Zugspitze mit dem Bike – Muss das sein? Macht das Sinn? [von Max Schumann]
Die Zugspitze ist einer dieser Berge, die einen ganz besonderen Reiz auf uns ausüben. Vor allem dadurch, dass der Gipfel mit 2962 Metern über dem Meer der höchste Punkt Deutschlands ist. Höher hinaus geht es hierzulande nicht mehr. Das motiviert den ganzen Sommer über viele, mehr und weniger erfahrene, Bergsportler dazu, Mühe und Schweiß in den langen Aufstieg zu investieren oder einfach 48 Euro für die Berg- und Talfahrt mit der Seilbahn auf den Tisch zu legen.
Auch ich bin schon seit geraumer Zeit von der Idee angezogen, einmal die Zugspitze zu besteigen, allerdings mit meinem Bike. Bergtouren machen für mich vor allem dann Sinn, wenn sie mir eine spaßige Abfahrt bieten. Das gilt im Sommer, wie im Winter. Dabei bin ich über die ganze Saison auf der Jagd nach möglichst schönen, erlebnis- und trailreichen Bergabenteuern, in näher und ferner liegenden Bergen.
Die Tour auf die Zugspitze sehe ich durchaus als eines der Highlights meiner bisherigen Touren, den Aufstieg als touristisches Must-Do und die Abfahrt als Herausforderung. Dass die Abfahrt vom Gipfel irgendwie machbar sein würde, weiß ich von einigen Garmischer Locals und anderen verrückten Bikebergsteigern, die sich kaum einen Gipfel der Gegend entgehen lassen und zum Teil schon mehrfach oben auf der Zugspitze standen. Wie viel Sinn eine Befahrung dann im Endeffekt wirklich macht, muss allerdings jeder für sich selbst entscheiden. Es hängt ganz von individuellen Vorlieben, Leistungsfähigkeit und Erfahrung ab. In den letzten Jahren kam meiner persönlichen Erstbesteigung der Zugspitze leider immer wieder etwas dazwischen. Andere Berge und Projekte standen im Weg, dann war das Wetter wieder schlecht oder ich musste zur Abwechslung mal etwas für die Uni tun.
2962 Höhenmeter Abfahrtsspaß – doch handelt es sich bei der Zugspitzbefahrung wirklich um Spaß? Max Schumann geht der Frage auf den Grund.
In diesem Herbst stehen die Zeichen dann aber endlich einmal wirklich günstig. Eine lange Schönwetterperiode bietet sichere Verhältnisse. Der späte Zeitpunkt in der Saison garantiert außerdem, dass relativ wenige Wanderer und Touristen unterwegs sein werden. So mache ich mich mit dem ebenso berg- und bike-verrückten Fotografen und Filmer Colin Stewart an einem Montagmorgen Anfang Oktober auf den Weg, das Projekt anzugehen.
Ausgangspunkt der Tour ist Ehrwald, über das Gatterl gelingen wir zum Zugspitzplatt. An dessen Fuße, in der Knorrhütte, planen wir eine Übernachtung und einen entspannten Nachmittag ein, um dann am nächsten Tag in aller Früh in Richtung Zugspitzpgipfel aufzubrechen. Ziel ist es, den Sonnenaufgang am Gipfel zu erleben und dann im ersten Licht des Tages den Gratweg Richtung Sonnalpin abzufahren. Nach Möglichkeit haben wir den steilen, schmalen und Drahtseil-versicherten Steig hinter uns, wenn uns die ersten Bergsteiger und Wanderer entgegen kommen.
Also los! Rucksäcke auf die Rücken und rauf aufs Rad. Die ersten 1000 Höhenmeter pedalieren wir gemütlich über breite Forstwege. Nach den Ehrwalder Almen wird der Weg schmaler, steiler und steiniger, wir müssen einiges schieben. Am sogenannten Gatterl wartet dann neben ersten eindrucksvollen Einblicken ins Wettersteinmassiv auch eine der Drahtseil versicherten Schlüsselstellen. Die Bikes auf den Schultern balancierend, klettern wir im steilen Fels empor. Eine Hand am Drahtseil, die andere abwechselnd an Bike und Fels, um das eigene Gleichgewicht von Rad und Körper zu sichern. Zum Glück ist die Passage nicht allzu lang und bald überwunden. Wir traversieren nun am Fuße des Zugspitzplatts entlang zur Knorrhütte. Der steinige Pfad ist mehr oder weniger gut fahrbar.
Am frühen Nachmittag erreichen wir dann schon die Knorrhütte. Man könnte auch einfach von hier aus direkt durchs Oberreintal abfahren und eine schöne Tagestour in Garmisch beenden. Wir bleiben allerdings hier oben, genießen einen entspannten Nachmittag auf der sonnigen Terrasse und erfreuen uns der wunderschönen, alpinen Kulisse. Raue Bergflanken umgeben uns zu allen Seiten. Am Abend gibt es ein deftiges Bergsteigeressen in der Hütte, einen Schnaps zum Tagesausklang und dann geht es früh ins Bett.
Der mühsame Aufstieg ist nur einer der Preise den man zu zahlen hat, möchte man sich den Traum von der Zugspitzbefahrung verwirklichen.
Der Wecker reißt uns mitten in der Nacht aus unseren Träumen. Um kurz nach 3 Uhr stehen wir mit unseren Bikes wieder vor der Hütte. Stirnlampen erhellen unseren Weg. Umgeben von Fels und Stein überspannt uns ein gewaltiger Sternenhimmel. Ich schalte meine Stirnlampe wieder aus und schaue eine Weile einfach nur in den Himmel, überwältigt von dem uns gebotenen Anblick. Doch Colin wird unruhig, er möchte los, den Aufstieg möglichst bald beginnen, um auf keinen Fall den Sonnenaufgang am Gipfel zu verpassen. Die nächsten 3 Stunden werden wir nun damit zu bringen, die Bikes durch felsiges Gelände zu schieben und tragen. Bis zum Sonnalpin, am Ende des Zugspitzplatts, ist es relativ entspannt und nicht zu steil. Man kann sogar einige Abschnitte fahren.
Hier lässt Colin sein Bike zurück. Der steile und teilweise ausgesetzte Teil der Tour beginnt. Das Bike wird geschultert und bleibt die nächsten eineinhalb Stunden auf dem Rücken. Große Teile des Steigs sind mit Drahtseilen versichert. Einige Passagen und Kehren führen gefährlich nah am Abgrund entlang. Teilweise direkt auf dem Grat verlaufend ist der Pfad dem starken Wind ausgesetzt. Der Trail ist vorwiegend mit losem, rutschigem Schotter bedeckt. Ich fühle mich unwohl und versuche mir einzureden, dass durch die Dunkelheit alles deutlich bedrohlicher wirkt, als es eigentlich ist. Doch in Wahrheit bin ich wenig überzeugt und sehe mich schon den größten Teil wieder heruntertragen. Mal sehen, erst mal müssen wir rauf auf den Gipfel.
Nach drei Stunden stehen wir dann endlich oben, fast schockiert. Nachdem wir seit gestern Mittag fast ausschließlich von rauer, hochalpiner Natur umgeben sind, befinden wir uns hier plötzlich wieder mitten im touristischen Wahnsinn. Zwar ist noch kein Mensch zu sehen, doch die Infrastruktur steht bereit für den Massen-Andrang an schönen Sommertagen. Ein eben gepflasterter Platz, Häuser, Bergbahnstationen, Kioske und Tagungsräume. Den Blick in die richtige Richtung gewandt, den Stahl-Beton im Rücken, können wir im Osten allerdings einen grandiosen Sonnenaufgang beobachten. Warme Farben erleuchten den Himmel und tauchen die uns umgebende Bergwelt in ein wunderschönes Licht. Dieser Moment allein lohnt schon den mühsamen Anstieg und lässt alle Sorgen des Alltags, den von Menschenhand missgestalteten Gipfel und den eisigen Wind vergessen.
Ein Anblick der seinesgleichen Sucht – eine lohnende Erfahrung!
Es gesellen sich ein paar hochgerüstete Bergsteiger zu uns, die im Münchener Haus am Gipfel übernachtet haben und heute über den Jubiläumsgrat absteigen wollen. Der Wirt des Müncher Hauses lacht, als er uns sieht. Hält uns für völlig verrückt, unser Fahrrad auf den Berg zu tragen und schießt ein Beweisfoto für seine Kumpels. Er serviert uns dennoch ein Frühstück. Der heiße Kaffee tut gut. Der eisige Wind hat uns recht ausgekühlt und das frühe Aufstehen macht sich außerdem langsam bemerkbar.
Nun ist aber keine Zeit für Müdigkeit, sondern höchste Konzentration gefragt. Wir trinken den letzten Schluck Kaffee und machen uns an die Abfahrt. Ich bin aufgeregt. Wir stehen auf dem schmalen Grat. Ein eisiger Wind bläst uns entgegen. Ganz langsam rolle ich den Pfad entlang. Der Schotter ist sehr rutschig. Der Blick auf meiner linken Seite reicht tief den Abhang hinunter. Hier ist Stürzen definitiv keine Option. Ganz langsam taste ich mich vor. Die ersten Kehren sind ziemlich eng. Vorsichtig und hoch konzentriert versetze ich das Hinterrad mit Blick in die Tiefe. Immer mal wieder muss ich kurz einen Fuß absetzen. Zu rutschig ist der Untergrund, zu schmal der Pfad und zu ausgesetzt das Gelände. Das stürmische Wetter tut sein Übriges.
Mit der Zeit gewöhne ich mich aber an die Umstände. Ich komme langsam in den Flow. Vertraue meinem Können, meinen Bremsen und Reifen. Es geht doch deutlich besser als gedacht. Spitzkehren werden entspannt genommen, an der Felswand entlang gefahren, über Steinstufen gerollt. Das im Fels verankerte Stahlseil hängt dabei stets auf Höhe des Lenkers. Colin begleitet mich zu Fuß mit der Kamera. In den steilen Passagen ist er kaum langsamer als ich. Plötzlich führt der Trail über eine glatte Steinplatte. So steil, dass der Grip der Reifen gerade ausreicht, um die Kontrolle zu halten. Diese Momente, in denen das eigene Können und das Material an seine Grenzen kommen, machen den reizt der hochalpinen Biketouren für mich aus. Durch jahrelange Übung und Erfahrung entwickelt man sich stets weiter und fährt Passagen, die man sich früher nie zugetraut hätte. Wichtig bleibt natürlich, seine Fähigkeiten niemals zu überschätzen.
Max Schumann bezwingt eine der anspruchsvollen Sektionen auf der Abfahrt – hier ist volle Radbeherrschung gefragt.
Unten raus, in Richtung Zugspitzplatt, verläuft der Steig dann etwas weniger ausgesetzt. Dafür wird der Schotter tiefer. Die Räder graben sich in den Boden. Steine geraten in Bewegung, das Bike ins Rutschen. Hier, im weniger steilen Gelände kommen uns dann auch die ersten Wanderer entgegen. Das Timing hat also gepasst. Ich bin froh, dass uns im oberen, ausgesetzten Bereich niemand entgegen gekommen ist. Die Wanderer schütteln die Köpfe. Sind freundlich verwundert darüber, dass ich mit dem Bike unterwegs bin. Und fragen, ob das überhaupt Sinn und Spaß mache. Sie können es sich nicht vorstellen.
Eine eindeutige Antwort kann ich darauf nicht geben. Ich verstehe Ihre Zweifel. Eigentlich macht es wenig Sinn, hier oben im hochalpinen Gelände mit dem Bike herumzuturnen. Spaß macht es allerdings verrückterweise schon… zumindest mir. Allein das Gipfelerlebnis ist, wenn man über die Spuren des Massentourismus‘ hinwegsieht, die Mühe des Aufstiegs wert. Die fordernde Abfahrt ein zusätzlicher Lohn. Und nun, ab Sonnalpin beginnt ohnehin der fahrerisch wahrhaft spaßige Teil der Tour. Colin steigt nun auch wieder auf sein Bike. Immer noch alpin und mit einigen Schlüsselstellen gespickt, fordert der Trail unsere Fahrtechnik heraus. Allerdings verläuft er durch flacheres Gelände. Ernsthafte Absturzgefahr besteht nicht mehr, sodass man um einiges entspannter auf dem Bike sitzen kann und jeden Meter genießen kann.
Trotz aller Gefahren und Anstrengungen – Max hat sichtlich Spaß! Träumeerfüllen lohnt sich eben.
Zeitig zum Mittagessen sind wir wieder an der Knorrhütte und gönnen uns eine große Portion Pasta und ein fettes Stück Kuchen. Die lange Abfahrt durchs Oberreintal wird noch einige Kraft kosten. Belohnt jede Mühe aber mit fahrtechnisch anspruchsvollem Fahrgenuss und insbesondere im Herbst mit eindrucksvollen Farben.
Am späten Nachmittag erreichen wir Garmisch-Partenkichen, wo wir uns abholen lassen und wieder in die Zivilisation eintauchen. Der Sonnenaufgang und die ersten Meter vom Gipfel in den rauen Felsen wirken schon wieder ganz schön weit weg… bleiben aber in bester Erinnerung.
Zugspitze-X von Bannockburn auf MTB-News.de
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Quelle: Text – Max Schumann / Bilder – Colin Stewart / Video – Colin Stewart
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