In der letzten Kolumne des Jahres 2015 rief ich dazu auf, mir doch mal Texte zu schicken, die was taugen, um in diesem Format veröffentlicht zu werden. Es war fast zu erwarten, dass alle Nörgler und Basher diesen Absatz gerne überlesen würden und sich somit selber ad absurdum führen würden. Mein Postfach ist bis zum heutigen Tag leer!

Einer jedoch braucht keinen Aufrufe, um geniale Texte zu schreiben. Den bittet man um eine Vorführung seiner Wortakrobatik. Nachdem ich schon im letzten Jahr Ulrich „Uller“ Rose mit dem „Mythos Fahrerfrau“ präsentieren durfte, freut es mich umso mehr, euch nun mit seinem neuen Werk alleine zu lassen.

Viel Spaß mit dem „Stuhlkreis der Sprücheklopfer“:

Da steh ich wieder einmal, nur wenige Zentimeter vor der Pforte zur radsportlichen Normalität. Ein wenig fehlt mir noch das Zutrauen für den letzten Schritt, aber in meinem Rücken drängeln sich schon bunt gekleidete Mitmenschen. Während Stollenreifen mich sanft anstupsen, erreichen erste, sanfte Töne meine Ohrmuschel „Ey Alter, mach hin, wir wollen auch noch rein“. In der Gedankenblase über meinem Kopf formuliere ich meine Antwort „Ist ja schon gut, du Schiffsschaukelbremser. Auch du kommst mit deinem Ritter-Sport-Körper durch die Gesichtskontrolle.“

Ich nehme nun allen Mut zusammen und stürze mich in das erste Abenteuer des Tages. Tief geduckt, bewege ich mich zwischen den feindlichen Linien der verbalen Heckenschützen in den Startblock. Schnell passiert es und neben mir schlägt die erste sprachliche Entgleisung ein „Ich bin heiß wie Frittenfett“.

Puh, Glück gehabt, das ging vorbei. Doch der nächste Anschlag auf unsere Muttersprache folgt kurz darauf „Und, biste fit?“ Verdammt, erwischt, ich habe keine Chance und stelle mich der Frage aller Fragen.
Noch bevor ich meine sportliche Situation glaubhaft übertrieben darstelle oder mich in Ausreden flüchte, ergreift mein Gesprächspartner die Initiative. Schon im Ansatz versucht er Mitleid von mir zu erbetteln. Ich schalte ab und nicke nur noch im Wackeldackel-Rhythmus, unterstützt mit einem betroffenen Gesichtsausdruck. So ganz nebenbei, im Dunst von altem Schweiß und Latschenkiefernaufwärmöl, inhaliere ich die Stimmung des Hochleistungssports. Der Fahrer vor mir mischt unter die lockere Atmosphäre noch einen übelriechenden Magenwind. Ich raune ihm leise zu „Mut hat der, der Durchfall hat und trotzdem furzt.“ Sei´s drum, ich wäre jetzt bereit, wir können starten. Aus der ersten Reihe ertönen noch diverse Schlachtrufe, u.a. „Kopf aus, Beine an“. Schade für ihn, da fehlte wohl noch „Kettenriss“, denn weit kommt dieser tollkühne Held vom Erdbeerfeld heute nicht.

Sprüchebeklopfung kurz bevor die tiefstapelnden Süßholzraspler sich die Kante geben.
# Sprüchebeklopfung kurz bevor die tiefstapelnden Süßholzraspler sich die Kante geben.

„Freie Fahrt für freie Bürger“, denkste. Hier macht keiner das, was er soll, sondern jeder das, was er will und alle machen mit. Irgendwann geht es ein wenig gesitteter zu und ich habe meine Gruppe für heute erobert. Fünf Mann, die irgendwo zwischen Baum und Borke ihr Radsportdasein fristen.

In der Ebene fahr ich immer kurze Ablösungen mit mir selbst, da meine Mitstreiter den belgischen Ein-Mann-Kreisel nicht unterbrechen wollen. „Gegenwind formt den Charakter“ hat seinen Ursprung im Straßenrennsport. Ob das die charakterlosen Würstchen hinter mir auch wissen? In einem gefälleträchtigen Streckenabschnitt schleicht sich ein schneller Mitbewerber heran. Seine Rufe „Bremse auf“, „rechts“, „links“ stellen mich auf die Probe. Was beabsichtigt er mit diesem Baukastensystem der Anweisungen? Kann er seine Wünsche nicht in einen Satzbau mit Subjekt, Prädikat und Objekt hüllen, so wie es jeder 08/15-Grundschüler lernt? Meine Wünsche und Träume tangieren ihn nur peripher, als er mit überhöhter Geschwindigkeit gen Tal saust. „Alte Scheiße, das geht ja mal gar nicht“ äußere ich lautstark, als der Proband seinem Plastik-Fantastik-Rad am nächsten Holzgewächs die Lebenslichter ausbläst. Aus den hinteren Reihen ist eine Wortmeldung zu vernehmen, ja bitte: „Wenn er nicht blutet, dann ist er nicht richtig gefahren.“ Recht hat er.

Der Tag schreitet voran und so auch meine Führungsarbeit. „Wer nicht führen will, muss fühlen“ und so rase ich mit ordentlich Schlamm auf der Peitsche durch den Mischwald meines Vertrauens. Mit dieser semiintelligenten Form des Radsports werde ich wahrscheinlich vorne sterben und hinten nix erben. Ist nicht schlimm. Weiter unten macht sich ein mentales Problem in Form von Krämpfen in meinem Bewegungsapparat breit. Angeschlagen wie ich bin, bindet mir ein Mitkonkurrent nun auch noch ein Gespräch ans Bein. Kommt nach müde wirklich blöd, oder warum tut er mir das jetzt an? Aber auch für ihn heißt es an diesem Tag „Spital ohne Pokal“. Hätte er eigentlich wissen müssen, schließlich steht auf jeder Packungsbeilage Windschattenfahren im Downhill gefährdet die Gesundheit.“ Ein letzter Hügel, ein letztes Mal den Würfelhusten unterdrücken, ein letzter guter Rat in großen Buchstaben auf der Straße „Kette rechts“. Klingt logisch. Kettenblätter und Kassette hat der Hersteller schließlich auch rechts montiert.

Ein zusammengekauertes Männlein am Fotoknipsgerät hält meine Irrfahrt im Bild fest. Mit letzter Kraft rufe ich ihm zu „Ich brauche keine Bilder, ich habe mir alles gemerkt.“ Noch bevor ich besinnungslos auf den Vorbau klatsche, überquere ich das Fragment einer Ziellinie nach Stunden der Selbstzerstörung.

Es kann nie zu früh sein zum Sprücheklopfen. Am besten fängt man schon einen Tag vorher an.
# Es kann nie zu früh sein zum Sprücheklopfen. Am besten fängt man schon einen Tag vorher an.

Wieder einmal habe ich bis zur letzten Platzpatrone gekämpft. Auf allen Vieren krabbele ich in Richtung Zielverpflegung. Auf meinem Weg stellt sich mir ein wohlgenährter mittelalter Mann in den Weg. Er schüttet mir lauwarme Apfelschorle über die Hand und reicht mir ein gekrümmtes Stück Obst. In seinem sonnenverdunkelten Schatten, eingerahmt von einer Bierfahne, lese ich auf seinem T-Shirt „Lieber tot als DNF“. Klingt plausibel. Mit dieser Weisheit robbe ich zu meinem Kfz. Nach erfolgreicher Körperreinigung starte ich den Heimweg.

Mein automobiles Unterhaltungsmedium verzückt mich mit den letzten Minuten der Fußball-Bundesligakonferenz. Nach Abpfiff noch ein paar Interviews der Spieler. Der kleine Philipp spricht von der Identität der bayrischen Spielweise und Chancen, die man kreieren wollte. Ich schalte ab. Womöglich referiert als nächstes noch die Nivea Fönfrisur über seidenweiche Halstücher. Ruhe macht sich in meinem Automobil breit, nichts als Ruhe. Ich denke, dass ich dem Radsport treu bleibe, auch wenn es nächste Woche wieder heißt: „Und, biste fit?“

In diesem Sinne Think Pink – euer Uller und die Muschi

Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.

Fotos: Tobbi Turner
  1. benutzerbild

    singletrailer67

    dabei seit 03/2004

    Mario...diesmal kurzweilig, maximaler Lesefluss...und weil es genau so bei den Heisskisten in der ersten Reihe ist - perfekt auf den Punkt gebracht.
    Kam aus dem schmunzeln nicht mehr raus...

  2. benutzerbild

    Deleted 30320

    dabei seit 12/2015

    und ? biste fit ? smilie


    ... je weiter man nach hinten kommt um so schlimmer wird's .... kann ich Euch sagen weil wenn, dann steh ich immer gaaaanz hinten smilie

  3. benutzerbild

    DerBergschreck

    dabei seit 10/2004

    Mario...diesmal kurzweilig, maximaler Lesefluss...und weil es genau so bei den Heisskisten in der ersten Reihe ist - perfekt auf den Punkt gebracht.

    Ich hatte zuerst "Heizkissen" gelesen... smilie

    Bei unserem Rennradtreff sind eigentlich immer alle krank - um dann nach einer kurzen Einrollphase richtig Druck zu machen. Albern.

    Aber schöner Text!
  4. benutzerbild

    henrsch

    dabei seit 06/2004

    Köstlich - genau so isses. Wir sind halt alle Spinner!

  5. benutzerbild

    Steve Style

    dabei seit 06/2006

    Musste so Lachen, dass ich Angst hatte, mein Schließmuskel könnte sich anstecken lassen und seiner Aufgabe nicht mehr adäquat nachkommen. Gut dass der Text nicht länger war!
    Sehr schönsmiliesmiliesmilie

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