Sam Hill ist mit Sicherheit einer der besten, einflussreichsten und berühmtesten Downhiller aller Zeiten. Langsam, aber sicher sollte man sich jedoch dran gewöhnen, dass der Australier zukünftig vor allem bei Rennen der Enduro World Series ein regelmäßiger Gast sein wird. Hier macht der 31-jährige aus Perth da weiter, womit er vor einigen Jahren im Downhill-Weltcup aufgehört hat: Abgefahrene Linien, eigenwillige Entscheidungen und regelmäßige Platzierungen auf dem Podium!
Wer kann sich noch an das Deutsche Sportfernsehen, kurz DSF, kurz nach der Jahrtausendwende erinnern? Damals, als der Kanadier Wade Simmons die erste Ausgabe der mittlerweile legendären Red Bull Rampage gewinnen konnte, der Euro als Zahlungsmittel kurz vor der Einführung stand und massive Röhrenfernseher noch Millionen Wohnzimmer der Bundesrepublik verzierten? Pünktlich zur Mittagszeit flimmerten auf eben jenen Röhrenfernsehern dann – DSF sei dank! – Klassiker wie American Gladiators, Takeshi’s Castle und allen voran Monster Trucks. Der Star dieser Sendung stand nun Pate für den aktuellen Enduro-Boliden des Australiers Sam Hill: Sein Nukeproof Mega 275 ist eine Hommage an den legendären Grave Digger, der damals noch graziler und spektakulärer als die Konkurrenz über riesige Sprünge segelte, schrottplatzreife Autos zermalmte und sich ständig überschlug. Wir haben das Arbeitsgerät von Sam Hill genauer unter die Lupe genommen!
Rahmen und Geometrie
Seit einigen Jahren ist Sam Hill nun auf Modellen der britischen Marke Nukeproof unterwegs. In der Enduro World Series setzt der Australier auf das Nukeproof Mega 275, das auf 650b-Laufrädern rollt. Die 160 mm Federweg am Heck werden von einem Horst Link-Hinterbau kontrolliert. Das beliebte Mega wurde von Nukeproof im vergangenen Jahr komplett überarbeitet, wenngleich der Rahmen weit davon entfernt ist, der Traum einer jeden Marketing-Abteilung oder PR-Agentur zu sein: Carbon, innenverlegte Züge, Flip Chips zum Anpassen der Geometrie oder einen Boost-Hinterbau sucht man am Mega 275 vergeblich. Stattdessen legt Nukeproof den Fokus auf ein gutes, zuverlässiges Fahrverhalten, eine hohe Haltbarkeit und ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Rennergebnisse von Sam Hill geben Nukeproof jedenfalls recht: In jedem EWS-Rennen, bei dem der Australier bislang an den Start ging, konnte er sich in den Top 10 platzieren!
Bei 1,78 m Körpergröße würde man meinen, dass Sam Hill in bester Rennmanier auf einem Rahmen in Größe L unterwegs ist. Doch der Australier ist kein besonders großer Fan des „Länger, flacher, breiter“-Trends. Sein M-Rahmen hat einen relativ moderaten Reach von 435 mm und einen Lenkwinkel von abfahrtsorientierten, aber nicht zu extremen 65°. Auch die Kettenstreben sind mit einer Länge von 435 mm nicht übermäßig kurz oder lang. Je nach Austragungsort variiert Sam die Anzahl der Spacer unter dem Vorbau, um den Schwerpunkt auf dem Rad etwas nach vorne oder hinten zu verschieben. Für den finalen Stopp der Enduro World Series in Finale Ligure, wo auf die Fahrer sowohl flache und tretintensive, als auch steile, technische Stages warteten, verwendete der Australier einen 10 mm-Spacer. Sonstige Anpassungen der Geometrie findet man an Sam Hills Nukeproof Mega 275 vergeblich.
Eines der Highlights am Arbeitsgerät des Australiers ist mit Sicherheit die auffällige Lackierung – eine Hommage an den legendären Monster Truck mit dem Namen Grave Digger. Was es damit auf sich hat? Sams ältester Sohn Bam ist spätestens, seit er den Grave Digger in seiner australischen Heimat Perth persönlich gesehen hat, ein riesiger Fan des schwarz-grün-lila-gelben Monster Trucks gewesen. Und auch Sam Hill selbst scheint ein Faible für solche Farbvarianten zu haben – man denke nur an sein legendäres neongrünes Iron Horse Sunday. Pünktlich zum diesjährigen Crankworx-Festival in Whistler wurde der Australier also von seinem Hauptsponsor Nukeproof mit dem Rahmen in der ganz speziellen Custom-Lackierung überrascht!
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Fahrwerk und Setup
Das Fahrwerk von Sam Hills Nukeproof Mega 275 stammt aus dem Hause RockShox. Vorne setzt der Australier auf eine RockShox Lyrik RCT3 mit 160 mm Federweg, hinten auf einen RockShox Monarch Plus RC3-Luftdämpfer. Generell legt Sam Hill großen Wert darauf, dass sich sein Enduro-Bike nicht allzu sehr von seinem Hauptarbeitsgerät, dem Downhiller Nukeproof Pulse, unterscheidet: So sind beispielsweise das Cockpit und die Pedale praktisch identisch. Auf das Fahrwerk trifft das allerdings nicht zu. Während das Setup seines Pulses zu Beginn des Federwegs eher soft ist, um dann progressiv zu werden, sind die Federelemente von Sam Hills Nukeproof Mega 275 von vornherein relativ straff abgestimmt.
Für gewöhnlich fährt Sam Hill, der etwa 72 kg auf die Waage bringt, in seiner RockShox Lyrik RCT3 einen Luftdruck von rund 95 psi und mehrere Volumenspacer. Diese sorgen für eine größere Progression im letzten Federwegsbereich. Auch der RockShox Monarch Plus RC3-Dämpfer ist mit einem Luftdruck von circa 215 psi sehr straff abgestimmt. Die größere DebonAir-Dämpferhülse sorgt durch ihr größeres Volumen für ein sensibleres Ansprechverhalten. Das genaue Setup von Sam Hills Fahrwerk ist allerdings ein Buch mit sieben Siegeln und streng geheim. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Fahrwerk fährt Sam Hill logischerweise ein deutlich strafferes Fahrwerk, als eigentlich für sein Körpergewicht vorgesehen ist. Und ob das Innenleben der Federelemente von der Stange ist, darf zumindest angezweifelt werden.
Komponentencheck
Die Laufräder an Sam Hills Nukeproof Mega 275 sind eine rein französische Angelegenheit. In Finale Ligure setzte der Australier auf einen Mavic Crossmax XL Pro-Laufradsatz und den Charge Pro XL-Reifen desselben Herstellers. Die Systemlaufräder im typischen Mavic-Design kommen mit gerade einmal 24 Speichen vorne und hinten raus. Die Felgen sind mit einer Innenbreite von 23 mm vergleichsweise schmal – aber Sam Hill ist ohnehin kein allzu großer Fan von Trends. Auf beiden 2,4″ breiten Mavic Charge Pro XL-Reifen prangt ein Prototyp-Aufdruck, dazu ziert ein auffälliger gelber Streifen die Lauffläche des Vorderreifens. Was genau es damit auf sich hat, wollte man (noch) nicht preisgeben – vermutlich handelt es sich dabei um eine spezielle, weichere Gummimischung. Im Vergleich zur Serienversion haben die Reifen zusätzlich eine verstärkte, steifere Seitenwand, die es dem Australier erlaubt, einen niedrigeren Luftdruck zu fahren, ohne dass die Reifen in harten Kurven zu sehr walken.
Das Cockpit besteht komplett aus Nukeproof-eigenen Anbauteilen: Der Warhead-Lenker – übrigens eines der wenigen Anbauteile aus Carbon – ist auf eine Breite von 750 mm gekürzt. Die Griffe stammen aus der Signature-Edition des Australiers und auch der 50 mm lange Vorbau ist eine Nukeproof-Kreation. Bei den Bremsen setzt Sam Hill auf einen Mix aus SRAM Guide-Bremshebeln mit Avid Code-Bremszylindern. 200 mm große Scheiben vorne und hinten mögen auf den ersten Blick etwas überdimensioniert wirken, sind aber gerade in Anbetracht der teilweise über 10 Minuten langen Stages keine schlechte Idee. Zum Schutz der Hände fährt Sam Hill zusätzlich einen Plastikschutz von AVS Racing, der über ein 3D-gedrucktes Verbindungsstück aus Aluminium mit dem Lenker befestigt wird. Der Pressesprecher der Style-Polizei wollte sich auf Anfrage nicht zu diesem Thema äußern, aber fest steht: Der Australier ist nicht der einzige Fahrer, der mittlerweise diese Handschützer einsetzt.
Auch beim Antrieb geht Sam Hill ungewöhnliche Wege. Das SRAM Eagle-Schaltwerk und die Kassette mit einer Bandbreite von 500 % sind mittlerweile der absolute Standard in der Enduro World Series. Einer der Vorteile des Systems: Man kann ein 36T-Kettenblatt fahren und hat trotzdem noch genügend Reserven für knackige Anstiege. Diese Nachricht scheint wohl noch nicht beim Australier angekommen zu sein, der ein 32 Zähne kleines Kettenblatt montiert hat. Seine Antwort auf die Frage nach dieser Wahl: Ein größeres Kettenblatt braucht er nicht und bergab hat er besseres zu tun, als bei 50 km/h noch in die Pedale zu treten. Apropos Pedale: In bester Sam Hill-Manier sind am Nukeproof Mega 275 des Australiers Flatpedale montiert. Die Nukeproof Horizon-Flats, ebenfalls Teil der Sam Hill Signature-Edition, haben nicht nur eine schicke, goldene Titanachse, sondern im Vergleich zur Serienversion auf besonders lange Pins in einer speziellen Anordnung. Das soll für zusätzlichen Grip sorgen. Auch die MRP-Kettenführung kommt nicht von der Stange: Die AMg-Kettenführung der Amerikaner wurde mit dem oberen Teil der SXg-Kettenführung kombiniert, damit die Kette maximal geschützt wird, ohne unnötiges Zusatzgewicht mit sich rumzuschleppen.
Auch wenn Sam Hill ein vergleichsweise neues Gesicht in der Enduro World Series ist, hat der Australier definitiv schon die ein oder andere Duftmarke setzen können: Nachdem er zwei Mal knapp an Platz 1 vorbeigeschrammt ist, hat es beim vorletzten Rennen des Jahres in Valberg mit dem ersten EWS-Sieg seiner Karriere geklappt. Bislang konnte sich der 31-jährige bei allen EWS-Rennen, bei denen er an den Start gegangen ist, in den Top 10 platzieren. Auch wenn Sam Hill einer der einflussreichsten Downhiller aller Zeiten ist lässt sich mittlerweile mit Fug und Recht behaupten: Sam Hill und Enduro, das passt einfach. Nächstes Jahr wird der Australier seinen Fokus übrigens noch stärker auf die EWS legen. Ob sein Nukeproof Mega 275 dann wieder im Gravedigger-Style lackiert sein wird, ist noch nicht klar. Falls nein: Wie wär’s denn mit einem American Gladiators- oder Takeshi’s Castle-Design?
Weitere Informationen
Website: Sam Hill auf Facebook
Text & Redaktion: Moritz Zimmermann | MTB-News.de 2016
Bilder: Moritz Zimmermann
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