Die Mountainbikerennen sehen eigentlich keine Möglichkeit vor, dass Exoten an Olympia teilzunehmen. Die harten Qualifikationskriterien ermöglichen nur den besten Nationen den Start bei Olympia. Doch durch gewisse Umstände gelingt es einigen wenigen uns unbekannten Athleten doch, bei den Mountainbike-Wettkämpfen dabei zu sein.
Anche Cabral: Superstar in Osttimor
Osttimor – schonmal davon gehört? Der Inselstaat liegt in Südostasien, nur wenig nördlich von Australien. Die eine Hälfte der Insel Timor gehört zu Indonesien, der zweite, östliche Teil ist eigenständig unter dem Namen Osttimor. Das kleine Land ist mountainbike-begeistert: Zum zehnjährigen Jubiläum der osttimorischen Unabhängigkeit wurde ein Mountainbike-Etappenrennen initiiert, die Tour de Timor. Die timorische Olympiastarterin Anche Cabral durfte damals, 2009, als erste Frau teilnehmen. 25 osttimorische Fahrer wurden ausgewählt dort mitzufahren, sie war die einzige Frau unter lauter Männern.
Francelina Marques Cabral ist das zweite Kind einer 13-köpfigen Familie. Anche – wie sie hauptsächlich genannt wird – wuchs in bäuerlichen Verhältnissen auf, wie es in Timor traditionell ist. Die 31-Jährige begann ihre Radsportkarriere kurz vor der erstmaligen Ausgabe der Tour de Timor. Die Studentin wurde etwas überrascht von der Aufnahme ins timorische Aufgebot, wollte aber nicht die Möglichkeit versäumen, die osttimorischen Frauen beim ersten internationalen Rennen zu vertreten. Trotz laufendem Studium und Arbeit nahm sie teil und machte Land und Leute stolz.

Die 31-Jährige ist seitdem ein echter Superstar in ihrem Land, ein Vorbild für viele junge Damen in Osttimor. Inzwischen folgten ihr mehrere einheimische Damen, die auf dem Mountainbike aktiv sind. Die Tour de Timor ist immer noch das Highlight schlechthin in Osttimor. Die Menschen strömen an die Strecke und feuern die Athleten begeistert an, selbst einige Top-Athleten wie Dan McConnell waren schon am Start des UCI-Rennens.
Das Rennen in der Heimat war der Auftakt der „internationalen“ Karriere von Anche Cabral. Von da an bestritt sie das Mehrtagesrennen in jedem weiteren Jahr, 2013 gelang ihr der Sieg in der Damenkonkurrenz. 2013 und 2014 nahm sie bei der Langkawi International Bike Challenge teil, 2015 und in diesem Jahr jeweils bei den Asienmeisterschaften.

Osttimor ist bei Olympia nicht das Land mit den wenigsten Athleten. Drei Sportler vertreten die Nation aus Südostasien: Die Mountainbikerin Cabral und zwei Leichtathleten. Cabral hätte sich nicht für Olympia qualifiziert, doch durch eine Sondereinladung der sogenannten trilateralen Kommission wurde ihr Start möglich. Die trilaterale Kommission bestehend aus dem IOC, den Nationalen Olympischen Komitees und den Sportverbänden wählt bestimmte Sportler aus, die selbst die Qualifikation nicht erreichen, aber, wie Cabral als nationale Heldin, dem olympischen Gedanken entsprechen.

Cabral wird als letzte der 30 Starterinnen ins Damenrennen ins Rennen gehen. Große Chancen auf einen Platz im vorderen Feld hat sie nicht, dennoch werde sie alles geben und habe schließlich nichts zu verlieren, so Cabral.
Peter Lombard: „Entschuldigung: Ihr Arzttermin verschiebt sich aufgrund der Olympiateilnahme des Chefs.“
3000 Kilometer nordöstlich von Osttimor kann man eine weitere Stecknadel der Nationen im Mountainbike-Globus der olympischen Spiele 2016 stecken. Inmitten des Pazifischen Ozeans liegt der Inselstaat Guam, bei Olympia durch den 40-jährigen Doktor Peter Lombard vertreten. Ein elfter Platz bei den Ozeanienmeisterschaften reichte für die zweite Qualifikation eines Radsportlers für Olympische Spiele. Eigentlich wäre nur der erste Platz bei Kontinentalmeisterschaften ein Kriterium für die Olympiaqualifikation, doch vor Lombard überquerten lediglich Neuseeländer und Australier das Ziel. Da diese Nationen bereits über das Nationenranking Startplätze erhalten haben, folgt der nächst-bestplatzierte des Kontinents.
Für Lombard eine riesige Überraschung: Die eigene Augenklinik musste dem Training hinten angestellt werden, Lombard bestritt sogar noch ein spezielles Fahrtechnik-Trainingslager in Japan, um sich auf die technischen Schwierigkeiten in Rio vorzubereiten. Zumal in Guam kaum Mountainbikestrecken zur Verfügung stehen.

Lombard ist sich seiner geringen Chancen in Rio bewusst, sein Ziel ist es, so lange wie möglich im Rennen zu bleiben. Auch sein hohes Alter weiß er bewusst einzuschätzen: „Ich möchte andere Radfahrer ermutigen öfters im Gelände zu fahren und sie davon überzeugen, bei den nationalen MTB-Rennen zu starten“, so Lombards auf der offiziellen Seite des Sportverbands von Guam. Vor allem, da Guam die wohl einzigartige Stellung in der Welt besitzt, durch die Kontinentalmeisterschaften relativ einfach einen Olympiastartplatz zu erhalten. Lombard hat auch schon einen Vorgänger: Derek Horton war 2000 und 2012 bei den olympischen Spielen dabei und ist immer noch der zweitbeste Mountainbiker aus Guam.

Nathan Byukusenge: „Ich möchte den Menschen zeigen wie der Radsport unser Land verändert“
Nathan Byukusenge ist ein deutlich bekannteres Gesicht im Vergleich zu den zwei anderen Olympiastartern. Der 36-jährige aus Ruanda ist vor allem durch seine Verbindung zu Thomas Frischknecht und dem Scott-Odlo-Team einigen bekannt geworden. Die Schweizer Equipe unterstützt den Afrikaner wo sie können, 2012 erhielt Byukusenge das Rad von Frischknecht zum Einsatz beim Cape Epic. Und als im letzten Jahr bei den Weltmeisterschaften in Andorra der erste Auftritt eines Ruanders bei einer WM daran scheitern sollte, dass das Rad nicht rechtzeitig per Flieger ankam, sprang Frischknecht erneut helfend ein.

Nathan Byukusenge entstammt dem Team Rwanda, das inzwischen unter dem Namen Team Africa Rising fungiert. Der ehemalige US-Rennradfahrer Jock Boyer hatte vor einigen Jahren die Idee, den jungen Sportlern in Ruanda eine Zukunft zu geben. Inzwischen ist der Radsport in Ruanda zum Volkssport geworden, die Mitglieder des Teams sind wahre Helden in ihrem Land.

Byukusenge tritt in große Fußstapfen. Sein olympischer Vorgänger Adrien Niyonshuti – Olympiateilnehmer in London 2012 – ist inzwischen der erste Radprofi aus Ruanda. Niyonshuti verdient sein Geld beim Straßenteam Dimension Data, unter anderem als Teamkollege von Marc Cavendish. Byukusenge profitiert bei der Olympiaqualifikation genauso wie Peter Lombard aus Guam von der Regel der Kontinentalmeisterschaften. Bei den Afrikameisterschaften lagen nur Südafrikaner und ein Starter aus Mauritius vor ihm. Südafrika erhielt aber genauso wie Australien und Neuseeland einen Startplatz über das Nationenranking, sodass Yannick Lincoln aus Mauritius und Byukusenge in Rio teilnehmen dürfen.
Der 36-Jährige geht hoch motiviert in seine ersten olympischen Spiele. Zumal er eine ganz bestimmte Motivation hat: „Die Menschen denken nur an den Völkermord in Ruanda (1994, Anm. der Redaktion), wenn sie über das Land sprechen. Ich möchte sie auf den Radsport aufmerksam machen und ihnen zeigen, was der Radsport mit dem Team Ruanda dort bedeutet und wie er das Land verändert.“

Dabei sein ist alles?
Wir werden wohl keinen der drei Fahrer in Rio im vorderen Feld sehen. Dennoch sind es genau diese Sportler, die das Großereignis alle vier Jahre so besonders macht: Die Geschichten, die hinter jedem einzelnen dieser Sportler steckt, sind faszinierend. Reiner Zufall ist es sicher nicht, dass sie in Rio dabei sind. Zwar hatte der ein oder andere eine etwas leichtere Aufgabe, als manch anderer, dennoch gilt auch für sie, dass sie stets ihr Bestes geben. Nichtsdestotrotz ist ihre Teilnahme ein Zeichen gegen all die negativen Facetten bei den olympischen Spielen. Diese Sportler verkörpern den olympischen Geist: „Dabei sein ist alles!“
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8 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumSchöner Bericht!
Klasse Artikel! Danke Gabi
Kann ich mich nur anschließen, - sehr interessant!
Sehr schöner Bericht!
vielen Dank....Journalismus bei mtb-news.de - das ist sehr gut
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