Alle Jahre wieder versammeln sich die besten MTB-Piloten der Welt Anfang September, um für ein neues Jahr den Träger des begehrten Regenbogenjerseys auszufechten – in diesem Jahr werden in Lenzerheide in der Schweiz die neuen Welttitelträger gesucht. Wir blicken auf die Favoriten und die deutschen Ambitionen in den anstehenden Rennen in unserer XXL-Vorschau.
Team-Relay – Deutschland in Lauerposition
Den Auftakt des langen Rennwochenendes in Lenzerheide macht das Staffelrennen am Mittwochabend. Und wie in jedem Jahr wird auch heuer das Rennen, bei dem insgesamt fünf Fahrer aus verschiedenen Kategorien je eine Runde zu absolvieren haben, eine wahre Wundertüte sein. Traditionell sind die starken MTB-Nationen Frankreich, Schweiz und Italien in den Ergebnislisten weit vorne zu finden, doch es scheint in jedem Jahr mindestens eine Nation zu geben, die einen Überraschungscoup landen und sich so eine unerhoffte Medaille sichern kann.
Im vergangenen Jahr war es die dänische Equipe, die mit dem zweiten Rang etwas unerwartet auf dem Podium landete, aber auch das deutsche Team konnte in der Vergangenheit bereits drei Mal mit einer Medaille nach Hause fahren. Insbesondere eine neue Regelung, die seit dem vergangenen Jahr eine zusätzliche Fahrerin aus der U23-Kategorie oder Juniorenkategorie vorsieht, verschafft dem deutschen Team eine realistische Chance, die Top-Teams zu ärgern. Denn mit der Bestbesetzung Elisabeth Brandau, Ronja Eibl, Leon Kaiser, Max Brandl und Manuel Fumic ist die deutsche Truppe auf allen fünf Positionen mit internationalen Top-Fahrern konkurrenzfähig. Sollte eine der favorisierten Nationen patzen, wäre es durchaus möglich für die deutsche Equipe eine Medaille davonzutragen – wir drücken die Daumen!
Junioren – Kaiser mit Medaillenchance, Österreicherin Stigger große Favoritin bei den Damen
Bei den Junioren gelten der Schweizer Alexandre Balmer und der Titelverteidiger Cameron Wright aus Australien als große Favoriten auf die Goldmedaille. Wright konnte sich im vergangenen Jahr etwas überraschend vor heimischem Publikum durchsetzen. Der Schweizer Balmer hingegen konnte mehrere Rennen der Junior World Series für sich entscheiden und ist zudem auch amtierender Europameister. Der Eidgenosse wird aber vor heimischem Publikum unter großem Druck stehen, vielleicht eine Chance für alle anderen Konkurrenten zuzuschlagen.
Ein Kandidat, der hierfür in Frage kommt, ist der deutsche Meister Leon Kaiser. Der Fahrer des Teams Bulls überzeugte die komplette Saison hinweg mit konstanten Resultaten und landete zweimal unter den besten Drei bei Rennen der Weltserie für die Junioren. Eine Medaille wäre sicherlich keine Überraschung für den Bronzemedaillengewinner der Junioren-EM, nichtsdestotrotz dürfte Kaiser auch schon mit einer Platzierung unter den ersten Zehn zufrieden sein. Für die weiteren deutschen Fahrer Moritz Schäb, Benedikt Fritz, Lars Hemmerling und Markus Eydt steht das Ziel „Erfahrung sammeln“ im Vordergrund.
Bei den Damen bilden nach dem verletzungsbedingten Aus der deutschen Meisterin Franziska Koch – Koch zog sich im Training eine Fraktur am Bein zu – Emma Eydt, Leoni Fend und Simone Roßberg ein Trio, dass wohl kaum in den Kampf um die Medaillen eingreifen wird. Top gesetzt ist hier die Seriensiegerin und Titelverteidiger Laura Stigger aus Österreich. Stigger gilt als eines der größten Nachwuchstalente der Gegenwart und konnte schon mehrfach mit annähernd gleich schnellen Rundenzeiten wie die besten Elitefahrerinnen der Welt glänzen.
U23 – Offenes Feld im Herrenfeld, Schweizer Duell bei den Damen
Das U23-Rennen der Damen könnte für die Zuschauer aus der Schweiz eine hochinteressante Angelegenheit werden. Mit Sina Frei und Alessandra Keller gelten zwei eidgenössische Fahrerinnen als Hauptanwärter auf das Regenbogentrikot. Frei ist die Titelverteidigerin und sicherte sich bei sechs der sieben Weltcupläufe in dieser Saison den Sieg. Keller hingegen wagte im Weltcup bereits frühzeitig den Sprung zu den Elitefahrerinnen und schlug sich dort ebenfalls prächtig – Platz vier in der Gesamtwertung, ein Sieg im Short Track und zwei Top Fünf-Ergebnisse in den Cross-Country-Rennen sind eindeutige Bestätigungen ihrer starken Form.
Ein direktes Aufeinandertreffen beider Fahrerinnen gab es im Weltcup in dieser Saison also nicht, auch bei den Europameisterschaften kam es aufgrund des krankheitsbedingten Verzichts von Keller nicht dazu – Spannung ist also garantiert aus Sicht unserer schweizerischen Nachbarn. Für die weiteren Fahrerinnen im Feld scheint lediglich die Bronzemedaille erreichbar, favorisiert ist in diesem Fall oder bei einem Defekt beziehungsweise eines schlechten Tages bei Frei oder Keller vor allem die Britin Evie Richards. Richards belegte mit Ausnahme des Rennens von Nove Mesto bei allen Weltcuprennen der U23 einen Platz auf dem Podest. Aber auch die Gesamtweltcupzweite Malene Degn aus Dänemark wird wohl nicht kampflos auf einen Platz auf dem Podium verzichten.
Neben Degn gilt seit dem letzten Weltcuprennen in La Bresse auch die deutsche Meisterin Ronja Eibl als Geheimfavoritin auf eine Medaille im Falle eines Patzers der drei zuvor genannten Fahrerinnen. Eibl konnte schon mehrfach in dieser Saison ihre starke Form andeuten, mit dem dritten Rang in den französischen Vogesen brachte sie sich rechtzeitig in Lauerstellung. Die weiteren deutschen Starterinnnen Felicitas Geiger und die beiden Schwestern Leonie und Antonia Daubermann hoffen auf ein gutes Resultat beim Saisonhöhepunkt – ein Platz unter den besten 15 der Welt wäre für sie bereits ein Erfolg.
Bei den U23-Herren sind die deutschen Erwartungen nach den vergangenen Weltcuprennen etwas gedämpft, ein ähnlich starkes Resultat wie der Bronzemedaillengewinn von Max Brandl im vergangenen Jahr in Cairns wird sich wohl eher nicht wiederholen. Die vier deutschen Starter Max Brandl, Luca Schwarzbauer, Niklas Schehl und Simon Schneller sind allesamt in der Lage, in Regionen der besten 15 Fahrer vorzudringen – ein Platz unter den besten Fünf oder sogar eine Medaille wäre jedoch eine große Überraschung.
Den Sieg werden wohl andere Fahrer unter sich ausmachen. So könnte das Duell aus dem Gesamtweltcup zwischen dem Europameister Joshua Dubau aus Frankreich und dem Norweger Petter Fagerhaug in Lenzerheide fortgeführt werden. Etwas dagegen haben werden sicherlich der Däne Simon Andreassen, Drittplatzierter des Weltcups in La Bresse und mit ansteigender Formkurve in Richtung WM oder der Südafrikaner Alan Hatherly, Sieger des Weltcuprennens in Mont-Sainte-Anne und in La Bresse durch mehrere Defekte ohne Chance auf eine vordere Platzierung.
Damen – Schweizer Titelverteidigung #1?
Die Saison 2018 verlief für die Schweizerin Jolanda Neff bisher beinahe ideal. Sowohl der Gesamtweltcup, als auch der Europameistertitel stehen auf der Habenseite der Eidgenossin – fehlt nur noch der große Triumph vor heimische Publikum und damit die Titelverteidigung des Regenbogenjerseys der Damen. Jolanda Neff präsentierte sich in der zweiten Saisonhälfte im bestechender Form und konnte erst vor etwas mehr als einer Woche beim Weltcup in La Bresse trotz zweier Plattfüße den Sieg davontragen – also nicht nur der Heimvorteil macht sie zur Favoritin Nummer 1 für das Rennen am Sonntag.
Blickt man jedoch auf das vergangene Weltcuprennen in Frankreich zurück, so muss man unweigerlich drei weitere Damen in den Favoritenkreis mit einbeziehen. Allen voran die Dänin Annika Langvad, damals Drittplatzierte: Sie hatte in La Bresse große Mühe mit den schwierigen äußeren Bedingungen und der technisch anspruchsvollen Strecke. Sollte es in Lenzerheide trocken bleiben wäre Langvad weniger stark eingeschränkt und dann eine ernsthafte Gefahr für Jolanda Neff.
Aber auch Emily Batty, Zweitplatzierte in La Bresse, und Pauline Ferrand-Prevot, Vierte damals, konnten sich bis auf die letzten Meter vorne behaupten. Beide besitzen allemal die Formstärke um in den Kampf um die Medaillen einzugreifen, wenn nicht sogar im Kampf um den Weltmeistertitel. Außerdem sollte man die arrivierten Kräfte wie beispielsweise die Polin Maja Wloszczowska oder Gunn-Rita Dahle-Flesjå stets auf dem Zettel haben. Denn sie besitzen die nötige Erfahrung, um auf den Punkt topfit zu sein.
Aus deutscher Sicht scheinen einmal mehr die Medaillen außer Reichweite zu sein. Die deutsche Meisterin Elisabeth Brandau konnte sich zwar in dieser Saison erstmals konstant in den Top Ten des Weltcups behaupten, doch nur einmal gelang ihr als Fünfte beim Rennen in Albstadt vor heimischem Publikum der Sprung aufs erweiterte Podium. Sollte sie dieses Ergebnis annäherungsweise bei den Welttitelkämpfen wiederholen können, wäre dies ein riesiger Erfolg für die zweifache Mutter.
Für die beiden weiteren deutschen Starterinnen im Damenfeld, Adelheid Morath und Sabine Spitz, fällt es schwer, Prognosen im Hinblick auf das Ergebnis am Sonntag abzugeben. Morath konnte nach einer zweifachen Verletzungspause in den XC-Rennen noch nicht so richtig Fuß fassen, doch tendenziell sollte die Form der Freiburgerin stimmen. Erst am vergangenen Wochenende zwang sie eine erneute Krankheit zum Verzicht beim letzten Formtest in Basel. Und für Sabine Spitz scheint nach anhaltenden Rückenproblemen, die durch einen Sturz beim Weltcup in Val di Sole ausgelöst wurden, der Knoten nicht mehr platzen zu wollen – die Aussichten bei ihren letzten Weltmeisterschaften im Cross-Country auf ein gutes Resultat sind daher eher gering.
Herren – Schweizer Titelverteidigung #2?
Der kommende Sonntag könnte zu einem Schweizer Festtag werden. Neben Jolanda Neff gilt bei den Herren einmal mehr Nino Schurter als großer Favorit für den erneuten Gewinn des Weltmeistertitels – es wäre bereits sein siebtes Regenbogentrikot. Schurter gewann auch in diesem Jahr souverän die Weltcupgesamtwertung, wenn auch nicht mit derselben Dominanz wie im Jahr zuvor, als er jedes einzelne Rennen der Serie für sich entscheiden konnte. So erahnte man in dieser Saison bereits erste Züge eines Generationenwechsels, einige neue Gesichter setzten den Allzeitdominator mächtig unter Druck und bezwangen ihn sogar das ein oder andere Mal.
Allen voran der italienische Meister Gerhard Kerschbaumer, Weltcupsieger in Andorra. Kerschbaumer zeigte sich insbesondere in der zweiten Saisonhälfte in einer wahnsinnig starken Verfassung, wurde aber durch Defekte bei den letzten beiden Rennen in Mont-Sainte-Anne und La Bresse eingebremst. Angesichts seiner starken Fahrweise wäre es beim Rennen in La Bresse sicherlich im Bereich des Möglichen gewesen, dass er Nino Schurter noch bezwingen hätte können. Sollte es dem schwachen Starter gelingen, das Rennen in Lenzerheide defektfrei zu überstehen, muss sich Schurter sehr strecken, um sich für ein weiteres Jahr die bunten Streifen auf dem Trikot zu sichern.
Nicht nur Kerschbaumer könnte ein ernstzunehmender Gegner des bisher sechsmaligen Weltmeisters Schurter werden. Auch mit dem Niederländer Mathieu van der Poel musste sich der Eidgenosse schon mehrfach in dieser Saison auseinandersetzen, auch wenn der Ex-Cyclocrossweltmeister stets das Nachsehen hatte. Inwiefern der Allroundkönner van der Poel in Lenzerheide Schurter in Bedrängnis bringen kann, wird interessant zu sehen sein – die Fähigkeiten dazu hat der niederländische Meister allemal.
Außerdem wird vor heimischem Publikum die Vielzahl an schweizerischen Fahrern hochmotiviert sein, in den Kampf um die Medaillen einzugreifen. Unter anderem auch der Sieger des Weltcuprennens aus Mont-Sainte-Anne, Mathias Flückiger oder der Europameister Lars Forster. Dazu kommt ein französisches Bollwerk bestehend aus Maxime Marotte, Titouan Carod, Jordan Sarrou, Stephane Tempier und dem wiedererstarkten Victor Koretzky – alle fünf Fahrer sind an einem guten Tag in der Lage, eine Medaille zu ergattern. Einziger Top-Fahrer, der auf der Meldeliste fehlt: Sam Gaze, Bezwinger von Nino Schurter beim Weltcupauftakt in Stellenbosch, muss verletzungsbedingt passen.
Manuel Fumic ist einmal mehr die größte deutsche Hoffnung im WM-Rennen der Herren – auch wenn der Kirchheimer mit dem Kampf um die Medaillen voraussichtlich nichts zu tun haben wird. Fumic hatte lange Zeit mit Rückenproblemen zu kämpfen und kehrte erst zum Weltcup in La Bresse wieder richtig ins Renngeschehen zurück. Die Formkurve bei ihm zeigt nach oben, eine deutliche Steigerung des 16. Ranges aus dem Rennen in Frankreich ist das große Ziel des deutschen Meisters. Außerdem darf man gespannt sein auf die drei weiteren deutschen Starter der „jüngeren Generation“. Georg Egger, Ben Zwiehoff und Martin Gluth konnten allesamt in dieser Saison in einzelnen Rennen des Weltcups glänzen – wir drücken die Daumen für ein tolles Ergebnis!
Der Zeitplan in der Cross-Country-Rennen der WM 2018
Mittwoch, 5. September 2018
- 17:30 Uhr (MEZ): Team Relay
Donnerstag, 6. September 2018
- 14:00 Uhr (MEZ): Junioren weiblich
- 16:30 Uhr (MEZ): Junioren männlich
Freitag, 7. September 2018
- 14:30 Uhr (MEZ): U23-Damen
- 16:30 Uhr (MEZ): U23-Herren
Samstag, 8. September 2018
- 12:30 Uhr (MEZ): Damen Elite
- 15:30 Uhr (MEZ): Herren Elite
Die Rennen der Weltmeisterschaft 2018 in Lenzerheide werden teilweise auf RedBull.tv übertragen. Am Samstag wird sowohl das Damenrennen, als auch das Herrenrennen live gesendet. Wie im Weltcup üblich wird es in drei verschiedenen Sprachen übertragen, Christopher Ryan und Nathalie Schneitter übernehmen den Kommentar für die deutschsprachige Variante. Weitere Infos rund um die WM 2018 in Lenzerheide findet ihr hier.
Schon getippt?
Habt ihr schon eure Tipps beim MTB-News.de Tippspiel für die WM 2018 in Lenzerheide abgegeben? Alle Infos dazu findet ihr hier.
Alle Artikel zur WM 2018 in Lenzerheide:
- XC WM 2018 Lenzerheide: Courtneys Sensationsfahrt und Schurters Heimsieg – die Fotostory vom Finale
- XC WM 2018 Lenzerheide: Silber die Zweite! Die Fotostory der Junioren- & U23-Rennen
- XC WM 2018 Lenzerheide: Ergebnisse Cross-Country Elite
- XC WM 2018 Lenzerheide: Die XC-Rennen heute im Livestream ab 12:15 Uhr und 15:15 Uhr
- XC WM 2018 Lenzerheide: Ergebnisse U23 – Eibl fährt knapp am Podium vorbei
- XC WM 2018 Lenzerheide: Worlds Bikes – die XC-Edition!
- MTB-WM 2018 Lenzerheide: Sabine Spitz kann bei der WM nicht starten
- MTB-WM 2018 Lenzerheide: Silber? – Silber! Die deutsche Fahrt ins Glück in der Fotostory
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