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Meinung
Der Fluch der Modelljahre

Vorstellungen von neuen Bikes und Produkten sind seit einiger Zeit nicht mehr an ein einzelnes Event oder ein fixes Datum im Jahr gebunden. So sieht man beispielsweise bereits im Frühjahr auf dem Sea Otter Classic Festival viele Produkte, die in ihrer Kennung die Zahl des Jahres tragen, das erst 8 Monate später beginnt. Was dabei erstaunt: Einige große Hersteller überarbeiten nach wie vor jedes Jahr ihr komplettes Bike-Portfolio. Alle Modelle erhalten nicht nur die neuesten Komponenten und angesagtesten Farben. Auch die Technologie hinter dem Produkt soll neu sein und nie dagewesene Performance bringen. Dem Endkunden stehen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben: Wo in diesem schnell drehenden Rad an Neuheiten liegen für mich jetzt die Vorteile auf dem Trail?

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Kleinere Hersteller nehmen ihre Bikes gerne unverändert mit ins neue Modelljahr: Ein Rahmen bleibt optisch und technisch unverändert. Dem Kunden, der sich primär für die technische Leistungsfähigkeit interessiert und das Rad mehrere Jahre fahren wird, kommt dies entgegen: Ein Bike bleibt länger aktuell. Ist ein Käufer willens, jedes Jahr trendbewusst auf das neueste Modell umzusteigen, mag er sich unter Umständen bei einem anderen Hersteller umsehen.

Schnell wird vergessen, das auch Aufwand für reines Re-Design Kosten generiert: Neue Dekore, Produktfotos oder neue Produktkataloge. Als Kunde sollte man sich immer vor Augen halten: Das zahlt man mit. Ein Produkt hat dann vielleicht eine neue Farbe, aber die eigentliche Fahrleistung wurde damit natürlich nicht verbessert. Günstiger wurde es dadurch auch nicht. Nichtsdestotrotz mag vermutlich jeder ein optisch ansprechendes Zweirad – das steht außer Frage und ist durchaus ein streitbarer Punkt (an anderer Stelle).

Tschüss Modelljahr!?

Moment mal … Nicht nur kleine Hersteller verzichten zwischenzeitlich auf komplett überarbeitete Produktpaletten. Auch Trek verabschiedete sich immerhin vor knapp vier Jahren vom Zwang der jährlichen Neuerung. Liteville bedient sich seit Jahren der MK-Nomenklatur und gibt ihren neuen Rahmen einfach eine höhere Nummer mit. Die Liste könnte fortgeführt werden, aber das Prinzip bleibt das gleiche.

Und der Händler bedankt sich für die Entwertung seines Bestandes. Wer will denn jetzt noch das gerade noch so angesagte lila-grüne Enduro kaufen, wenn er zeitnah – oder auch nicht – schon die neue grün-blaue Version bekommen kann?

Und was passiert, wenn ein Hersteller das neue Flaggschiff vorstellt, welches in läppischen 8 Monaten im Laden unseres Vertrauens käuflich zu erwerben sein wird? MTB-News.de-Kolumnist Muschi beklagt in seinem Konsumrausch zurecht die Nicht-Verfügbarkeit von Neuheiten: „Warum macht man mir den Mund wässrig, wenn ich es nicht kaufen kann?“

Zumal dies auch Auswirkungen auf das Kaufverhalten des Kunden hat. Abwarten und Tee trinken heißt die Devise: Das alte Teil braucht er mit Ausblick auf das neue ja jetzt nicht mehr kaufen. Und der Händler bedankt sich für die Entwertung seines Bestandes. Wer will denn jetzt noch das gerade noch so angesagte lila-grüne Enduro kaufen, wenn er zeitnah – oder auch nicht – schon die neue grün-blaue Version bekommen kann?

Entwicklung

Bei mir als Technik-Nerd spielt die Farbe eine eher untergeordnete Rolle. Mich interessieren die Verbesserung in der Fahrleistung und dafür gebe ich nach wie vor gerne und eine Menge Geld aus. Dabei gilt, dass inkrementelle Verbesserungen von mir, dem Kunden, zumeist besser angenommen werden als ein komplettes Re-Design mit neuer Hinterbaukinematik und allem was dazu gehört. Man fühlt sich mit minimalen Änderungen meist wohler mit dem Radel, das dann doch noch nicht so ganz veraltet im Keller auf den nächsten Einsatz wartet.

Wird zusätzlich vom Hersteller noch vollmundig versprochen, wie viel besser das neue System gegenüber dem nun veralteten ist (“200 % steifer!”), ärgert sich der Kunde schwarz über seinen möglicherweise gerade noch getätigten Kauf … des alten Modells.

Persönlich würde ich mir wünschen, dass weitere Anbieter in der Bikebranche diesem Vorbild folgen und mehr Zeit für die Entwicklung einplanen. Es wird nicht fertig für 2017? Macht nichts – bring es, wenn es fertig ist.

Wer es mal mit Entwicklern – egal aus welcher Branche – zu tun gehabt hat, kennt den Fluch von Deadlines. Klar ist es richtig und wichtig, irgendwann zum Ende zu kommen, aber: Eine jährliche Deadline für ein hochtechnisches Produkt, welches zusätzlich noch in Fernost gefertigt wird und dann schon kurz nach „der großen Messe“ im Laden hängen soll? Hier wird irgendwo die Qualität leiden und der Kunde kommt sich zurecht als Beta-Tester vor, während er seinen Neuerwerb auf die Post bringt, weil irgendein Detail nicht bedacht wurde oder in der Fertigung jemand einen schlechten Tag hatte.

Rückrufaktionen generieren erneut Kosten, die selbstverständlich wieder reingewirtschaftet werden müssen. Ein Teufelskreis, der Bikes auch nicht unbedingt günstiger macht. Von den ständigen Neuanschaffungskosten für Schweißlehren, Carbon-Moulds, Prototypenbau und so weiter möchte ich hier gar nicht erst anfangen …

Wohin sollte die Reise gehen?

Mit Wohlwollen begrüße ich die Abkehr einiger Hersteller vom festen jährlichen Produkt-Turnus. Persönlich würde ich mir wünschen, dass weitere Anbieter in der Bikebranche diesem Vorbild folgen und mehr Zeit für die Entwicklung einplanen. Es wird nicht fertig für 2017? Macht nichts – bring es, wenn es fertig ist. Das mag dem schnell drehenden Rad des Kapitalismus widersprechen und unter Umständen dafür sorgen, dass in der Zwischenzeit ein Mitbewerber eine bessere Lösung gefunden und zur Marktreife gebracht hat. Aber hey … Produkte könnten so viel ausgereifter und haltbarer sein!

Modelljahre: Abschaffen oder nicht? Unser Autor Jens hat sich klar positioniert. Wie seht ihr die Thematik?

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