Mit dem Mountainbike nach Pakistan? In Part 1 berichtete Jakob schon über kulturelle Unterschiede, eine gigantische Gebirgslandschaft, verdorbene Mägen und die gemeinsame Zeit in der Höhe. Jetzt jedoch wird es spannend, denn mit dem Gondogoro La steht eine doch recht sportliche Passüberquerung an. Viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Abenteuers!
It’s passible!
Wer schon einmal auf Tour war und weiß, dass ein bestimmter Gipfel oder Pass überschritten werden muss, damit man weiter kann, kennt dieses Gefühl des irgendwie stets über einem schwelenden Ungetüms. Respekt einflößend. Ungemach bereitend. Aber auch Vorfreude und Motivation.
Als der Gondogoro La zum ersten Mal sichtbar wird, scheint er uns mit den Rädern nicht machbar. Eine brachiale Steilwand, mit über 5.600 Meter Höhe. Uffa.
Wetter und Gesundheit erlauben aber, dass Gerhard und ich unseren Plan durchführen können: Wir bringen heute die Räder so hoch wie möglich, legen sie ab und steigen wieder ins Camp hinab. Ruhen uns aus, schlafen viel und werden am Folgetag um 21 Uhr zur Überquerung starten.
Gesagt, getan. Während wir wieder im Hispang-Camp chillen, ruhen unsere Räder er entspannt auf ungefähr 5.000 Meter Höhe. Ob sie wohl auch gerade an uns denken? Nun ja, wie dem auch sei.
Wir nutzen die restlichen Stunden, um unser Equipment zu packen. Merinounterwäsche, Skitourenhose, Daunenjacke, Mütze … Heute müssen wir alles anlegen, was wir an Klamotten dabei haben, fallen die Temperaturen doch des Nachts auf unter -10 Grad, während sie in der Sonne selbst in der Höhe schnell wieder in Richtung 20 hinauf klettern. Zudem wandern mit Klettergurt, Steigeisen und Steigklemme eher unübliche Gegenstände in den Bikerucksack. Doch sicher ist sicher. Mit Rucksack und Fahrrad habe ich nun über 23 Kilo auf dem Buckel. Ein ganz hervorragendes Gewicht, um damit irgendwo in Pakistan einen Pass hochzukraxeln.
Um 21 Uhr starten wir pünktlich wie die Maurer. Den Beginn macht eine lange, nein, eine elendslange Hatscherei das Tal hinauf. Erst ab 5.000 Metern Höhe wird es spannend, wir nehmen die Räder auf und nun steigt der Weg die folgenden 600 Höhenmeter sacksteil an. Versüßt durch Gletscher, Steilwände, Steinschläge und Muränenabgänge. Wir kommen gut voran.
Und ich sage dir: des Nachts mit Stirnlampe durch die pakistanische Pampa zu laufen, hat durchaus seinen Reiz. Ein sternenklarer Himmel offenbart Blicke direkt in, gefühlt sogar durch die Milchstraße hindurch. Dank des teilweise staubigen Bodens flimmern und glänzen die Staubkörnchen im Schein unserer Lampen wie Glühwürmchen. Glücksgefühle fluten mein Herz. Als ich nach mehreren Stunden Fußmarsch dann noch die Ohrstöpsel einstöpsel, ist es völlig absurd. Lass dir gesagt sein: Wer noch nie zum Sound von Ennio Morricone oder Hatebreed des Nachts über einen pakistanischen Gletscher spaziert ist, hat quasi noch nicht gelebt!
Bald darauf allerdings strömt statt der Endorphine eher Laktat durch meinen Körper. Es ist wirklich sacksteil. Dass wir mittlerweile schon mehrere Stunden die Räder auch auf dem Buckel haben, macht die Sache überraschenderweise nicht besser. Das Gelände wird dafür immer grenzwertiger, steiler und vereister. Eventuell sollte man demnächst die Steigeisen montieren?
Es tritt ein Klassiker ein: Man sagt sich ständig, dass man diese ja jetzt noch nicht brauche. Und das sagt man sich dann so lange, bis man in einer Stelle hängt und nicht mehr weiß, wie zur Hölle man in einer solchen Situation jetzt die dringend benötigten Steigeisen anziehen soll. Zumal mit dem Rucksack samt Fahrrad irgendwie ein saubescheuertes Hindernis ständig im Weg ist.
Da ich diese Zeilen hier geschrieben habe, kannst du dir wahrscheinlich schon denken, dass ich es hinbekommen habe. Im Zuge dessen hüpfe ich gleich noch in meinen adretten Klettergurt. Denn wir sind mittlerweile so hoch, dass Einheimische hier Fixseile verlegt haben. Angesichts des Gefälles ist klar: Wer hier runterfällt, braucht sich nie wieder irgendwelche Sorgen zu machen. Also lieber Seilklemme raus und eingehängt. Unsere Porter tun dies natürlich nicht. Dafür haben sie sich Socken über die Turnschuhe gezogen, damit sie auf dem Eis laufen können. Achja, außerdem sind die eh schon so weit vor uns, dass wir gerade noch ein paar Lichtkegel am Horizont erkennen können. Was für Maschinen.
Jetzt gibt es so manch unangenehme Situationen im Leben. Zum Beispiel, wenn du dich mit dem Rad vor der Eisdiele voll auf die Gosche legst. Ein anderes Beispiel dafür ist, wenn du in einem Kletterstück hängst, deine beiden Kumpels direkt bei dir samt pakistanischem Guide, und dich dann doch ein gemeines Darmbakterium wieder übermannt. Ich sage jetzt mal so: Schamgefühl ade, es hilft ja alles nix. Die Redewendung „einen abseilen“ hat für mich seitdem auf jeden Fall eine ganz neue Bedeutung.
Meter für Meter kämpfen wir uns weiter hoch. Ich habe mittlerweile schon viele blöde und anstrengende Sachen gemacht. Doch ich glaube, das hier ist das bisher Zachste. Es ist gar keine intensive Höchstbelastung, aber es ist einfach unglaublich zäh. Für Körper und Geist. Das Gewicht macht tatsächlich jeden Schritt und Zug zur Qual, die Höhe tut ihr Übriges. Meter für Meter. Und dann noch einen Schritt. Das Schöne aber ist, dass einfach Jammern nichts hilft. Wir müssen jetzt da oben drüber. Es gibt kein Backup. Ebenso hart wie es auch simpel ist.
Gegen 5:00 Uhr ist es dann schon soweit hell, dass wir keine Lampen mehr brauchen. Das setzt neue Energien frei. Und dann, tatsächlich: Nach über acht Stunden unterwegs stehen wir plötzlich auf dem Gondogoro La. Bei Sonnenaufgang. Bei schönstem Wetter.
Wieder Klischee, aber: Mit tatsächlich einem Schwung sind jegliche Anstrengungen und Schmerzen wie weggeblasen. Als mir der K2 im ersten Licht des Tages entgegenstrahlt, bekomme ich Gänsehaut. Denn lass dir gesagt sein, einen solch tiefblauen Himmel samt dieser Bergkulisse hast du noch nicht gesehen. Besonders im Kontrast zum Weiß des Gletschers ist die ganze Szenerie nur schwer zu beschreiben. Für Gerhard geht genau in diesem Moment ein lang gehegter Jugendtraum in Erfüllung.
Die Laufräder sind schnell wieder montiert und ab gehts. Die ersten Steilkanten müssen zwar hinuntergeklettert werden, doch schon bald kann man tatsächlich fahren. Was für ein Gefühl! Dann allerdings wird der Gletscher flacher und ähnelt nun eher der Topographie einer Eierschachtel. Jetzt gibt es viele Sachen, die mehr schlecht als recht mit einem Fahrrad zu befahren sind. Während man über Eierschalen vermutlich noch recht gut fahren könnte, präsentieren sich verschneite, eierschachtelförmige Gletscher allerdings eher als bescheiden, was die Abfahrtsqualitäten angeht. So weicht der Fahrspaß schon recht bald einem mühsamen Geschiebe. Die Sonne brutzelt mittlerweile wie verrückt und alles ist einfach unfassbar weiß und dunkelblau. Meine Gletscherbrille habe ich übrigens im Aufstieg verloren. Bravo Jakob.
Ein langer Tag verdient einen langen Text, und ich könnte dir nun noch lange weiter von Anstrengungen bei gleichzeitigen Glücksgefühlen vorschwärmen, dennoch kürzen wir nun etwas ab. Um 19 Uhr, nach 22 Stunden, kommen wir paniert wie die Schnitzel am Concordia Platz (4.690 m) an. Unsere Porter erwarten uns fröhlich grinsend in ihrem Zelt, scheinen aber immerhin auch etwas müde zu sein. Die unvergesslichen fünf, sechs Kilometer Biken auf blankem Eis auf dem Weg dorthin sollen hier aber noch erwähnt und gezeigt werden.
Moränen-Schieben
Den folgenden Ruhetag am Concordia Platz, dem sogenannten „Thronsaal der Götter“, können wir wahrlich genießen. Das Panorama ist unbeschreiblich, die Zelte direkt unterhalb von K2 und Broadpeak. Zudem verwöhnt uns das Wetter mit einem strahlend tiefblauen Himmel und wir sind nun akklimatisiert – Herumgelaufe und selbst Hüpfen und Springen mit dem Rad fällt jetzt nicht schwer.
Wir stehen direkt auf dem uraltem Eis des Baltoro-Gletschers. Niemand weiß genau, wie dick es ist. Die Gletscherspalten jedoch sind durchaus furchteinflößend. Insgesamt wartet das Eis mit wirklich surrealen Formen auf. Gigantische Gletschertische, Spalten und Löcher, über- und unterirdische Flüsse, weißes Eis, das in unglaublichen Dimensionen die schwarze Steinschicht durchbricht. Grandios.
Mit den Portern haben wir eine Wahnsinnszeit. Sie backen uns frisches Brot und wir bringen ihnen das Fahrradfahren bei. Etwaige Sprachbarrieren werden mit Emotionen durchbrochen.
Die nächsten Tage bewegen wir uns Gletscher-abwärts. Unser Plan, hier alles mit abzufahren, wird durch die kolossalen Moränen vereitelt. Wer bitte hätte denn auch ahnen können, dass man auf einem riesigen Gletscher wie dem Baltoro mit 58 km Länge nicht auf nette Wegchen trifft?
Aber mit jedem Tag und jedem Meter, den wir abwärts kommen, wird die Landschaft wieder lieblicher und somit steigt die tägliche Fahrzeit an. Die letzte Tagesetappe nach Askole ist sogar nahezu komplett fahrbar. Und da das menschliche Gehirn super ist und sich immer nur an die letzten Minuten erinnern kann, geht die Tour als quasi vollständig fahrbar in mein Gedächtnis ein. Objektivere Menschen würden behaupten, dass wir auf der gesamten Runde vielleicht um die 20 bis 30 % gefahren sind.
Geil, Jeep fahren. Oder?
Wer im Sachunterricht aufgepasst hat, weiß, dass Gletscher große Wasserspeicher sind. Nun kann man sich vorstellen, dass also ein sehr großer Gletscher, wie es der Baltoro ist, ebenfalls eine sehr große Menge an Wasser loswird. Nachdem der Gletscher von einem Meter auf den anderen plötzlich endet, geht er über in den Fluss Braldo. Und dieser hat es wirklich in sich – also hauptsächlich Wasser, davon aber nicht zu knapp. Die Strömung ist dermaßen brachial, dass einem bei den Flussüberquerungen über die sicherlich TÜV-geprüften Brücken teilweise etwas Angst und Bange wird.
Mit dem Jeep soll es nun durch genau diese Braldo-Schlucht zurück nach Skardu gehen. Jeepfahren ist ja immer so ein Jungentraum. Offroad, dicke Reifen, großer Auspuff, geil. Jetzt im Nachhinein kann ich es dir aber getrost sagen: Das ist ein echt beknackter Traum. Denn ich habe bisher wenige Sachen getan, die unkomfortabler und gefährlicher sind.
Stichwort Karakorum Highway (KKH). Bei Galileo-Formaten wie „Die zehn gefährlichsten Straßen der Welt“ stets auf dem Treppchen. Und die Braldo-Schlucht ist quasi der König einer jeden Straße des Karakorums. Denn dort schleift links der Spiegel an der Felswand, rechts schiebt sich ein Teil des Reifens über den Abgrund hinüber und 100 Meter unter einem braldolt der Brodel, äh brodelt der Braldo. Ishaq, der alte Fuchs, weiß jedoch genau, wie er uns beruhigt: „Now getting very dangerous. Lot of cars falling down, lot of men die.“ Ach komm, sag bloß. Kann mir gar nicht vorstellen wieso.
Ishqas Gebete scheinen aber erhört geworden zu sein und wir schaffen es frisch und munter durch die Schlucht. Als das Gelände etwas flacher wird, müssen wir allerdings notgedrungen einen Stopp einlegen. Irgendetwas am Auto muss kaputt sein. Der Fahrer krabbelt unter dem alten Land Cruiser herum und auch wenn ich jetzt nicht so der krasse Automechaniker bin, wird mir klar, dass er an den Bremsleitungen herumfummelt. Leichtes Unwohlsein tritt auf. Jedoch können wir schon bald weiter. Der Schaden muss also behoben sein. Also denkst du jetzt natürlich als sicherheitsfanatischer Deutscher, der selbst die Versicherung der Versicherung seiner Versicherungen versichert.
Gut gelaunt geht es folglich weiter. Auffällig jetzt aber, dass wir spürbar langsamer fahren, der Fahrer sein Fenster aufmacht und in jedem Dorf, durch das wir rollen, wild gestikulierend aus dem Fenster schreit. Also Nachfrage. Die Bremsen seien noch immer kaputt und funktionieren nicht, aber easy, kein Problem, wir haben ja die Motorbremse, meint Ishaq. Ach so, dann ist ja gut, sage ich. Geh leck, ihr habt doch einen Schatten, denke ich mir. Äußere ich aber nicht lauthals, wohl erzogen, wie ich bin. Entschuldigt also meine Ausdrucksweise, doch so ganz schlau finde selbst ich diese Idee nicht. Bock nach Skardu zu latschen kommt bei mir allerdings auch keine auf.
Nach 45 Minuten brems- und zum Glück auch unfallfreier Fahrt kommen wir an einem Restaurant an. Mittagessen steht für uns an, Essen und Bremsreparatur für den Fahrer. Und tatsächlich: als wir nach dem Essen wieder auf den Parkplatz kommen, fährt der Fahrer Vollgas an und steigt in die Eisen. Eine herrliche Vollbremsung folgt. Stolz wie Oskar ist er nun. Kurz ist man dann skeptisch und fragt sich, ob man überhaupt wissen möchte, wie er das jetzt repariert hat. Aber ich bin einfach zu neugierig. Also gefragt. Milch. Wie Milch? Ja, Kuhmilch. Aha.
Hat der Typ doch einfach den Bremsschlauch mit Tape geflickt und Kuhmilch als Bremsflüssigkeit nachgefüllt. Das funktioniere prima, mache er schon seit Jahren so. Mensch, was haben wir Schwein, einen so verantwortungsvollen Fahrer zu haben. Jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen. Inschallah.
Denkt man sich noch so, während man mit etwas Bauchweh im Auto sitzt. 15 Minuten später bleiben wir stehen. Tank leer. Die Sonne brennt mit guten 30 Grad und wir chillen auf einer beknackten Straße, können dafür beobachten, wie der Fahrer schön im Ghettostyle aus einer anderen Karre den Sprit saugt, den Toyota entlüftet und nachtankt. Als er sich dann mit einem Tuch die vom Diesel tropfenden Hände abwischt und sich dann mit ebendiesen den Schweiß aus dem Gesicht schrubbt – ich weise noch einmal bewusst auf die Reihenfolge hin – weiß ich auch nicht mehr so recht. Andere Länder, andere Sitten. In völliger Ergebenheit hocke mich einfach ins Auto und warte, bis wir im Hotel ankommen.
Und auch hier gilt: wenn du denkst, abgefahrener wird es nicht mehr, hockt etwas später im Hotel dann neben dir noch ein Engländer mit völlig zerhämmerter Visage und Arm in der Schlaufe. Hui, was hast du denn angestellt? Ich halte es kurz. Er ist ebenfalls den Gondogoro La hochgeklettert. Um ihn mit seinem Speedflyer wieder hinunterzufliegen. Blöd allerdings, dass sich sein Schirm nicht geöffnet hat. Also ist er Vollgas angerannt, über die Kante gesprungen – und ein paar Meter weiter unten ungespitzt eingeschlagen. Er wusste zwar ein paar Tage lang weder seinen Namen noch seinen Aufenthaltsort, aber sein Kollege hat ihn wieder einigermaßen lebendig nach Skardu gebracht.
Er lässt einen kopfschüttelnd und etwas ratlos zurück. Ich würde ein Vermögen dafür geben, die Gedanken des pakistanischen Rangers oben am Pass lesen zu können, der den verrückten Engländer anrennen, über die Kante springen und unten aufschlagen sieht. Dies tackert mit jetzt noch ein schadenfrohes Grinsen von Ohr zu Ohr ins Gesicht. Auf der anderen Seite stelle ich mir spätestens jetzt wieder die Frage, was zur Hölle wir hier eigentlich treiben. In die Berge gehen, nur weil sie da sind?
Vielleicht sind diese ganzen Alpinismus-Dinger doch nicht so klug. Passend dazu berichtet Thomas Huber, der gerade um die Ecke schlappt, über ihre – leider mal wieder – gescheiterte Latok-Expedition. Als Steine, groß wie Autos, auf ihre Zelte gefallen sind, sind sie umgekehrt. Schlaue Entscheidung. Auf dem Baltoro sind wir an ausreichend Denkmälern für verstorbene Bergsteiger vorbeigekommen.
So viel Erlebnis, aber…
Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet. – Hans Magnus Enzensberger
Um die halbe Welt fliegen, um Fahrradfahren bzw. -tragen zu gehen? Allein nur die Hinflüge hauen laut atmosfair.de mehr CO2 pro Kopf raus, als ein naturverträgliches Jahresbudget eines Menschen hergeben würde. Ganz davon zu schweigen, dass durch unsere Aktion fremde Leute unser Gepäck durchs Gebirge tragen und wir somit dafür verantwortlich sind, dass noch mehr Müll und Dreck auf dem alten Eis landet.
Passender als Herr Enzensberger könnte ich meine innere Zerrissenheit nicht beschreiben, wenn man Plastikmüll und menschliche Fäkalien auf dem erhabenen Baltoro sieht. Ist das mein individuelles Vergnügen wert? Wie lässt sich der Wunsch, andere Kulturen kennenzulernen, das Bedürfnis, fremde Welten und Landschaften zu bereisen und somit auch erst lieben zu lernen, kombinieren mit der Zerstörung und Verschmutzung, die man dadurch anrichtet? In letzter Konsequenz sicherlich gar nicht. CO2-Kompensationszahlungen erleichtern nur minimal das Gewissen, gleichen sie denn eher einem Ablasshandel. Gesündigt habe ich ja dennoch, Zahlungen hin oder her. Bleibt nur, meinen Alltag zukünftig ökologischer zu gestalten, in allen mir möglichen Belangen.
Auf dem Baltoro jedenfalls sammeln die besseren Agenturen den Müll ein und verbrennen ihn. Ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. In einem ausführlichen Gespräch mit dem Präsidenten des Pakistanischen Alpine Clubs berichtet er uns, dass eine italienische NGO jedes Jahr zum Ende der Saison den Gletscher reinigt und die offiziellen Guides werden mittlerweile in der Müll-Thematik geschult. Dieser Bildungsauftrag koste Geld und werde hauptsächlich durch Einnahmen durch den Tourismus finanziert. Grundsätzlich gelte, dass die Menschen in Pakistan, einem der ärmsten Länder Asiens, andere Probleme als Naturschutz hätten.
Wie sieht es eigentlich mit den kulturellen Aspekten aus? Darf man in ein Land reisen, von dem man gelesen hat, dass Blasphemie mit dem Tod bestraft werden kann? Will man in ein Land reisen, von dem man gehört hat, dass Frauen unterdrückt und misshandelt werden? Oder sollte man dies im Sinne der Horizonterweiterung beider Seiten erst Recht sogar tun? Ich habe mich zu der Reise entschlossen und versuche hier, diesbezüglich meine persönlichen Beobachtungen zu schildern, möchte aber letztendlich aufgrund meines sehr beschränkten Wissens über die komplexe Sozialstruktur Pakistans ungern etwas bewerten. Zudem bestand der Grund unserer Reise in erster Linie darin, Gerhards Traum zu verwirklichen und die wunderbare Landschaft des Karakorums bereisen zu können, weniger in einer fundierten Sozialanalyse Pakistans.
Wie ihr die obigen Fragen für euch selbst beantwortet, liebe LeserInnen, könnt ihr entscheiden. Weil das ist ja das Coole daran: Wir haben solche Freiheiten. Denn wahrscheinlich tummeln sich, abgesehen vom Rolex-Uhren-Forum, nirgendwo sonst mehr privilegierte Menschen als in einem deutschsprachigen Mountainbike-Forum.
Klar ist, dass in der Islamischen Republik Pakistan, wie der Name schon sagt, der Glaube omnipräsent ist und sich sehr viel im Leben dort nach der Religion richtet. Wobei zu sagen ist, dass es auch hier nicht den einen Islam gibt, sondern sich dieser in viele unterschiedliche Strömungen aufteilt. Und tatsächlich schienen alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, tief gläubig zu sein. Eine für mich als quasi Atheisten mit hierzulande ähnlich tickendem Freundeskreis ungewohnte Erfahrung.
Keiner meiner Gesprächspartner war dabei verbohrt, sondern man zeigte sich oftmals auch sehr interessiert in meinen Ansichten und meinem Lebensstil. Was einen guten Menschen ausmacht? „Good Mindset“ sei dafür notwendig, so Ishaq. Egal, ob Christ, Moslem, Jude, Atheist, schwarz, weiß, braun, blond, grün oder sonst was. Von der Tatsache, dass gerade der Islam und das Christentum als zwei der monotheistischen großen Buchreligionen gar nicht mal so wenige Gemeinsamkeiten haben, mal ganz zu schweigen.
Da quasi immer jeder nach der Situation von Frauen in Pakistan fragt: Ich kann darüber eigentlich nichts erzählen. Alleine schon deshalb, da wir als reine Männergruppe unterwegs waren und wir in unserer kurzen Zeit vor Ort gar keinen richtigen Einblick hätten erlangen können. Zumal wir die Empfehlungen aller im Vornherein gelesenen Reiseführer beherzigt haben – was wiederum natürlich auch irgendwie Bände spricht: Halte dich von einheimischen Frauen fern. Wir hatten folglich so gut wie keinen Kontakt zu Frauen. Deshalb dazu nur ein paar Beobachtungen dazu:
Das einheimische, weibliche Geschlecht nimmt, wie wir es erlebt haben, im ländlicheren Norden quasi nicht am öffentlichen Leben teil. Von Zeit zu Zeit huschen zwar Personen in bunten Gewändern und Hidschāb an einem vorbei. Diese jedoch scheinen alles zu tun, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sobald wir etwa Bike-Fotos gemacht haben, hat sich in den Orten oftmals innerhalb von kurzer Zeit eine Menschentraube um uns gebildet – bestehend aber immer nur aus Buben und Männern. Weiteres zu dieser Thematik kann ich eigentlich nicht berichten.
Wobei, schließen wir mit einer netten Anekdote: In Skardu pfeift uns eine Gruppe verschleierter Mädels hinterher und winkt uns fröhlich grinsend zu. Im Straßenbild Islamabads scheinen unverschleierte Frauen in Jeans normal zu sein, was mir auch auf dem Rückflug eine ebenfalls nicht verschleierte pakistanische Frau in fließendem Englisch bestätigt. Allerdings ist dies die einzige pakistanische Frau, mit der ich in der ganzen Zeit rede. Auf unserer Tour treffen wir immer wieder auf unverschleierte westliche Touristinnen, die berichten, dass sie sich in Baltistan und auch in Islamabad bisher sehr zuvorkommend behandelt gefühlt hätten.
Dass unsere ganzen in der Urlaubsblase entstandenen Eindrücke sicherlich nicht repräsentativ für die Behandlung von Frauen in Pakistan sind, habe ich ja schon erwähnt. Bei der aktuellen Ländererhebung der UN zum Gender Inequality Index etwa belegt Pakistan Platz 154. Das ist, gelinde gesagt, nicht gerade gut. Sehr interessant aber, und deswegen erwähne ich es hier noch am Rande, dass Pakistan mit Benazir Bhutto eine Premierministerin hatte, 17 Jahre bevor Angela Merkel das erste Mal hier Kanzlerin wurde. Welches Ende diese Geschichte allerdings nahm, verstärkt nur die ganzen Widersprüche, denen ich bei meinen vor- und nachbereitenden Recherchen und während des Trips begegnet bin.
Ebenfalls zum Nachdenken regt einen der Kaschmir-Konflikt an. In jeder Konversation, die auf dieses Thema zu sprechen kommt, wird ein abgrundtiefer Hass auf Indien deutlich. Es scheint aufgrund der Vergangenheit einfach völlig normal zu sein, seine Nachbarn zu verabscheuen, obwohl sich diese ja geografisch oftmals viel näher sind als Landsmänner in anderen Teilen des Landes.
Befremdlich wirkte auf mich auch die enorme Präsenz von schwer bewaffnetem Sicherheitspersonal. Und auch, wenn wir von den Securities, Militärs und Polizisten immer wie Könige behandelt wurden, fühle ich mich umringt von lauter AK-47 und Pumpguns irgendwie unwohl. Und ich möchte noch einen Aspekt ansprechen: In Pakistan gibt es keine Schulpflicht. Die Porter unserer Gruppe beispielsweise, alle stammend aus kleinen Bergdörfern im Karakorum, waren so gut wie alle Analphabeten. Sie konnten aber alle etwas Englisch, da sie bei ihrer Arbeit mit den Touristen in Kontakt kommen.
Sind also kulturelle Unterschiede – und mögen sie einem noch so bitter aufstoßen – Grund genug, ein Land nicht zu bereisen? Welches Recht habe ich überhaupt, ein fremdes Land und fremde Menschen zu beurteilen? Oder habe ich sogar die Pflicht dazu? Ich weiß es nicht. Mir jedenfalls führt die dort gewonnene Erkenntnis sehr deutlich vor Augen, über welche Privilegien ich als weißer, westeuropäischer Mann verfüge. Und welch weiten Weg wir alle hinsichtlich eines sozial und ökologisch bewussten Lebensstils noch vor uns haben. Dabei muss manch einer sicherlich noch etwas weiter gehen als der andere. Aber anfangen sollte vermutlich ein jeder damit, sich an die eigenen Nase zu fassen.
Wenn wir schon bei Konflikten sind, muss leider auch die Terrorismuslage angesprochen werden. Ob nun Glück, Zufall oder der Tatsache geschuldet, dass wir mit Islamabad und Gilgit-Baltistan letztendlich in vergleichsweise touristischen und offenen Regionen unterwegs waren … Wir sind, was uns drei angeht, nur auf enorm herzliche Menschen getroffen und haben persönlich – abgesehen von meinem total verhunzten Magen-Darm-Trakt und dem ein oder anderen Schreckensmoment beim Jeepfahren – hinsichtlich dessen tatsächlich keinerlei negative Erfahrungen gemacht.
Dass nicht alle über eine solche Offenheit gegenüber Fremden verfügen – sowohl in Pakistan wie auch hierzulande –, ist ebenfalls bekannt. Mich persönlich würden etwa aktuell keine zehn Pferde in die Grenzgebiete zu Afghanistan ziehen können. Dort bekämpft sich das pakistanische Militär mit den Taliban und anderen extremistischen Gruppen, die sich mit Attentaten – oftmals gegen militärische und polizeiliche Einrichtungen, aber auch etwa Schulen – rächen. In Baltistan allerdings konnten wir zu jeder Zeit völlig unbehelligt reisen und fühlten uns stets sehr willkommen. Die Menschen hier, die mit uns gesprochen haben, tun ihre Wut auf die Extremisten kund und wissen, welches Bild Pakistans durch deren Taten in die Welt transportiert wird. Und sie haben zumindest bei uns dreien dafür gesorgt, dass wir mit einem komplett anderen Bild wieder nach Hause gereist sind.
Eine Mini-Doku gibt es hier noch über das Projekt:
Dankeschön
Hat sich der Trip also gelohnt? Für mich persönlich definitiv. Noch nie konnte ich so schnell so viele Vorurteile abbauen. Noch nie habe ich eine solch grandiose, da unglaublich schroffe und vergletscherte Landschaft gesehen. Noch nie habe ich so gastfreundliche Menschen getroffen. Noch nie habe ich meinen Körper so ans Limit gebracht. Noch nie wurde mir so krass vor Augen geführt, in welchem Luxus und Komfort ich als weißer Mann hier in Deutschland lebe und dass über meine Alltagsproblemchen ein sehr großer Teil dieser Welt nur lachen kann. Würde ich genau diese Tour wieder machen? Vermutlich eher nicht. Würde ich wieder nach Pakistan, wenn sich Möglichkeit auftut? Nicht in naher Zukunft, doch irgendwann sicherlich.
Aufgrund dieser für mich persönlich enormen Horizonterweiterung bin ich sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, eine solche Reise erleben zu können. Die Erinnerung daran wird mich ein Leben lang begleiten.
Mit Gerhard und Martin hatte ich zwei wunderbare Reisegenossen, mit denen es tatsächlich die gesamten drei Wochen über enorm harmonisch war – und das ist keine Selbstverständlichkeit bei einer solchen Unternehmung. Deswegen ein wirklich herzliches Dankeschön an euch beide!
Von Anfang an lesen: Pakistan per Bike: Teil 1
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