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Specialized Enduro Evo 2013 – Fahrbericht aus Whistler

Einige von euch werden sich mit Sicherheit noch an die Live-Berichterstattung meines Kollegen Stefanus vom Specialized Product Launch in Utah erinnern. Das größte Interesse wurde damals dem komplett überarbeiteten Enduro zu teil, welchem für kommendes Jahr ein potenteres Fahrwerk und eine moderne Geometrie verabreicht wurde. Im Rahmen dieser Präsentation verkündete Specialized auch, das beliebte SX-Trail Modell durch ein komplett neues Enduro Evo abzulösen. Genau dieses Enduro Evo stellte Specialized der Presse im Rahmen des Crankworx-Festivals in Whistler vor. Wir hatten die Möglichkeit das brandneue Topmodell der 2013er Enduro Evo-Reihe zwei Tage lang über die Trails in Whistler zu jagen, unsere Eindrücke erfahrt ihr im folgenden Fahrbericht.

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Specialized Enduro Evo 2013

Dass Specialized seine Erfolgsmodelle zugunsten der Trail- und Abfahrtsperformance ein bisschen aufbläst und ihnen den aus dem Rallye-Sport bekannten Namenszusatz „Evo“ verpasst, ist längst nichts mehr Neues. Bisher handelte es sich meist um ein und dieselben Rahmen, welche mit potenteren Fahrwerken und solideren Komponenten komplettiert wurden. Beim jüngst vorgestellten Enduro Evo schlägt Specialized jedoch einen neuen Weg ein. Das Bike wurde von Grund auf neu entwickelt und soll eine völlig neue Plattform im Specialized-Sortiment bieten. Erhältlich ist das Enduro Evo in zwei Versionen, deren Preise bei 2.499 und 4.499 Euro liegen. Wir nahmen uns das teurere „Expert“-Modell zur Brust und knechteten es auf Teufel komm raus über die härtesten Trails im Bikepark Whistler.


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Im Stand

Das neue Enduro Evo punktet in unseren Augen durch sein Understatement. Der Rahmen wirkt sehr aufgeräumt und protzt nicht mit übermäßig voluminösen Rohren oder Augenkrebs hervorrufenden Designs. In einem schlichten Mattschwarz präsentiert sich der Alu-Rahmen, welcher auf dem Specialized-typischen Horst-Link-Federungssystem aufbaut. Durch eine neue Anlenkung kitzelt Specialized dem Enduro Evo satte 180 mm Federweg aus dem Heck. Diese werden durch einen edlen Cane Creek Double Barrel Coil in Schach gehalten. Anders als bei den normalen Enduros setzt Specialized bei den Evo-Modellen auf Stahlfeder-Federelemente, was der Bergab-Performance erheblich zugutekommen soll. An der Front findet sich eine Kashima-beschichtete FOX 36 Van, die ebenfalls 180 mm Federweg vorzuweisen hat. Um das spaßorientierte Paket abzurunden, wird das Bike mit Specialized Vario-Stütze, X.O Trail World Cup-Bremsen und einer 2×10 X.O-Schaltkombination komplettiert. Gesteuert wird das Bike über einen 750 mm breiten Specialized Lenker der an einem 40 mm kurzem Vorbau befestigt ist [am Testbike befand sich ein 60-mm-Vorbau].

Als es darum geht, den Federelementen das richtige Set Up zu verpassen, wird es jedoch etwas kompliziert. Der Cane Creek Double Barrel Dämpfer bietet nämlich keine Möglichkeiten zur werkzeuglosen Justage. Zwar liefert Cane Creek das passende Tool zum Dämpfer mit, dieses ging der Specialized Crew jedoch in der Hektik verloren. Das zwingt uns dazu, mit einer Zange an den Einstellschrauben des CCDB herum zu operieren. Die zahlreichen Einstellmöglichkeiten verlangen danach, sich mit den Funktionen des Dämpfers intensiv auseinanderzusetzen. Da ich den Dämpfer bereits kenne und mit seinen Funktionen vertraut bin, geht das Set Up verhältnismäßig schnell vonstatten. Hinzu kommt der äußerst hilfreiche Set Up Guide, den Cane Creek mit den OE-Abnehmer der Double Barrel Dämpfer ausgearbeitet hat. Dieser wird nicht nur mit dem Bike ausgeliefert, sondern findet sich auch auf der Cane Creek-Website. Auch des Set Up der Fox 36 klappt dank einiger Übung ruck zuck, doch auch hier sollte man sich genau informieren, was die jeweiligen Funktionen letzten Endes bewirken, möchte man die beste Funktion der Gabel erzielen.


Enduro Evo 2013 in natürlichem Lebensraum

Auf dem Trail

Auf dem Trail stellt sich schnell der erhoffte Wohlfühlfaktor ein. Die Geometrie passt und die Anbauteile funktionieren tadellos, das weckt Vertrauen. Nur mit der Größe hadere ich. Der „Medium“-Rahmen hat zwar einen verhältnismäßig langen „Reach“-Wert von 430 mm, ist für meinen Geschmack jedoch ein wenig zu kurz. Der „Large“-Rahmen, mit einem Reach von 460, hingegen wäre mir zu groß. Meine Meinung nach hätten beide Größen ein wenig kleiner ausfallen können, um durch einen XL-Rahmen ergänzt zu werden. Durch den 60 mm langen Vorbau passt mir das Bike, dem Fahrverhalten zuliebe hätte ich die zusätzlichen 2 cm jedoch lieber am Rahmen gesehen, um diesen dann mit einem 40 mm kurzen Vorbau fahren zu können.

Das Evo geht gut vorwärts, und das, obwohl mir die verbaute 400er Feder ein wenig zu weich ist. Dank einem steilen Sitzwinkel klettert das Bike auch bei unabgesenkter Gabel und kurzem Hinterbau wunderbar bergauf und neigt keineswegs zum Steigen. Erstaunt bin ich über den effizienten und vortriebsstarken Hinterbau, und das trotz Stahlfederdämpfer ohne Plattformsystem. Zwar lässt sich mit dem Enduro Evo weder ein Marathon gewinnen noch die Bestzeit im Uphill knacken, um aber beispielsweise bei einem Enduro-Rennen in der Karenzzeit entspannt zur nächsten Etappe zu kommen, ist das Bike allemal in der Lage. Auch dürften sich längere Touren in den Alpen problemlos bewältigen lassen, vorausgesetzt man mag es gern etwas gemütlicher.


Singletrailheizmaschine

In der Luft

Möchte man die Sprungqualitäten eines Mountainbikes testen, ist man wohl nirgendwo besser aufgehoben als in Whistler. Mit dem Enduro Evo stürze ich mich die A-Line, den Freight Train und natürlich den No Joke hinab. Das verspielte Evo lässt sich angenehm leicht abziehen und liegt sicher und stabil in der Luft. Wie von allen Specialized-Bikes gewöhnt, ist es auch mit dem Evo ein Leichtes, das Bike spielerisch durch die Luft zu wirbeln. Diesen verspielten Flugeinlagen kommt auch das tiefgezogene Oberrohr zugute, welches massig Beinfreiheit bietet. Dank des großzügigen Federwegs und der potenten Federelemente verlieren auch die heftigsten Landungen ihren Schrecken. Auch der Rahmen als solches macht einen sehr soliden Eindruck, was das Bike auch zu größeren Taten bemächtigt.

Als sich der Tag dem Ende neigt, will ich es noch einmal wissen. Ein Bike, das vonseiten des Herstellers als perfekte Mischung zwischen Enduro und Freeride-Bike beworben wird und das vor keiner Herausforderung zurückschrecken muss, sollte auch mit den größten Sprüngen fertig werden. Spontan schlage ich den Weg in Richtung Crabapple Hits ein, die berühmt berüchtigten 20-Meter-Sprünge der Whip Off Worlds. Ein letztes Mal Luft holen und ab geht die Post. Im Wissen, das der zweite Step Down am Einstieg der Line leicht das Hinterrad kickt, und mein Dämpfer ohnehin schon etwas zu weich ist, reiße ich aktiv am Lenker um das Vorderrad oben zu halten. Es hilft nichts, der Dämpfer rauscht an der Kompression des mächtigen Absprungs durch den Federweg und gibt mir einen Kick aufs Hinterrad. Der Schlag hält sich glücklicherweise im Rahmen und ich kann den Sprung sauber und sicher landen, ohne für die bevorstehenden drei Riesensprünge Schwung zu verlieren. Kurz dem Absprung des ersten richtig großen Step Downs kommt mir die Befürchtung, dass sich das Szenario von zuvor in einem größeren Ausmaß wiederholen könnte, dennoch halte ich an meiner Linie fest. Ich schieße über den drei Meter hohen Absprung, woraufhin sich der Boden Meter für Meter von mir entfernt. In der Luft liegt das Enduro Evo wie ein Brett und vermittelt mir die Sicherheit, die ich bei dieser Sprunggröße brauche. Auch die Landung passt wunderbar, woraufhin ich auch die letzten beiden Monster locker stehe. In Sachen Air Time habe ich nach dieser Aktion um das Enduro Evo keine Bedenken mehr.


Flugstunde am No Joke mit Ausblick über Whistler 

Beim Ballern

Kommen wir zu meiner allerliebsten Wertung, dem genussvollen Shredden in Richtung der Gravitationskräfte. Schnell entpuppt sich das Enduro Evo als echtes Freeride-Bike, ja man könnte fast soweit gehen, es als Mini-DH zu bezeichnen. Dank der abfahrtsorientierten Geometrie, allem voran dem flachen Lenkwinkel, lässt sich das Bike nach Herzenslust die DH-Piste in Whistler hinab prügeln. Einen großen Beitrag zur tollen Bergab-Performance ist natürlich auch den Stahlfeder-Federelementen zuzuschreiben. Nicht nur, dass es sich beim Double Barrel ohnehin um einen aus dem DH-Rennsport stammenden Dämpfer handelt, auch die 36 ist mit der Technik ihrer großen Schwester 40 ausgestattet – das spürt man, denn das Evo liegt wie ein Brett auf der Piste.

Dank des Specialized-typischen kurzen Hinterbaus kann ich das Bike auch trotz langem Radstand und flachem Lenkwinkel verspielt über das Hinterrad durch verblocktes Gelände manövrieren. Auch noch so steile Passagen verlieren auf dem Evo ihren Schrecken. Das Fahrgefühl erinnert mich stark an das eines Demo – drin- statt draufsitzen. Anders als beim Demo, dessen steifer Hinterbau oft dazu führt, dass einem das Heck durch seitliche Schläge versetzt wird, weist das Heck des Enduro Evo etwas mehr Flex auf, was dem Fahrkomfort sowie der Laufruhe zugutekommt.

Wie von anderen Specialized Bikes gewöhnt, steht man sehr zentral über dem Bike. Überraschend ist jedoch, dass das Evo nicht zum Untersteuern neigt, wie man es vom Stumpy und dem normalen Enduro kennt. Ein weiterer Pluspunkt, den vor allem abfahrtsorientierte Fahrer zu schätzen wissen dürften. Auch in Sachen Ausstattung fehlt es sich an nichts. Die Vierkolben-XO Trail werden auch mit den längsten Abfahrten problemlos fertig und die 2-fach-Schaltung mit XO Type 2-Schaltwerk hat keinerlei Probleme mit einem Abspringen der Kette. Lediglich die Butcher SX Reifen sind für den Einsatz im Bikepark unterdimensioniert, was mehr als nur einmal dazu führt, dass ich den Schlauch wechseln muss.


Slickrockdrop

Fazit:

Nachdem ich kurz vor der Enduro Evo-Präsentation die Möglichkeit hatte, das normale 2013er Enduro zu testen, stand ich dem neuen Evo-Modell mit kleinen Vorbehalten gegenüber. Das normale Enduro sagte mir persönlich nämlich nicht so sehr zu, da es mir zum einen bei hohen Geschwindigkeiten zu nervös wurde und sich das Fahrwerk nicht so satt anfühlte, wie ich es mir gewünscht hätte. Auf dem Enduro Evo musste ich jedoch schnell feststellen, dass die beiden Bikes bis auf den Namen nichts mehr miteinander gemein haben. Das Evo begeisterte mich mit einer erstklassigen Geometrie, die meinen abfahrtsorientierten Vorlieben voll und ganz entgegen kam. Hinzu kam das potente Fahrwerk, das sich mehr nach Mini-DH-Bike anfühlte als nach einem Enduro. Die sprichwörtliche Krone wurde dem Ganzen aufgesetzt, als ich feststellte, dass sich dieser Alleskönner auch noch angenehm den Berg hinauf kurbeln lässt, und das ganz ohne Absenken der Federgabel. Das Euduro Evo ist ein Bike nach meinem Geschmack: entspannt bergauf und aggressiv bergab. Würde Specialized den „Large“-Rahmen jetzt noch aufteilen und in ein etwas kürzeres „L“ und ein etwas längeres „XL“ umwandeln, wäre das neue Specialized Enduro nahezu perfekt.

Pro:

Contra: 


Umdrehen. Nochmal. Aber gern.

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Technische Daten & Geometrie

  • Lenkwinkel: 65°
  • Sitzwinkel: 75°
  • Innenlagerhöhe: 350 mm
  • Rech: 430 mm [bei Größe „M“]
  • Hinterbaulänge: 419 mm


Der Rahmen ist nur in Aluminium verfügbar

Highlights & Eckdaten

  • Preis: 4.499 Euro [Enduro Evo Expert]


Bewährte Umlenkung via Horstlink

Aufbau des Test-Bikes


Über eine Zweifachführung bleibt alles wo es hingehört

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Testfahrerprofil

Testfahrer 1 – Maxi Dickerhoff:


Dämpferaufnahme geschickt versteckt im Rahmen

Zum Abschluss noch die besten Bilder vom Enduro Evo Test in Whistler


# Cockpit mit hauseigenem Specialized-Lenker


# Sprungcheck


# Draufsetzen und wohlfühlen. Maxi nimmt gleich alle Sprünge mit


# Prädikat – Sehr gut!


# Freight Train


# Anlieger ballern


# Staubkompression


# Durchschlagschutz boten die Reifen leider nicht genügend


# Maxi beim Flicken


# Staub, riesige Steine, Drops – perfektes Terrain fürs EVO


# Staubexplosion

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Text: Maxi Dickerhoff / Bilder: Jens Staudt

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