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Wer hat´s erfunden? Mountainbiken – wie alles begann…

klunker intro

Diese Geschichte hat viele Anfänge – und noch lange kein Ende. Man könnte im Jahre 1818 beginnen, als Karl Drais Freiherr von Sauerbronn seine zweirädrige Laufmaschine, die Draisine, patentieren ließ. Oder 1867 mit der Erfindung des Velozipeds. Oder doch 1869, als erstmals Speichen aus Metall auf dem „Phantom“-Fahrrad von W.F. Reynolds und J.H. Mais in London auftauchten – immerhin ein genauso wichtiger Beitrag zur Dämpfung wie die Einführung der Luftreifen durch J.P. Dunlop 1888. Bahnbrechend waren auch die dicken Ballonreifen (26″ x 2.125″) von Ignaz Schwinn Anfang der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts oder die Federgabel Anfang der Neunziger Jahre. Man könnte auch das Jahr 1949 herauskehren, das die Markteinführung des „Adler Berg- und Talrades“ sah, welches bereits sechs Gänge und einen höhenverstellbaren Sattel vorzeigen konnte.

Man könnte zum Start der Geschichte ein Bild von Marin County, Kalifornien zeichnen, auf dem langhaarige junge Männer in Jeans, Flanellhemden und Wanderschuhen auf uralten Fahrrädern ohne Schaltung bekifft die Berge und Singletrails hinunterrasen. Man könnte in den eigenen Erinnerungen kramen und dabei finden, dass man Mountainbikes Ende der Achtziger ziemlich uncool fand, bis man beobachtete, wie einer in eine Straße einbog und gleichzeitig in der Kurve schaltete, ohne die Hände vom Lenker zu nehmen. Gar nicht zu reden von der ersten Abfahrt auf dem just gekauften Bike vom Königstuhl hinunter nach Heidelberg.


# Höllenritt: Kaum denkbar heutzutage noch auf Gefährten dieser Art abseits befestigter Wege Spaß zu haben. 

Oder man könnte Joe Breeze zitieren: „Die Evolution des Mountainbikes bestand aus vielen Schritten – einen einzelnen Erfinder gibt es nicht.“

Mountainbikes: Einen einzelnen Erfinder gibt es nicht! – Joe BreezeMit anderen Worten: Es machte nicht „Shazam!“ und das Mountainbike stand da – vielmehr gab es eine etappenweise Entwicklung, die selbst heute, nach nun mehr als vier Jahrzehnten, schon kaum mehr nachvollziehbar erscheint. Zu vielfältig sind die Keimzellen des „Fat Tire-Booms“ – wer ist nicht als Kind mit seinem Bonanza-Rad durch den Wald gefahren, ohne auch nur im Traum an Alu-Rahmen und „Full Suspension“ zu denken? Ferner würden sich allzu gerne zu viele Egos ihren Platz in den Geschichtsbüchern sichern wollen. Hinzu kommt: Wer hätte in den Siebzigern schon daran gedacht, Geschichte zu dokumentieren?

Gehen wir an den Ort, wo das Ganze schließlich explodierte. Anfang der Siebziger war die San Francisco Bay Area nicht nur ein Treffpunkt der Hippies, sondern auch ein Ort, an dem ein regelrechter Radfahrboom ausgebrochen war – auf der Straße, wohlgemerkt. Radfahren war heiß und angetrieben von der Neugierde jener Jahre begab sich manch ein Radfahrer auch hin und wieder auf die Wege abseits der Asphaltstraßen des Marin County. Allen voran die Canyon-Gang aus Larkspur um John York, Tom Slifka sowie Robert und Kim Kraft. Sie waren die Ersten, die ihre uralten Schwinn-Räder mit dicken Reifen, ohne Gangschaltung und um Schutzbleche, Ständer und Gepäckträger erleichtert, auf den Mt. Tamalpais schoben, um sich mit Vollgas wieder hinunter zu stürzen. Schon 1971 sollen dort die ersten Rennen, noch ohne Zeitnahme, durchgeführt worden sein.

Eine andere Off-Road-Gruppe kristallisierte sich rund um Joe Breeze aus dem Straßen-Rennklub „Velo Club Tamalpais“ heraus. Sie waren inspiriert vom europäischen Cyclocross und nutzten stabile Räder mit schmaleren Reifen, um den Mt. Tamalpais zu erkunden. 1974 stiegen auch sie auf die alten Fat Tire-Bikes der 30er- und 40er-Jahre um – auch Klunkers oder Ballooner genannt – die sie auf Floh- und Trödelmärkten billig erstanden: eine willkommene Abwechslung zum Straßenrennsport.


# Russ Mahon – der wahre Pionier der wohl besten Freizeitbeschäftigung auf Erden 

Sie fuhren weiterhin ohne Gangschaltung, schließlich ging es für sie vor allem um das Downhill-Erlebnis. Doch Anfang Dezember 1974 tauchten beim West Coast Open Cyclocross Race 3 Männer aus dem 75 Meilen südlich gelegenen Cupertino auf. Die Jungs waren organisiert in „The Morrow Dirt Club“ und hatten ihre alten Bikes schwer aufgerüstet: Um eine Kettenschaltung mit Daumenschalthebeln und Trommelbremsen, die man mit Motorradbremshebeln betätigte. Die Homies aus Marin, darunter Joe Breeze, Gary Fisher und Charlie Kelly, staunten nicht schlecht – so etwas hatten sie noch nie zuvor gesehen. Einer der Männer aus Cupertino hieß Russ Mahon. Er sandte noch viele Jahre später Beweisfotos an Tom Ritchey, welche belegten, dass er schon 1973 die erste Gangschaltung an einen Klunker montiert hatte.

Ich wünschte mir, soetwas nie mehr sehen zu müssen! – Mark VorwitzAuch Mark Vorwitz, ein Veranstalter von Cyclocross-Rennen, muss der Cupertino-Gang begegnet sein: „Diese Typen tauchten einfach mit zwei Bikes auf. Ich hatte so was noch nie gesehen und damals wünschte ich mir auch, so etwas nie mehr sehen zu müssen. Die Dinger müssen 50 Pfund (23 kg) gewogen haben! Es waren alte Beach Cruiser, – ausgerüstet mit Kettenschaltung und Trommelbremsen. Ich verbot Ihnen, bei unserem Rennen mit zu fahren und sah sie nie wieder. Gary Fisher behauptet ja, er hätte das Off-Road-Bike 1976 erfunden, aber diese Kerle müssen ihnen um ein gutes Jahr geschlagen haben.“


# Wer hätte gedacht, dass uns diese Geschichte später einmal derart prägen würde. 

Charlie Kelly meint sich zu erinnern, dass Fisher im Sommer 1975 die erste 5-Gang- Schaltung an einen alten Schwinn-Excelsior montierte. Der sofortige Erfolg beim Bergauffahren überzeugte auch andere und bald kamen zwei Kettenringe vorne, sowie Trommelbremsen an Vorder- und Hinterrädern hinzu. Ein solches Bike wog dann stolze 65 Pfund (30 kg), im Vergleich zu den 45 Pfund (20 kg) schweren Excelsiors doch ein ganz schöner Batzen.

Im Jahr darauf war es dann soweit: Es wurden die ersten Rennen im Marin County organisiert. Joe Breeze, Charlie Kelly, Gary Fisher und Tom Ritchey veranstalteten ein 3 Meilen langes Rennen am Cascade Fire Trial, nahe Fairfax, – und am 21. Oktober ein weiteres nördlich des Mt. Tam am Osthang des Pinne Mountain, das legendär gewordene Repack-Race. Die Fahrer starteten in Zwei-Minuten- Abständen auf den 2,1 Meilen langen Kurs. 1300 Fuß Höhenunterschied – das hielten die Rücktrittbremsen der Eigenkonstruktionen nicht aus. Deshalb musste nach jedem Rennen Fett nachgefüllt – „repacked“ – werden. Legendär wurden auch die Zeitmesser: Ein Chronometer aus Navy-Beständen und ein Wecker.


# Repack-Race: Was für Christen der Jakobsweg ist, sollte für jeden Mountainbike die Abfahrt vom Mt Tamalpais bei Fairfax/Kalifornien sein.

Joe Breeze gewann zehn der 24 Repack-Rennen, die zwischen 1976 und 1984 durchgeführt wurden. Gary Fisher ist ewiger Rekordhalter mit einer Zeit von 4:22:14 min. Die Repack-Races hatten den Nebeneffekt, dass sich die gesamte Marin-Szene von nun an regelmäßig traf und dadurch die technische Entwicklung sowie die Nachfrage nach Bikes und Komponenten beschleunigt wurde. Und sogar Fahrer von weiter her wurden angezogen. So auch Dink Bringers, der eines Tages in San Francisco einen Fernsehbericht über ein Repack-Race sah: „Ein Haufen langhaariger Wilder in offenen Flanellhemden und Blue Jeans mit Bananen in der Hosentasche rasten einen engen, zerklüfteten Trial auf alten Cruisern runter. Sie ließen riesige Staubwolken hinter sich, während sie mit ihren schweren Rädern durch die engen S-Kurven drifteten.“

Ein Boom begann und verwandelte Mt. Tamalpais in eine Todesfalle für Wanderer. Die Preise für alte Columbia- und Schwinn-Bikes explodierten: Bis zu $ 300 (ca. 220 €) wurden am Marin City-Flohmarkt für die Rahmen aufgerufen. Und das, obwohl die Dinger über 12 Pfund (5 kg) wogen und durchaus auch gerne brachen – schließlich waren sie nicht wirklich für den Off-Road-Gebrauch gebaut worden. Zeit, an den Eigenbau zu gehen. Craig Mitchell war der Erste. Der fast 220 Pfund (100 kg) schwere Charlie Kelly hatte schon mehrere Schwinn-Rahmen zerstört und war auf der Suche nach einem Rahmenbauer. Joe Breeze schweißte schon seit 1974 Rahmen für Straßenräder zusammen, doch er lehnte ab – zu beschäftigt. Mitchell schweißte den Chrom-Molybdän-Rahmen für Kelly zusammen, doch der kehrte nach nur zwei Wochen wieder zum Schwinn-Klassiker zurück. Er war mit dem Handling des Mitchell-Bikes nicht zufrieden.

Später fragte er wieder Joe Breeze, diesmal hatte er Zeit und schweißte gleich zehn Rahmen zusammen. Gleich mit dem Ersten, den er im Oktober 1977 fertig hatte, startete Joe bei einem Repack-Race. Er gewann überlegen! Dieses „Breezer #1“ steht heute im Oakland-Museum. Bis Juni 1978 vollendete Breeze weitere neun Bikes – die ersten komplett mit neuen Teilen aufgebauten Ballooner. Sie wurden für $ 750 (ca. 560 €) verkauft, komplett mit Pumpe, Wasserflasche, Ersatzschlauch und Werkzeugtasche. Was für ein Service!


# Damals ein modernes Sportgerät – heute Retro-Kult. Klunker erleben dieser Tage ihr Comeback. 

Die Fahrradbewegung in Marin County wurde immer bekannter. Im Frühjahr 1978 erschien der erste Artikel im „Co-Evolution Quarterly“. Mitte 1978 begann Erk Koski, vom Cove Bike-Shop in Mill Valley, einen Versandhandel für Teile aufzubauen. Anfang 1979 stolperte ein gewisser Tom Ritchey über das erste Rad von Joe Breeze. Der Fahrradfanatiker aus Santa Cruz war sofort begeistert. Auch Gary Fisher hörte davon und bat Breeze, ihm ebenfalls einen Rahmen zu bauen. Dieser schickte Ritchey seine Pläne, woraufhin er 3 Rahmen fertigte: Einen für sich selbst, einen für Gary und einen, den Gary verkaufen sollte. Im Laufe des Jahres baute Tom Ritchey neun weitere Rahmen. Diese konnte er jedoch in Palo Alto nicht verkaufen und bat daher Gary Fisher, sie in Marin County an den Mann zu bringen. Fisher legte mit Charlie Kelly ein paar Hundert Dollar zusammen und startete das erste wirkliche Ladengeschäft nur für „Mountainbikes“. Genau das stand nämlich auf den Rahmen, die für $ 1400 (ca. 1000 €) über den Ladentisch gingen und von denen im ersten Jahr über 160 Stück verkauft wurden.

Laut Joe Breeze entstand der Name aus der Differenzierung von „das ist mein Straßenrad“ zu „das ist mein Bergrad“, – der Begriff Mountainbike war schon länger verwendet worden. Fisher und Kelly versuchten das Wort zu schützen, was ihnen nicht gelang und zur späteren Gründung von Gary Fisher Bikes führte. Das Wort „All Terrain Bike“ (ATB), inhaltlich eigentlich passender, konnte sich nie richtig durchsetzen.

1980 publizierte dann Charlie Kelly mit dem „Fat Tire Foyer“ das erste Magazin nur über Mountains Bikes. Es sollte bis 1985 einzigartig bleiben. Trotz dieser Fortschritte sollte es bis 1982 dauern, bis das erste massenproduzierte Bike auf den Markt kam. Weder Breeze, noch Cunningham, Ritchey, Fischer oder Kelly hatten den finanziellen Background, dies auf die Beine zu stellen. So war es Mike Sinyards Firma Specialized, die mit dem „Stumpjumper“ das erste Bike vom Fließband produzierte. Es kostete $ 750 (560 €). Der Start für ein Bombengeschäft. Weitere Firmen folgten, und mit Diamondback kam auch die erste japanische Firma auf den Markt. Die Verkäufe der Off-Road-Boliden verdreifachten sich jährlich. Seit 1985/86 wurden mehr Mountainbikes als Strassenrenner verkauft.


# Geschichte triff Moderne: Specialized Team-Fahrer Aaron Gwin bestaunt die Historie seines Arbeitgebers. Mike Sinyard ließ mit dem Stumpjumper das erste in Serie produzierte Mountainbike vom Band fließen. 

Einher ging eine rasante technische Entwicklung. Gary Klein brachte den ersten Aluminium-Rahmen auf den Markt. Schon 1982 hatten Shimano und Suntour spezielle MTB-Komponenten vorgestellt und mit der Erfindung der Hyperglide-Schaltung sicherte sich Shimano die überlegene Marktführerschaft. Bereits 1987 wurde auf der Interbike-Show der Prototyp eines voll gefederten Carbonbikes vorgestellt. Die Erbauer: Keith Bontrager aus Santa Cruz und Paul Turner von Rock Shox. Letzterer eroberte 1990 den Fahrradmarkt mit seiner Luft/Öl-gefederten Federgabel. Im gleichen Jahr brachte auch Doug Bradbury von der Aluminium-Fahrradschmiede Manitou eine Federgabel auf den Markt, – allerdings auf Elastomer-Grundlage. Sie kostete $ 800 (ca. 600 €). Kein Wunder, dass die Gabeln zunächst vorwiegend im Rennbereich zu bewundern waren. Der ehemalige BMX-Fahrer John Tomac erregte seinerzeit Aufsehen auf seinem Manitou-Bike und Rock Shox konnte gleich zwei Weltmeister feiern: Ned Overend im Cross Country und Greg Herbold im Downhill.


# Zeitreise: Im Specialized-Hauptquartier wird die Geschichte des Mountainbikes plastisch dargestellt. Mit diesem FSR DH-Bike fuhr Shaun Palmer einst unzählige Siege ein. 

Auch sonst ist 1990 ein wichtiges Jahr in der Geschichte des Mountainbike-Sports: Die Radfahrorganisation sanktioniert erstmals das bisher ungeliebte Mountainbiking und so werden in den USA erstmals UCI World Championships ausgetragen. Im Marin County werden viele Trails für Mountainbike-Fahrer gesperrt. Moab in Utah löst Marin als neues Traumziel aller Biker ab.

MTB wird zum absoluten Trendsport und inzwischen ist sogar um Ernährung und Getränke ein eigener, heiß umkämpfter Markt entstanden. Verschiedenste Spezialgebiete wie Cross Country, Downhill, Slopestyle und jüngst auch Enduro entstehen. Spektakuläre Sprünge werden mit den Bikes möglich, BMX-Elemente werden ebenso übernommen wie Freestyle-Motocross-Techniken. 1996 wird Mountainbike dann sogar olympisch und die Herkunft der Medaillengewinner aus den Niederlande, Schweiz, Frankreich, Italien, Kanada,USA und natürlich Deutschland verrät: Die Sportart hat sich von ihren Wurzeln in den Staaten gelöst und ist überall auf der Welt verbreitet.


# Und was bleibt? Das wohl vielseitigste Sportgerät, das je ein Mensch erfunden hat. Vom Carbon-Hardtail über Dirt Jump- und Downhill-Bikes hin zum handgefertigen Titan-All Mountain – und neuerdings auch wieder Klunkers. 


# Ihnen gebührt unsere Anerkennung: Keven Krueger und Russ Mahon

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Text und Redaktion: Sebastian Ring // Bilder: Stephen Wilde [stephenwilde.com] & Richard Walch

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