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Stefan Herrmann im Interview – Teil 2
„Das war der erste Hinterbau, der funktionierte – nur die Geometrie war nichts”

Seit 30 Jahren ist Stefan Herrmann auf dem Mountainbike erfolgreich – und hat in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Sportgeräte von den wilden Anfängen bis hin zu den hochgezüchteten Rennmaschinen der Gegenwart aktiv miterlebt. Im zweiten Teil unseres Interviews mit Stefan haben wir einen intensiven Blick auf seine Bike-Sammlung früherer und aktueller Renngeräte geworfen. Die folgenden fünf Bikes sind für Stefan zentrale Punkte der Entwicklung. Viel Spaß mit Teil 2 des Interviews mit Stefan Herrmann.

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=> Zum ersten Teil des Interviews mit Stefan Herrmann geht es hier.

# Beeindruckende Bike-Sammlung - obwohl Stefan nicht mehr alle seine alten Räder besitzt, hat sich ordentlich was angesammelt!
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Interview: Stefan Herrmann – das Material

MTB-News.de: Stefan, wie siehst Du die Entwicklung der Mountainbikes in deinen 30 Jahren als aktiver Fahrer?

Stefan Herrmann: Das ist wirklich beeindruckend! Die Reifen waren am Anfang zum Beispiel vollkommen unterdimensioniert – wir hatten auch am Downhiller nur normale XC-Pellen mit Seitenwänden wie das sprichwörtliche Zeitungspapier. Damals haben wir zwei Schläuche im Reifen gehabt, insbesondere für die Qualifikation. Wenn man den ersten Durchschlag hatte, konnte man sich mit dem zweiten Schlauch noch qualifizieren. Das zeigt auch gut, wie groß damals die Leistungsspanne noch war. Es ging wesentlich weniger eng zu!

# Technisch hat sich in den letzten 30 Jahren unglaublich viel getan - leider sind die Charaktere der Bikes in diesem Zuge deutlich zu einem Mainstream konvergiert. Früher gab es noch die wirklich wilden Ausnahmen!

Ebenfalls falsch dimensioniert waren die Lenker. Weil es um Aerodynamik ging, wurden die einfach abgesägt. Das war so um 1990 rum. Erst 1994 kam Beni (Jürgen Beneke, Anm. d. Red.) mal zu mir und meinte, ich sollte mal einen breiteren Lenker probieren. Irgendwann waren auch mal Lenker mit negativem Rise in Mode – ein Glück, dass die Zeiten vorbei sind!

Die größte Steigerung haben aber Geometrien, Reifen und Fahrwerk gemacht. Die ersten Fahrwerke … die haben den Namen meistens nicht verdient gehabt. Die Gabeln federten mit einem Elastomer und nicht mit einer Luft- oder Stahlfeder. Ich erinnere mich gut an Peter aus Augsburg! Dessen Gabel ist am Start einmal eingefedert und im Ziel wieder aus. Das war in Cap d’Ail und die Strecke war entsprechend hart für solche Schrottgabeln. Am Hinterbau war es anfangs keinen Deut besser. Manche Rahmen waren so weich, dass sie seitlich mehr „federten“ als senkrecht. Da ist dein Hinterrad teilweise neben Dir gefahren! Andere sind durch den Federweg gerauscht, als ob er gar nicht da wäre. Das Verlicchi von 1994 hatte gar kein Hauptlager. Da lief Alu auf Alu und was am ersten Tag schwergängig war, hatte am zweiten Tag schon so viel Spiel, dass ich ein Lager aus Cola Dosen einlegte. Die Haltbarkeit war echt insgesamt eine Katastrophe. Gefühlt musste man nach jeder zweiten Abfahrt für zwei Stunden schrauben, damit das Bike wieder lief.

Wovon wir auch gar nicht erst sprechen müssen, sind Geometrien. Entweder war der Hobel kurz und steil oder lang und steil. Richtig war er nie. Die heutigen Räder spielen da in einer anderen Liga und sind wahnsinnig gut ausgereift. Gleiches gilt übrigens für unsere Schutzausrüstung, da haben wir zum Glück ebenfalls sehr große Schritte nach vorne gemacht. Insgesamt ist so der Sport schneller, aber auch sicherer geworden!

Welche Bikes möchtest Du vor diesem Hintergrund besonders hervorheben?

Das sind fünf Räder… von 1994 bis 2018. Die geben einen sehr guten Eindruck von dem, was sonst nur viele Worte schaffen! Viel Spaß damit.


# Das Verlicchi von 1994: Mit diesem Bike fuhr man zweimal und schraubte dann für zwei Stunden

Verlicchi

Baujahr: 1994
Gewicht: 14,3 kg
Federweg: 60 / 40 mm

Größte Stärke des Bikes: Ausgewogene, sehr handliche Geometrie

Größte Schwäche des Bikes: Fahrwerk. Vorne ging nicht viel und hinten gar nichts. Das Hinterrad hatte seitlich mehr Bewegung als vertikal. Pedalrückschlag wie Schmidts Katze wegen des wahnsinnig hohen Drehpunktes. Und das Lagerspiel vom Hauptlager … vom anderen Stern! Das war ohne Kugeln- oder Nadellager. Einmal habe ich als Gleitelement das Blech von einer Cola Dose eingelegt. Mit diesem Bike fuhr man zweimal und schraubte dann zwei Stunden.

Mein größter Erfolg auf diesem Bike:

# Diese Bananenschwinge wird in die Geschichte eingehen - ich bin froh, dass wir heute vernünftige Fahrwerke haben
# Den Pedalrückschlag dieser Konstruktion könnt ihr euch vorstellen - es war zum verrückt werden
# Ein Dämpfer, ja … gefühlt hatte der Hinterbau quer zur Fahrtrichtung mehr Federweg als senkrecht!
# Saubere Leitungsführung nahe am Drehpunkt - doch der Drehpunkt selbst war hier das größte Problem: es gab keine Lager
# Shimano XTR Schaltwerk: eines der wenigen zuverlässigen Teile an diesem Bike
# Minimalistische Ausfallenden, legendärer Schnellspanner - wer erkennt ihn?
# Ernstzunehmender Leichtbau
# 60 mm Federweg und die gute alte Magura HS33
# Life Hack: Schlauchklemme vom Auto, Inbus-Schlüssel. Zack fertig: Kettenführung
# Langer Vorbau, dünner Lenker mit Adapterschalen auf 28,6 mm - oversized war hier noch gar nichts
# Ja, das sah alles noch etwas gröber aus als heute
# Das Rad sieht heute wirklich winzig aus - und schon damals war es eine Herausforderung in sich

# 1995 fuhr ich auf diesem gelabelten Sunn Chippie - die Geometrie war sehr ausgeglichen und für damals wirklich brauchbar

Sunn Chippie (Frankreich, vom damaligen Sponsor gekauft und gelabelt)

Baujahr: 1995
Gewicht: 14,6 kg
Federweg: 80 / 80 mm

Größte Stärke des Bikes: Die Geometrie war sehr ausgeglichen und für damals brauchbar. Es hat auch ganz gut gehalten, also schon ein guter Schritt im Vergleich zum Verlicchi. Mit diesem Bike bin ich bei der WM in Kirchzarten auf Platz 19 gefahren. Das war irre aufregend, wir Fahrer sind vom Start bis ins Ziel auf einer Lärmwelle ins Tal gesurft, das werde ich nie vergessen. Ich hatte dann auch noch eine getunte RockShox-Gabel, die hatte 10 cm Federweg statt 8 cm.

Größte Schwäche des Bikes: Wenig Federweg.

Mein größter Erfolg auf diesem Bike:

# Jahre später hat Sunn diesen Hinterbau wieder aufgegriffen - die Ästhetik ist bis heute fast unerreicht
# Die Konstruktion des Rahmens ist durchaus clever - bis auf den mangelnden Federweg war dieses Bike schon wirklich gut zu fahren
# Auch hier war der Pedalrückschlag nicht zu verachten, aber nicht ganz so schlimm wie beim Verlicchi aus dem Vorjahr
# Magura Bremsen auch hier …
# ... diese großartige Partnerschaft hat mein gesamtes Bike-Leben begleitet
# Carbon-Brake-Booster für maximale Steifigkeit
# Ursprünglich hatte die RockShox Judy 80 mm Federweg, bei der WM in Kirchzarten fuhr ich jedoch eine getunte Version mit 100 mm Federweg
# Wegen meinem damaligen Sponsor steht Rocky Mountain drauf, ein Sunn steckt drin - das war in den frühen Jahren durchaus üblich. Da hatten wir auch noch Hauptsponsoren, die gar keine Bike-Hersteller waren.
# Optisch ist das Rad bis heute in seiner Schlichtheit kaum geschlagen

# Mein Bike für 1996, ein Dola Vario - ebenfalls vom Hauptsponsor gekauft und gelabelt

Dola Vario (Grenoble, Frankreich; vom damaligen Sponsor gekauft und gelabelt)

Baujahr: 1996
Gewicht: 17 kg
Federweg: 120 / 100 mm

Größte Stärke des Bikes: Der Hinterbau hatte zwar wenig Federweg, aber dieser war schon richtig gut – mit sensiblen Ansprechverhalten und ausreichender Endprogression.

Größte Schwäche des Bikes: Es war zu lang! Auf den deutschen Fichtenwaldstrecken habe ich manchmal einen Rückwärtsgang vermisst. Die Federgabel hat richtig viel Arbeit bereitet und war nicht sehr stabil. Es hatte auch eine verstellbare Sitzposition, damals ein Hype, braucht aber kein Mensch. Und man konnte keinen Umwerfer montieren – als ich das ausgepackt habe, hab ich echt gedacht, die hätten sich verkonstruiert!

Mein größter Erfolg auf diesem Bike:

# Bis heute ist die Formensprache am Dola Vario sagen wir... gewöhnungsbedürftig
# Ein verstellbarer Sitzdom war einer dieser Hypes, die alle hatten und niemand brauchte
# Wann kommt das Vorderrad? Das Bike war einfach zu lang - auf den deutschen Fichtenwaldstrecken habe ich manchmal einen Rückwärtsgang vermisst!
# Die 120 mm Gabel machte richtig viel Arbeit und war nicht gerade stabil
# Komplexe Umlenkung am Hinterbau war ein Schritt in die richtige Richtung - das Ansprechverhalten war relativ sensibel und die Endprogression ausreichend
# Eine der großen technischen Neuigkeiten war die Sachs-Scheibenbremse
# Erster Auftritt der Scheibenbremse - Bremsleistung und Zuverlässigkeit waren in keiner Weise mit den heutigen Bremsen vergleichbar

# Das Steppenwolf Thor war eines der ersten Bikes, mit denen man auch mal getrost im Flachen landen konnte

Steppenwolf Thor

Baujahr: 2000
Gewicht: 19,4 kg
Federweg: 200 / 220 mm

Größte Stärke des Bikes: Das Fahrwerk: Sensibles Ansprechverhalten, super Endprogression. Das Bike war damals seiner Zeit voraus. Die Pro-Ausführung hatte hinten sogar eine Steckachse. Mit diesem Bike war man schon sehr gut mit effektiven Federweg versorgt, da konnte man auch mal im Flachen landen.

Größte Schwäche des Bikes: Die obere hintere Schwinge war die Schwachstelle. Kraftflussgerechte Gestaltung sieht anders aus …

Mein größter Erfolg auf diesem Bike: 7. Deutsche Meisterschaft Tabarz

# Den Steppenwolf Rahmen kennzeichneten ein feines Ansprechverhalten und eine super Endprogression - damit konnte man es wirklich laufen lassen
# Das Fahrwerk war damals ein echtes Unterscheidungsmerkmal - schön zu sehen, dass auch heute die Boxxer wieder rot ist!
# Ein echtes Gerät, dieser Hinterbau
# Ein echter Schwachpunkt waren die Druckstreben am Hinterbau - die wirkenden Kräfte ließen sie teilweise recht einfach wegknicken
# Die Konstanten an meinen Cockpits sind sicherlich die Magura-Hebel in neon-gelb - hier wurde alles schon breiter und höher
# Magura Gustav M Scheibenbremse und eine Steckachse in der Pro-Version
# Die Gustav M hat einen legendären Ruf - den hat sie sich verdient
# Mit Syntace-Cockpits hat die Fahrradindustrie einen richtig großen Schritt gemacht - endlich konnte man den Dingern vertrauen
# Abgesehen von der Geometrie ist es den heutigen DH-Bikes nicht unähnlich gewesen
# Mein aktuelles Downhill-Bike: ein Canyon Sender

Canyon Sender

Baujahr: 2018
Gewicht: 15,8 kg
Federweg vorne / hinten: 200 / 200 mm

Größte Stärke des Bikes: Die Geometrie ist absolut stimmig. Auch dass ich Radstand / Lenkwinkel verstellen kann, ist absolut sinnvoll! Die Kinematik ist vom Herrn.

Größte Schwäche des Bikes: Nicht das Bike ist schwach, wenn dann ich. Ich habe das Bike auch schon mal nach der zweiten Abfahrt wieder in den Bus gestellt. Man muss echt bereit sein.

Mein größter Erfolg auf diesem Bike: Sicherheit und Spaß, wenn der Prozessor hochgefahren ist und schnell schlaue Entscheidungen trifft.

# Mein Canyon Sender ist so schnell, das ist eine echte Herausforderung - an manchen Tagen bin ich ihm einfach nicht gewachsen
# Kohlefaser: Organische Formen und funktionale Integration sind heute unheimlich weit fortgeschritten
# Massive Standrohre, noch viel dickeres Steuerrohr - unvorstellbar, was heutige Rahmen und Gabeln aushalten
# Die Kinematiken sind heute sehr weit entwickelt - entsprechend leistungsfähig sind die Fahrwerke
# Die heutigen Bremsen sind - unabhängig vom Hersteller - beeindruckend standfest und stark
# Lenker und Vorbauten sind heute nicht nur steifer, sondern vor allem haltbarer
# Ein Griff zum Bremshebel führt heute noch nach 300 Höhenmetern Downhill-Abfahrt zu zuverlässiger Verzögerung

Rückblick: Teil 1

Wer ist der Kerl, der auf diesen teils historischen Bikes Rennen gewonnen hat und heute einer der ältesten Mountainbike-Racer Deutschlands ist? Der in Fahrtechnikkursen Anfängern, Fortgeschrittenen und Profis teils sprichwörtlich auf die Sprünge hilft? Im ersten Teil unseres Interviews mit Stefan Herrmann sprechen wir im Detail über seinen Werdegang und blicken auf die Höhe- und Tiefpunkte seines Mountainbike-Lebens.

Welches der fünf Bikes gefällt Dir am Besten?

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