Irgendwann im letzten Herbst hat sich mein unsportlicher Freund Daniel in den Kopf gesetzt, einen schönen, sportlichen Tag mit seinen Freunden verbringen zu wollen. Der Aufforderung, mich zu einem Lauf-Event namens Strong Viking Obstacle Run anzumelden, komme ich umgehend nach. Auf was ich mich da genau einlasse, ist mir nicht wirklich bewusst. Da mein laufblasenverwöhnter Kumpel und ein Lauf-Event eigentlich nicht zusammen passen, mache ich mir erstmal keine Gedanken über so einen Pipifax.
Das Wochenende wird im Kalender notiert und gerät in Vergessenheit. Im Februar kommt die erste Anfrage zum Stand meines Lauftrainings. Lauftraining? Ach ja, wir wollen ja laufen gehen. Erste einhergehende Recherchen zum Event lassen mich leicht erblassen. Ein paar Videoclips sorgen für die nötige Ehrfurcht vor dem Vorhaben, einen 19 km-Hindernislauf vollenden zu wollen.
Was denkt sich der Kerl eigentlich dabei, seinen unsportlichen Kadaver bei so einem Event abdecken zu lassen? Jetzt stehe ich aber ein wenig doof da mit meiner Abneigung fürs Laufen im Allgemeinen und im Speziellen. Das letzte Mal gelaufen bin ich vor 12 Jahren. Aber auch da nur wegen des bierseligen Versprechens, meinen Nachbarn bei einen 10 km-Silvesterlauf zu begleiten. Weil damals die Zeitspanne von Versprechen bis zum Lauf gerade mal eine halbe Nacht betrug und keine Laufschuhe zu finden waren, musste der Lauf auch noch in Straßenschuhen bestritten werden. Ich weiß noch genau, wie mich ein Kenianer, oder war es ein Äthiopier, zweimal im ICE-Tempo überrundet hat und wie scheiße ich laufen fand.

Und nun sollen es 19 km mit 43 Hindernissen sein, Prost Mahlzeit! Vielleicht sollte ich mir mal Laufschuhe kaufen und genauso dilettantisch an diesen Event heran gehen wie an alle meine sportlichen Herausforderungen. Es auf mich zukommen lassen, zwei Stunden vor Abfahrt hektisch die Tasche packen und die Bude auf der Suche nach irgendwas auf den Kopf stellen, dumme Sprüche klopfen und es einfach genießen.
Klingt nach einem guten Plan und wird in die Tat umgesetzt. Samstag morgen sechs Uhr, ich stehe bei Daniel in der Firma und verlange nach Bier zum Frühstück. Kein Bier? Auch gut dann halt nüchtern laufen. Wir sind sechs, und diesen sportlichen Querschnitt unserer Gesellschaft auf eine Sportveranstaltung dieser Art loszulassen hat ein gewisses emotionales Gefährdungspotential.
Dabei sind: Markus, Bundeswehrausbilder, Läufer – Nico, Feuerwehrmann-Musterathlet – Bernd, Arbeitsmann, Bodybuilder – Jürgen, der Drössiger, Radsportler – Muschi, ausgebildeter Ignorant, Erlebnissportler und Daniel the Brain. Daniel ist das iPhone unserer Gruppe. Meins startet immer bei 100% und wenn man zu viel damit arbeitet, ist es ganz schnell zappenduster. Aber nein, Daniel ist nicht unser Handicap, Daniel ist unsere Herausforderung. Wir laufen zusammen los und kommen zusammen an. Anfang des Jahres hat er angefangen 10 km Läufe zu trainieren und beendet sie. Damit ist er trainierter als ich.

Neun Uhr, wir stehen in Nijmegen/NL auf dem Gelände des Strong Viking Laufs. Zentrum des ganzen ist ein großer See, um den sich die Laufstrecken 7 km, 13 km und 19 km drapieren. Wir laufen nicht nur die 19 km Variante, sondern wollen auch die dazugehörigen 43 Hindernisse bewältigen.
Zehn Uhr irgendwas und der Start ruft. Ich stehe in einem Schweinepferch. Vorne stehen die ganz Harten, halbnackt. Wir stehen hinten und haben T-Shirts an. Ich füge mich dem Gruppenanimationszwang, gemeinschaftliches Warmmachen, moderierter Smalltalk und der Schwur auf den Wikinger Ehrenkodex, „OOOOOOORAH“. Noch fühle ich mich von soviel Gruppenzwang überfordert. Ich schaue auf den Start. Mehr als eine 3 m hohe glatte Wand sehe ich nicht, davor die halbnackten tätowierten Superathleten im Schottenrock. Ihre Augen sagen mir, dass ich ein Opfer bin und zur Schlachtbank geführt werde, toll. Daniel hustet gerade seine letzten drei Zigaretten ab und reduziert damit sein Kampfgewicht.
Päng, der erste Mädchentraum in V-Format springt über die 3 m Wand, als wäre sie nicht vorhanden. Ich brauche auch was von dem Zeug, was die da vorne vor dem Start eingeworfen haben. Wir warten und helfen uns per Räuberleiter beim Überqueren dieser magischen Grenze zum Land der tausend Schmerzen. Anfangs lehne ich noch die ersten Schlammkontakte ab und laufe ihnen aus dem Weg. Nach 500 m nehmen mir die ersten Schlammgruben die Entscheidung ab. Wasser ist nass und Schlamm macht dreckig, zumindest sehe ich nun schon mal so aus, als wäre ich ein Finisher, fehlen nur noch die glasigen Augen und die dazugehörige Apathie.
Nach Schlamm und Wasser folgen die ersten Hindernisse mit Turncharakter, Seilklettern, tauziehen, hangeln, robben, klettern, drücken, schieben, haste nicht gesehen. Wenn man versagt, kostet das zehn Streckliegestützen. Auf dem Gelände ertönt immer mal wieder gerne der Schlachtruf „OOOOOOORAH“. Und die schlammbesudelte Masse schmettert ein „OOOOOOOORAH“ zurück.

Alles easy, ich laufe, ich fühle mich gut, wir kommen an eine Übung, bei der wir ein Gewicht in 5 m Höhe ziehen müssen. Leck mich Arsch, ist die mickrige Kugel aus Blei oder aus schwarz lackiertem Gold? Ich auf jeden Fall kriege sie gerade mal 15 cm vom Boden weg gezogen, Schwächling. Da steht Bernd neben mir, der Kerl mit Oberarmen wie ich Oberschenkel habe. Nimmt mir das Seil aus der Hand, zieht 5 mal dran und die Kugel ist oben. Ich bin beeindruckt, aber hilft mir nicht, einmal zehn Streckliegestützen bitte. Gib dem Bernd was zu ziehen, zu stemmen, zu heben, er ist der Hulk unserer Gruppe. Nur mit klettern und hangeln hat er es nicht so, er hat einfach zu schwere Knochen.
Nach sechs Kilometern sehen Daniel und Bernd alles andere als taufrisch aus, während unsere Superathleten Nico und Markus gerade mal warm geworden sind. Jürgen und ich kämpfen weniger mit der Pulsfrequenz als mehr mit den ungewohnten Bewegungsabläufen. Ich habe soviel Sand in den Schuhen, dass ich mir daraus ein ergonomisches Fußbett geformt habe. In mir steckt zwar ein Terrier, nur doof dass der Möp nur nachts raus darf.
Das erste massive Hindernis stellt sich uns in den Weg, der Brother Hill. Eine rutschige 45° Steilwand, die an Kletternetzen endet lädt zum Teamwork ein. Nico koordiniert die menschliche Pyramide und fordert zum Durchhalten auf, damit auch noch ein paar Mädels stolz auf uns Helden sein können.
Streckenteilung, Daniel überlegt mal kurz auf die 7 km Distanz abzubiegen. Ein kurzer Anschiss vom Hauptfeld und der Lappen läuft wieder in Reih und Glied. Wir sind stolz auf ihn. Es folgen wieder die tollsten Turnübungen, inklusive Nahkampftraining. Langsam verspüre ich Schmerzen im Oberschenkel, Markus plagen Krämpfe, Bernds schwere Knochen werden immer schwerer, Jürgen hält den Mund und Nico faltet uns in Bundeswehrmanier zusammen. Nach der Aufforderung zum Durchzählen folgt ein „Wie fühlt ihr euch“. Auf meine Antwort „schön, süß und geil“ folgt der nächste Anschiss, „taufrisch und bärenstark“ wäre der Jackpot gewesen.
Highlight der nächsten Kilometer mit langen Laufpassagen sind 4 Schlammgruben, die zu durchqueren sind. Beim Überqueren der Lehmhügel in die nächste Grube sehen wir aus wie kopulierende Nacktschnecken, besudelte schleimige Körper, die sich zuckend teilweise übereinander weg bewegen, einfach nur schön. Zum Glück weiß ich nicht, dass die richtig aufregenden Hindernisse erst auf dem zweiten Teil des Parcours folgen.
Wir fügen uns, halten zusammen. Während ich es so gerade noch schaffe, der Geschwindigkeit unserer zwei Läufer zu folgen, fällt der Rest der Gruppe immer wieder zurück. Besonders Daniel hat es schwer, er hustet mittlerweile die Zigaretten der letzten drei Monate ab.
Immer häufiger hallt ein „DANIELLLLL“ über das Gelände. Das ist ihm peinlich, er schließt auf. Tut er es nicht, fliegt ein „du Lappen“ hinterher. Wir brauchen Motivation, Nico fordert ein Lied. Ich komme dem nach und stimme ein „Hoch auf dem gelben Wagen“ an. Nico rennt weg, die anderen lassen sich zurück fallen und die Massen an niederländischen Mitstreitern schauen mich entgeistert an. Nach „Im Frühtau zu Berge“ beschliesse ich, dass es besser ist, leise zu summen.
Nach runden 13 km gibt es auch noch Berge dazu. Da hat irgendwer seine Halde liegen lassen und wir dürfen da rauf und runter laufen. Und wäre das in unserem lädierten Zustand nicht schon genug, dürfen wir auch noch einen 10-15 kg schweren Sandsack mitschleppen und am höchsten Punkt noch über eine 4 m hohe Wand klettern.
Vermehrt liegen mir fremde Wikinger am Wegesrand zu Füßen und kämpfen gegen Krämpfe und Erschöpfung. Unser Daniel läuft immer noch, auch wenn er mittlerweile das Gehen als die angenehmere Fortbewegungsart ansieht. Er fordert uns auf, ohne ihn weiter zu laufen. Wir lassen keinen Kameraden im Stich, also schreien wir ihn solange an, bis er weiter läuft. Als endgültige Demonstration gegen die Spaßifizierung des Abendlandes folgen mehrere „Muddy Rivers“. Dieser Begriff ist eine Frechheit, denn diese stinkende Brühe, die dort durch lichtes Baumwerk mäandert, ist der Vorhof zur Hölle. Die scheißkalte Stinkbrühe saugt an meinen Schuhen. Ich wäre nicht der Erste, der hier seine Schuhe verliert. Wer fehltritt, verliert. Die von mir gewählte Alternativ-Route endet in einem metertiefen Loch. Schwupp, ist die Muschi weg. Dem Herzinfarkt durch plötzliche Herzunterkühlung nahe, tauche ich wieder auf. Das Lachen fällt mir zwar schwer, sieht aber gut aus.
Nächste Haltestelle „Storm the Castle“, wieder so was für den Gemeinschaftssinn. Es gilt, eine 4 m hohe Halfpipe zu überwinden. Also frontal reinlaufen und versuchen die obere Kante zu packen. Nico lacht darüber, Markus und ich schaffen es so gerade alleine nach oben. Nun helfen wir den andern drei. Jürgen ist oben, Daniel läuft an und springt in letzten Moment, wo seine Füße noch Halt haben ab. Er kriegt gerade noch so unsere Hände zu fassen. Nun hängt er wie ein nasser Sack an unseren Händen und wir ziehen mit Mühe seinen Kadaver nach oben. Bernd schafft es auch bis zu unseren Händen, jedoch stehen seine schweren Knochen einer erfolgreichen Bergung im Wege. Wir können ihn nicht halten, einmal zehn Streckliegestützen bitte.
Es müssen noch Türme aus Strohballen bestiegen werden, es wird gehangelt und gerangelt, die am Anfang beschriebene Hürde muss genommen werden, wieder Steilwände, nochmal robben, und immer wieder Schlamm. Mittlerweile ist der Schmerz, den ich schon seit Kilometern mit mir herum schleppe, von der Oberseite in die Unterseite des Oberschenkels gewandert. Ich habe Angst, mit dem Laufen aufzuhören, weil ich nicht weiß ob ich nochmal weiterlaufe. Es kann sich nur noch um ein bis zwei Kilometer bis ins Ziel handeln. Daniel humpelt nur noch. Anschreien, durchzählen, „OOOOOOORAH“, das hat alles keinen Sinn mehr, er ist mehr Zombie als Mensch. Er fällt immer mehr zurück, während wir uns den letzten zwei großen Hindernissen nähern.
Am „Varjagan Saga“ müssen 2 Steilwände erklommen werden, dann hangeln wir an Stangen und Ringen weiter, bis drehende Räder die Spreu vom Weizen trennen. Man muss sie greifen und den Schwung der Räder mitnehmen, um das nächste greifen zu können. Das ist mehr als kniffelig.
Noch ein paar hundert Meter, Daniel steht noch, kann aber den linken Fuß nicht mehr belasten. Er läuft nun auf den Zehen. Scheißegal, da vorne wartet Bier. Nur noch die drei Podeste des Zielturms „Walhalla Steps“ erklimmen und wir haben fertig. Wir sind glücklich und stolz, Daniel ist auch da, wir sind alle da, wir haben es zusammen geschafft. Das Bier fließt wie Nektar unsere Kehlen herunter. Nun haben wir den Beast Status.

Sagte ich schon das Laufen ein Arschloch ist.
Epilog
Abends, meine sterblichen Überreste begleiten meine Herzdame auf eine Tanzveranstaltung. Dort kann sich jeder darüber amüsieren, wie ich Treppen rauf- und runterstelze. Als ich morgens erwache, ist mein erster Gedanke: AUA. Ich brauche wohl sofort einen gelben Schein, oder bin ich heute mit meinem alten Fuß aufgestanden? Vielleicht bin ich auch nur unteralkoholisiert.
Es bedarf einer eingehenden Massage, damit die Welt wieder etwas schöner aussieht. Schmerzen sind die spürbare Belohnung für das gestern Geleistete, sage ich mir. Es macht Pling auf meinem Handy, die ersten Lebenszeichen der Jungs kommen an. Am schlimmsten hat es unseren unsportlichen Helden Daniel erwischt. Er hat sich wohl einen kleinen Ermüdungsbruch im Fuß zugezogen. Das hält ihn aber nicht davon ab, seine Leistung in den schillerndsten Farben Revue passieren zu lassen und den nächsten Lauf zu planen. He is infected.

In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht ,zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.
37 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumWie wärs mal 60 Tage auf einer einsamen Insel Muschi?
Hach wäre das schön ruhig hier
Hey, vielleicht einfach mal selber ausprobieren?
Das Schöne an Veranstaltungen dieser Art ist, dass der Spaß wesentlich mehr im Fokus steht als bei so manchen (Rad)marathon. Dort nimmt man nicht alles (und schon gar nicht sich selbst) so ernst und hilft sich gegenseitig an Hindernissen, weil es auch manchmal gar nicht anders geht. Zudem ist man auch größtenteils befreit von Möchtegern-Profis, die einem in Ego-Manier vor die Füße/Reifen rotzen und abdrängen.
Dass es anstrengend ist und auch manchmal weh tut, will ich gar nicht abstreiten. Das macht das Erlebnis noch intensiver. Vielleicht bin ich auch deshalb ein Fan von Touren im Herbst/Winter, da mir diese viel länger im Gedächtnis bleiben und man von solchen Erlebnissen viel länger zehren kann. Bei Hindernissläufen ist das genau so.
Für solche Erlebnisse gebe ich auch gerne Geld aus. Das sehe ich besser investiert als in einen Lenker, der 20g leichter ist.
Ich kann das absolut akzeptieren, dass das nicht jeder versteht. In einem MTB-Forum über eine Wohlstandsgesellschaft zu meckern, ist für mich allerdings wenig nachvollziehbar
Und dabei gehört genau hier soch eine kritik (nicht unbedingt gemecker) hin, ist meine meinung.
warum nicht mal reflektieren? daß es nicht leicht fällt ist nur ein zeichen dafür, daß es zu wenig praktiziert wird.
und ja den ansporn an solchen veranstaltungen teilzunehmen verstehe ich sehr gut, teile ihn nur nicht.
dir wünsche ich ehrlich viel spass weiterhin und jedem das seine, man muß nicht gegen etwas sein um nicht dafür zu sein!
gruz
Was mir an den Berichten von @muschi gefällt, ist, dass er sich, anstatt seinen Hintern auf dem Bürostuhl platt zu sitzen und Geschwätz von sich zu geben, immer wieder neue Aktivitäten einfallen lässt, die er (mit seinen Kumpels) durchzieht, um uns Leser zu unterhalten. Dazu braucht es Kreativität, Elan, den Willen, Dinge anzugehen und durchzuziehen und vor allem die Bereitschaft, immer wieder auf's Neue die eigene Komfortzone zu verlassen und an die eigenen Grenzen zu gehen. Und ist es nicht gerade das, was die Liebe zum Biken ausmacht?
.
Das imponiert mir, gefällt mir, regt an, darüber zu reden, etwas zu planen und auch wieder was zu probieren. Egal, ob einen Strong Viking Run, ein Bootcamp oder die nächste Biketour.
Und ganz nebenbei macht es Spaß, die Berichte zu lesen, weil er sich selber und seine Aktivitäten eben nicht so furchtbar ernst nimmt, sondern immer eine Spur Selbstironie mitschwingen lässt.
Jm2c - think pink
Richtig coole Fotos in deinem Bericht!

Ich war auch schon 2x beim Strong Viking. Mit einer der besten Hinternisläufe. War auch schon bei einigen anderen dabei
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