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Ride Albania
Mountainbiken inmitten Bunkern und herzlichster Gastfreundschaft

Der Balkan ist noch wild und unentdeckt. Insbesondere Albanien ist als Mountainbike-Destination erst wenig bekannt. Einerseits weil die lokale Mountainbike-Szene verschwindend klein ist, andererseits weil Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist und in Sachen Infrastruktur vieles noch im Argen liegt. Dazu zählt beispielsweise auch das Fehlen von anständigem Kartenmaterial, welches zum Planen von tollen Mountainbike-Routen unerlässlich ist. Nathalie Schneitter hat sich dennoch aufgemacht, das aufregende Land zu erkunden. Hier gibt’s ihren spannenden Reisebericht.

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Ich lebe nach dem Motto „Selbst ist die Frau“ und deshalb gebe ich die Planung meiner Abenteuer nur ungern aus der Hand. Im Fall Albanien kam ich aber schnell an meine Grenzen. „Ride with Guide“ heißt hier das Zauberwort und einen solchen hatten wir zum Glück mit dem Schweizer Tobi Gessler schnell gefunden. Tobi ist nicht nur der Inhaber des Reiseveranstalters Ride Albania Mountain Biking, sondern lebt seit einigen Jahren auch in Albaniens Hauptstadt Tirana. Was als Entwicklungshelfer begann, wandelte sich zu einer Liebesgeschichte zum Land und dessen Bewohnern. Tobis Routen sind mithilfe von Google Maps und Satellitenbildern zusammengestellt und in zahlreichen Erkundungstouren auf Herz und Nieren getestet. Ich bin froh, dass wir uns die Planungs-Mühen diesmal nicht selber machen müssen. Bereits am Flughafen erzählt Tobi träumerisch, Albanien sei eines der letzten Abenteuer Europas, denn an jeder Ecke warte etwas Unerwartetes. Ich liebe unerwartete Abenteuer – es kann losgehen!

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Diashow: Ride Albania: Mountainbiken inmitten Bunkern und herzlichster Gastfreundschaft
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Nach einer erholsamen Nacht im Herzen Tiranas geht es mit einem Shuttle in Richtung Kosovo. Der Shuttle-Van ist wie so vieles hier importiert. Er hat seinen Dienst in Westeuropa getan und wird nun hier bis auf den letzten möglichen Meter zu Ende gefahren. Auch das ist Albanien: Alles funktioniert, aber einfach einen Gang langsamer und improvisierter, als wir es gewohnt sind.

In Suva Reka treffen wir Beni von MTB Theranda, der uns seine lokalen Trails zeigt. Großartiges Panorama und steile Aufstiege über weite Steppen oberhalb der Baumgrenze erwarten uns. Auf dem höchsten Punkt der Ausfahrt essen wir beim Picknick Burek, eine lokale Spezialität aus Blätterteig und Frischkäse. Die spaßige Abfahrt überrascht mit losen Steinen, Laub und Wurzeln – volle Aufmerksamkeit ist gefragt. Unterwegs zeigt uns Beni, wo er letztes Jahr eine Bären-Mama mit ihren Jungen gesichtet hat. Die Selbstverständlichkeit der Erzählung verblüfft. Ich wäre vor Angst wahrscheinlich in Schockstarre vom Bike gefallen.

# Gastautorin Nathalie Schneitter in Action.
# alpine hochebene
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Tobi ist mit Herzblut bei der Sache und stolz auf das, was er bisher in Albanien aufbauen konnte. Er erzählt, dass er mit seinen Gästen zu den Ersten gehörte, die als Touristen in abgelegene Bergdörfer kamen und er viel Hilfe beim Erstellen von Webseiten und der Erfassung der Gasthäuser auf Seiten wie booking.com geleistet hat. Eines der Gasthäuser kann dieses Jahr 300 Gäste vorweisen. Was in unseren Ohren nicht gerade wie ein voll ausgelastetes Gasthaus tönt, schafft es hier auf dem Land sogar in die Regionalzeitung. Hier können die MTB-Gruppen von Ride Albania einen so großen Einfluss haben, dass die Jungen plötzlich wieder eine Perspektive sehen. Das Thema Abwanderung ist riesig, liegt doch die Arbeitslosenrate bei über vierzig Prozent.

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Wir besuchen Prizren, die wahrscheinlich schönste Stadt des Kosovo, und fühlen uns wie auf Zeitreise. Die Stadt trägt die Handschrift des Osmanischen Reiches. Nach dem Abendessen setzen wir uns in ein Teehaus und genießen mit den Einheimischen schwarzen Tee mit viel Zucker aus kleinen Gläsern. Die Begeisterung für die lokale Kultur erreicht ihren Höhepunkt dann aber als am nächsten Morgen um fünf Uhr der Imam zum Gebet ruft und wir alle vor Schock im Bett stehen.

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# Shred train.
# Manchmal muss man einfach die Aussicht genießen.
# Wir fühlen uns wie auf einer Zeitreise.

Unser nächstes Ziel ist Dragash, eine der entlegensten Ecken im Dreiländer-Grenzgebiet Kosovo-Albanien-Nordmazedonien. Auf über 2.000 m geht es auf Trails und Wiesen vorbei an Bergseen, klaren Bächen und freundlich grüßenden Alphirten mit Maultieren und Jutesäcken. Wir fühlen uns wie in einem Traumland, werden aber immer wieder durch krasse Gegensätze in das Jetzt zurückgeholt. Mitten in der Prärie treffen wir auf einen alten Mercedes und drei Albaner, die hier ein Fotoshooting machen. Ein Geländefahrzeug ja, aber der Mercedes? Wie dieses Auto hierher gelangte, ist und bleibt uns ein Rätsel.

# Essenspause mit Aussicht.
# kosovo
# jey – freund und helfer bei jedem defekt
# we all scream for ice cream

Die Wiesen sind steil und mehr als einmal müssen wir fest in den Lenker beißen. Ich verfluche mich ein bisschen dafür, dass ich nicht ein kleineres Kettenblatt montiert habe und kämpfe weiter, denn Bike schieben geht gar nicht. Im alpinen Gebiet fahren wir entlang der Kosovarisch-Mazedonischen Grenze hinein nach Albanien. In der Zeit des Kommunismus war die Gegend hier streng bewacht. Heute zeugen noch zahlreiche Bunker-Ruinen von der Grenze in diesem sonst völlig einsamen Berggebiet.

# Bunker Views.

Im Bergdorf Fshat kehren wir im Gasthaus Shtini ein. Es werden nicht nur Köstlichkeiten aufgetischt, bis uns die Bäuche platzen, sondern auch selbst gebrannter Traubenschnaps serviert. Zum Glück ist zumindest einer unserer Gruppe in Trinklaune, denn Freundschaften werden hier beim Schnaps geknüpft.

# Da läuft das Wasser im Munde zusammen.
# unicorn power
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Zwischen den Touren legen wir immer mal wieder Transferstücke mit dem Bus zurück, denn wir wollen verschiedene Ecken Albaniens kennenlernen. So kommen wir auch nicht darum herum, festzustellen, dass die Abfallentsorgung in Albanien ein allgegenwärtiges Thema ist. Das private Verbrennen von Müll jeglicher Art sowie wilde Müllkippen sind tägliche Realität. Viele Abfälle werden an Flussufern oder auf Feldern entsorgt. Das Bild ist für uns störend, auch wenn es eben gerade unterstreicht, dass Albaniens Infrastruktur technisch hinterher hinkt. Die Institutionen, die bei uns für die Müllabfuhr zuständig sind, gibt es hier schlichtweg nicht.

Sobald wir jedoch die Zivilisation wieder verlassen, merken wir davon gar nichts mehr. Wir entdecken unberührte Natur wie bei uns vor zirka 100 Jahren. Alte Frauen, mit denen wir kein Wort wechseln können, laden uns spontan zu türkischem Kaffee ein und wir sind froh, dass zumindest der Guide in der lokalen Sprache unsere Dankbarkeit ausdrücken kann. Das Land ist touristisch noch so unverbraucht, dass sich die Leute richtiggehend freuen, in Kontakt mit Fremden treten zu dürfen.

# Herzlicher Abchied im Gasthaus.

Von den alpinen Steppen auf über 2.000 m geht unsere Tour bis an die Küste der Adria. Trails mit Meeresbrise und zum Abschluss Plantschen im Meer. Das lässt unsere Herzen definitiv höher schlagen. Doch noch ist nicht ganz Schluss: Ein letzter Tag auf den Stadt-Trails von Tirana wartet. Mitten in der Stadt trägt uns die Gondelbahn Dajti Ekspres mit auf den Hausberg. Es warten verblockte, steinige Trails mit so engen Switchbacks, dass wir einige davon mehrmals probieren müssen, bis es schließlich klappt. Nach den flowigen Wiesentrails der vergangenen Tage ein echter Schock fürs System.

# die sonne ist noch warm im oktober
# Goldene Herbstwiesen auf 2000m

Unsere Trailwoche in Albanien war geprägt von Highlights: Panorama, Gastfreundschaft und Kultur der Spitzenklasse. Es ist selbsterklärend, dass wir dank Ride Albania die Routen nicht selber recherchieren mussten. Aber dank der lokalen Organisation kamen wir auch mit der Bevölkerung in Kontakt und lernten unheimlich viel über die Tradition und Geschichte des Landes. Wer in Albanien ein Trail-Paradies sucht, ist jedoch sicherlich an der falschen Adresse. Die Singletrack sind Trampelpfade von Hirten und Tieren oder stammen noch aus dem Krieg. Die Aufstiege sind steil, aber das Panorama – ja das entschädigt für vieles. Wer aber in Albanien ein kulturelles Abenteuer sucht, der ist garantiert am richtigen Ort. Uns hat es gefallen.

# chillout

Kurz nach unserer Abreise wurde Albanien von einem heftigen Erdbeben erschüttert, dem stärksten seit Jahrzehnten. 2.000 Häuser wurden zerstört, 650 Menschen wurden verletzt, über 50 Todesopfer gilt es zu beklagen. Unsere Freunde in Albanien sind daran das Land wieder aufzubauen. Freundliche Bike-Touristen sind jetzt willkommener denn je.

# irgendwo im nirgendwo

Könnt ihr euch vorstellen, mit dem Bike unentdeckte Landschaften wie in Albanien zu erkunden?

Text und Bilder: Nathalie Schneitter
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