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Muschi am Mittwoch
20 Tage oder mehr…

Wir wissen, die Phönizier haben das Geld erfunden. Ich frage mich immer noch, warum so wenig. Ist am Ende aber auch egal, solange ich mein Geld nicht für Fahrradteile ausgeben kann. Dann bleibt es halt bei mir. Aber warum? Zinsen gibt es sowieso keine mehr, ein Desaster.

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Vielleicht steckt ein perfider Plan hinter den unendlichen Lieferzeiten von Fahrradteilen? Ich verstehe nur noch nicht ganz, ob es ein großer Plan zur Vernichtung oder zur Bildung von Vermögen ist. „Zum Sparen verdammt“ oder „Der Radfahrer der Kokusnuss“, dass ist hier die Frage. Ob ich als Kunde ernstgenommen werde oder nicht, entscheidet sich dabei oft über den Lieferstatus „20 Tage oder mehr“

Ich kaufe gerne über das Internet ein. Nirgendwo ist es einfacher, aus dieser fast unüberschaubaren Masse an Fahrradteilen, dass für sich Gewünschte zu finden. Preise, die einen zum Schmunzeln bringen. Die Deregulierung des World Wide Web hat den Begriff UVP zur Farce erklären lassen. Wenn dann der Internet-Händler auch noch ein Ladenlokal am Stammsitz pflegt, und man die Teile vor Ort begutachten und anfassen kann… perfekt. Der günstigste Preis bei der grössten Auswahl und einem persönlichen Kundenservice vor Ort, was will man mehr? Ich will mehr! Ich will mehr Produkte, aber diese müssen auch lieferbar sein und nicht ihr Dasein als Bildleiche in einem Onlinekatalog fristen.

Da warte ich auf die Markteinführung eines Reifens, die Eurobike ist Geschichte und ich habe noch immer die Aussagen zu den Lieferterminen in den Ohren. Der Reifen findet sich dann auch in den Katalogen der Online-Händler wieder. Ich greife zum Telefon und will meine Sehnsucht nach mehr Grip in dem Wunsch artikulieren, diesen Reifen kaufen zu wollen. Eigentlich hinterlässt die Stimme am anderen Ende der Leitung selten ein Fragezeichen in meiner Hörmuschel. Kompetent sind die Jungs meines Dealers, vor Ort am Telefon und im Ladenlokal. Aber auch verzweifelt über die Unzuverlässigkeit der Radindustrie. Ein leichtes Zittern in der Stimme verrät die Verärgerung, Ausflüchte suchen zu müssen. Aus dieser Ohnmacht heraus erdachte sich mein Online-Händler den tollen Verfügbarkeitsstatus von „20 Tage oder mehr“, statt sich virtuell vor eine Schwebebahn werfen zu müssen.

Eine ganze Industrie torpediert uns mit Neuheiten in einer Geschwindigkeit, dass der normale Freizeitbiker komplett den Überblick verliert. Und dann, in der Offenbarung der totalen Inkompetenz, werden Liefertermine geschoben und verschoben. Dies ist nicht nur für uns als Endkunden ärgerlich. Nein, auch der Händler als Bindeglied zum Endkunden ist nur Opfer der Situation „20 Tage oder mehr“.

Es wird versucht, mit neuen Standards den Markt zu beleben, um Geld zu verdienen. Uns klar zu machen, warum wir neue Komponenten kaufen müssen, ist ein Geschäftsmodell. Das kennt man auch aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Automobilindustrie. Wenn jedoch diese unausweichlichen neuen Standards nicht lieferbar sind, macht es noch nicht mal Spaß, über ihre Sinnhaftigkeit zu streiten. Was soll ich von den Marketingabteilungen der Radindustrie halten, wenn es ihr Bestreben ist, sich selber ad absurdum zu führen? Der Markt wird Jahr für Jahr unübersichtlicher. Und dann wird sich ins eigene Knie geschossen, weil die Aussagen zur Verfügbarkeit neuer Produkte soviel wert ist wie Abgastests bei Volkswagen.

„20 Tage und mehr“ ist der Hilferuf einer ganzen Branche. Es klingt schöner als „Der Artikel ist zur Zeit nicht lieferbar“. In „20 Tage oder mehr“ hat man die Inkompetenz einer Branche viel kundenfreundlicher verklausuliert. Diese Umschreibung ist für uns Konsumjunkies aber kein Balsam auf die Wunde der Servicewüste. Wir haben es aufgegeben, den genauen Sinn hinter der Formulierung zu hinterfragen. Zu lange schon leben wir in diesem Zustand. Sogar Benachrichtigungen zum Lieferstatus, in denen der zu erwartende Liefertermin immer wieder verschoben wird, kann uns nicht mehr schocken. Irgendwann nach Monaten hat man sich anders beholfen, oder es stehen so viele Bikes im Keller, dass einem der Lieferstatus egal geworden ist. Wenn der Ärger sich Bahn bricht, kriegt ihn natürlich der Händler zu spüren. Der kann aber grundsätzlich gar nichts dafür. Er ist nur das letzte Glied in der Kette.

Der Vorwurf, den sich der Handel gefallen lassen muss, ist, dass sich die Großen der Branche nicht stark genug in die Pflicht nehmen lassen, den nötigen Einfluß im Sinne des Kunden auf die Produzenten auszuüben. Wir erhalten durch unser Geld eine ganze Industrie am Leben. Wir Kunden haben es verdient, dass man sich bei uns dafür bedankt, indem die beweihräucherten Produkte auch lieferbar sind.

Ich mag „20 Tage oder mehr“ nicht, das hört sich an wie „nach mir die Sintflut“. Das Desinteresse an mir als Kunden hinterlässt einen sehr faden Geschmack in meinem Mund. Wie kriege ich ihn nur weg, den faden Geschmack. Ich versuche es mal mit bike-licking…

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In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi

Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.

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