Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Die Fahrrad-Branche steckt nach den auf die Pandemie folgenden Boom-Jahren in der Krise. Der Pressedienst-Fahrrad hat gemeinsam mit der Unternehmens-Beratung Roland Berger insgesamt 34 Verantwortliche von Rad-Firmen aus dem DACH-Raum befragt und ein umfassendes Lagebild ermittelt. Warum eine Normalisierung des Marktes erst für 2026 erwartet wird, erfährst du hier.
Auf den Boom folgte die Krise
Wie es zur aktuellen Krise auf dem Fahrradmarkt kommen konnte, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Während der Corona-Pandemie 2020 und auch im folgenden Jahr 2021 gab es einen noch nicht erlebten Boom: Viele Menschen mussten auf Urlaube verzichten und haben das Fahrrad als praktische Möglichkeit entdeckt, die eigene Umgebung und Naherholungsgebiete zu erkunden. Dazu kam die erhöhte Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln, während das Rad als Commuter völlig gefahrlos und sogar gesundheitsfördernd ist. Gleichzeitig waren jedoch die internationalen Lieferketten gestört – man erinnere sich an Bilder von vor den Küsten ankernden Containerschiffen, die nicht andocken durften –, was zu starken Lieferproblemen geführt hat.
Viele der angesichts der hohen Nachfrage in der Hoffnung auf kommende gute Geschäfte recht optimistisch getätigten Bestellungen erreichten die Hersteller erst stark verspätet. Gleichzeitig ist die Nachfrage in diesem Zeitraum jedoch abgeflaut – die meisten Kunden hatten trotz einiger Verfügbarkeits-Probleme inzwischen ein Rad erworben und brauchten nun eben kein weiteres mehr. Das hat zu extrem hohen Lagerbeständen geführt, die Kosten verursachen, Kapital binden und in den letzten zwei Jahren zu starken Preis-Senkungen geführt haben, mit denen versucht wird, Lagerbestände Stück für Stück zu reduzieren.
Die Entwicklung hat teilweise sowohl die verkauften Stückzahlen als auch die Margen der Hersteller und Händler deutlich reduziert, was bereits zu einigen recht prominenten Pleiten geführt hat (alles zur Signa Sports-Pleite). Einige sehr große Hersteller konnten sich zwar auf dem Markt halten, waren jedoch auf Finanzspritzen ihrer Investoren angewiesen. Für den Endkunden, der nach wie vor auf der Suche nach einem neuen Rad ist, hat die Situation den großen Vorteil, dass es eine große Auswahl an verfügbaren Modellen mit teilweise extremen Preisnachlässen gibt. Über 50 % Rabatt sind und waren im Jahr 2024 keine Seltenheit. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wiederum der Gebrauchtmarkt extrem darunter leidet. Warum sollte man auch ein Gebraucht-Rad kaufen, wenn man Neuräder für ähnliche Preise findet?
Die Markterholung lässt auf sich warten
Wer bereits im kommenden Jahr mit einer weitgehenden Normalisierung des Marktes gerechnet hat, wird von den Autoren enttäuscht. Grund ist, dass die Lagerbestände an Material weiterhin hoch und die Nachfrage eher niedrig ist. Ergo: Es dauert noch, bis alle überschüssigen Teile verkauft sind. Um die Nachfrage anzuregen, werden wohl auch weiterhin recht saftige Rabatte nötig sein, was die Marge für die Hersteller und Händler deutlich drückt. So berichten 70 % der befragten Hersteller von Umsatzrückgängen, immerhin die Hälfte von Rückgängen über 10 %.
Auch die Händler haben größtenteils gut bestückte Lager, weshalb sich wohl abzeichnet, dass sie auch 2025 wenig bestellen und sich eher auf gut nachgefragte Teile konzentrieren. Hier scheint auch die Anfang Juli stattgefundene Eurobike keine erhoffte Wende gebracht zu haben.
Die Probleme der Fahrrad-Industrie sind natürlich auch an den Banken nicht vorbeigegangen, sodass Rad-Hersteller sich aktuell nicht nur Sorgen um die große Menge des in Lagerbeständen gebundenen Kapitals machen müssen, sondern auch Probleme bekommen, sich Liquidität über Kreditinstitute zu besorgen. Diese scheuen sich davor, weiter in die Branche zu investieren oder wollen erhöhte Sicherheiten und Eigenkapital sehen.
Die Autoren geben mehrere Tipps, wie Firmen gut durch das weitere Krisenjahr kommen sollen, die sich mehr oder weniger auf Kostenersparnis und mehr Liquidität reduzieren lassen. Branchen-Insider dürfte nicht überraschen, dass die teilweise nicht gerade schlanken Geschäftsprozesse mehrfach Erwähnung finden und als verbesserungswürdig angemahnt werden.
Positive Zukunftsaussichten
Boom und Krise ändern natürlich nichts daran, dass die Fahrrad-Branche eine wichtige Rolle beim Wandel zu klimaneutralen Mobilitätskonzepten spielen wird. Lastenräder und Commuter sind nicht mehr aus den Innenstädten wegzudenken. Auch die Politik ist mittlerweile mit an Bord – so hat die EU das Ziel ausgerufen, die Anzahl der gefahrenen Rad-Kilometer bis 2030 zu verdoppeln.
Besondere Wachstumschancen sehen die Autoren allerdings wenig verwunderlich bei E-Bikes. Diese haben schon in den vergangenen Jahren einen Großteil der Umsätze ausgemacht, was sich mittelfristig noch verstärken dürfte. Interessanterweise machen E-Bikes in Europa aktuell ein Drittel der verkauften Modelle aus – in Deutschland allerdings schon über die Hälfte. Dadurch, dass E-Bikes allerdings deutlich teurer sind, spielen sie eine ungleich größere Rolle beim Umsatz. Ein wichtiger Treiber für die – übrigens auch in der Krise weiterhin guten – Absatzzahlen von E-Bikes sind Leasing-Angebote. Zukünftig erwartet man jedoch insgesamt niedrigere Durchschnittspreise in diesem Markt.
Die fortdauernde Krise dürfte eine marktbereinigende Wirkung entfalten. Marken, die nicht über ausreichende eigene Mittel verfügen oder es nicht schaffen, aus der Masse hervorzustechen, können dieser Wirkung zum Opfer fallen. Diese könnten entweder von größeren Marktteilnehmern geschluckt werden oder Insolvenz anmelden. Interessant ist, dass die Studien-Autoren beim Blick in die Zukunft großen Wert auf das Markenbild werfen, das sie bei vielen Rahmen-Herstellern als stark ausbaufähig empfinden. Außerhalb sehr spezifischer Kategorien wie High-Performance-Mountainbikes oder Rennräder ist das nicht von der Hand zu weisen. Als Beispiel wird genannt, dass Kunden Kaufentscheidungen eher nach bekannten Ausstattungsmerkmalen treffen – etwa Schwalbe-Reifen oder einer Shimano-Schaltung – als nach dem Markennamen des Rahmen-Herstellers.
Eine starke Marke zu kreieren, zählt also zu den wichtigsten Ratschlägen der Studien-Autoren. Eng damit verwoben ist die Prognose, dass sich der Trend zu mehr Eigenmarken verstärken dürfte. Große Player wie Trek, Scott oder Specialized setzen bereits großflächig auf Anbauteile aus eigener Produktion. Das reduziert Abhängigkeiten von Lieferanten und vergrößert die Marge für den Hersteller. Ungute Aussichten für Nerds und Bastler gibt die Prognose, dass dadurch passgenaue Komponenten entwickelt werden könnten, die zu einer besseren Differenzierung von Mitbewerbern führen. Das klingt, als ob es (noch) schwieriger werden könnte, Komponenten auszutauschen oder passende Ersatzteile zu besorgen.
In den letzten Jahren ist zudem klar geworden, dass die Branche ihre Lieferketten in den Griff bekommen muss. Das betrifft einerseits die Kommunikation zwischen den einzelnen Gliedern der Lieferkette, die sich häufig als zu träge erwiesen hat, was verheerende Folgeeffekte haben kann. Andererseits taucht natürlich das inzwischen allseits beliebte Stichwort „Resilienz“ auf, womit vor allem gemeint ist, dass man sich nicht auf einen Fertigungsstandort in Asien konzentriert, sondern breiter aufstellt. Explizit genannt werden Fertigungen in Portugal, Ungarn oder Polen.
Den vollständigen Report von Roland Berger findest du hier:
24_2568_REP_Cycling_industry_ES-5Was ist deine Einschätzung der aktuellen Lage in der MTB-Branche?
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