Es ist Anfang April 2023 und noch ziemlich frisch als ich früh morgens aus dem Hof rolle – fest entschlossen, es nun endlich anzugehen und mir keine sinnlosen Gedanken mehr über die Aktion zu machen. Bereits eine Stunde später breche ich kurz vor St. Peter ab. Strömender Regen und eiskalter Wind kamen laut Wettervorhersage nicht wirklich überraschend, vorausgesetzt, man hätte es vorab gecheckt. Ich fühle mich wie ein blutiger Anfänger und ertappe mich zitternd in wütenden Selbstgesprächen während ich versuche, die mitleidigen Blicke meiner Mitmenschen zu ignorieren.
Die Idee
Eine Woche später folgt der zweite Anlauf und ich stehe bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen endlich auf dem Kapfenberg. Er ist mit 1039 m. ü. M. die Nummer 1 von insgesamt 249 Gipfeln im Schwarzwald über 1.000 m. Und genau darum geht es. Als Erster auf alle Tausender im Schwarzwald. Mit dem Mountainbike. Wie lange es dauert? Keine Ahnung. Ob ich es schaffe? Vermutlich schon. Soweit der Plan …
Wie es dazu kam
Einige Wochen zuvor endete ein ziemlich peinliches Fahrmanöver mit einem gebrochenen Mittelfußknochen und anschließend sehr viel Zeit auf der Couch. Der Algorithmus eines bekannten Videoportals lernte mich in dieser Zeit besonders gut kennen und empfahl mir eine Dokumentation über „Tausender im Schwarzwald und ihre Geschichten“. Die Vorstellung, alle diese Gipfel mit dem Mountainbike zu erklimmen, motivierte mich enorm und ich begann, etwas genauer nachzuforschen. Schnell stellte sich heraus, dass es weit mehr als die erwähnten 102 Tausender gibt. Wie genau diese Zahl zustande kommt, ließ sich bis heute nicht abschließend klären und spielt mittlerweile auch keine entscheidende Rolle mehr.
Wann ist ein Berg ein Berg?
Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass die Schartenhöhe (auch Prominenz genannt) eine entscheidende Größe ist, wenn es darum geht, einen eigenständigen Berg bzw. Gipfel zu benennen. Die zu Grunde gelegten Werte variieren je nach Charakter eines Gebirges. Muss man in den Alpen mindestens 100 hm absteigen, um zum nächsten Berg zu gelangen, genügen in manchen Mittelgebirgen je nach Höhenlage bereits 11 hm, um als eigenständiger Berg zu gelten. Es fehlen bislang allgemein anerkannte Werte für Mittelgebirge, auch weil eine Neubewertung nicht als notwendig erachtet wird und das subjektive Erscheinungsbild vieler Berge als ausreichend gilt. Bezieht man zudem sämtliche Nebengipfel mit ein, wird es richtig kompliziert.
Verloren im virtuellen Bersteigerkosmos habe ich irgendwann entschieden, mich an die OpenStreetMap (OSM) zu halten. Diese ist Basis vieler bekannter Routenplaner und Navigations-Apps. Demnach gibt es mindestens 249 Berge über 1.000m im Schwarzwald – selbstverständlich inklusive der bereits erwähnten „offiziellen“ 102.
Der erste Kampf
Dem „Kapfenberg“ folgen am ersten Tag noch fünf weitere Gipfel und ich stelle fest, dass ich auf mindestens vier davon noch nie zuvor war, obwohl sie direkt vor meiner Haustüre stehen. Der Grund hierfür ist eigentlich ganz einfach – weder ein Forstweg, noch ein ausgeschilderter Wanderweg führen ganz nach oben, geschweige denn ein schöner Trail wieder nach unten. Stattdessen muss ich mit tief ausgefahrenen Maschinenwegen vorlieb nehmen und es dauert nicht lange, bis ich auf dem Weg zum „Hornkopf“ das erste Mal in Erklärungsnot komme. Die unübersehbaren Spuren des Harvesters, der Lärm der Kettensägen und die Gewissheit, dem Feind in wenigen Augenblicken gegenüberzustehen, lassen mich zunächst zögern.
Gedanken an Gandalf und sein Kampf mit dem Balrog drängen sich unweigerlich auf. Aber umdrehen ist keine Option und so finde ich mich kurze Zeit später in einem netten Gespräch mit drei Forstarbeitern – knöcheltief im Matsch und das Bike auf den Schultern. Ich könne einfach durchgehen, aber sie verstehen nicht so ganz wo ich genau hin möchte? „Zum Gipfel“, sage ich. „Aber da ist nichts und zudem ist es eine Sackgasse“, schreit er mich an, um den Maschinenlärm zu übertönen.
Ich versuche in wenigen Sätzen zu erklären, was ich vorhabe und es klingt in diesem Moment irgendwie seltsam unwichtig. Die Jungs sind amüsiert und fasziniert zugleich und wünschen mir viel Erfolg. Oben angekommen stehe ich wie angekündigt im Wald. Ohne Aussicht, aber zufrieden. An einem Baum entdecke ich eine geschnitzte „Maria“ – gut geschützt durch ein kleines Holzdach und nett geschmückt mit frischen Tannenzweigen.
Ich ziehe mein mitgebrachtes Täfelchen aus dem Rucksack und schreibe Nummer, Höhe und Name des Gipfels darauf. Dann positioniere ich es für das Beweisfoto und packe alles wieder ein. Auf dem Weg nach unten pflüge ich durch tiefe Spurrillen wieder vorbei an den Waldarbeitern, erwidere den Gruß und bedanke mich noch mal. Diese Art der Begegnung wird sich in den folgenden Monaten noch oft wiederholen.
Die Planung
Jeder Tausender Tour ging zwangsläufig eine ordentliche Planung voraus. Die online Plattform www.deine-berge.de bietet u.a. Möglichkeit nach Bergen, Regionen und Höhenangaben zu filtern. Zudem können Berge und Gipfel individuell markiert werden, um nicht den Überblick zu verlieren – für mich ein echter „Gamechanger“. Hätte ich diese Funktion nicht erst nach Berg #76 entdeckt, wäre mir wohl so manche Extrarunde erspart geblieben. Bis dahin hatte ich immer wieder Gipfel übersehen und musste diese gezwungenermaßen in eine der folgenden Routen einbauen oder sogar einzeln anfahren.
Jede Tour sollte passend zum Thema mindestens 1000 hm haben, was angesichts der Topographie nicht wirklich schwierig ist. Im Schnitt habe ich zwischen 5 und 15 Tausender geschafft. Den Startpunkt wählte ich je nach Erreichbarkeit und Lage aus. Sofern sich die Möglichkeit ergab, den Tag mit einer Trailabfahrt zu beenden, passte ich die Route entsprechend an. Dafür nahm ich gerne Umwege in Kauf. Zu Beginn konnte ich direkt von zu Hause starten. Mit Fortschreiten des Projekts rückten die Ziele immer weiter weg und ich musste auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Auto zurückgreifen, um den geplanten Startpunkt zu erreichen.
In der Theorie dauerte jede Tour etwa 4-5 Stunden, in der Praxis war es meist ein ganzer Tag. Planung, Anfahrt, Navigation, Wegsperrungen, Täfelchen schreiben, Fotos machen und das Ganze auch noch genießen braucht eben viel Zeit. Abends ging es dann jeweils an die Aufbereitung für #alletausenderimschwarzwald. Siehe dazu auch:
Dominiks Instagram-Kanal alle.tausender.im.schwarzwald
Das Problem mit der Zeit
Apropos Zeit – grundsätzlich ein kniffliges Thema wenn man bedenkt, dass die Aktion nicht gerade wenig davon in Anspruch nahm. Als Selbstständiger mit Familie, Freunden und diversen anderen Interessen muss man zwangsläufig Prioritäten setzen. Die einzelnen Etappen möglichst schonend in den Alltag zu integrieren war oft schwieriger als die Tour selbst. Mir war von Anfang an wichtig, die Sache relativ entspannt anzugehen. Schließlich stand ich mit niemandem im Wettbewerb außer mir selbst. Um alle Gipfel so schnell wie möglich abzuhaken, hätte ich grob überschlagen einen ganzen Monat frei nehmen und jeden Tag auf dem Rad sitzen müssen. Zugegeben eine durchaus verlockende Vorstellung, aber leider unrealistisch.
Die Tagestouren konnte ich stattdessen von Woche zu Woche planen, schlechtes Wetter aussitzen, Blessuren auskurieren und auf Unvorhergesehenes wunderbar flexibel reagieren. Eine große Herausforderung war jedoch, deutlich mehr als ein Jahr dranzubleiben und besonders über den Winter nicht die Motivation zu verlieren. Wer kennt das nicht? Etwas anzufangen ist leicht, es zu Ende zu bringen umso schwieriger. Es als Erster mit dem Mountainbike auf alle Tausender im Schwarzwald zu schaffen, ließ mich so manches Tief überstehen.
Ein Rückschlag
Ein warmer Sommertag Mitte Juli 2023. Ich starte frühmorgens mit dem Auto nach Todtnauberg. Heute stehen 65 km und 2.200 hm auf dem Plan. Insgesamt 14 Tausender möchte ich schaffen. Das „Hinterköpfle“ mit 1.086m wird die #100 sein und ich überlege mir bereits lustige Fotomotive. Auf dem „Stübenwasen“ mache ich eine kurze Pause und folge anschließend dem leicht abfallenden Forstweg am Waldrand entlang. An das Schild „Achtung Bodenwellen“ kann ich mich nicht mehr erinnern, als sich das Vorderrad in einen längs verlaufenden Entwässerungsgraben senkt. Ich knalle mit der linken Schulter auf den Weg und überschlage mich. Kurze Zeit später komme ich wieder zu mir und wie es sich für einen richtigen Mountainbiker gehört, mache ich mir zunächst Sorgen um mein Bike.
Als ich den Kopf nach links drehe, sehe ich im Augenwinkel das abstehende Schlüsselbein und mir wird schlecht. Ich setzte mich auf einen Baumstumpf und versuche mit der rechten Hand das Smartphone aus der Tasche zu ziehen, während nicht nur ich merkwürdige Geräusche von mir gebe. Bereits 15 Minuten später ist die Bergwacht da und kümmert sich wie selbstverständlich um mich. Sogar mein Bike findet auf dem Dachträger des Geländewagens Platz. Vielen Dank noch mal an dieser Stelle, ihr seid großartig! Einige Tage später werde ich operiert und Anfang September sitze ich mit ein paar Gramm Metall in der Schulter das erste Mal wieder auf dem Fahrrad. Ich bin zuversichtlich, die #100 bald abhaken zu können.
Gipfel vs. Trails
Neben vielen tollen Erlebnissen ist Tausender im Schwarzwald sammeln eine sehr einsame und bisweilen auch öde Angelegenheit. Als bekennender Trail-Liebhaber kam ich eher selten auf meine Kosten. Stattdessen gab es auf nahezu jeder Tour endlose Forststraßen, steile Rampen, zugewachsene Wege und teilweise kaum erreichbare Gipfel. Wäre das Ziel, diverse Gipfel zu erreichen nicht klar definiert gewesen, wäre ich niemals auf die Idee solcher Routenplanungen kommen. Natürlich gab es auch die ein oder andere Trailperle – das Erreichen der Tausender hatte aber Vorrang.
Kackberg, der
Der Begriff „Kackberg“ hat sich im Laufe der Zeit als fester Bestandteil der Aktion eingebrannt und ich erhebe den Anspruch, einige Gipfel als solche benennen zu dürfen. Ein Kackberg ist ausschließlich tragend oder schiebend über steile, seit längerer Zeit ungenutzte Holzwege erreichbar. Zurückgelassene Stämme und Äste versperren den Weg, hindern dich am zügigen Weiterkommen und fügen deinen ohnehin geschundenen Schienbeinen weitere Andenken hinzu. Tiefe, vom hohen Gras verdeckte Löcher prüfen deine Außenbänder auf Haltbarkeit. Es folgt die obligatorische Brennnessel-Plantage, bevor du dich am Ziel auf einer viel zu kleinen Lichtung ohne jegliche Aussicht wiederfindest.
Zecken und Stechmücken erwarten dich bereits und hindern dich gekonnt am Gipfelschild-schreiben. Hast du es endlich geschafft, tropft ein dicker Schweißtropfen auf die mühsam erzwungene Schönschrift und versaut das kleine Kunstwerk unwiderruflich. Nachdem du diesen Gipfelerfolg definitiv nicht genießen konntest, folgt der Abstieg über den gleichen Weg zurück zur letzten Abzweigung. An Fahren ist natürlich nicht zu denken. Versuchst du es dennoch, wird dir ein Ast das Vorderrad blockieren oder zumindest das Schaltwerk abreißen. Außerdem solltest du wissen, dass es auf einem Kackberg entweder regnet, stürmt, schneit oder die Sonne gnadenlos brennt.
Kommende Woche geht es weiter – seid gespannt auf Teil 2!
Welche persönlichen Bikeziele habt ihr schon erfolgreich abgehakt?
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