(mj) Es war einer dieser Mittwochmorgen: blauer Himmel, Sonnenschein und keine Probleme mit dem Bike im Stadtverkehr. In freudiger Erwartung cruise ich durch die City von Berlin, Richtung Ladengeschaeft von Bike-Mailorder. Ich will mir heute die sehnlichst erwartete Scheibenbremse — eine Grimeca System 12 — abholen. Freundlich wie immer werde ich dort mit einem starken Kaffee begruesst — genau das Richtige an diesem Morgen.
Der Chef himself geht mit mir durch das fuer einen Laien undurchschaubare und von aussen unscheinbar, von innen aber riesig anmutende Lager und drueckt mir die Bremse (und noch einen Kaffee…) in die Hand. Das gibt heute nachmittag eine schoene Bastelzeit. Aber getaeuscht: Uni, Arbeiten und ruckzuck ist es doch schon dunkel. Aber Anbauen muss ich die Bremse trotzdem noch…
Als ich abends zu Hause ankomme, breite ich erst mal die Teile der Bremse vor mir aus:
- Bremsgriff
- Bremszange
- Bremsleitung (diese drei Sachen natuerlich fertig montiert und mit DOT 4 befuellt)
- eine 160 mm Scheibe
- Befestigungsmaterial (Schrauben, Passscheiben in verschiedenen Dicken)
Fuer die 200 mm Scheibe sind folgende Teile zusaetzlich im Paket:
- 200 mm Scheibe (dafuer fehlt natuerlich die 160 mm Scheibe)
- Adapter, um die Bremszange auf die richtige Position fuer die grosse Scheibe zu bringen (inkl. Schrauben)
Die Montage der Bremse gestaltet sich unkompliziert. Damit meine ich wirklich unkompliziert. Scheibe an die Nabe geschraubt. Laufrad in die Gabel gesetzt, Bremssattel mit zwei Spacern auf die richtige Position gebracht, festgeschraubt und Griff am Lenker befestigt. Neben der simplen Montage an sich gibt es noch ein sehr durchdachtes Feature, was bei Grimeca schon laenger serienmaessig ist: zweiteilige Klemmung am Bremsgriff. So kann der Bremsgriff ohne laestiges Herunterzerren des Lenkergriffes und des Schalthebels (de-)montiert werden. Dies duerfte besonders im Renneinsatz interessant sein. Denn ein Griff ist hiermit innerhalb von einer Minute gewechselt.
Trotz eisiger Kaelte und Dunkelheit muss ich jetzt natuerlich noch mal raus um die Bremse anzutesten. Also Jacke an und ab auf die Strasse. Beschleunigen im Wiegetritt und ein beherzter Griff in die Bremse lassen mich fast ueber den Lenker gehen. Etwas unglaeubig schaue ich in Richtung Bremse und sage mir: „Das kann nicht sein“. Die Bremse ist nagelneu und nicht eingebremst und verzoegert mit der 160 mm Scheibe mindenstens so wie meine Hayes HFX-9 mit 200 mm Rotor. Auch bei wiederholten Versuchen das gleiche Ergebnis. Erstaunt trage ich das Bike wieder in die Wohnung und nehme mir vor, die Bremse die naechsten Tage und Wochen etwas mehr zu fordern.
Nun ging es an die ausgiebigen Tests der Bremse. Da ich natuerlich keinen Pruefstand zur Verfuegung habe, kann ich nur Erfahrungswerte beschreiben — das ist meiner Meinung nach aber auch das, was entscheidend ist. Was nuetzt mir eine extreme Verzoegerung, wenn diese nur unter theoretischen Bedingungen (Pruefstand!) erreicht wird und die Bremse in der Praxis mehr oder weniger Probleme bereitet?
Als direkten Vergleich habe ich hier eine Magura Clara 2000 (160 mm, manuelle Belagsverstellung), Magura Clara 2001 (160 mm, automatische Belagsverstellung) und Hayes HFX-9 (200 mm und 160 mm).
Vom ersten Moment an ist die gefuehlte Bremsleistung bei der System 12 am staerksten. Was zwar schon mal nett, aber an sich ja noch kein Indiz fuer eine gute Bremse ist. Die Hayes mit der grossen Scheibe packt auch ordentlich zu, hat allerdings im Vergleich zur Grimeca auch einen knueppelharten Druckpunkt. Bei der Grimeca ist der Druckpunkt — bedingt durch das 4-Kolben-System (Hayes hat zwei Kolben) — einen Tick „weicher“ aber immer noch sehr gut spuerbar. Dadurch wird das Dosieren der Bremse um einiges einfacher als bei der Hayes. Schoenes Beispiel sind hier Stoppies bzw. Nosewheelies an der Ampel usw., die mit der Grimeca einfach leichter und sauberer gelingen. Die Magura Claras lasse ich mal aus dem Vergleich der Dosierbarkeit heraus; bei mir ist sie mal gut, mal schlecht. Woran das bei den Maguras liegt, habe ich nie herausgefunden.
Ins Fading bringe ich die System 12 hier in Berlin/Brandenburg nicht, was aber auch nicht weiter verwunderlich ist: die groessten am Stueck fahrbaren Hoehenunterschiede liegen bei ca. 70-80 Metern. Die Bremszange ist aber relativ gross, so dass zu vermuten ist, dass es hier auch wenig Probleme mit mangelhafter Waermeableitung/Ueberhitzung geben wird.
Von der technischen Seite gefaellt mir besonders die gute Verarbeitung der Bremse. Der Bremshebel hat keinerlei Spiel (wie z. B. bei der Hayes). Dadurch tritt das nervige Klappern wie bei der HFX-9 hier nicht auf. Der Hebel fuehlt sich beim Betaetigen sehr smooth an, was auf eine durchdachte Lagerung des Bremshebels schliessen laesst. Der Hebel ist fuer die Bedienung mit zwei Fingern ergonomisch ausgelegt und besitzt natuerlich eine Griffweitenverstellung mittels 2-mm-Inbus.
Im Regen neigte die Bremse machmal zum Quietschen, und zwar dann, wenn sich Wasser auf der Scheibe befand. Dieses war aber nach ca. ein bis zwei Umdrehungen „weggebremst“ und die Grimeca war wieder ruhig wie immer.
Die Verbrauchskosten sind bei Grimeca vergleichsweise gering, ein Paar neue Bremsbelaege schlaegt hier mit ca. 15 EUR zu Buche. Nach einigen Regenfahrten ist hier noch kein nennenswerter Belagsverschleiss erkennbar. Wie schnell die Belaege wirklich verschleissen, wird sich dann erst nach einiger Zeit zeigen.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt allerdings: Die mit Gummi ummantelte Stahlflex-Bremsleitung ist nicht kuerzbar. Dies kann man zwar mit intelligenter Verlegung am Rahmen/Gabel umgehen (Der 90-Grad-Winkelabgang am Bremsgriff kann beliebig gedreht werden), schoener waere es jedoch, wenn man die Leitung auf seine Beduerfnisse anpassen koennte. Vom Grimeca-Vertrieb war zu hoeren, dass man sich dieser Problematik bewusst und auf der Suche nach einer Loesung ist.
Mein Fazit: Die Grimeca System 12 ist mit Sicherheit eine Top-Bremse. Von der problemlosen Montage ueber die gute Verarbeitung bis hin zur perfekten Funktion gibt es nichts zu bemaengeln. Die (noch) nicht kuerzbaren Leitungen erscheinen in diesem Zusammenhang als unwichtiges Problem. Schaut man sich die Verbrauchskosten an, so sind diese niedriger als bei fast allen anderen Bremsen. Zaehlt man das alles zusammen, kann man eigentlich nur zu einer Schlussfolgerung kommen: Empfehlung!
Grimeca System 12 werden uebrigens auch beim Team KRC Racing/Nicolai in der Disziplin Downhill mit Erfolg eingesetzt. Guenstig erwerben kann man Grimeca Bremsen u. a. bei Bike-Mailorder.
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