Ines Thoma und Max Schuman haben sich vergangenen November ins schottische Fort William aufgemacht, um den Dudes of Hazard rund um Joe Barnes einen Besuch abzustatten. Hier gibt’s den packenden Reisebericht und einen Spotcheck der spannenden Region.
Gibt es eine schlechtere Idee, als im November nach Schottland zu fliegen? Auf den ersten Blick vermutlich nicht. Denn warum sollte man in das Land im Norden des Vereinigten Königreichs reisen, wenn die Temperaturen dort kaum den Gefrierpunkt übersteigen und die Stunden Tageslicht fast an einer Hand abzählbar sind? Und das in einer Gegend, in der es ohnehin fast täglich und gerne langanhaltend regnet …
Wer allerdings halbwegs hartgesottenen ist, auf intensiv-technisches Trailbiken steht, nasse Füße nicht scheut und mindestens zwei bis drei Paar Wechselklamotten im Gepäck hat, kann und wird hier das ganze Jahr über seine Freude haben. „Und wenigstens gibt es hier zu dieser Jahreszeit keine Stechmücken” begrüßt uns Joe Barnes, als wir unsere Koffer und Bike-Bags in seinen Lieferwagen schmeißen. Zusammen mit Ines Noch-Teamkollegen wollen wir diese Woche auf seinen wilden Lieblingtrails unterwegs sein. Die schottischen Trails sind an einer deutlichen Torfnote zu erkennen. Herzhaft und feucht zum Einstieg. Und flowig im Abgang. Am besten mit reichlicher Zugabe von Regenwasser zu genießen.
Ein Wintertag im Leben von Joe Barnes beginnt zum Sonnenaufgang gegen halb neun. Eine Schüssel mit Porridge gefüllt gemütlich knuspernd, während der Raureif am Fenster seines Caravans langsam schmilzt. Joe wohnt eigentlich ganz in der Nähe eines Wohngebiets am Stadtrand von Fort William und doch gefühlt fernab der echten und ernsten Zivilisation. Hier, im Hof hinter dem ehemaligen Haus seiner Eltern, hat sich Joe sein kleines Biker-Idyll geschaffen. Hühner rennen umher und garantieren die Deckung des täglichen Eiweiß-Bedarfs. Eine Holzhütte, die größer als Joes „Wohnhaus“ – ein Caravan – ist, beherbergt eine vollausgestattete Werkstatt, einen Multifunktionsraum mit Gym, Büro und Gästebett und vor allem das Spielzeug-Lager: eine Garage vollgestopft mit dutzenden Mountainbikes und einigen Gelände-Motorrädern.
Aus dieser schnappt sich Joe heute sein Enduro-MTB und die kleine Yamaha TTR, ein Jugend-Motocrossbike, das seine neue, kleine Liebe ist. Alles wandert in den Laderaum seines Kastenwagens und es geht einmal quer durch Fort William zum Bikepark-Parkplatz am Fuße des Ben Nevis. Wir parken genau dort, wo Greg Minaar schon sechsmal siegreich die Ziellinie des legendären Downhill-Rennens überquert hat. Heute versammeln sich hier allerdings keine Zuschauer-Massen. Stattdessen wuselt scharenweise der Mountainbike-Nachwuchs von Fort William umher, der sich hier jeden Samstag zum gemeinsamen Training versammelt. 90 Kinder radeln bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mit roten Nasen und strahlenden Gesichtern an uns vorbei.
Wir folgen mit sicherem Abstand und verlieren schon bald die Orientierung im Netz an offiziellen Flowtrails verschiedener Schwierigkeitsgrade, semi-offiziellen Varianten und offensichtlich nicht öffentlichen Abschnitten, die schmal und steil durch dichte Fichtenwälder führen. Der technische Anspruch variiert ebenfalls, zeigt uns aber an so manchen widersinnig rutschigen Wurzeln in engen Kehren, wo die lokale Enduro-Elite ihre Fähigkeiten für technische Trails verfeinert.
Nach ausgiebigem Aufwärmen und üppigem Mittagessen im Café am Fuße des Bikeparks geht es für die schon letzten Stunden Tageslicht in den „Steinbruch“, zum Motorradeln. Auf kleinstem Raum jagen die Dudes ihre mittelkleinen Motorrädchen durch einen engen und sandigen Rundkurs. Wilde Liebe und viel Leidenschaft für Zweiräder, die sie seit Kindesbeinen leben und die mittlerweile den Lebensunterhalt ermöglicht, wird auch motorisiert gelebt. Sie jauchzen und jubeln, springen und stürzen. Und stoppen erst, als es wirklich dunkel ist.
Es geht zurück in den Caravan – zur Tea Time mit Toast. In der Dunkelheit des Nachmittags werden die Bikes gedampfstrahlt, geschmiert und für neue Touren gerichtet. Dann wartet ein gemütlicher Fernsehabend mit Fish & Chips und ernsthaft witzigem, schottischem Comedy-TV. In den folgenden Tagen zeigt Joe uns ein paar weiter Bike-Highlights der Highlands. Zunächst geht es ins nahe Trailcenter von Laggan – „Wolftrax“. Die flowige rote Strecke, aber auch die sprungreiche orange sind gut und spaßig angelegt und bieten für jeden Biker viel Vergnügen. Etwas rauer geht es auf der schwarzen zu, die über einen technischen Uphill zu erreichen ist und Joes ultimativer Testtrail ist.
Insider (und auch Trailforks-User) wissen, dass die wahren Schätze auf der „Braunen Seite“ liegen. Hier wurden ein enges Netz an steilen, schmalen, schmierigen Pfaden in den Hang gegraben. Und etwas oberhalb führt uns ein Wanderweg als einstündiges „Mini-Abenteuer“ in offenes Gelände und steil und eckig zurück zu den „braunen“ Trails.
Mit hereinbrechender Dunkelheit, gegen drei Uhr am Nachmittag, packen wir die Bikes wieder in die Kastenwagen und gönnen uns noch ein Schlückchen Tradition und Tourismus. Wir besuchen Dalwhinnie, Schottlands höchstgelegene und kälteste Whisky-Distillerie. Auch unsere schottischen Dudes stecken neugierig ihre Nasen in die Gärtanks, Fässer und Gläser. Für sie gilt ebenso, was ich selbst oft erlebe: Die offensichtlichsten Sehenswürdigkeiten und Touri-Hotspots werden umso seltener besucht, je näher sie sich befinden. Außerdem sind sie als ewige Spielkinder und ernsthafte Athleten bisher deutlich mehr am Zustand ihre Trails und der eigenen Fitness interessiert, als an den Zaubern der alkoholischen Gärung.
Am schon fast schockierend schön-sonnigen Sonntag wartet die längste Ausfahrt unseres Trips. Es geht hoch hinaus in den Highlands: auf alpine Wanderwege, die nur mit einem gewissen Schwung und Joe-typischer, rasanter Leichtigkeit flowig zu fahren sind. Zwei Autostunden nördlich von Fort William treffen wir uns mit einer Handvoll motivierter Bike-Kollegen aus Inverness am Rande einer Landstraße in Coulags bei Lochcarron. Die nächsten Stunden geht es auf zunehmend holpriger werdendem Felspfad hinauf. So manche Uphill-Challenge wird gar mehrfach probiert und mit Oberschenkel-Gewalt und hohem Herzschlag auch bezwungen. Ines weiß schon hier zu beeindrucken und bietet einen Vorgeschmack darauf, dass sie im packenden Sprintfinish zurück zum Auto den Tagessieg einfahren wird.
Nach einer kurzen Abfahrt wartet eine Tragepassage und oben auf dem Pass frage ich mich, warum wir am einzigen schattigen und definitiv windigsten Fleck des Tages unsere Picknick-Pause machen müssen. Vielleicht schottischer Humor? Oder einfach nur allgemeiner Unterzucker nach vierstündiger Felsenwanderung. Die Abfahrt ist zweigeteilt. Zunächst schnell, geradlinig und grobschottrig. Fast schon gefährlich. Dann durchqueren wir eine kleine Hochebene und es wird schön stufig, etwas langsamer und auf jeden Fall definierter. Dieser Trail wird mein neuer schottischer Lieblingswanderweg. Eine klassische Bergtour mit dem Mountainbike hat für mich immer etwas besonders Belohnendes. Den Sonnenuntergang erleben wir wieder am Meer. Mit Blick aus dem Pub-Fenster von Lochcarron decken wir den üppigen Kalorienbedarf mit allerlei Kartoffel-Varianten.
Für den Ausflug nach Kinlochleven wird das Wetter dann echt herbstlich und herb-schottisch. Nieselregen bei 5 °C. Normalerweise kein unbedingtes Radwetter für uns. Aber hier geht es ja darum, möglichst viele Lieblingstrails der Dudes kennenzulernen. Und das gerne auch bei authentischen Bedingungen. Ines hat hier vor einigen Jahren schon einmal sehr nasse schottische Enduro-Erfahrungen gemacht.
Das Städtchen Kinlochleven, das eine der ältesten und größten Wasserkraftanlagen Großbritanniens beherbergt, scheint generell ein schattiges Fleckchen zu sein. Nicht umsonst befindet sich hier die größte Indoor-Eiskletter-Anlage der Welt, die aussieht wie ein überdimensionierter Eisschrank, der schon sehr lange nicht mehr abgetaut wurde.
Die Tour startet mit steilen Schotteranstiegen und mehreren Kilometern auf einer flachen Beton-Straße, die sich unwirklich eben durch durchs Hochland zieht. Sie führt Wasser aus dem großen Stausee in die Fallrohre des Kraftwerks. An der Staumauer überklettern wir Dudes-mäßig entspannt die Zäune und starten auf der anderen Talseite in den „Ciaran-Path“, der uns mehr flach als steil, aber fordernd felsig und rasant rutschig wieder zurück ins Tal führt.
Mittagessen in der Kletterhalle, zum Glück außerhalb des Eisfachs und am Nachmittag nochmal auf die Trails: „Kennels“ und „Grey Mares“ sind zwei Abfahrten auf Wanderwegen, die sich vor allem durch die spektakuläre Aussicht über den Fjord-förmigen Loch Leven auszeichnen, aber auch fahrtechnisch einige feine Herausforderungen bieten.
Die weiteren Tage sind geprägt von einigen Trail-Schätzchen in unmittelbarer Nähe von Fort William (Glen Loy und Glen Nevis) und zum Abschluss der Woche wartet noch ein kleines Rennen auf dem legendären Dudes-Dual-Kurs, auf dem in höchst inoffziellem Rahmen während des Fort William World Cups schon mehrfach die „The Dudes of Hazzard Dual Slalom World Champs“ ausgetragen wurden. Knackige sechs Kurven und zwei Sprünge pro Kurs ergeben schön-kompaktes Racing. Joe lässt es in typischer Manier entspannt fliegen und ich eile so schnell es geht hinterher. Beeindruckend ist, wie sich nach wenigen Fahrten bereits ein Trainingseffekt einstellt und man tatsächlich ungebremst in die Anlieger rasen kann.
Eine Radreise im November in die schottischen Highlands ist auf jeden Fall ein Abenteuer der etwas anderen Art. Dank der vielen offiziellen Trailcenter, der netten und Bike-verrückten Locals mit Geheimtipps und Trailforks, können wir diese Reise mit gutem Gewissen zum Nachreisen empfehlen – feucht-fröhliches Trailvergnügen und fragende Blicke am Flughafen garantiert!
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