

axl:winken:
 
Sehr schöner Bericht bis hier hin schon mal:daumen:Schön das ihr euch die Mühe macht von eurer Reise zu berichten.
 
Als sonst nur Mitleser, kann ich Axel und Co nur beiflichten. Herrliche Lektüre, die Spannung auf mehr, wächst von Bericht zu Bericht.
Was wäre dieses Forum ohne jene, die es immer wieder verstehen, die Leserschaft an sich zu reißen...weiter so.
Horsedriver
 
Sehr Schön,
Sitze gerade auf dem Beifahrersitz eines langsamen LKW`s und freue mich über diesen frischen Bericht. Mal wieder etwas anderes und ein schöner Einblick in die viel geheipte Entschleunigung.
Danke:winken:
 
janz tolle Schreibe :daumen:

macht Spaß mitzulesen
und der nächste Tag kaum zu erwarten..
bin mal gespannt wie es bei den Ostfriesen weitergeht :winken:
 
Schon die alten Friesen wussten: "Großer Wind ohne Regen, kommt selten gelegen.... " denn hinterm Deich ist alles gleich. Da wir heute so gut vorangekommen sind machen wir Morgen mal einen kurzen Tag :) :D :winken:

Ich gebe mein bestes...

Tag 4, 06.10.2014: Uitzhus - Varel

...Eispickel dreht schon seit gestern Abend das iPhone hoch und quer, aber je öfter wir in die Wolken-App schauen, umso mehr verdichtet sich die Voraussage auf zwei Tage mieses Wetter. Uns war klar, dass man für diese Tour dem Element Wasser generell nicht abgeneigt sein sollte, aber Regen ist einfach das falsche Wasser für einen Solarbiker.

Und so gibt es allerlei taktische Überlegungen, wie man mit möglichst wenig Kilometern, möglichst weit fährt, und trotz Regen trotzdem trocken ankommt. Nach unseren Berechnungen wollen wir in zwei Tagen am Nord-Ostsee-Kanal sein. Da das meiste Nass für morgen vorhergesagt ist, heist der Plan: Heute möglichst weit nach Osten, und morgen Schleichfahrt, mit integriertem Zwischenspurt, wenn der Himmel aufreißt.

Aber erst mal Frühstück...

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Frühstücksraum und Bikegarage unter einem Dach. Der Zimmerpreis mit über 70,00 Euro wurde wahrscheinlich proportional zur Dachfläche berechnet, aber nach dem anstrengenden Tag gegen den Friesen-Passat war es das wert.


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Um es vorweg zu nehmen: Es geht flach weiter. :D
Das Quecksilber steht mit 5° Celsius auf friesisch herb. Wind von vorn, aber für Regen unheimlich sonnig.

Vom Nordseedeich haben wir, im wahrsten Sinne, immer noch die Nase voll, und fahren mit Sicherheitsabstand etwas weiter südlich Richtung Delfzijl. Dort soll es eine Fähre über die Emsmündung nach Emden geben. Die Jahreszeit verspricht 1-Prozent Restchance dass sie noch fährt.

Wir manövrieren uns mit Google-Screenshots an die Emsbucht.


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Der Weg verengt sich fast auf Trailbreite. Wahnsinn.:)


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Wir sind an der Bucht. Meine größte Vorfreude auf die Tour bestand darin, mal alle großen Flüsse zu kreuzen, die zwischen Westfriesland und Stralsund in die Meere strömen. Die Ems ist heute unser erster großer Fluss.


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Ich erinnere mich, dass wir hier kurz anhielten, um nochmal auf die Karte zu schauen.


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Der Hafen von Delfzijl. Die Fähre fährt zu 100 Prozent nicht. :)

Wir kaufen noch etwas Proviant, drehen die Bikes in den Wind und schlagen uns durch´s Hafengelände. Mineralöltanks mit Meerblick verstellen uns leider die Sicht über die Bucht - wahrscheinlich könnte man bis Emden rübergucken. Wir lassen uns von Google eine Route um die Emsbucht funken - unser nächstes Ziel ist die Fähre in Ditzum.


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Ein Kanal, der landseitig nach Defzijl führt. Wasser überall.


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Das Land ist oft so flach, dass ich manchmal denke, man müsste am Horizont schon die Müggelberge sehen.


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... hier was zu streuen würde bei dem irren Wind, der hier übers Land pustet, keinen Sinn machen - ein elender Abschnitt. Für eine Zwischenmahlzeit verkriechen wir uns hinter eine Scheune, damit es uns die Kekse nicht aus dem Mund bläst.

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Wir verlassen den westfriesischen Sektor und beginnen bei Null. Ich hoffe, jetzt ist es bis nach Ditzum nicht mehr weit.

An der Ems:
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In Ostfriesland ist gerade Ebbe. Aber kein Problem. Die Fähre kratzt über den Rest Fahrrinne, die vom Käp´tn noch selbst ausgebaggert wird.

Wir haben noch etwas Wartezeit am Anlieger. Ich nutze die Zeit, mich von der aufgebrachten Landbevölkerung (zu recht) über die Umweltprobleme wegen der Meyer-Werft in Papenburg aufklären zu lassen. Für den Ökowahnsinn Kreuzschiffahrt wird hier mehrmals jährlich 8 Wochen lang die Ems entsandet, damit die Albtraumschiffe das offene Meer erreichen. Der Sand landet auf umliegenden Flächen seitens des Flusses. Entschuldigt den kurzen Diskurs... :cool:

Die letzten Bilder des Tages:

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Der Wasserspiegel sinkt mit atemberaubender Geschwindigkeit

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Im Hintergrund das Sperrwerk, um bei Flut, genug Wasser unter die Luxusliner zu bekommen. Von der Papenburg- Werft bis hierher sind es ca. 35 km.


Auf der anderen Seite der Ems sind wir endgültig ins Ostfriesland angekommen. Ab hier spricht man wieder eine eigene Sprache. Die Sätze beginnen meist mit "Moin". Wenn man sich daran hält, kommst du überall gut durch. Und so grüßen wir uns durchs Land, von Dorf zu Dorf, von Kuhstall zu Kuhstall.

Die Wolken-App zeigt uns inzwischen, dass der Regen von heute lieber morgen regnen will, was uns motiviert, bis lang hinein in die Dunkelheit zu fahren. (So´ne Lupine macht auch einfach Spaß ;)) und so endet der kurze Tag in Varel nach 145 km bei sehr netten Friesen. (Vielleicht später dazu mehr...)

bis bald....
 
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Wir übernachten in einer kleinen Ferienwohnung unterm Dach in einer kleinen Stadtrandsiedlung, also eine echte Varela.
Die Wirtin möchte 35,00 Euro je Person für die Übernachtung , das ist ordentlich, aber wir gönnen uns den Luxus, so dass jeder ein eigenes Zimmer bezieht, um über das Schicksal nachzudenken.

Draußen regnet es stark. Wir wären in kürzester Zeit aufgeweicht gewesen.

Wir liegen immer noch in den Kojen, während uns eine Wolkenlücke aus dem Schlaf reißt. Wir stopfen eilig unsere Rucksäcke. Die Wirtin war nicht auf Gäste vorbereitet und kann kein Frühstück anbieten. Sie fasst hier friesisches Herz und verkürzt die Rechnung auf 30,00 Euro für uns beide, damit wir unterwegs was essen können. Sehen wir schon so runtergewirtschaftet aus? Wir verabschieden uns herzlichst mit unseren Geschichten und rollen los.

Tag 5, 07.10.2014: Varel - Brunsbüttel

Nach etwa 10 km erreichen wir eine Landbäckerei an einer Kreuzung. Wir wollen erstmal mit unserem gesparten frühstücken - man weiß ja nie, wie lang der Tag wird. Gegenüber ist eine Traktor-Mietstation. Die Bäckerei ist gut, und gut besucht, mit Menschen, denen man ansieht, dass hier Wurst und Käse wächst. Menschen mit breiten Hosenträgern. Friesland ist ein landwirtschaftliches Schlaraffenland.

Es wird Zeit für das erste Bild: ;)

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Wir fahren an der Ostseite des Jadebusen nach Norden und erreichen den Fähranlieger an der Weser.

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Draußen sieht es wirklich ungemütlich aus. Aber wir sind von außen noch trocken.

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Es ist schon fast 13.00 Uhr, und wir sind noch nicht mal in Bremerhaven. Eispickel synchronisiert derweil die geplante Strecke mit der Wettervorhersage.

Wir durchkreuzen Bremerhaven im Eiltempo. Wie immer soll es heute nicht so spät werden :D und wir wollen die Elbe noch bei Tageslicht erreichen. Hinter der Stadt schalten wir auf mein Garmin um und folgen streng dem Track, um nicht allzu viel Zeit mit Improvisieren zu verplempern.

Die Kamera bleibt heute oft im Rucksack. Es gibt einfach wenig nennenswertes abzulichten. Es ist wirklich öde hier oben. Nicht mal Menschen, denen man ein herzerwärmendes "Moin" entgegenbrüllen kann, kreuzen unseren Weg.


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Ich möchte diese Orte nicht mal mit Postleitzahl auf meinem Ausweis haben.


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Dieses Gewitter verfolgt uns schon einige Zeit. Mit Wetteronline.de halten wir das Dunkel bis in den Landkreis Cuxhaven auf Distanz.

Eine Stunde später führt uns unsere Route durch ein Waldgebiet, das Gewitter immer dichter im Nacken, und ca. 2 km ungeschützter Waldweg vor uns. Das Gewitter lässt sich nicht mehr umleiten - Lebensgefahr! - und auf die Sekunde genau erreichen wir ein Bürogebäude mitten im Wald. Seltsam, aber unsere Rettung.

Wir sitzen in der Lobby des Wasserzweckverbandes Wingst (wie passend) auf der ledernen Zweimann-Couch und dürfen dem Chef und seinen wenigen Mitarbeitern nachmittags bei der Arbeit zusehen und sorgen für Abwechslung, während es draußen blitzt und kracht.


Eine halbe Stunde später kurbeln wir trocken wie ein Toast weiter durch die Ost-Ostfriesische Tiefebene. Eispickel achtet weiter streng darauf, dass die Wolken links und rechts von unserer Strecke bleiben.

Der Tag wird zunehmens blauer und verbreitet beinahe spätromantische brandenburgische Herbststimmung:

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Der Friese zeigt sich nur bei Regen...

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... für uns also keine Chance, diesem Artgenossen mal live zu begegnen.

Nach einer Irrfahrt durch ein Torfmoor erreichen wir erschöpft den Elbdeich an der Fähre nach Glückstadt:

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Die letzten zwei Tage haben uns ganz schön Kraft gekostet. Bevor wir auf die Fähre rollen, genießen wir das Abendlicht und entspannen die Augen mit Fernblick...

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unsere sechste Fährfahrt auf der Tour...

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Sonnenuntergänge sind EPs ganz große Stärke. :)

Auf der anderen Seite geht es elbseitig nach Brunsbüttel. Wir müssen am Atomkraftwerk Brokdorf vorbei. Auf Wikipedia steht darüber geschrieben, dass in den 80er Jahren das Verfassungsgericht sogar das Demonstrationsrecht eingeschränkt hat, damit hier weiter gebaut werden konnte. Absolut verrückt - was heißt das für die Zukunft?

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Nach weiteren 30 km erreichen wir bei völliger Dunkelheit Brunsbüttel, lassen uns mit mit einer marktfrischen Pizza aus dem Steinofen befüllen und finden zu später Nacht ein Zimmer auf dem hochseefesten Deich. Jetzt bitte Traumflutung!

147 km - Oh happy Way
 
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