Dass wir Pete zwischen den beiden EWS-Rennen in Irland und Schottland als Guide für unseren Abstecher in die Highlands aufreißen konnten, war ein echter Glücksfall. Pete wohnt in Glasgow, und die Trossachs, der Eingang zu den Highlands, liegen vor seiner Türschwelle. Er kennt die Gegend wie seine Werkzeugtasche. Der Rest der Truppe, das sind Daniel und Franziska als Enduro-Sparte des Nicolai Factory Racing Teams, Daniels Freund Ronny, Ingenieur und Entwickler bei Ghost und ich als Chronist und Fotograf dieses kleinen Abenteuers.
Von unserem Aussichtspunkt folgen wir dem Forstweg noch ein Stück und beginnen dann den anstrengenden Teil des Aufstiegs. Wir biegen hangwärts in einen Trail ein, der bald darauf vor einer Felstreppe endet. Mit geschulterten Bikes geht es grob behauene Stufen hinauf, bis wir auf einen Sattel gelangen, der von einem Bach eingeschnitten wird. Ein guter Platz für eine kleine Mittagspause, zu der wir Peshwari Naan teilen, Reste unseres Dinners vom Vorabend beim Inder in Callander.
Über uns erhebt sich steil die kahle Ostflanke des Ben Ledi. Der vor uns liegende Pfad folgt der Flanke in verzweigten Linien nach Süden und gewinnt dabei zusehends an Höhe. Tret- und Tragepassagen wechseln sich ab. Nach einem Geröllfeld gelangen wir auf die Südseite des Berges. Wir queren ein mooriges Hochplateau und ein Meer von Krokussen. Erosion und Frost haben die dicke Torfschicht stellenweise absinken lassen und eine seltsame Landschaft aus meterhohen Grasinseln geschaffen. Wir nehmen den Gipfel über den Südkamm in Angriff, auf dem mehrere kleinere Vorgipfel liegen. Unter uns zur Linken gleißt nun der Spiegel des Loch Venachar in der Sonne, dahinter taucht Loch Katrine auf. Im Südwesten staffeln sich die Höhenzüge von Ben Venue und Ben Lomond. Spross unten am Loch Lubnaig bereits frisches Frühlingsgrün, ist die Vegetation nahe dem Gipfel selbst Anfang Juni noch winterlich. Nichts grünt hier mehr oder blüht, nur ledriges gelbes Gras, Moos, und Flechten. Der schneidende Wind sorgt dafür, dass wir trotz der anstrengenden Kletterei unsere Jacken anziehen müssen. Wir passieren ein mächtiges Schneebrett, das sich einen schattigen Einschnitt entlang zieht. Dunkle Wolkenfetzen jagen über uns hinweg und malen im Wechsel mit der Sonne bewegte Muster in die raue Landschaft. Je höher wir kommen, um so atemberaubender wird die Aussicht. Ben More, Stuc a’Chroin und Ben Lawers tauchen über dem Gipfelgrat auf. In verblassendem Blau reiht sich Bergkamm hinter Bergkamm, bis schließlich in weiter Ferne zerklüftete Erde und zerrissener Himmel miteinander verschmelzen.
Am Gipfelkreuz erinnert eine Inschrift an Sergeant Harry Lawrie, der 1987 bei einem Rettungseinsatz am Ben Ledi ums Leben kam. Der Ben Ledi verfehlt mit seinen 879 Metern nach der schottischen Kategorisierung knapp die Einstufung als Munro, wofür 914,4 Meter erforderlich wären. Er zählt als Corbett. Dennoch sollte man ihn nicht unterschätzen, denn der Anstieg beträgt circa 800 Höhenmeter.
Und somit auch der Downhill, der vor uns liegt. Viel Zeit zu rasten und das eindrucksvolle Panorama zu genießen, bleibt uns nicht. Pete hat eine Weile den Himmel beobachtet und weist nach Nordwesten. Die schwarze Front scheint noch fern, aber er mahnt den Aufbruch an. Pete ist am Ben Ledi bereits von einem Unwetter überrascht worden und will das kein zweites Mal erleben. Ich sauge ein letztes Mal die fantastische Szenerie in mich auf, mit der festen Absicht, sie zu einer bleibenden Erinnerung zu verdichten. Dann jage ich der Gruppe hinterher, den Pfad den wir gekommen sind.
Da wir die meisten Fotos schon beim Aufstieg gemacht habe, können wir die Abfahrt in vollen Zügen genießen. Petes Wettervorhersage war für schottische Verhältnisse ziemlich präzise. Die ersten Regentropfen fallen, kurz bevor wir in Callander das kleine indische Restaurant vom Vorabend betreten.
Noch ein Mal blicke ich zurück Richtung Ben und verspreche mir: Ich komme wieder.
9 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumCorbetts statt corbets (Fotobeischrift)
zum Nachlesen https://en.wikipedia.org/wiki/Lists_of_mountains_and_hills_in_the_British_Isles
gr.p
Spitzenklasse
Danke für den Hinweis, wurde korrigiert. BG
Ein Hungermacher erster Güte - die Schottlandwelle rollt an, und sie hat's verdient! Toller Bericht!
Toller Bericht, super Fotos und dufte Truppe !!! cheers
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