Wer über Lenkwinkel nachdenkt und sich ein wenig für die Zahlen in den Geometrietabellen interessiert, wird bald gewisse Abhängigkeiten feststellen. Je abfahrtslastiger ein Bike ausgelegt ist, desto niedriger ist zumeist die Gradzahl, welche über den Lenkwinkel entscheidet. Es ist allerdings eine Tendenz abzulesen: Gab man sich um 2000 herum noch mit 68° bei Freeridern zufrieden, findet man dort heutzutage teilweise um fast 5 Grad flachere Winkel. Ist diese Entwicklung also linear? Eine ähnliche stringente Zuweisung des Einsatzbereichs wird nach wie vor auch beim Federweg vollzogen. Doch warum kann man diese Strukturen nicht aufbrechen?
Lenkwinkel
Wer schonmal seine auf dem Trail geplante Linie verfehlt hat und kurz darauf unerfreulicherweise feststellen musste, dass das Vorderrad zu einem plötzlichen Stillstand gekommen ist, wird dieses Freiflug-Ereignis in bleibender Erinnerung behalten.
Wer schonmal seine auf dem Trail geplante Linie verfehlt hat und kurz darauf unerfreulicherweise feststellen musste, dass das Vorderrad zu einem plötzlichen Stillstand gekommen ist, wird dieses Ereignis in bleibender Erinnerung behalten. Um dies zu vermeiden und um schneller aber vor allem sicherer den Berg hinunterzukommen, gibt es wirklich flache Lenkwinkel (mit Ausnahme von Mojo/Geometron) ausschließlich im Bereich Downhill.
Das Haupt-Argument, welches mir immer wieder vorgetragen wurde, warum man flache Lenkwinkel nicht auch an Trailbikes nutzen kann war: „Dann kippt die Lenkung ab.“ Ist das wirklich so und welche positiven Effekte könnten das vielleicht aufwiegen? Was in jedem Fall passiert, wenn man den Lenkwinkel sehr viel flacher macht:
- Schläge, die von vorne kommen, werden von der Gabel sehr viel besser aufgenommen.
- Bei gleichem Offset verlängert sich der Trail des Vorderrads, was das Lenkverhalten stabilisiert.
Als 29er Bikes aufkamen, hat man versucht, ihr Lenkverhalten dem von 26″-Bikes ähnlich zu machen. Dies erreichte man, indem man den Offset der Gabeln verlängerte, um den sogenannten „Trail“ (den Nachlauf) zu verkürzen. Das beschleunigt das Lenkverhalten, macht es aber im gleichen Zug auch nervöser, da wir es mit Lenkwinkel nahe den 70° zu tun hatten.
Offset und seine Auswirkungen sind aktuell zu deutlicher kommunizierten Themen geworden. Endkunden haben die Möglichkeit, im Nachrüstmarkt Gabeln mit unterschiedlichen Optionen an Offset zu kaufen. Mit immer besseren Fahrwerken und modernen 29er Geometrien kann es sinnvoll sein, sich über diesen Wert etwas mehr Gedanken zu machen. Um den Nachlauf und damit die Laufruhe etwas zu erhöhen, ohne dabei den Lenkwinkel zu flach zu machen, greifen einige Hersteller nun zu kurzem Offset. Bei 29″-Laufrädern und einem sehr flachen Lenkwinkel kann dies allerdings zu einem extremen Nachlauf führen. So blieb ich zu Beginn mit meinem geplanten Lenkwinkel von unter 63° vorerst bei 51 mm Offset und erweiterte erst später auf die kürzeren Optionen.
Offset Basics von Grinsekater – Mehr Mountainbike-Videos
Federweg
Einsatzbereiche werden fälschlicherweise häufig immer noch am Federweg festgemacht. Grob und ohne Sonderbikes wie beispielsweise Slopestyle denken viele Leute noch grob in folgender Einteilung:
- 100 mm = CC
- 120 mm = Marathon/Tour
- 130 – 140 mm = Allmountain/Trail
- 150 – 170 mm = Enduro
- 180 mm = Freeride
- 200 mm = Downhill
Hier einige Bilder aus den letzten 10 Jahren, in denen Bikes nicht unbedingt in dem dafür vorgesehen Einsatzbereich bewegt wurden.
Versucht ein Hersteller, ein Bike mit einem Federweg zu verkaufen, der über oder unterhalb des Federwegs der jeweiligen Kategorie liegt, wird sich das immer nur mit mehr Erklärungen und Marketing realisieren lassen. Letztendlich sind dies also Mehrkosten, die man wiederum auf den Verkaufspreis des Bikes umrechnen muss. In einem hart umkämpften Markt ist das aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht erstrebenswert.
Planung von Federweg und Geometrie
In alle weiteren Überlegungen zu den Dimensionen meines Rades flossen sämtliche Erfahrungen ein, die ich in meiner kompletten Laufbahn als Fahrradnutzer sammeln konnte. Immer wieder gab es für mich Momente, in denen ich mir gewisse Eigenschaften oder Parameter eines Rades, das ich mal gefahren war, an einem neuen Rad wünschte, um es noch besser – oder besser gesagt – noch passender zu machen.
Die Kompromisse sollten also nun endlich ausgeräumt werden. Allerdings war ich nicht selbst in der Lage, ein solches Projekt in meinem Wohnzimmer umzusetzen. Im nächsten Teil der Serie werde ich auf den Prototypenbau und dessen Details eingehen.
Betrachtet man die Nutzergruppen im Bikepark, so lösen sich langsam die alten Kategorien auf. Man braucht kein reines Downhill-Bike mehr, um auf allen Strecken Spaß zu haben. Steht man hin und wieder mit einem Trailbike in der Liftschlange, so fallen die Blicke der Leute mit „Boliden“ nicht mehr ganz so verwundert aus wie noch vor einigen Jahren. Dennoch bedeuten die aktuellen Geometrien Nachteile und die Industrie entwickelt sich nur sehr langsam in eine moderne Richtung.
Welche Experimente habt ihr mit zu kleinem oder zu großem Federweg und AngleSets in den letzten Jahren gemacht?
- Forschungsprojekt Mountainbike-Geometrie (8/8): Der Fahreindruck – was kann der Prototyp? Das große Finale!
- Forschungsprojekt Mountainbike-Geometrie (7/8): Der Prototyp
- Forschungsprojekt Mountainbike-Geometrie (6/8): Lenkwinkel und Federweg
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- Forschungsprojekt Mountainbike-Geometrie (1/8): Auf der Suche nach dem perfekten Bike
Disclaimer: Das Forschungsprojekt Geometrie ist komplett privat finanziert worden und steht in keinerlei finanzieller Verbindung zu MTB-News oder externen Herstellern.
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