MTB-News.de

Interview mit Mountainbike Tourismusforum-Geschäftsführer Nico Graaff
Der Bike-Lobbyist

Deutschland hat das Potenzial, Mountainbike-Traumland zu sein. Trocken im Frühling und Sommer, farbenprächtig im Herbst, milde im Winter. Auch topografisch finden sich in vielen Teilen des Landes allerbeste Voraussetzungen. Aber warum sind wir keine Mountainbike-Nation? Wäre doch toll, wenn sich jemand dafür einsetzt? Wir haben uns mit diesem Jemand unterhalten: Nico Graaff, Geschäftsführer des Mountainbike Tourismusforums und Gesicht der Initiative ‚Bike Spirit‘. Die will und wird etwas ändern.

Vollständigen Artikel lesen …
# Der Begriff wird oft negativ verstanden, in diesem Fall ist er sehr positiv: Lobbyismus. Genau den braucht das Mountainbiken hierzulande mehr denn je. Und wenn nicht für uns selbst, dann für den Nachwuchs… - Foto: Reifberger

MTB-News: Hi Nico, was ist Bike Spirit und wer bist du?

Nico Graaff: Hi – und Danke für die Einladung zum Interview! Mein Name ist Nico Graaff, ich bin 36 Jahre alt, wohne mit meiner Familie in Leipzig, bin begeisterter Outdoorsportler und Mountainbiker und mein Job ist es, dass wir hier in Deutschland bessere Bedingungen fürs Biken hinbekommen.

Den Rahmen dafür steckt unsere 2021 ins Leben gerufene Initiative „Bike Spirit“. Genau genommen ist Bike Spirit bereits im Jahr 2015 gestartet, damals jedoch „nur“ als Mountainbike Tourismusforum Deutschland. Die Initiative ist eine Entwicklung daraus. Grundsätzlich ist das MTF einzig und allein gegründet worden, um unsere Heimat zu einem mountainbikefreundlicheren Land zu machen. Wir möchten für Mountainbiker*innen bessere Voraussetzungen und Möglichkeiten schaffen, vor der Haustüre eine gute Zeit auf dem Bike zu erleben. Aber in diesem Jahr haben wir begonnen, im Hinblick auf die konkreten Zielsetzungen der Initiative, breiten- und öffentlichkeitswirksamer zu werden – und das Ganze auf noch stärkere Beine zu stellen.

# Nico Graaff ist Mountainbiker, zweifacher Vater, einer der Köpfe hinter Bike Spirit und dem Mountainbike Tourismusforum Deutschland e. V. – und tatsächlich zufällig ehemaliger Kommilitone von MTB-News-Chefredakteur Hannes - Foto: Jessica Steinberg

Bessere Bedingungen fürs Mountainbiken? Klingt gut, nehmen wir! Wie beabsichtigt ihr das anzustellen und was sind eure konkreten Ziele?

Bike Spirit hat zwei Seiten. Das zu verstehen ist wichtig. Eine Seite ist die Lobbyarbeit und Interessenvertretung für die Gesamtheit der Mountainbiker*innen, die aber nicht immer sichtbar sein kann und sein wird. Zum Beispiel, wenn wir in der Politik, in den Verwaltungen, zunächst Netzwerke aufbauen und eine belastbare Arbeits- und Gesprächsebene schaffen wollen und schaffen müssen. Wir möchten das so transparent wie möglich gestalten, ganz durchsichtig lässt sich das aber nicht bewerkstelligen.

Um da ein kleines Beispiel zu geben: Wir sprechen seit geraumer Zeit und sehr intensiv mit der DIMB und dem ZIV, um gemeinsame Sache zu machen. Im ersten Schritt müssen wir also uns drei Vereine bzw. Verbände zusammenbringen. Da sind wir auf einem verdammt guten Weg. Und dann müssen wir aus dieser geballten Kompetenz heraus überlegen, wie sehen die föderalen und regionalen Ansprechpartner aus? Was wird von den Communities als Unterstützung gebraucht? Welche Gutachten muss man professionell beauftragen, um auf politischer Ebene überzeugen zu können? Das ist allerdings nicht sonderlich publikumswirksam – weil: das ist oft langwierig, kompliziert, zäh und auch echt trocken. Das wollen wir in der Mountainbike-Community niemandem zumuten, der sich nicht explizit dafür interessiert.

Die andere Seite ist die, die wir sichtbar machen, wo immer es möglich ist. Sowohl in die Community hinein, etwa durch ein Netzwerk, in dem sich engagierte Mountainbiker*innen Hilfestellung holen können. Durch Trail Building Schools zum Beispiel, um Wissen zu vermitteln, wie nachhaltiger Trailbau funktioniert – Einwilligung der Grundeigentümer*innen, Behörden, Gemeinden natürlich vorausgesetzt. Ebenso das Wissen, welche Wege es zu diesen Einwilligungen gibt, was rechtlich gilt, wie man Kompromisse findet, wer die Haftung übernehmen kann, wie man zu einer Finanzierung kommen kann. Oder eine Aktion wie dem #sauberwald (zum Artikel: #Sauberwald-Aktionstag 2021: Aufruf zum Müllsammeln am 18. September), durch die sich Mountainbiker*innen plötzlich öffentlichkeitswirksam um ihre Trails kümmern.

Denn da müssen wir sehr stark ansetzen, bei der Imageverbesserung des Mountainbike-Sports. Für uns Mountainbiker*innen ist das selbstverständlich der geilste Sport der Welt. Aber wir müssen die ganzen positiven Aspekte, die gesellschaftliche Relevanz dieses Breitensports sinnvoll und für die breite Öffentlichkeit nachvollziehbar nach außen tragen. Das Schöne ist, dass es genug Positives zu erzählen gibt: Wie die Community dazu beträgt, Wälder aufzuforsten, Trails sauberzumachen, Regionen wiederzubeleben, Kinder in Bewegung zu bringen. Aber diese Geschichten müssen erzählt werden und auch das wollen wir fördern. Damit ehrenamtlich engagierte Mountainbiker*innen nicht nur aus der Szene Unterstützung für ihr Tun bekommen. Kurz gesagt: Wir wollen eine Rechtssicherheit sowie bessere Infrastruktur schaffen, die gesellschaftlichen Vorzüge hervorheben und, ja, wir müssen das Image des Mountainbikens in den Köpfen vieler Menschen verbessern.

MTB-News: Mit dem geilsten Sport der Welt hast du definitiv recht. Auch, weil der Sport einen ganzen Haufen von Individualist*innen zusammenbringt. Aber gilt ab jetzt Anpassung, damit wir eine bessere Infrastruktur hinbekommen?

(lacht) Nein, um Gottes Willen. Das fasziniert ja auch mich, dass es beim Mountainbiken verdammt viel Raum für individuelle Entfaltung gibt. Wie den jemand nutzt, das muss man mit sich selbst ausmachen. Aber man sollte vielleicht ein paar Dinge im Hinterkopf behalten, wenn man seinem geliebten Mountainbike-Sport etwas zurückgeben möchte und das fängt schon beim Begriff „Sport“ an: Für viele hat Sport etwas mit Wettkampf und Rennen zu tun. Einfach nur um der Bewegung Willen Mountainbike zu fahren, ist mit Freizeitbeschäftigung aber womöglich treffender beschrieben. Und das wiederum hat einen Einfluss darauf, wie etwas wahrgenommen wird.

Zum Beispiel für die ganzen Menschen, die jetzt neu zum Biken kommen. Ich spreche da gerne von der Zielgruppe Null. Das sind Menschen, die würden von sich selbst nicht einmal sagen: ‚Ich bin ein*e Mountainbiker*in!‘ Aber die fahren so zweimal die Woche oder einmal im Monat mit dem Bike in den Wald, die dortigen Trails runter. Wenn diese frisch mit dem Bike-Virus infizierten Menschen, die sich selbst nicht als Mountainbiker*innen bezeichnen, ein cooles Erlebnis haben, dann bleiben die dabei. Sport hin oder her. Das gilt für Kinder noch viel mehr: Wenn die Eltern wissen, ‚Okay, das ist legal und sicher!‘ dann schaffen wir darüber ja bereits eine Akzeptanz in einer Gruppe von Menschen, die nicht einmal selbst auf dem Rad sitzen müssen. Die finden das vermutlich sehr gut, dass ihre Kids sich bewegen und auf dem Bike unterwegs sind, statt am Spielplatz anderen Dingen der adoleszenten Freizeitbeschäftigung nachzugehen oder stundenlang stumpf vor Konsolen oder ihren Smartphones zu kleben.

Aber zurück zu der Frage nach der Anpassung: Wir sind mittlerweile sechzehn Millionen Menschen in Deutschland, die Mountainbike fahren. Und wir sind eins der Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte in ganz Europa. Jetzt wollen immer mehr Menschen in der Natur Rad fahren, der Platz dort aber ist begrenzt und andere Nutzer*innen gibt es natürlich auch. Das heißt, dass unsere Arbeit einer Herangehensweise auf mehreren Ebenen bedarf, die sich dann treffen und ineinandergreifen müssen. Anpassung ist das nicht, eher Positionierung.

# Für uns alle der geilste Sport der Welt. Die Außenwelt gilt es noch zu überzeugen. Für mehr Akzeptanz, bessere Infrastruktur und: Rechtssicherheit. - Foto: David Karg

Klingt nach langwieriger Überzeugungsarbeit – da haben wir bei MTB-News teilweise selber lokal momentan häufig mit zu tun. Aber im Großen ist das ja eine Mammutaufgabe, die eine Person keinesfalls, aber selbst ein Verband nicht allein bewerkstelligen kann. Welche Unterstützung gibt es bereits, welche braucht ihr noch?

Ich hatte ja schon gesagt, dass hinter der Idee zu Bike Spirit der Mountainbike Tourismusforum Deutschland e. V. steckt, der bereits einige Jahre aktiv ist in diesem Betätigungsfeld ist. Da sind in der Vergangenheit Kooperationen entstanden, die wir jetzt wieder aufgreifen und vertiefen. Wir stehen aktuell in sehr engem Austausch mit der DIMB und dem noch relativ neuen Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbandes, der das Thema dort zur Chefsache gemacht hat. Und wir haben bereits sehr, sehr namhafte Unterstützer aus der Industrie, weil dort erkannt wurde, wie wichtig bessere Akzeptanz und mehr Infrastruktur für die Entwicklung der Mountainbike-Destination Deutschland und damit auch den Absatzmarkt ist. Stand heute unterstützen Bike24, bike-components, Bosch, Endura, ION, Kenda Tires, Specialized, SRAM und TREK die Initiative Bike Spirit finanziell. Mit weiteren Marken sind wir in permanenten Gesprächen – und werben für die Sache für möglichst viele weitere Unterstützer*innen.

# Nico in seinem Element, der Überzeugungsarbeit. Allerdings sind das lauter Gleichgesinnte: Hier im Gespräch mit Graeme McLean von Developing Mountain Biking in Scotland beim jährlichen Kongress des Mountainbike Tourismusforum. - Foto: Anatol Serexhe

Warum sind so viele amerikanische Bike-Hersteller bei den Unterstützern vertreten, aber keine europäischen oder gar deutschen?

Ich möchte die deutschen Marken, gerade die e-Commerce Händler sowie Rose, Bosch und Canyon, ein Stück weit in Schutz nehmen. Persönlich glaube ich, dass TREK, SRAM und Specialized als US-Marken eine längere Kultur in solchen Dingen haben. Die IMBA USA ist jetzt über 30 Jahre alt, da war bspw. Specialized früh mit dabei. In Übersee ist das Thema einfach schon älter, dieser Dialog wird schon länger geführt. Und ganz grundsätzlich ist man im nordamerikanischen Markt in der Hinsicht kulturell weiter: Das Interesse als Marke, eine Umgebung zu schaffen, in der die Kund*innen das Sportgerät artgerecht einsetzen können, ist nach meiner Auffassung dort größer. Das Erlebnis der Benutzung steht viel mehr im Mittelpunkt des Verkaufs.

Warum passiert das hierzulande trotzdem erst jetzt, 2021?

Ganz neu ist das hierzulande nicht. Die DIMB wird schon seit etlichen Jahren von Playern aus der Industrie unterstützt. Dass die Bereitschaft offenbar gestiegen ist, liegt vermutlich daran, dass das Fahrrad grundsätzlich gerade diesen Aufschwung erfährt. Wir sehen, dass eine über zweihundert Jahre alte Erfindung sehr tolle Lösungen für Herausforderungen der Mobilität und des Klimawandels mit sich bringt. Das Fahrrad ist in der gesellschaftlichen Wahrnehmung toll und grün und modern, steht für Wandel. Mit zunehmender Profiltiefe aber nimmt das Image des Fahrrades ab. Das heißt, sobald das Fahrrad Stollenreifen hat und ich den Asphalt verlasse, wird es zunehmend kritisch wahrgenommen.

Bis zu einem gewissen Punkt hat das seine Ursache sicherlich auch in den Bildern, wie Mountainbiken dargestellt wird, wie sie durch die Industrie befördert worden sind. Da ist das Mountainbike-Erlebnis immer extrem und cool und als vollkommen außergewöhnlich dargestellt worden, ein Marketing-Mechanismus. Spektakel funktioniert medial hervorragend. Für eine zielführende, konstruktive, politische Debatte mit anderen Stakeholdern oder eine breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit sind Extreme aber nicht das richtige Mittel.

Und mit dem Schaffen von sportartgerechtem Erlebnisraum mit Rechtssicherheit schließt sich der Kreis für die Akzeptanz in der Breite: Im Alltag ist das für ganz viele Menschen jeden Tag vor Ort alles, nur nicht extrem. Nach Feierabend den Kopf noch mal ausschalten, den Körper ein bisschen zu betätigen, in der Natur zu sein und abzuschalten. Genau dieses Bild vom Mountainbiken zu zeichnen, das ist ein ganz zentrales Element, um die Entwicklung in vielen Bereichen positiv zu fördern.

Du sprichst von einem anderen, einem besseren Image. Eigentlich trittst du damit doch der Mountainbike-Szene voll auf die Füße?

So ist das nicht gemeint. Es geht darum, die Akzeptanz in der Breite durch die Hervorhebung der positiven Aspekte zu schaffen. Dafür muss man ein Stück weit vom radikalen Image wegkommen. Für sehr viele Menschen ist es der Wunsch, sich in der Natur zu bewegen – das Mountainbike bietet dafür die Chance. Weichgespült werden soll das Biken deswegen sicherlich nicht, da sehe ich aber auch keine Gefahr: Wenn man einmal beobachtet, wie viele Nicht-Mountainbiker*innen sich an einer zugänglichen Stelle einer Bikepark-Strecke die Sprünge versierter Fahrer anschauen, dann wird klar, dass die Faszination Fahrrad nicht nur im Sattel erlebbar ist, sondern durchaus auch als passive*r Beobachter*in.

# Zentrales Argument in der Überzeugungsarbeit sind die gesamtgesellschaftlich positiven Aspekte des Mountainbikens. Integration, Standortentwicklung … - Foto: Matthias Schwarz
# Bewegung an der frischen Luft, in der Natur – ihr wisst schon … - Foto: Philipp Schaffer, Fahrer: Alex Funke

Gibt es bisher einen größten Erfolg von Bike Spirit, kannst du da irgendwas konkret benennen?

Ich betrachte es als Riesenerfolg, dass seit 2021 alle von dem Thema betroffenen Verbände im Austausch stehen. Wir bekommen das nur als Kollektiv gelöst. Dazu gehören namentlich die DIMB, der Deutsche Alpenverein, der Bund Deutscher Radfahrer und – auch wenn das für viele Mountainbiker*innen verwunderlich klingen mag – der ADFC. Das sind oft die Vereine, die vor Ort von Bürgermeister*innen gefragt werden: Hier fahren Kinder im Wald Mountainbike, was machen wir mit denen? Und dass sich die Industrie gerade jetzt ebenfalls so engagiert. Jedes einzelne Unternehmen, aber auch die Verbände, das gibt wirklich Energie rein und trägt weiter zu einer Professionalisierung bei und bringt die Entwicklung auf ein neues Level – denn genau das brauchen wir, wenn wir der Problematik fehlender Infrastruktur und mangelnder Akzeptanz Herr werden wollen.

Wichtige Arbeit, die du da machst. Danke dafür, im Namen der ganzen Community. Gibt es von dir noch was zu sagen?

Ein Anliegen hätte ich – und das trage ich hier vor, weil ich weiß, wie viele Markenvertreter*innen sich bei euch auf der Seite tummeln: Es wäre grandios, wenn wir für 2022 noch mehr Unterstützer*innen aus der Industrie zusammentrommeln können. Das Thema ist zu wichtig. Und das hat nichts mit Marketing zu tun, das fällt viel eher in den CSR-Bereich bzw. strategische Marktentwicklung und unter das Motto ‚No Trails, no Sales‘. Eigentlich recht simpel. Das haben Marken in den USA und Kanada schon recht lange verstanden. Danke für euer Interesse!

Was müsste eurer Ansicht nach in dem Bereich getan werden?

Text: Mountainbike Tourismusforum, MTB-News | Titelfoto: Anatol Serexhe
Die mobile Version verlassen