Nove Mesto ist jedes Jahr ein ganz besonderer World Cup. Für jeden Fahrer. Die Fankultur der Tschechen ist mit keiner anderen auf der Welt zu vergleichen. Die Art, die Radsportler und Radsportlerinnen zu feiern und zu bejubeln, auch nicht. Jeder World Cup-Starter, egal welcher Nationalität er oder sie angehört, wird angefeuert. Jeder wird von schreienden Fans die Rampen hochgetragen und die Downhills runtergepeitscht. Alle Teilnehmer sind Helden.
Meine Erwartungen an das Rennen sind groß. Ich weiß, dass mir die technisch anspruchsvolle Strecke in Tschechien sehr liegt, dennoch muss auch die Tagesform stimmen. Nach Albstadt muss eine neue Strategie her, da ich dort in der Startrunde kaum Plätze gut machen konnte und dann im hektischen Stau der hinteren Platzierungen gefangen war. Doch wie stelle ich das an? Ich möchte etwas riskieren, ich brauche einen Plan!
Der Plan war schnell geschmiedet, da ich, aus der letzten Startreihe ins Rennen gehend, ohnehin nicht viel zu verlieren habe. In der Startrunde all out gehen und dann schauen wo ich stehe. Gesagt getan. Und das läuft, zu meiner eigenen Überraschung, erstaunlich gut. Nach der Startrunde finde ich mich auf Platz 47 liegend wieder. Insgesamt habe ich also rund 30 Fahrerinnen bereits auf der Startrunde hinter mir gelassen. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass es schwer wird die Platzierung zu halten, aber endlich bin ich nicht mehr in dem Stau der hinteren Platzierungen gefangen. Aufgrunddessen habe ich schnell meinen Rhythmus gefunden und kann durchgehend mein Tempo fahren. Klar, im Steinfeld fährt mal eine Fahrerin vor mir, die es nicht ganz so laufen lässt, wie ich es mir vielleicht zutrauen würde. Dennoch bleibe ich locker und riskiere keine unnötigen Stürze aufgrund von waghalsigen Überholmanövern. Diese Gelassenheit im Rennen ist etwas ganz neues für mich, ich merke aber wie sie mir hilft, mich bergab zu entspannen.
FLOW. Mit diesem Wort konnte ich ehrlich gesagt bisher nicht so viel anfangen. Der Verlust des Gefühls von Raum und Zeit ist etwas Einzigartiges. In den Wäldern von Nove Mesto darf ich dieses Gefühl das erste Mal in einem Rennen erleben. Die Strecke und das Rennen insgesamt bereiten mir extrem viel Spaß, ich freue mich fast schon unmenschlich auf die technischen Passagen und finde selbst die Uphills nicht schlimm. Keine einzige Sekunde denke ich an meine Leistungswerte oder die Renndauer, ich fahre einfach nur und genieße es.
Dann kommen noch die unglaublich (positiv) verrückten Zuschauer hinzu. Im gesamten Rennen in Nove Mesto kann ich weder meinen eigenen Atem noch meine Hinterradnabe oder Gangschaltung hören. Ich kann noch so laut nach Luft ächzen, es geht vollkommen in der jubelnden Masse unter. Wenn nicht gehört werden kann, wie laut man fiept oder nach Luft ringt, dann kann es ja noch gar nicht so schlimm sein. Oder? :D
Mein Plan der Startrunde geht also auf und ich verliere nur wenige Zweikämpfe. Um Platz 50-55 platziert bleiben noch zwei Runden zu fahren. Und ich gebe alles! Alles, damit ich meinen ersten World Cup bis zum Ende durchfahren darf und nicht im 80%-Regel-Zelt lande. Der Plan geht auf und als einer der letzten Fahrerinnen werde ich per Kuhglocke in die letzte Runde geschickt. Es fühlt sich unglaublich an und ich nehme mir fest vor, die letzte Runde besonders zu genießen. Die Zweikämpfe gehe ich natürlich genauso beherzt an wie die Runden zuvor, sodass ich im vorletzten Uphill sogar noch zwei Konkurrentinnen überholen kann. Die Masse trägt mich und ich fahre mit einem riesigen Grinsen im Gesicht in Richtung Stadion. Die Stimmung hat hier ihren Höhepunkt erreicht. Zuschauer schreien, Kinder am Streckenrand strecken mir ihre Hände entgegen und wollen einschlagen.
Die Zielgerade scheint endlos und ich genieße einfach nur diesen bezaubernden Moment. Endlich weiß ich, wie es sich anfühlt über die Zielgerade zu fahren und mit den Fans einzuschlagen. Ich bin überglücklich mit meinem 52ten Platz und den gesammelten World Cup-Punkten. Jetzt bin ich wieder einen Schritt näher an meinen Träumen. Trust the process.
Danke NMNM! Wir sehen uns im nächsten Jahr! :)
Seid ihr schon in Tschechien biken gewesen?
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