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Prüfstand auf dem Prüfstand
wenn die Praxis etwas anderes sagt als das Labor

Interessantes Thema vom Team der World Of MTB: In diesem Bericht geht es um Prüfstände für Tests – das Wort hat World Of MTB-Chef Johannes Haidn.

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Vor jedem Test stellen wir uns in der Redaktion die Frage: Was kann man nicht in der Praxis erfahren und für was lohnt es sich, ins Labor zu gehen? Eigentlich nämlich kann man alles in der Praxis erfahren, schließlich ist ein Test im Labor nichts anderes als eine Simulation der Praxis. Auftretende Kräfte werden in der Praxis gemessen, Erfahrungen werden gesammelt und letztendlich soll im Labor ein Test die Praxis möglichst simulieren. Der Vorteil liegt darin, dass man Produkte anhand von Werten vergleichen kann, dass man einen kompletten Lebenszyklus von mehreren Jahren innerhalb von wenigen Tagen durchtesten kann, was wiederum der Entwicklung neuer Teile dient und sie schneller vorantreibt. Zudem gibt es auch einige Dinge, die sich in der Praxis nur schwer testen lassen, zumindest nicht, ohne erhebliche Schäden am Körper zu erleiden. Beispiele hierfür sind zum Beispiel ein Helmtest, oder, in der aktuellen Ausgabe, der Test von Knieschonern.

# Liteville 301 ...

Wann macht was wie Sinn?

Eine weitere Frage, die wir uns immer wieder stellen, ist: Was macht überhaupt Sinn zu testen bzw. was sollte man genau bei einem Produkt angeben? Ich denke, bei den oben angesprochenen Beispielen wie Helm und Protektor sind sich alle einig: Hier geht es um die Belastung unseres Körpers. Bei einem Sturz wünscht sich jeder einen möglichst hohen Schutz, hier ist auf keinen Fall das subjektive Empfinden entscheidend.
Verschiedene Angaben wie beispielsweise Gewicht, Winkel, Längen, Federweg, Packmaß etc. sind darüber hinaus oft ebenso interessant, wobei man dabei nicht von einem Test sprechen kann, sondern es sich lediglich um eine reine Wertermittlung handelt.

Fällt bei uns die Entscheidung, mit einem Bauteil ins Labor zu gehen, taucht auch gleich eine wichtige Frage auf: Entspricht der Labortest dann auch wirklich den Praxisbedingungen?
„Wer viel misst, misst viel Mist.“ – Auch wenn sich bei diesem Spruch vielen Technikern die Haare im Nacken aufstellen, sollte man immer seine Erfahrungen aus der Praxis im Hinterkopf behalten und gegebenenfalls Ergebnisse hinterfragen. Denn wer garantiert, dass ein Prüfstand die Belastungen identisch zur Praxis simuliert? Und mit den ermittelten Werten kann man dann zwar Bauteile vergleichen – aber auch wirklich praxisrelevant?

# ... auf dem Prüfstand

Steif gleich besser?

Gemessen wird in Labors nahezu alles. Ein wichtiges Thema, das immer sehr heiß gekocht wird, ist die Steifigkeit. „Steif ist besser“, so der allgemeine Tenor, doch

a: Ist das wirklich so? Und
b: Wer kann bestätigen, dass ein Labortest praxisgerecht ist?

Angenommen, der Test auf dem Prüfstand entspricht der Praxis, kann man dann automatisch sagen, dass steif gleich besser ist? Hier ein Beispiel aus unserem Testalltag:

Beim letztjährigen Federgabeltest haben wir erst den Praxistest durchgeführt. Die Testfahrer haben ihre Erfahrungen notiert und laut ihren Aussagen auch Unterschiede bei der Steifigkeit erfühlen können. Im Anschluss wurde auf dem Prüfstand die Verdrehsteifigkeit gemessen. Das Ergebnis war ernüchternd. Die mit Abstand weichste Gabel auf dem Prüfstand war in der Praxis gar nicht negativ auffällig. In diesem Fall ist es also nicht nur die tatsächliche Steifigkeit, die die Gabel vermittelt, es spielen auch noch andere Faktoren, wie zum Beispiel das Federungs- bzw. Dämpfungsverhalten, für das subjektive Empfinden eine Rolle.

Ein weiteres Beispiel liefert der Cannondale-Profi Manuel Fumic. Bei einem Gespräch sagte er, dass er weniger steife Laufräder bevorzugt. Ein nachgiebigeres Laufrad sorge vor allem in Kurven für ein sichereres Fahrgefühl. Auch unser Teamfahrer Daniel Eiermann ist der gleichen Meinung.

Kann es nun also sein, dass zu steif gleich schlechter ist? Denn man ermüdet schneller und das Fahrgefühl ist weniger sicher. Genauso haben es einige unserer erfahrenen Testfahrer beim letzten Biketest erlebt. Das Santa Cruz Nomad Endurobike war gefühlt das steifste Bike im Testfeld, doch verlangt es im groben Gelände viel Konzentration, um damit sicher die Spur halten zu können.

Eine höhere Steifigkeit ist also, pauschal gesagt, nicht immer besser, doch sollte ein Bauteil in jedem Fall so steif sein, dass es im Fahrbetrieb den Belastungen Stand hält. Ein immer wiederkehrendes Problem haben wir mit so manchen Rahmen. Während sie im Fahrbetrieb auf ebener Strecke oder bergab keine Auffälligkeiten zeigen, macht ihnen der Kettenzug am Anstieg oder bei Sprints zu schaffen. Entweder der rechte Kurbelarm touchiert die Kettenstrebe oder es springt gar die Kette vom Kettenblatt. Diese Auffälligkeiten haben wir im jeweiligen Testprotokoll vermerkt. Auf die Frage an den jeweiligen Hersteller, wie das denn sein könne, gab es die Antwort: „Der Rahmen wurde nach aktuellen Standards getestet und hat gute Steifigkeitswerte.“ In der Tat wurden identische Rahmen bereits von anderen Magazinen oder Instituten auf dem Prüfstand gemessen und als steif beurteilt. Doch was bringt in diesem Fall die Messung, wenn die Praxis anders aussieht?

# Im Labortest ...

Hinterfragt

Als Rückschluss auf diese Aussage bedeutet das für uns, dass das ermittelte Ergebnis im Labor definitiv nicht die Erfahrungen aus der Praxis wiedergibt. Es werden entweder zu geringe Lasten eingeleitet oder die Einleitungspunkte sind falsch gewählt. In den letzten Wochen haben wir uns mit einigen Leuten über dieses Thema unterhalten und interessante Aussagen gesammelt. Fabian Merz von Liteville berichtet uns über einen neuen Steifigkeitsprüfstand, Boris Sirmanoff plaudert als langjähriger Mitarbeiter eines Rahmenproduzenten einiges aus dem Nähkästchen und Georg Hasselmann von Swissbiomechanics erzählt uns von seiner Zusammenarbeit mit aktiven Bikern.

Nach all den immer wiederkehrenden Diskussionen um das Thema Steifigkeit möchte ich die Aussage von Karim Amour (ehemaliger DH und 4X WorldCup Racer) wiedergeben. „Das einzig Entscheidende ist die Zeit. Fahre die gleiche bekannte Strecke mit unterschiedlichen Teilen. Das Teil, mit dem du schneller bist, ist für einen Racer das bessere.“ Für einen Racer ist es die Zeit, für einen Hobbybiker eventuell der Fahrkomfort oder das Sicherheitsgefühl.
Beim Auto mag das etwas anders aussehen. Hier liefert ein Motor die notwendige Energie und man kann das ganze System aufeinander abstimmen. Beim Bike ist der Energielieferant aber der Mensch – und da ist jeder bekanntermaßen anders. „Steifer gleich besser“ stimmt also so pauschal unserer Meinung nach nicht. Zudem sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass auf dem Trail und nicht auf dem Prüfstand gefahren wird.

# ...wird alles genauestens überprüft

Wir sind gespannt, wie es mit dem Thema Steifigkeit und dem neuen Prüfstandaufbau weitergeht. Vielleicht können die von uns in der Praxis aufgedeckten Mängel damit bald auch im Labor simuliert werden und wir werden Freunde von dem neuen Testverfahren. Wir werden euch auf dem Laufenden halten. Bis dahin werden wir keinen Labortest ohne aussagekräftigen Praxistest durchführen, denn wie viele kanadische Profis zu sagen pflegen: „If you ride it, you can feel it.“

Die Interviews mit den Spezialisten gibt es in der aktuellen Ausgabe des world of mtb Magazins.

Aktuelle Ausgabe

# World of MTB 08I15 Cover

Seit dem 01. Juli am Kiosk.

#wasistmtb: Ausprobieren.

Neues Ausprobieren ist das Motto der kommenden Ausgabe. Teamfahrer Sönke Wegner geht in Albstadt bei seinem ersten WorldCup an den Start, Tom Malecha erklärt uns warum Roadtrips lebenswichtig sind und Testchef Johannes Haidn fühlt Prüfständen auf den Zahn.

Das Matterhorn zieht uns in seinen Bann, Trailbikes werden über die Testrunde gejagd und Knieschoner in der Praxis und im Labor getestet. Wir erfahren die neuen Konzepte des Liteville 301, geben Tipps für den Sommer und erklären Leistungsmessung im mtb-Training.

# World of MTB 08I15 Inhalt 1
# World of MTB 08I15 Inhalt 2

Weitere Informationen gibt es unter www.worldofmtb.de.

Text: Johannes Haidn | Fotos: Andreas Meyer
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