
Rocky Mountain Trail Games 2017
Gemeinsam Spaß auf dem Bike haben
Das rohe Ei liegt zerschmettert auf dem Trail – keine Punkte für uns.
Als es das dritte Mal auf den steilen, mit Wurzeln und Rinnen durchsetzten Trail stürzt, zerbricht unser rohes Ei. Zwei Mal hatten Hanne und ich es auf dieser siebten Etappe der Rocky Mountain Trail Games schon vom Lenker zu Boden stürzen sehen, zwei Mal war es wider Erwarten nicht zerbrochen. Nun war unser Glück aufgebraucht, auch die letzte Nachbesserung an der in aller Schnelle gebastelten Lenkerhalterung hatte nichts gebracht. Kaputt – in dieser Wertung würde eine dicke Fette Null im Tableau stehen. „Also dann: laufen lassen!“ rufe ich Hanne zu, der uneingeschränkt zustimmt und zur Attacke ansetzt. Nachdem das Ei dahin ist, können wir hier keinen Blumentopf mehr gewinnen. Gerade für diese außergewöhnliche Geschicklichkeitsprüfung auf den Trail Games hat sich der Veranstalter den technisch anspruchsvollsten Trail des Tages ausgesucht: den Downhill Alp da Staz nach Pontresina.
Los ging alles einen Tag zuvor. Für die zweite Auflage der Rocky Mountain Trail Games St. Moritz waren wir am Vortag mit einem Abstecher in Sölden angereist. Strömender Regen bei einstelligen Temperaturen begleitete uns zu unserer Unterkunft im erstklassigen Hotel Cresta Palace, das vom Veranstalter ausgesucht worden war. Eine Nummer kleiner hätte es für uns sicherlich auch getan. Aber wir wollen uns an dieser Stelle nicht beschweren, denn der erstklassig eingerichtete Bike-Keller mit Montageständer und umfangreichem Werkzeugaufgebot sollte uns durchaus noch hilfreich sein.
07:00 Uhr am Freitagmorgen, der Wecker klingelt. Etwas orientierungslos schäle ich mich aus dem Bett, wackle zum Fenster und sehe nichts. Ich habe nicht wirklich gut geschlafen. Ich bin aufgeregt, fast schon nervös. Mountainbike-Rennen bin ich über die Jahre viele gefahren, doch so etwas wie hier habe ich noch nicht mitgemacht. Bei den Trail Games ist die eigentliche Fahrzeit letzten Endes vollkommen irrelevant – Punkte gibt es ähnlich einer Oldtimer-Rallye für Gleichmäßigkeit und ein eingeschworenes Team. Mit Hanne, meinem Team-Kollegne für dieses Event, bin ich schon viel gemeinsam auf dem Rad gesessen, doch das Format ist abgesehen davon gänzlich neu für mich. Dicke Waden werden hier nur bedingt weiter helfen und besonders gut navigieren wird man auch nicht müssen. Vielmehr gilt es, eine Reihe abwechslungsreicher Herausforderungen auf dem Bike zu absolvieren und dabei eher sein eigener Gegner zu sein.
Der Blick aus dem Fenster beruhigt nicht unbedingt. Der Morgen gestaltet sich als wolkenverhangenes, trübes Nichts. Wo eigentlich bis zu über 4.000 Meter hohe, vergletscherte Gipfel warten sollten, zeigt sich ein graues Wolkenmeer. Das Thermometer bietet 4° C an – und wir sind noch im Tal. Ich hole fröstelnd unsere Startunterlagen an der Talstation der Signalbahn in St. Moritz Bad ab. Irgendwann kommt Hanne an, wir rüsten unsere Räder und machen uns mit der Gondel auf von unserem Hotel in Celerina nach Marguns. Von dort geht es in wenigen Minuten nach Chantarella, wo in den kommenden drei Tagen der Dreh- und Angelpunkt der Trail Games liegen wird.

Auf 2.486 m empfangen uns Neuschnee und Hagel
In Chantarella zeigt sich ein bunt gemischter Querschnitt durch die Mountainbike-Gemeinde: Downhiller und Cross-Country Racer, Lycra und Flatter-Outfits – alles ist vertreten. Fast 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich für die zweite Auflage der Rocky Mountain Trail Games begeistern lassen; eine knappe Verdopplung zur Veranstaltung im letzten Jahr. Thomas Schlecking (bekannt von der Trail Trophy) und Dave Spielmann (#allaboutmtb) begrüßen uns freudig und dämpfen gleich die Erwartungen: der vorhergesagte Regen werde kommen, vielleicht werde es Schnee sein. Samstag und Sonntag sollten besser werden. Wir machen uns mit den verschiedenen Wertungsformaten der 11 Etappen vertraut und besteigen kurze Zeit später die Bahn nach Coviglia (2.486 m). Ungefähr so lange wie die Bahnfahrt andauert hat das Wetter benötigt, um von wolkenverhangen zu Himmel-auf-Erden umzuschwenken. Feucht fällt der Schnee. Hagelkörner prasseln auf den Helm. Wir entscheiden, vorerst in der quattro BAR zu verweilen, bis es besser werden möge. Hoffentlich. Eilig werden Regenjacken angezogen und jede verfügbare Kleidungsschicht angelegt: die gefühlte Temperatur liegt deutlich unter dem Gefrierpunkt.

Als der Schneestorm schlussendlich aufklart, rollen wir über den in Schneematsch gebundenen WM Flow Trail los zur ersten Wertungsprüfung des Tages. Eine entgegenkommende Kuhherde zwingt uns zum Marsch durch die Bergwiese, meine Schuhe sind nass bevor ich auch nur 100 m auf dem Bike gesessen habe. Die Laune ist trotzdem bestens, die Spannung steigt. Bei der ersten Aufgabe geht es darum es, getrennt vom Team-Kollegen gleich schnell zu fahren. Wir werden mit zwei anderen Startern zwischen uns im Abstand von gut 90 Sekunden auf die Strecke gelassen, dann heißt es sich in den Kollegen hinein versetzten und so gut es geht gleich schnell zu fahren. Am Ende des gut sechs Minuten langen Abschnitts auf dem hervorragend angelegten WM Flow Trail trennen Hanne und mich 24 Sekunden. Bitter. An sich dachten wir etwa gleich schnell fahren zu können, doch weit gefehlt. Im Versuch es nicht zu übertreiben und einfach „nur flüssig“ runterzufahren haben wir uns grob verfehlt. Einigen anderen Teams geht es nicht besser, manche schaffen es jedoch auch tatsächlich auf die Sekunde an ihre Partnerin oder Partner heranzufahren. Beeindruckend.


Im Pulk mit Aaron und Tobias vom Enduro-Mag geht es weiter über die Hütte El Paradiso zur Alp Suvretta, wo wir ins Tal abbiegen um auf dem Foppetas Flow Trail die zweite Prüfung abzulegen. Need-to-Repeat heißt der Modus hier: Der Trail wird zwei Mal in Folge gefahren (der Uphill erfolgt aus Muskelkraft), wobei die Differenz möglichst klein ausfallen soll. Hanne und ich machen uns unabhängig voneinander auf den Weg, der Trail schlängelt sich anfänger-tauglich den Hang hinab und endet in schmierig feuchten North-Shore-Rampen, die glücklicherweise nicht mehr Teil der Wertung sind. Das Ergebnis: fünf Sekunden Abweichung bei mir, vier Sekunden (trotz Sturz) bei Hanne. Klingt nicht schlecht – ist es aber. Viele der anderen Teams haben es (wie auch immer) geschafft, in beiden Läufen exakt dieselbe Zeit zu fahren. Nach diesen beiden Prüfungen ist der erste Tag geschafft und es heißt die nassen Klamotten zum Trocknen zu bringen bevor am Abend ein Galadinner im Schweizer Hof zu St. Moritz stattfindet. Unser ernüchterndes Zwischenergebnis: vorvorletzter Platz in der Gesamtwertung.

Der nächste Morgen präsentiert sich ungleich freundlicher, wenn auch nicht wirklich einladend. Die Wolken hängen höher, immer wieder zeigen sich blaue Flecken am Himmel. Doch oberhalb von 2.500 m ist die Engadiner Bergwelt mit einer feinen Schneeschicht bedeckt. In der Nacht hat es geschneit. Ich rüste mich mit einer zusätzlichen Kleidungsschicht und wie am Vortag machen wir uns auf den Weg nach Chantarella. Nicht weniger als sechs Etappen stehen für den heutigen Tag auf dem Programm und mit gut 40 km Strecke (700 Höhenmeter). Zunächst heißt es, auf dem Corviglia Flow Trail eine Zeit vorzulegen, die wir am nächsten Tag wieder möglichst genau treffen sollen. In unzähligen Kehren windet sich der Trail ins Tal hinab und ich verliere leicht den Überblick, finde jedoch einen guten Flow.







Von Endorphinen beflügelt steigt die gefühlte Temperatur an und nur wenige Minuten später stehe ich schon wieder in Corviglia um den Anstieg nach Las Trais Fluors in Angriff zu nehmen. Der Wind bläst und langsam aber sicher erarbeiten wir uns die Anfahrt zur nächsten Etappe. Es gilt, innerhalb von sieben Minuten einen alpinen, nicht sonderlich schweren Trail abzufahren und dabei zehn am Wegesrand stehende, liegende oder hängende Gegenstände zu erspähen. Wir liegen gut in der Zeit, doch trotz aufmerksamer Augen können Hanne und ich kaum mehr als eine Handvoll Objekte aufzählen. T-Shirt, Luftpumpe oder Reifen – wir haben sie schlicht und ergreifend nicht gesehen. Sei’s drum. Der Trail nach Marguns – hier gibt es ein reichhaltiges Mittagessen für uns – lässt jeglichen Frust verfliegen. Endlich geht es nich mehr nur auf Flow Trails, sondern fein angelegten Naturwegen ins Tal. Vom Feinsten.

Gemeinsam Vollgas fahren auf dem Downhill nach Silvaplana – das liegt uns!
Im Anschluss geht es über Chantarella wieder nach Corviglia und es steht die zweite Abfahrt auf dem WM Flow Trail an. Dieses Mal sollen wir uns eine Zeit aussuchen und diese möglichst exakt treffen. Leider sind Start und Ziel anders gesetzt als am Vortag, so dass die bereits erzielte Zeit nur grob Aufschluss geben kann, welche Zeit zu wählen ist. Wir entscheiden uns für die mittlere Zeit und liegen am Ende gut 20 / 25 Sekunden daneben. Nicht schlecht – andere Teams haben Abweichungen von über einer Minute und mehr zu beklagen. Weiter geht es über eine tolle Verbindungsetappe über die Alp Suvretta bis oberhalb von Silvaplana. Hier heißt es gemeinsam hintereinander auf Zeit zu fahren, die schlechtere Zeit zählt. Wir lassen es geschmeidig laufen, endlich eine konventionelle Prüfung. Das Ergebnis ist eine sehr solide Zeit und ein extrem breites Grinsen: dieser Trail ist das bisherige Highlight der Trail Games. Bei inzwischen relativ hohen Temperaturen (gemessen am eisigen Morgen) geht es nun das Tal entlang über St. Moritz und den Lej da Staz zur Alp da Staz. Der Eier-Trail. Hier gilt es ein rohes Ei am Lenker zu befestigen und unbeschadet ins Tal zu bringen. Diese Aufgabe misslingt uns gründlich und so steht nur noch eine letzte Runde auf dem großen Pumptrack in Pontresina an. Mit unseren Trail- / Enduro-Bikes. Die bessere der beiden Zeiten eines Teams kommt in die Wertung und ich setze mich mit 22 Sekunden knapp gegen Hanne mit 23 Sekunden durch. Nur ein Team schafft eine Zeit von 21 Sekunden – wir sammeln das erste (und einzige) Mal richtig Punkte!

Beim gemeinsamen Grillieren am Pumptrack lassen wir den Tag ausklingen und obwohl nur gut 700 Höhenmeter erstrampelt worden sind, sind wir alle ziemlich gut geschafft. Für den abschließenden dritten Tag stehen nochmals drei Wertungsprüfungen auf dem Programm, wobei wir zwei Mal mit Bergbahnunterstützung vom Piz Nair (3057 m) aus ins Rennen gehen. Zunächst heißt es wieder unabhängig voneinander gleich schnell zu fahren – und zwar vom Lej Suvretta (2.615 m) ein Stück hinab zur Alp Suvretta (2.211 m). Der technisch nicht ganz einfache Weg zeigt sich bei strahlendem Sonnenschein und bester Gletschersicht als steinige Angelegenheit, die mit kleinen Bachläufen und einigen frischen Kuhfladen garniert ist. Hanne und ich harmonieren hier besser wenn auch nicht wirklich gut und kommen mit einem Abstand von immerhin nur noch 14 Sekunden ins Ziel. Einige Wanderer und zu überholende Mitstreiter sind am Ende dafür verantwortlich, doch gefühlt ist das Kind mit dem Ei ohnehin schon in den Brunnen gefallen. Uns geht es hier nur um den Spaß und der ist bei dieser Aussicht und so feinen Trails garantiert.






Erneut vom Gipfel des Piz Nair aus folgt eine der spannendsten Prüfungen des Tages: es heißt wieder eine von drei Zeiten auswählen und möglichst gut treffen. Auf einem unbekannten, alpinen Singletrail. Angestachelt von der Schmach der mittleren Zeit am Vortag entscheiden wir uns, die schnelle Zeit zu wählen. 2:50 min meldet der Transponder und wir geben alles. Hanne stürze erneut, am Ende liegen wir mit 3:02 / 3:11 min tatsächlich gut im Rennen. Besser zumindest als viele andere, die auch die schnellste Zeit gewählt haben. Nun heißt es nur noch die Zeit vom Vortag auf dem Corviglia Flow Trail zu wiederholen und die Trail Games sind Geschichte. Nach einiger Wartezeit geht es – nun bei Trockenheit und mit Kenntnis des Trails – los. Am Vortag habe ich im Nassen alles gegeben, um im Trockenen den bekannten Trail eventuell gleich schnell fahren zu können. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: genau zwei Sekunden trennen meine Zeiten nach über fünf Minuten Fahrzeit. Es geht also doch!





Die Rocky Mountain Trail Games sind eine tolle Gelegenheit, um das Bike-Angebot der Region kennen zu lernen und gemeinsam Spaß zu haben. Wer auf Zeit schnell fahren will oder einen reinen Bike-Park sucht, der sollte sich an anderer Stelle umschauen. Wir haben als Team die Zeit genossen und in Anbetracht der regulären Bergbahn- und Essenspreise sind die 230 Schweizer Franken, die das Rennen pro Person kostet, an den Umständen gemessen ein relativ fairer Preis.
Rocky Mountain Trail Games 2017: Die Ergebnisse
Nach 11 Etappen an drei Tagen wurden dann die Sieger der Rocky Mountain Trail Games St. Moritz ermittelt. Für uns führte die Reise auf einen soliden 11. Platz. Wir sind als Team gewachsen und haben – wenn es nicht gerade hieß, unabhängig voneinander gleich schnell zu fahren – immer besser harmoniert. Am Ende erreichen wir glatt 2.400 Punkte, ein Ergebnis, dass genau nichts aussagt. Auf dem Weg nach Hause diskutieren wir noch einige Zeit das Wertungssystem, doch letzten Endes ist diese Diskussion nebensächlich. Die fein gearbeiteten Pokale gehen am Ende des langen Wochenendes an die folgenden Teams:
Rocky Mountain Trail Games St. Moritz 2017: Ergebnisse by IBC_Tobi on Scribd

Die Rocky Mountain Trail Games sind für die kommenden Jahre fest eingeplant und der Veranstalter hofft, das Teilnehmerfeld weiter ausbauen zu können.Wir sind gespannt und freuen uns auf weitere Herausforderungen in einmaliger Bergkulisse.
Geschicklichkeit und Team-Geist statt Zeit – wären die Rocky Mountain Trail Games in St. Moritz auch etwas für dich?
Weitere Informationen
Homepage Rocky Mountain Trail Games
Facebook-Seite Rocky Mountain Trail Games
Ergebnisse Rocky Mountain Trail Games (Sport Ident)
Bilder: Filip Zuan / Engadin Mountains, Tobias Stahl, Hannah Szwarc, Stefan Lorenz
Text & Redaktion: Tobias Stahl | MTB-News.de 2017
Hinweis: Als Presse-Team ist das Team von MTB-News.de zur Teilnahme an den Rocky Mountain Trail Games vom Veranstalter eingeladen worden. An- und Abreise sowie Verpflegung außerhalb des Teilnehmerumfanges wurden selbst finanziert.
2 Kommentare
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Rocky Mountain Trail Games St. Moritz – Schnee, Steine und kaputte Eier
ha, na das klingt mal nach einem event nach meinem geschmack. waren viele mixed / damen-teams mit am start?
tolle bilder!
Danke!
Insgesamt waren 2 Damen-, 10 Mixed-, 29 Herren-2er- und 4 Herren-3er-Teams am Start
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