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Vom Leben und Mountainbiken
Unterwegs mit Walter (81)

Das Fahrrad ist sicherlich für viele Menschen von unterschiedlicher Bedeutung. Während es manche als reines Mobilitätsmittel betrachten, heben es andere schier auf ein Podest. Während manch einer ab und zu einmal eine Runde radelt, schlafen andere quasi auf dem Sattel. Zeit also, sich mit der Bedeutung des Mountainbikes im Leben zu beschäftigen. Und wer wäre dafür beispielhaft besser geeigneter als Walter, der vermutlich älteste Mountainbiker Freiburgs? 

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Ich habe Walter bei dem Dreh für das Rap-Video des Mountainbike Verein Freiburgs kennen gelernt. Klar, wo trifft man Herren älteren Semesters denn sonst auch? Zugegebenermaßen habe ich kurz gestutzt, als ich ihn gesehen habe ­– habe ich doch eher mit unserem Nachwuchs bei dieser Aktion gerechnet. Doch schon beim Händeschütteln mit Walter fällt auf, dass der Kerl noch richtig Power hat. Seine wettergegerbten Pfoten fühlen sich eher nach Schraubstock denn nach Händen an.

# Walter als Feature-Bild unseres Rap-Videos - Wie sonst lernt man ältere Herren kennen?

Diashow: Vom Leben und Mountainbiken: Unterwegs mit Walter
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Im Verlauf der nächsten Wochen und Monaten treffe ich Walter regelmäßig auf unserem Hausberg, dem Rosskopf. Denn Walter hockt trotz seiner über 80 Lenzen ähnlich viel Zeit auf dem Rad wie ich. Im Idealfall fährt er täglich auf den „Rossi“. Und das seit über 30 Jahren, nachdem er zuvor Jahrzehnte lang hoch gerannt ist. Klar, denn Mountainbikes gibt es ja noch gar nicht so lange. Übrigens sehr zum Leidwesen von Walter. Denn als die ersten Mountainbikes in Deutschland zu erwerben sind, ist Walter schon fast 50 – zu alt, um noch richtig wild rumzuspringen, wie er es gerne täte.

„Der ehemalige Förster würde sich im Grabe umdrehen!“

Umso mehr freut es ihn, dass der heutige Nachwuchs von klein auf in den Wald radeln und über die Trails schießen kann. Über Trails, die nun in gemeinsamer Zusammenarbeit von einem MTB-Verein, der Stadt und dem Forst extra für die Radsportler angelegt worden sind. Lange Zeit undenkbar im Schwarzwald. „Der ehemalige Förster hier würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das mitbekäme!“, kichert Walter dazu. Doch die Zeiten haben sich zum Glück geändert.

# Wenn das der damalige Förster sähe - "Der würde sich im Grabe umdrehen!"
# Walter ist auch mit über 80 Jahren noch fast täglich auf dem Rosskopf, dem Freiburger Hausberg - "Man muss halt immer was machen. Jetzt bin ich aber eher froh, wenn ich es in den Sattel schaffe."

Apropos Zeiten.

Wenn man mit einem Menschen aus einer anderen Generation spricht, kommt man ja doch immer wieder ins Grübeln – und ins Vergleichen mit sich selbst. Wie ist heute der Weg zum Mountainbiker? Man braucht auf jeden Fall ein Umfeld, das einem in seinem Vorhaben unterstützen kann. Schließlich ist das Mountainbiken nicht gerade die kostengünstigste unter den heutigen, vielfältigen Freizeitmöglichkeiten. Doch das Angebot an Vereinen, offiziellen Strecken, Pumptracks, Indoor-Hallen und etwa Schul-AGs wächst und somit ist der Eintritt mittlerweile eher niederschwellig. Etwas anders lief es bei Walter.

Walter kommt noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in Freiburg auf die Welt. Als die Stadt bombardiert wird, findet er mit einer seiner Schwestern in der Nähe von Ravensburg auf dem Hof seiner Großeltern einen sicheren Unterschlupf. Dort verbringt er sieben ganze Jahre, wird eingeschult und kann in der ländlichen Region sowohl Kriegs- wie auch Nachkriegszeit unbeschadet überstehen. Und bei mir? Auch ich bin am Bodensee aufgewachsen, hatte allerdings das Privileg, in absolutem Frieden aufzuwachsen.

Wenn Walter mir von seinem damaligen Grundschullehrer erzählt, der mit drakonischen Prügelstrafen und anderen heute zum Glück verbotenen Maßnahmen seine Klasse terrorisiert, denke ich an meinen Umgang mit meinen Schülern – denn ich bin Grundschullehrer. Und ich freue mich über diese Entwicklung. Von wegen heutige Kuschelpädagogik, früher war es einfach nur unglaublich hart. Dass heute natürlich auch nicht alles perfekt läuft, ist mir aber schon auch klar. Ist allerdings ein anderes Thema.

Obwohl Walter vom Schnitt her den Übertritt auf ein Gymnasium geschafft hätte, geht es gezwungenermaßen dennoch auf die Volksschule mit ihm, damit er möglichst schnell arbeiten und Geld verdienen kann. Der übliche Weg in einem nicht besonders wohlhabenden Haus Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute erlangen über 50% aller Schüler das Abitur und können studieren. Auch heute sind wir noch weit weg von Chancengleichheit im Bildungssystem, doch verschiedene Maßnahmen, BAföG sei hier mal als eine genannt, scheinen für mich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu sein. Und einer, für den Walter damals viel gegeben hätte.

# Wenn Walter von Früher erzählt, wird einem klar, wie sehr sich die Welt doch gewandelt hat - in vielerlei Hinsicht immerhin auch in eine sehr positive Richtung

Soweit der Ausflug in die Vergangenheit, zumindest für’s Erste. Im Frühjahr 2018 fasst Walter den Beschluss, wieder einmal mit dem MTB nach Amerika zu fliegen, um durch Arizona zu radeln und den Saguaro-Nationalpark zu besuchen. Eine Region, in die er sich bei einer seiner vielen Amerika-Reisen verliebt hat. Dafür könnte er noch Begleiter brauchen, meint er zu mir. Er sei ja schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Ich habe leider keine Ferien, verspreche aber, herumzufragen. In mir ploppt direkt die Frage auf: Wäre ich selbst aktuell mit Ende 20 so spontan und offen, um mit irgendwelchen fremden Leuten eine Fernreise zu unternehmen? Puh. Also erstmal ergründen, wie man sich eine solche Neugierde und Abenteuerlust auch im hohen Alter noch erhält oder vielleicht eher sogar erst einmal entwickeln kann. Walter hat eine ganz einfache Antwort:

Niemanden belehren und das Andere tolerieren. Das habe ich auf meinen Reisen und beim Sport gelernt. Das Rad ist der perfekte Begleiter, da man nicht zu schnell unterwegs ist und sich so auf andere Mentalitäten und Kulturen einstellen kann.

Niemanden belehren? Na toll, da habe ich ja den perfekten Beruf gewählt, denke ich mir. Aber stimmt schon, klingt vernünftig. Und das Beste: Es klingt recht einfach und machbar.

Um endlich Geld zu verdienen, fängt Walter mit 16 Jahren an, an einer Tankstelle zu arbeiten. Den Arbeitsweg erledigt er natürlich mit dem Fahrrad. Von Autos hält er eh wenig. Diese verschmutzen alles und parken alles zu. Er selber hat seit über 30 Jahren keines mehr. Aber bei der grünen Flotte hat er sich angemeldet, das Konzept des Carsharings gefällt ihm. Wieder einmal muss ich mich hinsichtlich des alten VW-Busses auf meinem Parkplatz an der eigenen Nase ziehen.

Der Arbeitsbeginn an der Tankstelle stellt allerdings auch die Weichen für die Sportkarriere von Walter. Täglicher Umgang mit den Giften aus dem Zapfhahn kann nicht gesund sein, überlegt er sich und beschließt, als Ausgleich jeden Morgen im Wald in der frischen Luft vor der Arbeit joggen zu gehen. Und mit „jeden Morgen“ meint Walter wirklich „jeden Morgen“. Um 5:30 Uhr geht es los. Nach der Arbeit geht er dann Rennrad fahren, der einzige Radsport, den es damals in Deutschland gibt.

Ich selbst besuche mit 16 Jahren entspannt das Lindauer Gymnasium und fluche damals heftig über ein Aufstehen um 7:00 Uhr. Doch auch wenn sich der Alltag eines Pubertierenden in den frühen 1950er Jahren und um das Jahr 2005 herum sicherlich stark unterscheidet, so verbindet uns doch Eines: Die Liebe zum Radsport. Denn auch ich sitze in diesem Alter, sobald irgendwie möglich, auf meinem Rennrad oder Mountainbike.

# Über 50 Jahre Altersunterschied - als gemeinsamer Nenner besteht die Liebe zum Radsport samt allen positiven Aspekten, die unser Sport mitbringen kann

Walter geht seiner Leidenschaft auf schmalen Reifen bis zu dem einen Moment nach, als er beim Start einer Trainingsausfahrt mit dem örtlichen Rennradverein merkt, dass er einen Platten hat. Er teilt dies den Vereinskollegen mit und beginnt zu flicken, diese fahren allerdings einfach zum vereinbarten Termin los. 9 Uhr Abfahrt heißt 9 Uhr Abfahrt. Quasi Strava-Fahrer zu Zeiten, als es noch gar kein Strava gab. Walter ist davon so genervt, dass er sein Rennvélo in die Ecke pfeffert und sich dafür ein Koga Myata-Mountainbike kauft.

Manche von meinen damaligen Rennradkollegen haben sich selbst dem Helm verweigert. Die sind immer nur mit so blöden Cappies rumfahren. Mountainbiker waren Volldeppen für die.

Damit gilt er jetzt also Spinner und erntet nicht nur häufiges Kopfschütteln und dumme Sprüche, sondern legt sich auch öfters mit dem oben schon einmal erwähnten Förster an. Ich kann mir das recht lebhaft vorstellen, wie die gemeine Schwarzwälder Rotsocke Mitte der 80er Jahre über den Verrückten auf dem neumodischen Klump aus Amerika schimpft. Eben so, wie sie es zum Teil heute noch tut. Walter lässt sich davon allerdings nicht beirren, zu groß sind die Vorteile des nun geländegängigen Rads. Er kann jetzt so entspannt unterwegs sein wie er möchte und dies auch noch abseits der Straßen in seinem geliebten Wald.

# Walter fährt am liebstem zur Dämmerung auf den Berg, um den Sonnenuntergang betrachten zu können - "Manchmal vergesse ich beim Runterfahren dann, wie alt ich bin. Die Reaktion lässt ja schon nach, manchmal hubbelts auf einmal und ich denke: Hoppla, hab ja gar nix gesehen. Aber schön ist's halt. Man kommt daheim entspannt an und ist völlig agressionsfrei."

Doch allerdings hat die damalige Mountainbike-Technik auch ihre Tücken: Auf einer Abfahrt kracht Walter in einen umgestürzten Baum – und da damals noch Riemenpedale Stand der Technik waren, verletzt er sich auf Grund der festen Bindung schwerer am Knie. Das Todesurteil für seine Joggingkarriere, aber der richtige Startschuss für das Mountainbiken. Denn Radfahren geht weiterhin. Auf den Riemen wird allerdings seitdem verzichtet.

Das Leben hast nicht immer im Griff. Manchmal pfuschen andere mit rein.

Die Jahre vergehen und lange ist unser Pionier einer der vermutlich an einer Hand abzählbaren Biker im Schwarzwald. Walter, mittlerweile nicht mehr bei der Tankstelle, schafft nun als Hausmeister an einer Schule. Hat er als Tankstellenwart nie Urlaub gehabt, so ändert sich dies schlagartig mit dem neuen Beruf: jetzt, im Dienste der Stadt, wird er sogar zum Ferien machen gezwungen, wie er lachend berichtet. Also Kinder: Augen auf bei der Berufswahl! Als Lehrer schiele ich direkt innerlich in Richtung der Sommerferien und freue mich.

Wohin also mit all der freien Zeit? Radreisen nach Frankreich wecken bei Walter Durst nach mehr und nach einem Englisch-Schnellkurs an der Volkshochschule geht es 1984 mit seinem Rennrad direkt in die USA. Damals immerhin schon so erwähnenswert, dass sogar die Lokalpresse darüber berichtete.

1989 steht dann zusammen mit seinem Kuwahara Panther seine erste Mountainbike-Fernreise in die USA an. Dort fasziniert ihn besonders das Wüstengebiet bei El Paso – eine Liebe, die ihm bleibt und ihn zu mehren Reisen animiert. 2009 beschert ihm das auch direkt noch eine neue Leidenschaft: 24 Stunden-Rennen. Denn bei den „24 hrs in the old Pueblo“ startet Walter das erste Mal mit über 70 Jahren, findet als alte Kämpfernatur natürlich Geschmack daran und startet dort dann insgesamt gleich bei drei Austragungen. Zweimal als Einzelstarter, einmal im Vierer-Team. Ein Jeder, der mit 74 Jahren schon ein 24-Stunden-Rennen gefahren ist, hebe die Hand.

# "Von einem, der auszog, durch Amerika zu radeln." - Die Badische Zeitung berichtete schon 1984 über Walter und seine Abenteuer. Man beachte die zusammengeklebte Landkarte, die heute ein jedes Handy ersetzen könnte. Walter schimpft heute aber noch über den Redakteur: "Was hat bitte mein Beruf als Hausmeister mit meiner Reise zu tun? Blödes Geschreibe von oben herab!"
# Posterboy Walter - zu Beginn der 90er repräsentiert Walter die Firma Fuchs
# Diese bauen handgeschweißte Alurahmen in Deutschland
# Bikepacking: 1994 durchquert Walter dann mit seinem Sohn Mirco die USA - Vordenker: Die Biketaschen entwirft Walter damals selbst und ein Freiburger Sattler schneidert ihm aus LKW-Plane alles zusammen. Heute reichen drei Klicks im Internet und solche professionellen Taschen werden per Express am nächsten Tag geliefert.
# Wheelies zu Beginn der 90er in Utah

Spätestens in den 2000er Jahren nimmt der Radbetrieb in der Stadt Freiburg so langsam Fahrt auf. Der Nachbarort Kirchzarten hat sicherlich seinen Anteil daran, denn mit der Ausrichtung der MTB-WM 1995 und dem Black Forest Ultra Marathon wird der (Spitzen-)sport stark gefördert. Walter war selbstredend bei mehreren Ausführungen beim Ultra mit am Start – nämlich genau 20 Mal.

# In seiner Radkarriere haben sich die ein oder anderen Pokale angesammelt

Der Freiburger Stadtwald wird in den Folgejahren mehr und mehr auch Heimat der Radsportler auf dicken Reifen. Mit den wachsenden Federwegen reichen allerdings auch schon bald die gemütlichen Schwarzwälder Wanderwege nicht mehr aus und Locals beginnen mit dem Bau von illegalen Strecken. Walter beobachtet interessiert, doch seine Zeit als wilder Freerider ist schon damals leider vorbei. 2011 gründet sich der Mountainbike Freiburg e.V., um die wild geschlagenen Strecken zu legalisieren, zu versichern und zu pflegen. Direkt beim ersten Event des Vereins unterschreibt Walter seine Mitgliedschaft. Der einzelne Mountainbike-Wolf hat nun endlich sein Rudel gefunden, um mal eine etwas arg bildhafte Sprache zu bemühen.

Wenn du sportlich aktiv bist, bist ja immer auch mit jungen Leuten zusammen. Das hält geistig fit und jung. Scheuklappen darfst aber keine haben, nicht immer mit seinesgleichen unterwegs sein. So lernst nix dazu, dann isolierst du dich selber.

Bei jedem Vereinsevent backt Walter nun Kuchen, versorgt uns mit selbstgepflückten Blaubeeren und opfert einen Großteil seiner übersichtlichen Rente, um dem Verein eine E-Kettensäge zu schenken. Bei der Vereinsmeisterschaft etwa, bei der er auf Grund des Anspruches nicht mehr selbst teilnehmen möchte, begleitet er die Rennfahrer und fotografiert fleißig. Spätestens jetzt hat er genug Verrückte gefunden, die seine Leidenschaft teilen und auf Stollenreifen durch den Wald fahren möchten.

So ist es nur logischer Schluss, dass Walter der Rundmail folgt und sich als Komparse beim Rapvideo anbietet. Und für mich das große Glück, eine solch eindrucksvolle Person treffen zu können.

# Für ein E-Bike sei er noch nicht so weit, meint Walter - „Ich würde lieber einen Gang zurückschalten und steige dann halt ab und schiebe. Ab und zu schiebe ich jetzt schon. Früher habe ich alles durchgedrückt. Kleiner Gang und in den Lenker beißen. Aber aus und vorbei. Aber ist schon in Ordnung so."

Mit der Aussage, der Radsport sei kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung, konnte ich bisher nie so richtig viel anfangen. Für mich war das stets eine etwas arg philosophische Übertreibung. Nach den Gesprächen mit Walter kann ich aber immer stärker begreifen, inwieweit unser Hobby nicht nur unseren Körper prägt, sondern eben auch unsere Einstellung gegenüber anderen Menschen, gegenüber der Natur, gegenüber verschiedenen Kulturen und Ländern – eben dem gesamten Leben gegenüber.

Das große Geheimnis, so fit, offen und lebensbejahend zu bleiben, scheint also sehr einfach zu sein: Bleibe in Bewegung. Reise und bilde dich weiter. Halte Kontakt mit jüngeren Menschen. Und etwas Glück natürlich, das schadet nie. Das Schönste daran: Unser aller Lieblingshobby, das Fahrradfahren, ob im Wald oder auf der Straße, ob schnell oder langsam, erleichtert uns dies in vielen Belangen.

Hobby oder Lebenseinstellung? Welche Bedeutung hat das Mountainbiken für dich?

Bilder: Paul Köhler, Privat
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