
Viel Schnee und noch mehr Teilnehmer
Die Schnitzeljagd im Jahr 2019 stand unter besonderen Vorzeichen: Ein langer, schneereicher Winter fiel genau auf das Jahr, in dem die Schnitzeljagd zwei Wochen früher stattfand als üblich. Als Ergebnis lag der Gaislachkogel hoch über Sölden unter einer dicken Schneeschicht, der übliche Start vom Gipfel wäre wohl nur auf Ski sinnvoll möglich gewesen. Zusätzlich bedeutete das zeitgleich stattfindende Bike-Opening und die von gut 400 auf gut 550 erhöhte Teilnehmerzahl starken Andrang auf die Trails. Zu guter Letzt verhinderte der Schnee das Befahren eines Trails, weshalb kurzfristig ein Wegpunkt und eine Hütte verlegt werden mussten. Fertig ist ein Setup, bei dem wir trotz des nach wie vor spaßigen Veranstaltungsformates ins Grübeln gekommen sind.

Die Singletrail-Schnitzeljagd
Jedenfalls starteten wir von der Mittelstation aus einer der vorderen Reihen und gaben Gas, sausten bald mit etwa der Hälfte des Starterfeldes in Richtung Hühnersteign. Jetzt gibt es hier seit Jahren einen schönen Singletrail (Bartigs Bödele), der traditionell auch benutzt wurde, weil man damit Höhe halten kann. Nicht in diesem Jahr jedoch, denn die erste Station lag etwas unterhalb. Also wurde ich beim Anbremsen und Abbiegen auf den Trail fast umgefahren und war doch etwas perplex, das der Großteil der Mountainbiker*innen lieber auf einer Asphaltstraße Zeit gut machte, als einen schönen Singletrail zu fahren. Entsprechend verspätet passierten wir die Continental-Station (Aufgabe: Gummibärchentüte mit Reifenhebern öffnen und die Gummibärchen mit den Reifenhebern als Stäbchen essen!) und stellten uns in eine etwa 15-minütige Liftschlange. Ab diesem Moment sinnierten wir darüber, was hier eigentlich los war: Hieß das Event nicht „Singletrail-Schnitzeljagd“?

Der Lift spuckt uns jedenfalls nach gemütlicher Fahrt und netter Unterhaltung am Start der Ollweite Line aus. Die Schneemengen auf 2.600 m waren dann tatsächlich so beeindruckend, dass wir einen langen Teil der von letztem Jahr bekannten, zähen Ollweite Line nicht fahren konnten oder mussten und uns stattdessen erst weiter unten durch Schmelzwasser-getränkte Matschwiesen wieder auf die eigentliche Strecke kurvten. Der Verkehr war ausgesprochen stark, sodass wir die Überholerei bald sein ließen. Eine kleine Traverse (die auch niemand fuhr) später fanden wir uns dann zur Missionsstation bei Endura am Start der nagelneuen Gahe-Line wieder. Ein eigener Artikel hierzu ist bereits erschienen, schon während des Rennens fühlten wir aber eine ausgeprägte Austauschbarkeit zu den anderen gebauten Strecken: Wellen, Steilkurven, geringes Gefälle … von Singletrails keine Spur.


Checkpunkte und Stationen
Zurück zu den Checkpoints und Stationen. Die Schnitzeljagd im Ötztal basiert auf der Idee, dass es freie Strecken- und Lift-Wahl gibt – so müssen vor dem Zieleinlauf lediglich vier Stationen auf Hütten und Almen gemeistert sowie fünf Wegpunkte mit Stempeln gefunden werden. An der Leiterbergalm hatte Sponsor Bitburger seine Station aufgebaut und ließ die Starter*innen die Kronkorken seines 0,0 %-igen Biers und Radlers über Bierbänke schnipsen. Die Getränke erfreuten sich großer Beliebtheit, was uns ehrlich gesagt im weiteren Trail-Verlauf etwas wunderte: Bier aufstoßen, während man einen von nur zwei verbliebenen echten Singletrails des Tages fährt? Immerhin waren die Wegpunkte in diesem Jahr so geschickt platziert, dass Unarten wie das gezielte Anlaufen (wie auch wir sie schon gemacht hatten) unsinnig waren.
Auf dem Trail war dann leider weiter viel Verkehr und wir überholten Kuriositäten wie ein Santa Cruz V10 mit Ego-Kit, welches im Sitzen den Trail hinunter gewuchtet wurde. Ein anderer Biker fing wie selbstverständlich an, sich in unser Gespräch einzumischen, nachdem wir gut fünf Minuten hinter ihm herschleichen mussten. Wieder ein anderer blockierte „seine Lücke“ vor der Einfahrt in den Trail und beschwerte sich anschließend über den zu geringen Abstand. Wir wollen uns gar nicht beklagen, doch für uns stand an dieser Stelle irgendwann fest: Durch Bike Opening und 550 Starter bei der Schnitzeljagd waren die Trails auch im Menschenmassen-erprobten Sölden schlicht überfüllt.



Schotterstraßen-Abfahrer
Genug aufgeregt? Nicht ganz. Denkwürdiger wurde es nämlich im etwa halbstündigen Anstieg zur Stallwies-Alm. Während die frisch geschotterten Kehren unendlich Kraft zehrten (hier gibt es erfreulicherweise keinen Lift), begannen wir ob des Gegenverkehrs wirklich langsam an allem zu zweifeln. Da fuhren doch tatsächlich reihenweise Radsportler und Radsportlerinnen auf dem Schotterweg bergab, anstatt sich mit dem Singletrail zu vergnügen. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben: Vielleicht wollen die Einen Kraft sparen. Vielleicht glauben die Anderen, es sei schneller als der Singletrail und daher für das Rennen zielführend. Vielleicht ist wieder anderen der Trail aber auch schlichtweg zu anspruchsvoll. Zumindest im Rahmen einer Veranstaltung, bei der potentiell schnellere Leute von hinten vorbeifahren wollen. Was auch immer die Ursache ist, als Ergebnis ist es einfach nur schade: Da verdient man sich durch einen anstrengenden Uphill die Chance auf einen Trail mit Charakter, Anspruch und Flow und dann fährt man auf einer 4 m breiten Piste ins Tal.



Wir sind uns jedenfalls nicht sicher, wo das genau hinführen soll. Ein noch größeres Starterfeld, in dem dann aber möglicherweise noch weniger Singletrails gefahren werden? Auch wenn das Wort „Jagd“ im Titel vorkommt: Gewinner der Schnitzeljagd ist nicht das schnellste Team, sondern das, das der Mittelzeit am nächsten kommt. Müssen die Teams zukünftig auch noch durch viel mehr Checkpoints zu ihrem Glück auf die Trails gezwungen werden? Oder ist es inzwischen tatsächlich so weit, dass schmale Strecken mit Wurzeln und Steinen nicht mehr en vogue sind? In diesem Fall hätte sich der Sport erfolgreich an uns vorbei entwickelt und unsere Klagen wäre die Verwirrung alter Männer, die auf die „guten alten Tage“ zurückblicken.
So bleibt uns am Ende des Tages doch auch Vorfreude – Vorfreude auf die nächsten beiden Stopps der kulinarischen Trilogie in Arosa und Gröden / Wolkenstein. Beide Stopps der Trilogie waren in den Vorjahren jeweils ein Garant für großen Mountainbike-Spaß auf natürlichen Wegen. Beide Stopps haben wohl genau einen einzigen Flow-Trail. Es gibt noch Hoffnung!



Video: Singletrail Schnitzeljagd Sölden 2019
Singletrail Schnitzeljagd Sölden 2019: Highlight-Video von Tobias – Mehr Mountainbike-Videos
Fazit
Warum werden schöne Singletrails bei einer Singletrail-Schnitzeljagd ausgelassen? Wohin geht die Entwicklung im Bike-Sport allgemein und in Sölden im Speziellen? Wir wissen es nicht und können nur anmerken: Uns gefällt die Entwicklung zu immer mehr breiten „Murmelbahn-Strecken“ nicht, zumindest nicht bei einer Singletrail-Schnitzeljagd. Da versprechen die kommenden beiden Termine in Arosa und Gröden mehr Freude, wie wir sie kennen. Schwierig wird es immer dann, wenn für die neuen „Flow-Trails“ schöne, natürliche Pfade und Trails geschlossen oder gesperrt werden. Möglich, dass diese Strecken immer mehr Menschen aufs Mountainbike bringen. Das wäre an sich eine erfreuliche Entwicklung.
Möglich, dass solche Besucherzahlen auf kleinen Waldwegen gar nicht aufzufangen sind - aber dann müssten die gebauten Strecken auch konsequent sicher gestaltet und top in Schuss sein. In Sölden fanden sich zur Saison-Eröffnung viele überraschende Matschlöcher, aufgerissene Drainagen, von Sand rutschige Kurven und tiefe Pfützen auf der Strecke. Dazu mit der Ollweite Line ein Trail, der einfach noch nicht geöffnet hätte werden sollen. Nicht falsch verstehen: Spaß hat uns die Veranstaltung dennoch gemacht, denn wir hatten ein Sporterlebnis im Team. Und wir mögen das Format. Nur scheint sich die Interpretation des Sports zu ändern. Und den Einsatz von Helikopter, Krankenwagen, Polizei und Bergrettung hätten wir lieber nicht gesehen. Gute Besserung an alle, die am Wochenende gestürzt sind!



Wer von euch war in Sölden am Start? Teilt ihr den Eindruck unserer Redakteure, oder seht ihr die Entwicklung anders?
121 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumIch bin auch mit dem Womo in Tirol unterwegs...
Ziemlich vorurteilsfrei auf den Punkt gebracht.....
Liebe Chantal, lass doch einfach mal die Leute in Ruhe!
Gruß Stephan
im zeitraum des opening war ja auch ein großes testcenter der einzellen hersteller.
wir haben somit bei den ständen von pivot, cube, mondraker etc. direkt die e-bikes getestet.
mit shops vor ort habe ich keinen erfahrung…
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