Enge oder weite Shorts, Straße oder Gelände, Rennlenker oder Flatbar: Mountainbiker und Rennrad-Fahrer benehmen sich häufig wie Feuer und Wasser, wie Kaffee und Tee. Doch mal ehrlich: Was soll diese strikte Trennung, dieses gegenseitige Beäugen? Viele Mountainbiker*innen greifen inzwischen gern auch mal in den Rennlenker. Welche Art von Fahrrad ist die beste für uns Geländeradsportler?
Die Unterschiede
Ähnlich wie beim Mountainbike haben sich Fahrräder mit Rennlenker inzwischen in viele, auf den ersten Blick nur leicht unterschiedliche Modelle diversifiziert, wie wir hier schon erfahren konnten. Glaubt mir: Ein Rennrad-Fahrer erkennt auf den ersten Blick auch nicht den Unterschied zwischen XC-, Marathon– und Trailbike! So ähnlich geht es uns mit Racebike, Endurance-Bike, Cyclocrosser, Allroadbike, Gravelbike und Co!
Als Mountainbiker*innen interessieren uns primär die Bikes, die auch für (leichtes) Gelände geeignet sind: Cyclocrosser (auch Radcross- oder Crossbike), Allroadbike und Gravelbike. Die Unterschiede liegen im Detail:
Das Crossrad
Die ältesten und etabliertesten „Rennräder“ mit Stollenreifen. Sie werden vornehmlich für Rennen verwendet, dabei werden durchaus anspruchsvolle Strecken befahren. Häufiges Auf- und Absteigen ist nötig. Das wichtige daran: Die Bikes sind für kurze Ausfahrten gemacht. Auf der aggressiven Geometrie will man nicht lange sitzen, sondern hart attackieren. Eine Stunde Vollgas – dafür sind die Räder gemacht. Die Reifen sind schmal, etwa 28-32 mm Breite sind der Standard. Für offizielle Cyclocross-Rennen dürfen sie nicht breiter als 33 mm sein. Gerade in Bezug auf Agilität und Beschleunigungsfähigkeit sind Cyclocrosser Gravelbikes um Längen voraus! Eher steiler Lenkwinkel, häufig Kontakt zur Zehenspitze möglich. Das Tretlager ist höher, um die Agilität zu steigern.
Das Gravelbike
Kennt inzwischen jeder – ebenfalls ein „Rennrad“ mit Stollenreifen. Der große Unterschied zum Crosser ist die Sitzposition: sie ist für lange Ausfahrten gemacht. Der Lenker ist deutlich höher durch einen größeren Stack am Rahmen. Der Komfort wird auch durch den Sitzwinkel positiv beeinflusst, ein wenig mehr Radstand erhöht die Laufruhe. Klar ist aber auch: Die komfortablere Sitzposition reduziert die Effizienz, das Gleiche gilt für die breiten Reifen. Je nachdem, wen man fragt, sind hier mindestens 40 mm und maximal sogar 55 mm angebracht. Vereinzelt werden 27,5″-Felgen mit über 50 mm breiten Reifen verbaut. Flacherer Lenkwinkel, keine Kollision von Fuß und Vorderrad. Ein tieferes Tretlager erhöht den Stack.
Das Allroadbike
Die wohl neueste Gattung in dieser Runde. Die Reifen sind weniger profiliert als bei den beiden anderen Kandidaten, die Sitzposition liegt irgendwo zwischen Cyclocross-Rad und Gravelbike. Soll heißen: So bequem, dass man es recht lange darauf aushält – aber eben immer noch auf Effizienz getrimmt. Bei der Reifenbreite liegt das Allroadbike eher im Bereich des Crossers, 28 bis 35 mm sind die Norm. Normalerweise keine Kollisionsgefahr von Vorderrad und Schuh, höchstens mit Schutzblechen.
Die Gemeinsamkeiten
Offensichtlich haben alle diese Bikes einen Rennlenker, der viele verschiedene Griffpositionen erlaubt. Sie haben inzwischen auch alle Scheibenbremsen, was bei Nässe und Matsch Vorteile bietet. Auch die Wahl der Reifenbreite ist mit Discs flexibler. 28″ sind bei allen Gattungen gesetzt, nur bei Bikes in Rahmengröße XS und stark auf Schotter ausgelegten Gravelbikes tauchen 27,5″-Felgen auf. Häufig haben die genannten Bikes einen 1fach-Antrieb. Vor allem am Allroadbike finden sich aber auch häufig 2x-Antriebe, die ein höheres Tempo erlauben. Die Reifen unterscheiden sich zwar in der Breite, weisen aber allesamt ein leichtes Profil auf.
Warum Rennlenker?
Was reizt uns als Mountainbiker am Rennlenker? Abgesehen davon, „mal was Neues“ auszuprobieren? Nun, ein Argument liegt auf der Hand: Geschwindigkeit. Der Rennlenker ist schmaler und positioniert Fahrer oder Fahrerin tiefer und stromlinienförmiger im Fahrtwind. Der Luftwiderstand sinkt und mit der gleichen Leistung ist eine höhere Geschwindigkeit drin. Da der Luftwiderstand recht früh der größte Fahrwiderstand ist, wird man allein durch den Lenker schon schneller. Je schmaler und tiefer der Lenker, desto größer der Vorteil. Riesig sind die Unterschiede zwischen unseren drei Kandidaten aber nicht – das Gravelbike mit seinem breitesten Lenker sorgt hier für den höchsten Luftwiderstand, aber auch für die größte Kontrolle. Entscheidend wird hier also, wie so häufig, der Einsatzbereich sein. Hier findest du mehr zum Thema Unterschied zwischen Rennrad-Lenker und Gravel-Lenker.
Der Einsatzbereich
Wir greifen also zum Rennlenker, um schneller zu werden. Die schmalen Reifen passen gut dazu, die verringern nämlich auch den Luftwiderstand und – auf festem Grund – den Rollwiderstand. Bleibt nur noch eine Frage: Wo wollen wir damit schneller werden? Auf dem Trail? Dem Forstweg? Der Straße?
Achtung, Spoiler: Das mit der höheren Geschwindigkeit auf dem Trail könnt ihr euch in die Haare schmieren. Es sei denn, der Trail ist sehr glatt. In jedem anderen Fall, auf jedem Trail mit Wurzeln, Steinen, Stufen und solchen Sachen – da ist das Mountainbike zuhause. Also: für Trails müsst ihr euch kein Fahrrad mit Rennlenker kaufen. Auf dem Forstweg dagegen, da kann der Wunsch nach mehr Geschwindigkeit in Erfüllung gehen. Hier kann man nämlich in aerodynamischer Sitzposition sitzend kurbeln, Strecke machen. Das macht aber auch klar, dass das Crossrad mit seiner wenig komfortablen Haltung nicht der richtige Partner ist. Das Gravelbike schon, aber auch das Allroadbike kann auf Forststraßen punkten.
Wer dann auf der Straße fährt, der kann – so er empfänglich dafür ist – auch hier eine willkommene Überraschung erleben. Alle genannten Räder sind hier schnell, sehr schnell. Allen voran das Allroadbike, das schon mit den meisten Rennrädern mithalten kann. Diese direkte Kraftübertragung, die unmittelbare Beschleunigung, aus eigener Kraft in der Ebene 50 km/h fahren. Das macht man mit keinem Mountainbike, und das ist schon auch: Geil.
Machen wir es also kurz: Nur wer vornehmlich auch schlechtere, grob geschotterte Forststraßen fährt, der liegt mit dem Gravelbike richtig. Allerdings ist hier das Tempo so niedrig und der Komfort so wichtig, das man schon über ein Mountainbike nachdenken kann. Wer den Reiz der Geschwindigkeit auf der Straße entdeckt, aber eben auch unbesorgt über Kopfsteinpflaster und – zu eher geringem Anteil – über Schotterwege heizen will, der sollte sich ein Allroadbike anschauen. Es ist einfach nochmal eine Ecke schneller. Das Cyclocross-Bike ist ein Spezialist, den wahrscheinlich nur Renn-affine Biker*innen lieben und schätzen lernen. Dennoch scheint das Gravelbike gerade nicht zu stoppen. Warum?
Wieso Gravel?
Folgende These, warum das Gravelbike so immens erfolgreich und bei Mountainbikern beliebt ist: Es war das erste Fahrrad mit Unterlenker, das es uns Mountainbikern einfach macht, aufzusteigen. Die Vorbehalte gegenüber dem Rennrad löst es mit seinem coolen Image locker auf. Es steht für Freiheit und Abenteuer, beworben mit wilden Bärten, Lagerfeuer und endloser Wildnis. Viel weiter entfernt von rasierten Beinen, Doping und Rollentrainer könnte es nicht sein. All dem, was so manchen „beinharten“ Mountainbiker argwöhnisch aufs Rennrad blicken lässt. Gleichzeitig ist es eine verlockende Möglichkeit für Rennradfahrer*innen, mal ein wenig Geländeluft zu schnuppern. Außerdem: Kein Bike mit Rennlenker ist näher dran am Mountainbike als das Gravelbike. Die Reifenbreite, die Geometrie – da fühlt sich der und die durchschnittliche Mountainbiker*in gleich vertraut. Aber heißt das, dass das Gravelbike die beste Wahl für Mountainbiker ist? Ein cooles Image und eine einfache Umgewöhnung reichen?
Sicher nicht. Meine Überzeugung: Wenn man sich schon ein Fahrrad mit Unterlenker kauft, dann darf das durchaus richtig anders sein. Dann soll das auch kein Kompromiss sein, der meinem Mountainbike noch relativ ähnlich ist. Durch den Unterlenker verliere ich ohnehin viel Kontrolle. Warum soll ich dann mit Dropperpost und 55 mm-Reifen versuchen, es doch noch Trail-tauglich zu machen? Daher war das Gravelbike, das mir bisher am besten gefallen hat, streng genommen kein Gravelbike: Das erste Rose Backroad (Zum Test: Rose Backroad 1 – Rose Backroad 2) war nämlich bei genauer Betrachtung eher ein Rennrad mit breiteren Reifen und einer anderen Übersetzung, lag also irgendwo zwischen Crosser und Allroadbike.
Seit ich mit dem Votec VRC ein Allroadbike ausprobiert habe, bin ich von dieser Gattung sehr überzeugt. Unter 8 kg und 32 mm-Reifen sorgen für ungekannte Geschwindigkeit auf der Straße, dennoch nimmt es einem Ausflüge über Schotter nicht krumm. Die momentan eher schwerer werdenden Gravelbikes dagegen erschließen sich mir weniger. Wenn ich wirklich auf grobem Schotter lange Strecken fahren will, dann nehme ich dafür ein Mountainbike. Der einzige objektive Vorteil eines Gravelbikes in dieser Disziplin ist der geringere Q-Faktor, der angenehmer zu treten ist – und die vielen Griffmöglichkeiten des Lenkers. Das macht aber auch klar: Die Grenzen sind fließend, denn es gibt ja auch Mountainbikes mit Rennlenker und Gravelbikes mit Flatbar.
Noch mehr Gattungen
Mit diesem Artikel wollen wir ein bisschen Orientierung schaffen – leider gibt es inzwischen so jeden Begriff, den man sich nur ausdenken kann. Gravel Racing. Ultra Endurance Bikepacking. Allroad Adventure. Aero Gravel. Off Road Touring. Da fällt mir ehrlich gesagt auch nichts mehr zu ein. Als Disclaimer zur oberen Sortierung muss man aber auch sagen: Die Grenzen verschwimmen, es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Hersteller die Geometrie einer Kategorie anders interpretiert. Daher in jeweils einem Satz nochmal die – aus unserer Sicht – sinnvolle Differenzierung:
- Allroadbike Bequemeres, auf der Straße sehr schnelles Rennrad, das auch auf Schotter noch ok funktioniert.
- Gravelbike Sehr bequemes, auf guten Forstwegen sehr schnelles Fahrrad, das auch auf der Straße noch ok funktioniert.
- Cyclocross-Bike Renngerät für Matsch und Wiese.
Wer Lust hat, sich noch tiefer einzulesen, findet auch hier nebenan bei Rennrad-News.de eine Diskussion der unterschiedlichen Gattungen.
Zum Thema Gravel findest du hier alles rund um Gravel Bikes und hier zahlreiche Gravel Bike Tests.
Für mich persönlich soll ein Fahrrad mit Rennlenker nicht im Gefilde eines Mountainbikes wildern. Stattdessen soll es eine Rennmaschine sein, die mich bei Bedarf von A nach B beamt! Aber bitte mit ausreichend Komfort für lange Touren und eine Routenplanung mit ein wenig Schotter und Kopfsteinpflaster. Dieses Anforderungen erfüllt das Allroadbike eindeutig am besten. Im Vergleich erscheint mir das Gravelbike zu langsam und der Cyclocrosser zu unbequem.
Könnt ihr euch für Bikes mit Unterlenker begeistern? Welches Konzept erscheint euch am schlüssigsten?
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