Wir haben Truvativ in Kalifornien besucht, wir waren in Taiwan in der Fertigung, Schweinfurt haben wir schon öfter einen Besuch abgestattet – aber ein paar wichtige und hochspannende Gebiete auf der US-amerikanischen SRAM-Landkarte fehlten uns noch. Aus diesem Grund machten wir uns im vergangenen Winter – den Wahnsinn dieser verrückten Saison damals nur schemenhaft vor Augen – auf in die USA, um uns das RockShox-Hauptquartier in Colorado Springs, die Zipp-Laufradfertigung in der rennverrückten Stadt Indianapolis sowie das SRAM-Hauptquartier in Chicago genauer anzuschauen. Drei umfangreiche Firmen-Berichte erwarten euch: Wir starten mit unserem Hausbesuch in der Heimat der Federgabeln und Dämpfer unterhalb des sagenhaften Berges Pikes Peak – in Colorado Springs. Viel Spaß beim Hausbesuch.
Im Garten der Götter: Impressionen als Vorspeise
„Also normalerweise sieht man von hier wunderschöne Berge. Wirklich!“ Max von SRAM wirkt fast ein wenig verzweifelt, als wir im gurgelnden Mietwagen in Colorado Springs durch eine weiße Suppe namens Nebel fahren, der das angeblich atemberaubende Panorama der Rocky Mountains mitsamt des Berges Pikes Peak verdeckt. In der Nacht hat es 20 Zentimeter geschneit. Wir parken vor einem riesigen, aber unscheinbaren, sandgrauen Gebäude: 980 Elkton Drive, ganz im Nordosten, direkt neben dem unwirklich schönen Gebiet „Garden Of The Gods“.
Der Eingangsbereich begrüßt mit einem riesigen Stahlvogel, der im Rahmen des pART Projektes von einem Künstler aus alten SRAM-Teilen gestaltet wurde. Laufkundschaft hat in den heiligen RockShox-Hallen keine Chance – zu viele Prototypen und Testprodukte. Auch wir müssen erst drinnen anrufen, bis wir das flache wie riesige Gebäude vollends betreten dürfen. Teppich-gedämpfte, aber emsige Büroarbeit erwartet uns im umfangreichen Großraumbüro. Für uns geht es nach einem Kaffee direkt los mit dem ersten Termin: Sander Rigney, Vizepräsident von RockShox, begrüßt uns herzlich in einem der Meetingräume, die alle bekannte Mountainbike-Orte oder Trails als Namen tragen – definitiv leicht zu merken.
Seit 2000 ist RockShox in Colorado ansässig, vorher wurden die Gabeln in Kalifornien entwickelt und gebaut. Seit 2002 gehört RockShox zu SRAM und seitdem geht es auch in Colorado stetig voran. Es kamen Komponenten und Entwicklungsbereiche dazu – und mittlerweile werden hier, nachdem Avid ebenfalls von SRAM gekauft wurde, nicht nur RockShox-Produkte, sondern auch die SRAM-Bremsen getestet. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs waren die Örtlichkeiten auch schon fast wieder Geschichte – bald wird der komplette Komplex in ein größeres Gebäude innerhalb Colorado Springs umziehen.
Wreck-It RockShox: Wer zu Beginn viel kaputtmacht, hat nachher weniger Probleme
Prunkstück des SRAM-Gebäudes in Colorado Springs ist die Testanlage. Erfreulicherweise stehen meiner Kamera die Türen offen und die meisten Fotos fanden auch ihren Weg in diesen Bericht. Begrüßt wird man im Raum von zwei Monstern in Form zweier brachialer Hydraulikpumpen, die eine Förderlast von 72 Litern, beziehungsweise 400 Litern pro Minute aufbringen sowie 250.000 Dollar pro Stück kosten. Und diese Mengen sind auch nötig: Es rattert, knirscht und zischt in der Testhalle – für die teilweise tage- und wochenlangen Testdurchläufe werden präzise Pumpen benötigt.
Video: Prüfstände bei RockShox – ein kurzer Einblick
Ein sonores und gleichmäßiges Klicken lässt uns aufhorchen. Eine Reverb-Variostütze wird hier in einem fiesen Winkel belastet und klickt bei jedem Hub. Hier werden die Seitenkräfte eines 150 kg-Fahrers simuliert. Sieht spannend aus, fotografieren dürfen wir die Maschine allerdings als einen der wenigen Testaufbauten nicht.
Wir stoppen an der ersten Maschine. Eine RockShox-Gabel wird gnadenlos in einem Prüfstand hinter Plexiglas durchgeknattert. Man sieht direkt: Sie fühlt sich nicht wohl. Nicht nur wird sie im Hub malträtiert, zugleich schiebt auch ein Gestänge horizontal nach vorne und zurück, wodurch die bemitleidenswerte RockShox SID gebogen, gezogen und gestoßen wird.
„Das ist eine Simulation aus den 1990er Jahren, von einem World Cup DH-Rennen. Steve Peats Bike war komplett mit Messinstrumenten ausgestattet,“ erklärt Eric neben uns und lächelt versonnen. „Hier werden sowohl die Kräfte auf die Gabel als auch auf den Hinterbau simuliert. Immer und immer wieder aufs Neue, damit wir die Dynamiken verstehen“ sagt er und deutet neben den Kasten, wo ein Dämpfer die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen muss. Es ist faszinierend, mit anzusehen, wie eine Gabel im Einsatz bewegt wird, ohne dass sie nach einer Zehntelsekunde wieder aus dem Blickfeld rauscht: Erst im Prüfstand wird das ganze Ausmaß der Kräfte, die auf eine Federgabel wirken, klar. Manche Gabel lassen die Testingenieure so lange Peatys Downhill-Run wiederholen, bis sie kaputtgehen – hunderttausende Male wurde er schon absolviert. Jede Gabel muss hier durch, jedes Coating, jedes neue Material. Wertvoller Input für die Techniker.
„Das Schöne an unserem Job: Es ist unser Job, Sachen kaputtzumachen. Wo sonst kannst du Sachen kaputtmachen und wirst dafür bezahlt?“ Eric zwinkert. Nächste Teststation. Wir begrüßen Greg, der für den nächsten Belastungstest verantwortlich ist und selbst früher als XC-Racer aktiv war. Damals wurden die Gabeln direkt auf der Rennstrecke zerfetzt, heute simuliert dies Greg im Testlabor – Schmerz-technisch definitiv sinniger als auf der Piste.
Wir schauen um die Ecke und erblicken den armen Probanden des „Fork Ultimate Load Tests“, der bereits fix eingespannt ist. Jetzt wird es gemein: Die eingespannte Lyrik-Achse wird immer und immer weiter nach unten gedrückt, während der Gabelschaft im Winkel unverändert eingespannt steht. Langsam und stoisch biegt der Metallstempel die Gabel immer weiter durch, bis selbst die Standrohre eine Kurve beschreiben. Bei rund 200 Millimetern Weg stoppt der Stempel, die Lyrik beschreibt von vorne bis hinten nun eine wunderschöne Kurve, wo im Normalfall definitiv keine sein sollte – die eindrucksvoll durchgebogene Gabel in Gänze dürfen wir euch leider nicht zeigen.
„Man sagt zwar ‘sag niemals nie’ – aber einem Fahrer wird solch eine Belastung wie bei dieser Gabel hier wohl niemals passieren. Wenn man einen Sprung zu kurz springt und man mit der Gabel massiv in den Gegenhang einkratert, gibt die Gabel im Zweifelsfall einige Millimeter nach – aber wir reden hier von 20 cm Biegung!“ erklärt Eric und deutet Greg an, dass er die arme Lyrik wieder loslassen kann.
Der Spannung entwunden, sieht die Lyrik ein bisschen schief, aber noch ziemlich intakt aus. „Die Krone ist verbogen, die Standrohre noch komplett gerade. Das Steuerrohr ist ein bisschen abgebogen“, analysiert Greg. „Also, das ist praktisch immer noch fahrbar. Wird vielleicht ein bisschen an den Zehen reiben, aber sonst? Das ist ein gutes Beispiel für das, was wir wollen. Wir wollen keine katastrophalen Risse oder Brüche. Wir möchten wissen, wo der Fehler passiert.“ Mit dieser Erklärung entlässt uns Greg und wir machen uns auf zur nächsten Station, während die Ingenieure schon die nächsten armen Gabeln arretieren.
„Wir liefern Antworten.“ Die Jungs aus dem Prototypenbau
Wir schütteln herzlich die Hände von Joel Dahlberg. Dicke CNC-Fräsen stehen hier in einem vollgestellten wie penibel aufgeräumten Raum. „Hier bauen wir Prototypen. Und das so schnell wie möglich, um herauszukriegen, ob Konstruktionen funktionieren oder nicht“, umreißt Joel den Zweck dieses Raumes.
Und das läuft so: Wenn ein Ingenieur etwas ausprobieren will, kommt er zu den Jungs aus dem Prototypenbau und sagt: Hier ist das Modell, das wir haben wollen – und ich brauche das Ding, damit wir einen echten Test durchführen können. Wir haben zwar schon eine Analyse, brauchen aber jetzt den Test. Und dann gehen die Jungs an die Arbeit. Egal ob CNC-Maschine oder 3D-Druck: Je nach Produkt sind Prototypen in sehr kurzer Zeit verfügbar.
Für uns haben die Ingenieure ein paar Samples auf einem Tisch ausgebreitet. Eine halbe, ausgefräste Dämpferwippe erregt meine Aufmerksamkeit und ich frage nach, was es damit auf sich hat. „Klar, SRAM baut natürlich keine Bikes. Aber wir haben die Links hier gefräst, um die Dämpfer in die Bikes zu bekommen, als wir auf Metric-Dämpfer gewechselt haben. Dafür waren die gedacht – um unsere metrischen Dämpfer zu testen. Deswegen sieht man sie hier rumliegen.“ Klingt logisch. Ein weiteres Spezialgebiet der Ingenieure sind sogenannte „Clear Studies“ – transparente Mock-Ups von Produkten, die SRAM und RockShox verkaufen. Du hast einen Bremssattel konstruiert, hast aber noch nie gesehen, ob das Öl wie gewünscht durch die Kanäle im Bremssattel fließt? Eine Clear Study ist, was du jetzt brauchst! Auch Dämpfer und Gabel-Innereien werden transparent hergestellt, um beispielsweise herauszufinden, wo Luftblasen entstehen und wie man sie beseitigen kann. Auf den reinen Prototypenbau kann man die Arbeit der Ingenieure allerdings nicht beschränken – sie helfen auch dabei, neue Lösungen im Entwicklungsprozess zu finden.
„Bei jeder Fertigung müssen wir verstehen: Irgendwo gibt es eine Ausfallrate. Und natürlich sagen wir, diese Ausfallrate muss so gering wie möglich sein. Wenn wir die Bearbeitungszeit in der Produktion um 10 Minuten reduzieren könnten, ist das enorm! Eine Minute pro Teil weniger in der CNC-Fräse – das ist bei 200.000 Teilen eine Menge Zeit!“ Selten war „Zeit ist Geld“ so klar definiert wie in diesem Satz.
Die Lager sind voll: Mit Evan Warner in den heiligen Hallen
Als wir Evan begrüßen, grinst er wie ein Honigkuchenpferd: Der Profi-Mechaniker, der schon vor acht Jahren in einer unglaublichen Geschwindigkeit bei den RockShox Boxxer Worlds in Leogang den 1. Schrauber-Platz errang und vermutlich einer der besten Mechaniker der Welt ist, liebt seinen aktuellen Job. Zusammen mit seinem Hund befehligt er die heiligen Hallen, aus denen all die Prototypen und sonstigen Komponenten an die Profifahrer*innen ausgeliefert werden. Und auch sonst ist ganz schön viel zu entdecken.
450 Grad Celsius: Bremsen auf dem Prüfstand
Kurz bevor wir Colorado schon wieder verlassen steht noch ein Mini-Workshop mit den neuesten Bremsen an. Wie entlüften geht, ist uns wohlbekannt, aber dafür können die Jungs von SRAM noch ein paar besondere Kniffe verraten – und wir eröffnen gemeinsam ein weiteres Kapitel der epischen Diskussionsreihe „Mineralöl oder DOT?“. Der Standpunkt von SRAM ist in diesem Fall natürlich klar – zusammengefasst hat DOT für die Brems-Experten speziell aus Temperaturgründen den besseren Stand. Auf die Frage, warum manche Techniken wie beispielsweise Kühlfinnen an den Bremsbelägen nicht auch bei SRAM-Bremsen angewendet werden, gibt es eine erfrischend ehrliche wie nachvollziehbare Antwort: „Es ist nicht so, dass das nicht funktioniert, aber da gibt es durchaus ein paar rechtliche Einwände. Das hat Shimano ziemlich wasserdicht eingepackt – das ist einfach die Realität in der Fahrradindustrie. Es gibt Dinge, die Shimano mit deren Produkten macht, dafür versuchen andere Wettbewerber, manche von unseren Produkten rechtlich zu umgehen. Hart umkämpfte Industrie.“
Und dann geht es ans Eingemachte: Wir dürfen wieder zu den Testmaschinen. Vorbei an den zischenden Belastungstests der Gabeln und Variostützen, hinein in den Raum, der für alles reserviert ist, was gestoppt werden soll. Vieles ist abgehangen, manche Maschinen sind gerade im Neuaufbau, aber die Maschine mit dem Fahrrad hinter Plexiglas ist voll funktionsfähig. Jede Bremse und jeder Bremsbelag muss diesen Test bei SRAM absolvieren. Das in alle Richtungen festgezogene und mit allerlei Sensoren ausgestattete Testbike bekommt eine frische Bremsscheibe, eine aktuelle Bremse und Bremsbeläge montiert und ab geht es.
Langsam schiebt die Trommel unter dem Vorderrad los, mit einem festgelegten Gewicht wird der Bremshebel satt angezogen. 800 Watt Bremskraft treffen auf stoisch durchlaufende 15 km/h, mit denen sich die Rolle bewegt und es wird klar: Das ist für die Bremse jetzt ähnlich gemein wie die Lyrik-Biegerei nebenan. 11 Minuten muss die Konstruktion mit diesen für die normale Nutzung ziemlich unrealistischen Bedingungen nun durchhalten und danach noch bremsen können. Wir schauen stumpf auf den Rotor und warten.
„Macht doch mal das Licht aus!“, ruft jemand von SRAM und als wir im Dunkeln stehen, leuchtet die Bremsscheibe in voller Pracht hellrot – schon nach weniger als zwei Minuten. Nach 11 Minuten ist der Spuk vorüber. Die G2 hat genauso überlebt wie der charakteristische Geruch von ordentlich durcherhitzten Belägen nach einer langen Bikepark-Abfahrt.
Tutorials for the win
Na, kennt jemand die Tech-Videos von SRAM? Auch die werden direkt in Colorado Springs produziert, egal ob es um das Entlüften von Bremsen oder um das Fetten beweglicher Komponenten geht. Der Herr im Haus heißt Hercules Castro. Und der schraubt nicht nur selber vor der Kamera, sondern verantwortet auch die ganze Technik.
Bevor wir gehen, muss uns James Alberts noch dringend den Trail hinter dem Haus zeigen. Nach dem kompletten Tag im Gebäude sind wir so verblüfft wie geblendet, wie es hier draußen aussieht: Einen Tag vorher lagen noch 10 Zentimeter Schnee, nun ist er fast komplett weggeschmolzen, die Trails sind trocken und es herrschen T-Shirt-Temperaturen. Zwei SRAM-Mitarbeiter schaufeln in der Mittagspause gerade eine Kurve, nur einen Steinwurf vom Hauptgebäude entfernt. Der ganze Trail endet direkt vor der Firma – was für ein Luxus! Und auch sonst lässt es sich rund um Colorado Springs wohl ziemlich passabel biken, aber das schaffen wir wohl erst beim nächsten Besuch.
Wir müssen weiter. Der Zeitplan ist eng gesteckt und uns erwarten noch die Zipp-Fertigung in Indianapolis sowie das Hauptquartier in Chicago. Wir verabschieden uns und sagen: Tschüss, Colorado Springs!
Welche Testmaschine hat auf euch am meisten Eindruck gemacht?
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Information: Reise- sowie Unterkunftskosten wurden von SRAM übernommen.
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