Schon länger fragte man sich: Wann zieht der Schaltungsriese nach? Seit zwei Jahren ist der amerikanische Mitbewerber SRAM mit der 12fach-Schaltung Eagle auf dem Markt, vor wenigen Wochen dann stellten die Japaner mit der neuen Shimano XTR M9100 ihre eigene Interpretation der perfekten 12fach-Schaltung vor. Und wo XTR draufsteht, kann man seit Jahrzehnten technische Perfektion erwarten – auch beim neuen Modell? Wir konnten die Schaltung an drei langen Biketagen im slowenischen Kransjka Gora fahren – hier ist unser Test. Ein separater Test über die neue XTR Vierkolben-Bremse findet sich hier.
Shimano XTR M9100 – kurz & knapp
- Serie: XTR M9100
- Einsatzbereich: Cross Country, Marathon, Enduro
- Kurbel:
- 1fach oder 2fach
- 165 mm, 170 mm oder 175 mm
- 30, 32, 34, 36, 38 Zähne
- Boost-Variante mit 168 mm Q-Factor, Non Boost 162 mm
- Kassette: 10-45 oder 10-51, Segmente aus Titan, Stahl und Aluminium
- Schaltwerk: kurzer Käfig (GS) oder langer Käfig (SGS)
- Schaltgriff: Klemmschelle oder I-Spec EV
- Freilauf Micro-Spline mit Zahnscheiben
- Quick Link-Kettenschloss statt Kettenstift
- Lieferbarkeit ab Oktober (Komplettbikes)
- Gewicht XC-Gruppe 150 g leichter als Vorgänger, Enduro 90 g leichter
- Verfügbarkeit Herbst 2018
- Preis 1999 € (komplette XTR M9100 Gruppe inkl. Bremsen)
- https://bike.shimano.com
Gewichte
Neue Shimano XTR M9100 | Alte Shimano XTR M9000 | SRAM XX1 Eagle | SRAM GX Eagle | |
---|---|---|---|---|
1x Kurbel | 511 g | 598 g | 465 g | 610 - 662 g |
2x Kurbel Marathon | 592 g | 649 g | - | - |
Schaltwerk | 237 g | 221 g | 264 g | 290 g |
Kassette | 359 g (10-51 Zähne) | 330 g (11-40 Zähne) | 355 g | 450 g |
Kassette 10-45 | 349 g | – | - | - |
Kette | 242 g | 247 g | 250 g | 270 g |
Schalthebel | 121 g | 102 g | 122 g | 122 g |
Naben | 369 g | 432 g | - | - |
Umwerfer | 88 g | 102 g | - | - |
Im Detail
Bereits in der XTR-Pressemitteilung hatten wir die Eckdaten der Schaltung vorgestellt – einige genauere Informationen möchten wir in diesem Test zusammenfassen. Auffälligstes Merkmal ist die brandneue XTR Kassette: Anders als die aus einem Stück Werkzeugstahl gefräste SRAM-Variante mit einem aus 50er-Ritzel aus Aluminium verfügt die Shimano-Kassette nicht nur über zusätzlichen Zahn beim größten Ritzel, sondern besteht auch aus drei verschiedenen Materialien: Die drei größten Ritzel sind aus Aluminium gefertigt, gefolgt von fünf mittleren Ritzeln aus Titan. Während die genannten aus einem via Alu-Spider verbundenen Block bestehen, werden die restlichen drei Ritzel aus Stahl zum Schluss auf den Freilaufkörper aufgesetzt. Besonderheit hier: Das letzte 10er-Ritzel liegt nur auf dem vorletzten Ritzel auf und nicht auf dem Freilaufkörper.
Shimano unterteilt die neue XTR-Schaltung in mehrere Varianten, die sich durch geringe Anpassungen voneinander unterscheiden: Die reguläre 12-fach-Schaltung soll ideal für Enduro und Marathon sein, bei denen es oft lange steil bergauf geht. Mit der 10-45er Kassette gibt es zusätzlich auch eine XC-Version, die ein 45er- statt dem 51er-Riesenritzel bietet und außerdem kleinere Gangsprünge aufweist.
Die neue XTR-Kurbel besteht auch weiterhin aus Aluminium: Auf Nachfrage erklärt man uns, dass man bei Shimano zwar nicht zuletzt durch die enorme Erfahrung im Anglerbedarf viel von Carbon-Verarbeitung versteht – man aber auch bei der Edelkurbel angesichts der Stabilitäts-, Verarbeitungs- und Fahreigenschaften weiterhin auf Aluminium vertrauen würde. Die neuen Kurbelarme werden übrigens nicht mehr hohlgeschmiedet, sondern bestehen wie die Rennradschwester Dura Ace aus zwei kaltgeschmiedeten Teilen, die zusammengeklebt werden.
Was die Befestigung der Kettenblätter angeht, vertraut Shimano ausschließlich auf eine Direct Mount-Aufnahme. Dies hat unter anderem den Vorteil, dass man für die 2×12-Marathon-Variante keine gänzlich andere Kurbel benötigt, sondern lediglich den 2x-Direct Mount-Spider am Kurbelarm montieren muss. Die 2×12- und die Enduro-Kurbel verfügen über einen breiteren Q-Faktor, der mit Spacern ausgleichbar ist. Montiert und demontiert werden alle XTR-Kurbeln nun mit einem 8 mm-Inbus-Schlüssel.
Unauffälligstes, aber gleichzeitig interessantestes Teil der neuen Shimano XTR ist die neue Nabe. Nicht nur wegen des neuen Freilaufkörpers, sondern primär wegen der „Scylence“ genannten Freilauf-Technologie (Aufbau hier im Video): Der neue Freilauf verfügt nicht über Sperrklinken, sondern greift via Zahnscheiben in einem minimalen Einrastwinkel von 7.6° ineinander. Diese allerdings summen im Freilauf nicht fröhlich auf dem Trail mit, sondern werden mithilfe von Federn wieder auseinandergedrückt, was eine völlig geräuschlose Nabe ergibt. Wie sich das auf dem Trail bemerkbar macht, lest ihr weiter unten.
Die neue Kassettenaufnahme war laut Shimano alternativlos – andernfalls hätte man die neue Kassette nicht wie geplant verbauen können. Wie bereits angekündigt, wird als bislang einziger externer Hersteller DT Swiss die neue Aufnahme anbieten, die Scylence-Technologie allerdings wird es abseits von Shimano allerdings nicht geben. Zukünftig soll übrigens nicht nur die Edelnabe mit der neuen Aufnahme versehen werden, auch günstigere Shimano-Varianten sollen von der 12fach-Aufnahme profitieren. Bonus bei DT Swiss: Auch für ältere DT Swiss-Naben kann die neue 12fach-Aufnahme nachgerüstet werden.
Die XTR Shifter haben sich konstruktionell nur wenig verändert, verfügen aber über ein kleines, sinnvolles Detail: In den Shimano XTR-Shiftern sind geriffelte Gummipads integriert, welche noch kontrollierteres Schalten ermöglichen sollen. Zu guter Letzt hat sich auch etwas am Schaltwerk getan: Das Plastik der Pulleys ist absichtlich etwas flexibler, um ein geschmeidigeres Schalten zu ermöglichen und Schaltgeräusche so leise wie möglich zu halten. Außerdem verfügt die neue Clutch über eine stärkere Federkraft – zusätzlich kann man diese einfach via Inbus nachstellen, sollte sie einmal zu gering sein. Für die 2fach-Marathon-Variante ist das Schaltwerk minimal anders gestaltet, das 1fach-Schaltwerk soll hier aber grundsätzlich ebenso gut funktionieren.
Auf dem Trail
Was zuerst auffällt, ist, dass nichts auffällt: Wenn man einen schön lauten, Passanten-auf-sich-aufmerksam-machenden Knatterfreilauf gewohnt ist, ist die Stille auf einmal sehr ungewohnt. Unauffällig rollt man mit der restlichen Gruppe dahin und hört ausschließlich das Auftreffen der Reifen auf den Boden. Man muss sich erst eine Weile daran gewöhnen; insbesondere für mich als Inhaber eines privaten Newmen-Laufradsatzes, der sicher mit zu den lautesten auf dem Markt gehört, ist der Nicht-Sound des Scylence-Freilaufs fast befremdlich. Nach kurzer Zeit allerdings beginnt die Sache Spaß zu machen: Dadurch, dass lediglich das Geräusch der Reifen zu hören ist, nimmt man wechselnde Untergründe tatsächlich anders wahr und konzentriert sich instinktiv auch mit dem Gehör auf die Reifen. Wer es einmal ausprobieren will, sollte sich an Aaron Gwin orientieren und vor einer Abfahrt einfach mal die Kette entfernen.
Kommen wir zur Schaltung: Hier lässt Shimano wie erwartet nichts anbrennen und präsentiert eine perfekte Schaltung auf gewohnt gutem XTR-Niveau. In Aktion ist die Schaltung nicht nur sehr leise und präzise, die Gänge lassen sich dank der neuen „Hyperglide“-Konstruktion auch im kurzem Uphill oder dem schnellen Antritt unter Last vollkommen problemfrei hoch- wie auch herunterschalten. Auch aggressive und absichtlich provozierte, richtig eklige Schaltvorgänge machen der XTR nichts aus, im Gegenteil: die Kette schiebt ebenso sanft und leise rüber wie bei entspannten Schaltvorgängen in der Ebene. Beeindruckend. Auch bei SRAMs 1x-Schaltungen kann man unter Last präzise schalten, allerdings klappt das aus Erfahrung nicht immer gar so geräuschfrei wie beim Konkurrenten aus Japan. Diese präzisen Schaltvorgänge führen dazu, dass ich auch drei Tagen keinen Schaltungsfehler geschweige denn eine verlorene Kette zu beklagen habe.
Bleiben wir kurz beim Vergleich mit den Amerikanern: Die XTR-Schaltvorgänge an sich sind ebenso präzise, aber weniger „crisp“ als bei SRAM. Statt wie beim Konkurrenten sehr straight direkt aufs nächste Ritzel zu schießen, wirkt der Schaltvorgang bei Shimano zwar auch schnell, aber insgesamt etwas sanfter und leiser. Dieser sanftere Schaltvorgang, der sich vom knackigen Schalten einer SRAM-Schaltung spürbar unterscheidet, ist laut Shimano Absicht und soll ebenso wie die geräuschlose Nabe zu einem leisen Fahrgefühl beitragen. Lediglich der letzte Schwung auf das große Kletter-Ritzel geschieht bei SRAM gefühlt etwas schneller; gefühlt benötigt der Shimano XTR-Shifter auch minimal mehr Druck. Die Ergonomie der Shifter gefällt, hier setzen die Japaner auf eine etwas weniger organische und mehr technische Haptik. Alles kommt optisch recht kantig daher, was allerdings natürlich auf den Fahrbetrieb keinerlei Einfluss hat.
Nachtrag, 05. Juli 2018:
Ich bin gestern im Vergleich nochmal die konkurrierende SRAM Eagle auf den Hometrails gefahren. Tatsächlich sind die Unterschiede deutlich spürbar, wenngleich teilweise schwierig in Worte zu fassen:
- Die SRAM Eagle benötigt definitiv weniger Handkraft
- Schaltvorgänge bei der Eagle sind spürbar schneller, dafür ist die Schaltung in der Gesamtheit aber auch hörbar lauter
- Schaltvorgänge bei der XTR sind definitiv weicher, leiser und fühlen sich „kontrollierter“ an – was insofern schwer zu erklären ist, da auch die Eagle absolut perfekt funktioniert und jeden Gang perfekt einrasten lässt.
- Die wesentlichen Unterschiede liegen also in der Lautstärke (automobiltechnisch übersetzt wäre vielleicht Lambo vs. Bentley treffend), in der Geschwindigkeit der Schaltvorgänge (SRAM > Shimano) und der Sanftheit der Übergänge (SRAM < Shimano).
Das ist uns aufgefallen
- Gummierte Shifter ein kleines, aber wirklich sinnvolles Detail sind die fest in den Triggern verbauten, profilierten Gummi-Einsätze. Das Gummi ist wirklich griffig und sorgt gegenüber einem reinen Metall- oder Carbontrigger für etwas mehr Kontrolle.
- Variostützen-Hebel Kaum angesprochen, verdient die ebenfalls vorgestellte SL-MT800-IL Lenkerfernbedienung für mechanisch angesteuerte Variostützen durchaus Beachtung: Der Hebel ist I-spec EV-kompatibel, soll laut Shimano mit den gängigen Variostützen funktionieren und macht mit dem gelagerten, leichtgängigen Hebeln einen passablen ersten Eindruck
- Lautlosigkeit Die interessanteste Überraschung der neuen Gruppe: Die Scylence-Nabe ist eindrucksvoll und bietet ein spannendes Fahrgefühl
Fazit – Shimano XTR M9100 Schaltung
Präzise Schaltvorgänge, technisch perfekt: Die neue Shimano XTR M9100 Gruppe überzeugt im ersten Test. Auch wenn die neue Schaltung etwas spät auf den Markt kommt, lohnt sich ein Blick auf die Finessen der neuen Technik: Die geräuschlose Scylence-Technologie bietet ein tolles Fahrgefühl, die Schaltperformance lässt keine Wünsche offen. Wie sich die Schaltung im Dauerbetrieb schlägt, werden wir sobald wie möglich testen.
Pro / Contra
Stärken
- Perfekte Schaltvorgänge
- Leise Gangwechsel
- Geräuschlose "Scylence"-Nabe
- Sehr hohe Bandbreite mit 510 %
Schwächen
- Scylence-Technologie nur bei Shimano-Naben verfügbar
- Mit DT Swiss aktuell nur ein exklusiver Partner für 12fach-Aufnahme
Testablauf
Die Schaltung wurde im Rahmen des dreitätigen Shimano Mediacamps in Kransjka Gora/Slowenien getestet. Hierbei musste sich die neue XTR auf flowigen, steinigen bis sehr steilen Trails zwischen 700 und 1000 Tiefenmetern beweisen. Die Kosten für das Mediacamp wurden von Shimano getragen.
Körpergröße | 193 cm |
Schrittlänge | 92 cm |
Oberkörperlänge | 61 cm |
Armlänge | 59 cm |
Gewicht | 103 kg |
- Fahrstil
- verspielt und sauber
- Ich fahre hauptsächlich
- Enduro, Trails, Pumptrack/Park/Street
- Vorlieben beim Fahrwerk
- Progressiv, nicht zu soft, schnelle Zugstufe
- Vorlieben bei der Geometrie
- Eher kürzerer Hinterbau, Lenkwinkel nicht extrem flach, die Front darf gern etwas höher
Was haltet ihr von der neuen Shimano XTR-Gruppe: Eine Eagle-Alternative für euch?