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Gehrig Twins-Blog – EWS #1 Lo Barnechea
Antigrip, der schmale Grat zwischen Erfolg & Niederlage

Die Offseason und das Winter-Training kommen mit der Eröffnungsrunde der Enduro World Series 2018 in den chilenischen Anden endlich zu einem Ende. Die spektakuläre Kulisse des ersten großen Rennens der Saison verspricht einen wahren Fitness-Test. Wer hat im Winter die nötige Arbeit erledigt, um während des harten Rennens zu bestehen? Die langen Stages und das unverzeihliche, unter dem Namen Antigrip bekannte Terrain verschonen niemanden.

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Nach einem langen Winter im Schnee entscheiden wir uns dazu, bereits etwas früher nach Chile zu reisen, um uns möglichst gut zu akklimatisieren und noch etwas Zeit auf unseren Bikes zu verbringen, bevor es mit der Rennsaison losgeht.

# Sonnenuntergänge in Chile sind der Wahnsinn!
# Von La Parva hat man einen beeindruckenden Ausblick bis hinunter auf die Millionenstadt Santiago.

Um keinen Kaltstart in der Enduro World Series hinlegen zu müssen, fahren wir am Wochenende vor der EWS ein kleineres Mountainbike-Rennen in einem coolen, kleinen Bikepark am Stadtrand von Santiago. Wir wissen von Anfang an, dass es keine einfache Aufgabe werden würde, die Lokalmatadorin Florencia Espineira auf ihren Hometrails zu schlagen. Dennoch stellen wir uns der Challenge und versuchen, uns an unser Renntempo heranzutasten. Risiken wollten wir natürlich keine allzu großen eingehen, denn das große Showdown sollte erst am kommenden Wochenende stattfinden. Im Ziel eingetroffen sind wir trotzdem erstaunt, dass Flo mit fast zwei Minuten Vorsprung vor uns gewinnt. Davon lassen wir uns aber nicht unterkriegen, denn rechtzeitig mit der Montage der EWS-Nummer finden wir eigentlich immer unseren Speed.

Nach dem Rennen in Santiago fahren wir also mit der versammelten Mannschaft unseres neu gegründeten “Norco Twins Racing Teams” nach La Parva, wo das erste EWS-Rennen des Jahres stattfinden sollte. Mit dabei: Kilian Meili, unser neu akquirierter Mechaniker und langjähriger Freund und dessen Freundin Nathi.

# Pferde sind ganz normale Verkehrsteilnehmer hier in Chile.
# Team Hopp Schweiz auf Trackwalk - von langer Dauer war dieser nicht, die Stages waren schlicht zu lang
# 3
# Dank des chilenischen Norco-Vertriebs Belda Cycles hatten wir ein super Racepit
# Cristean von Belda Cycles hat alles gegeben und uns nach dem Rennen sogar noch mit einem BBQ (Parilla genannt) verwöhnt

Mit dem Start des Trainings am Donnerstag haben wir also unseren ersten offiziellen Auftritt mit dem neuen Team auf der großen EWS-Bühne. Wir sind gespannt darauf, wie wir uns mit den neuen Bikes und auf den großen Rädern dieses Jahr schlagen werden und wie sich unser Wintertraining bemerkbar macht. Die Power und Ausdauer, die wir beim Krafttraining, auf vielen langen Skitouren und beim Langlauf-Ski fahren erarbeitet haben, sollte sich hoffentlich auszahlen.

Drei Stages pro Tag hört sich zwar nach nicht allzu viel an, wenn diese aber über 11 km lang sind und 1800 hm bergab fahren beinhalten, weiß man, dass man sich für eine große Aufgabe wappnen muss. Im Training tasten wir uns langsam aber sicher an die losen Bodenbeschaffenheiten und das High-Speed-Terrain an. Dabei haben wir großen Spaß daran, auf dem Bike endlich wieder die Fetzen fliegen zu lassen. Schon im Training wird uns eins klar: Es wird ein richtig verrücktes Rennen, bei dem nichts entschieden ist, solange man nicht die Ziellinie der letzten Stage überquert hat. Die vielen versteckten Steine und Felsbrocken sowie die Länge der Etappen schreien nur so nach technischen Defekten.

# Hoch in den Anden haben wir eine mega Aussicht genossen - Foto: © Sven Martin
# Der Start ins Rennen ist gnadenlos - die ersten Kurven bieten schon viel Potential, um eine Bodenprobe zu sammeln
# Morgenstimmung zum Training - die Stelle gelingt Anita im einzigen Besichtigungslauf problemlos
# Zum Glück konnten wir auf Liftunterstützung zählen. Trotzdem mussten genug Höhenmeter aus eigener Kraft bewältigt werden.
# Die Wertungsprüfungen waren alle zwischen 6 und 24 Minuten lang … und das in beträchtlicher Höhe!

Wie immer beim Start des ersten Renntags sind wir sehr nervös. Wir wissen aber, dass wir das brauchen, um uns richtig für das Rennen pushen zu können. Ein bisschen Nervenflattern hat noch nie geschadet. Am Start stehend versuche ich, meine “Vor-Dem-Start-Rituale” wieder alle zu verinnerlichen, um mich in meine “Vollgas-Zone” zu versetzen. Da hat ja jeder so seine eigenen Rituale. Ich versuche, mir jeweils im Kopf ein paar Song-Linien aufzurufen und mich komplett darauf zu konzentrieren. Auf der Stage fühle ich mich ziemlich gut, aber den Blutgeschmack im Mund nach der Zieleinfahrt habe ich über den Winter sicher nicht vermisst. Wir sind uns einig, man kann sich im Training so viel quälen, wie man will, aber an das Gefühl, wirklich alles zu geben, kommt man einfach nur im Rennen ran.

# Partida – let's go! Vom Untergrund haben sich die Abfahrten wenig unterschieden - lose, viele Steine und ganz sicher keine Bäume
# Die Chilenen boten ein Bikespektakel der ersten Klasse - top organisiert und definitiv mit dem gewissen Etwas
# Ab diesem Jahr ist nur noch ein Trainingslauf pro Stage zugelassen - wer eine Sektion nochmals fahren will, muss neben dem Track hochschieben | Foto: © Sven Martin
# Foot out, flat out! Der mangelnde Grip flößt zwar auch ein wenig Respekt ein, macht aber auch einen heiden Spass! - Foto: © Sven Martin

Die Höhe leistet sicher ihren Beitrag dazu, dass wir uns alle fast die Lunge aushusten. Dabei steht die größte Herausforderung des Wochenendes, mit der längsten je gefahrenen EWS-Stage, erst noch an. Diese startet auf 3600 m Höhe, ist 11 km lang, enthält viele Highspeed-Passagen und hat die größten technischen Herausforderungen auf den letzten Minuten des Trails. Ich habe zwar eine gute Fahrt, aber im letzten Abschnitt merke ich, wie es mir immer mehr die Arme aufbläst und ich den Lenker kaum mehr halten kann. Ich mache immer mehr Fehler und an richtig schnell fahren ist nicht mehr zu denken. Auf der folgenden Transfer-Etappe, die in der prallen Sonne 800 Höhenmeter die Passstraße hochgeht, tun mir die Arme immer noch so weh. Sodass ich mich schon fast frage, wie ich es schaffen soll, auf der letzten Stage des Tages noch den Lenker festzuhalten. Zum Glück klappt das dann doch ganz gut und Anita kann auf dieser Stage sogar die zweitschnellste Zeit fahren. Somit platzieren wir uns am ersten Renntag auf den Plätzen sechs und acht. Womit wir zwar nicht hochzufrieden sind, aber mit den geringen Zeitabständen kann immer noch alles passieren.

# Der Transfer über die kurvenreiche Straße zurück nach Farellones war nach der Monsterstage Parvazo ziemlich zermürbend
# Müde von den ersten zwei Stages, aber unsere Fitness macht uns hier keine Sorge - dank den vielen Skitouren sind wir gewappnet für lange Tage und auch die Höhenluft bereits gewohnt | Foto: © Sven Martin
# Stage 3 des ersten Tags führte in den Bikepark von Farellones und es warteten einige coole Sprünge auf uns - Foto: © Sven Martin

Den zweiten Renntag startet Anita leider gar nicht gut: Nicht einmal eine Minute in der Stage kommt sie viel zu schnell in eine technische und sehr lose, rutschige Felspassage und stürzt brachial. Das erste Mal in ihrer sechsjährigen EWS-Geschichte kann sie ein Rennen nicht beenden, sondern muss ihre Wunden nähen lassen. Im Ziel der Stage packt mich Panik, als ich feststelle, dass Anita nicht ankommt, weil sie gestürzt sei. Niemand kann mir aber sagen, wie es ihr geht und in mir schleicht die Angst hoch, da ich sehr wohl weiß, wie fatal Stürze in diesem Terrain sein können. Kurz bevor ich in die fünfte Stage starte, gibt mir unser Fotograf Sven ein Update: Es geht ihr den Umständen entsprechend gut und ich muss mir keine Sorgen machen. Ich versuche mich nicht zu stark davon ablenken zu lassen und bringe eine sichere Fahrt runter.

Anita Crash EWS Chile von IBC_RedaktionMehr Mountainbike-Videos

# Anita hämmert auf Stage 3 am Samstag einen Toplauf herunter
# Fast schon unglaublich - Anita ist bei diesem schlimmen Sturz nichts gravierendes passiert | Foto: © Sven Martin

Video / Bericht: https://www.mtb-news.de/news/2018/03/29/gehrig-twins-blog-ews-lo-barnechea/
# Selbst das Bike ist nachher noch in Ordnung … - Foto: © Sven Martin
# Die Sanitäter waren sehr gut organisiert und haben sich sogleich um Anita gekümmert - die Hand wurde noch auf dem Event-Gelände von einem Arzt zusammengeflickt | Foto: © Sven Martin

In der Pause vor der letzten Stage sehe ich Anita zum Glück noch und kann mich selbst vergewissern, wie es ihr geht. Auuweiiaa, sie schaut aus, als ob sie durch den Fleischwolf gedreht wurde. Man gibt mir auf den Weg mit, ich soll in der letzten Abfahrt doch auf mich aufpassen. Trotzdem nehme mir vor, alles zu geben, denn ich hatte noch einige Sekunden auf die vor mir liegende Florencia Espineira aufzuholen. Und ich bin mir sicher, dass ich ihr diese auf der letzten Stage abnehmen kann. In einer der technischen Singletrail-Passagen sehe ich ein Pedal im Staub liegen und kurz darauf Ines Thoma, wie sie mit ihrem Bike den Berg rauf joggt … ach du Scheiße, das war wohl ihr Pedal! Ich passiere die arme Ines und gebe alles, um sicher aber schnell das Ziel zu erreichen, wo mich Anita schon erwartet.

Caro Gehrig EWS Chile von IBC_RedaktionMehr Mountainbike-Videos

# Draufhalten und hoffen, dass man die nächste Kurve kratzt - vor allem bei vielen Zuschauern kein Problem für Caro | Foto: © Sven Martin
# Die letzten Kurven vor dem Ziel - die Chilenen sind wahnsinns Zuschauer und haben jeden gefeiert
# Caro hat sich durch Anitas Sturz zum Glück nicht zu sehr verunsichern lassen und ist weiter gut gefahren
# Cheers zu einem super Einstieg in die EWS 2018 - der 5. Platz für Caro bringt Selbstvertrauen für den Rest der Saison
# Kühlbandagen und eine gute Portion Schmerzmittel machten die Situation erträglich - Tag zwei brauchte noch etwas stärkere Schmerzmittel …
# Montag stand ein Spital-Check mit Röntgen für Anita an - Brüche in der Hand konnten ausgeschlossen werden, aber die Rippe ist wohl durch

Wie so oft bestätigt sich hier wieder einmal die Regel Nummer eins im Enduro: “It’s never over until it’s over!” Es lohnt sich, bis zum Schluss zu kämpfen und alles zu geben. Denn es ist immer ein schmaler Grat zwischen Erfolg und Misserfolg in unserem Sport.

Nun sind wir bereits in Kolumbien und können es kaum erwarten, euch von hier zu berichten! Ob Anita hier an den Start gehen kann, ist leider noch komplett ungewiss – die starken Prellungen und die Stiche in der Hand lassen es noch nicht zu, einen Lenker zu halten. Drückt die Daumen für sie! Ach ja und drückt uns auch die Daumen, dass unsere Bikes auftauchen!

# Abenstimmung vom feinsten - den Sonnenuntergang konnten wir uns nie entgehen lassen. Am kommenden Wochenende geht es in Kolumbien weiter.

Text: Carolin Gehrig
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