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29er vs. Mullet-Bike
Ist der Laufradgrößen-Mix die neue Offenbarung?

29er vs. Mullet-Bike: Heutzutage hat man es echt nicht leicht als Mountainbiker. Es gibt nicht nur etliche Bike-Gattungen mit teils nur marginal unterschiedlichen Einsatzbereichen – seit Jahren schwelt auch noch ein erbitterter Streit zwischen 27,5″-Jüngern und den 29″-Verfechtern. Und dann kam auch noch jemand auf die Idee, beide Laufradgrößen zu mixen – das sogenannte Mullet-Bike mit 27,5″-Hinterrad und 29″-Vorderrad war geboren. Doch ist das Mullet-Bike wirklich der Heilige Gral der Laufradgrößen oder doch nur ein fauler Kompromiss? Wir haben es für euch ausprobiert!

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Nachdem wir uns während der Saison 2018 bereits an einem fairen Vergleich von 27,5″ und 29″ Downhill-Bikes versucht haben, steht nun das Mullet-Bike auf dem MTB-News-Prüfstand. Statt zwei identisch aufgebauter Räder diente uns diesmal jedoch das sehr wandelbare Scott Gambler 920 als Basis. Mit Hilfe von DT Swiss, Schwalbe und Shimano konnten wir mehrere absolut identische Laufräder in 29″ und 27,5″-Größe zusammenstellen – die Geometrie-Änderungen durch die verschiedenen Laufradgrößen wiederum kompensiert der von Scott konstruierte Flip Chip des Gamblers fast exakt. Dank eines ungewöhnlich milden Winters standen uns mit der iXS Cup-Strecke in Ilmenau und der Downhill-Strecke in Heidelberg zwei sehr unterschiedliche Testgelände zur Verfügung, auf denen wir uns nicht nur auf unsere eigenen, subjektiven Fahreindrücke, sondern – zum ersten Mal – auch auf die ständig mitlaufende Stoppuhr verlassen haben.

# So sehen 1,5" Differenz aus - der kleine Unterschied am Hinterrad soll ausreichen, um die Fahreigenschaften moderner Downhill- und Enduro-Bikes signifikant zu verbessern! Oder auch nicht?
Diashow: 29er vs Mullet-Bike: Sind gemischte Laufradgrößen die neue Offenbarung?
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29er vs. Mullet-Bike – die Ausgangslage

Der Siegeszug von 29″-Bikes begann zum Saisonbeginn 2017 als das Santa Cruz Syndicate völlig überraschend mit einem modifizierten V10 beim World Cup-Auftakt in Lourdes auftauchte und die Konkurrenz komplett kalt erwischte. Es folgte eine World Cup-Saison, in der praktisch jedes Team mehr oder weniger hektisch einen 29″-Downhiller aus dem Hut zauberte – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Knapp drei Jahre später kommt nun kaum ein Downhill-Bike ohne 29″-Option auf den Markt. So haben wir 2019 sieben aktuelle Race-Boliden getestet, die fast allesamt auf die sogenannten Wagon Wheels setzen. Doch während der Tod von 26″ höchstens im dunklen Dickicht der MTB-News-Kommentarspalten bitter beweint wurde, konnten sich selbst im internationalen Profifeld nicht alle Fahrer mit der neuen Größe anfreunden. Das wohl prominenteste Beispiel ist der Weltmeister Loïc Bruni, der in den vergangenen Saisons kaum eine Gelegenheit ausließ, gegen 29″-Räder auszuteilen.

# Mullet-Bikes werden aus verschiedenen Gründen im World Cup gefahren - so setzte die nicht sehr groß gewachsene Marine Cabirou 2019 bei ihrem wandelbaren Scott Gambler-Prototyp auf ein 27,5"-Hinterrad.
# Brook Macdonald hingegen konnte mangels Flip Chip kein 29"-Hinterrad in sein Mondraker Summum pressen - an der Front hingegen war dies mit einigen Modifikationen möglich.

Pünktlich zum Start der 2019er-Saison sorgte dann der Weltradsportverband UCI mit einer Regeländerung dafür, dass (noch) mehr Bewegung in die Sache kam. Fortan waren auch unterschiedliche Laufradgrößen im Downhill erlaubt. Davor besagten die Statuten zum Material, dass die Größe der Laufräder identisch sein musste – wenngleich der Ursprung dieser Regel im Straßenzeitfahr-Bereich und damit meilenweit vom Downhill entfernt liegt. 2019 war es aber offiziell erlaubt, vorne ein größeres und hinten ein kleineres Laufrad einzusetzen. Das soll die Vorteile von 29″ (besseres Überrollverhalten, mehr Stabilität, höhere Geschwindigkeit) mit denen der kleineren 27,5″-Laufräder (höhere Agilität, mehr Bewegungsfreiheit) vereinen – zumindest in der Theorie. In der Praxis sah das dann so aus, dass mal Loïc Bruni auf 27,5″ vorne und hinten der Konkurrenz um die Ohren fuhr und mal Amaury Pierron auf einem reinen 29er die Nase vorn hatte. Zwischendurch konnte Laurie Greenland auf einem Mullet-Bike den ersten World Cup-Sieg seiner Karriere einfahren. Und die Diskussionen über die optimale Laufradgröße nahmen nicht ab, sondern tendenziell noch zu.

Warum lösen 29″-Räder im Downhill also solche Diskussionen aus, werden in der Enduro World Series hingegen relativ flächendeckend und ohne großen Widerstand eingesetzt? Nun, ein großes Problem ist sicherlich der Federweg – denn davon haben Downhiller ganz schön viel. 200 mm Federweg bedeuten eben auch, dass das Hinterrad etwa 200 mm nach oben wandert. Ist man dann noch auf einer steilen und anspruchsvollen Strecke unterwegs und nimmt eine entsprechend tiefe und nach hinten verschobene Körperposition ein, kann das 29″-Hinterrad dem Allerwertesten durchaus mal Hallo sagen. Dieses Problem betrifft allerdings vor allem kleinere Fahrer. Ansonsten haben auch die oft als Autobahnen verunglimpften modernen Downhill-Pisten ab und an mal Kurven – dass sich 29er hier tatsächlich etwas träger und „gedämpfter“ verhalten, konnten wir schon bei unserem 27,5″ vs. 29″-Test 2018 feststellen. In Verbindung mit immer länger und flacher werdenden Rahmen und Fahrwerken, die wie ein Kaugummi auf dem Boden kleben, kann das sehr verspielten oder aktiven Fahrern schlichtweg zu viel werden.

# Achtung die Kurve! - Auch wenn im Internet gerne das Gegenteil behauptet wird: Selbst moderne DH-Strecke biegen manchmal nach links oder rechts ab und folgen nicht der Falllinie den Berg hinab.

Der Mix aus 29″-Vorderrad und 27,5″-Hinterrad soll nun also die eierlegende Wollmilchsau sein, welche die Vorteile beider Größen in sich vereint: Laufruhe und Spurtreue an der Front sowie Wendigkeit und Bewegungsfreiheit am Heck! Ob das auch in der Praxis wirklich so ist und ob man damit vor allem schneller unterwegs ist – denn darum geht es im Downhill Race-Bereich schließlich! –, haben wir ausgiebig getestet.

Testmule: Scott Gambler 920

Um einen möglichst objektiven Testeindruck zu bekommen, gab es eine Bedingung: Wir brauchen ein Testbike, bei dem sich die Laufradgröße ändern lässt, sonst aber alles identisch bleibt. Die Lösung hört auf den Namen Scott Gambler 920. Genau wie das bereits von uns getestete, extrem leichte Vollgas-Modell, das Scott Gambler Tuned, verfügt die günstigere Alu-Variante über einen Flip Chip am Dämpferauge. Dieser kann den Viergelenker-Hinterbau nicht nur linearer oder progressiver machen, sondern auch das Tretlager absenken – was praktischerweise die Geometrie-Änderungen durch die unterschiedlich großen Hinterräder kompensiert. Das hauseigene Downhill-Team praktiziert dies ebenfalls: So setzen Marine Cabirou und Brendan Fairclough auf die Mullet-Konfiguration, während Dean Lucas und Florent Payet das 29er bevorzugen.

# Das Scott Gambler 920 wurde von uns als Testmule gewählt, da wir bereits beim Test des High-End Tuned-Modells feststellen konnten, dass es sich extrem gut anpassen lässt - dank Flip Chip im Dämpferauge wirkt sich die Änderung der Laufradgröße kaum auf die Geometrie aus.
# Da wir das Gambler Tuned bereits testen konnten, setzten wir diesmal auf das günstigere, aber nicht minder schicken Alu-Modell.
# Ein ausführlicher Test zum Rad wird in den kommenden Wochen folgen!

Geometrie

Die große Einstellbarkeit des Scott Gamblers war einer der Hauptgründe, weshalb wir uns für dieses Rad als Testmule entschieden haben. Wir haben das Gambler in Größe L mit einem Reach von 460 mm gewählt. Die Kettenstreben und der Lenkwinkel lassen sich verstellen – da wir uns jedoch komplett auf die Laufradgröße konzentrieren wollten, blieb alles immer im kurzen, beziehungsweise neutralen Setting. Der Flip Chip im Dämpfer blieb ebenfalls stets im linearen Setting, wechselte jedoch für ein 29″ Hinterrad ins tiefe und für 27,5″ ins hohe Tretlager-Setting. In Summe bleibt die Geometrie dadurch ziemlich exakt bewahrt.

Scott Gambler: 29″ vs. Mullet im Vergleich

Konfiguration29" vorne / 29" hinten29" vorne / 27,5" hinten
GrößeLL
Setting (high / low)LOWHIGH
Federgabel-Länge601 mm601 mm
Federgabel-Vorlauf52 mm52 mm
Steuersatz-Höhe3 mm3 mm
Lenkwinkel62,92°62,8°
Steuerrohr110 mm110 mm
Oberrohr621 mm621 mm
Überstandshöhe712,1 mm712,1 mm
Tretlager-Absenkung-24,15 mm8,5 mm
Tretlager-Höhe345,35 mm345,8 mm
Radstand1269,99 mm1268,2 mm
Tretlager zu Sitzrohr-Ende405 mm405 mm
Sitzwinkel63,8°63,8°
Kettenstreben438,74 mm438,74 mm
Reach460,39 mm460,2 mm
Stack633,54 mm633,54 mm

Größe (29"/27,5")S/900 S/700 M/900 M/700 L/900 L/700 XL/900 XL/700
Low BB SettingHigh BB SettingLow BB SettingHigh BB SettingLow BB SettingHigh BB SettingLow BB SettingHigh BB Setting
Lenkwinkel62,9 ° 63,2° 62,9 ° 63,2° 62,9 ° 63,2° 62,9 ° 63,2°
Steuerrohr110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm 110,0 mm
Oberrohr (horizontal)537,4 mm 535,7 mm 567,5 mm 565,7 mm 621,0 mm 618,9 mm 651,1 mm 648,9 mm
Überstandshöhe719,3 mm 712,3 mm 711,6 mm 705,0 mm 712,1 mm 705,8 mm 709,6 mm 703,6 mm
Tretlagerabsenkung-24,2 mm -8,5 mm -24,2 mm -8,5 mm -24,2 mm -8,5 mm -24,2 mm -8,5 mm
Tretlagerhöhe346,4 mm 342,6 mm 346,0 mm 342,6 mm 345,4 mm 342,6 mm 346,2 mm 342,6 mm
Radstand1.207,6 mm 1.212,8 mm 1.237,6 mm 1.242,8 mm 1.270,0 mm1.272,8 mm1.297,6 mm 1.302,8 mm
Sitzrohr405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm 405,0 mm
Sitzwinkel66,8°67,2° 66,8°67,2° 63,8° 64,2° 63,8° 64,2°
Kettenstrebe438,7 mm 435,0 mm 438,7 mm 435,0 mm 438,7 mm 435,0 mm 438,7 mm 435,0 mm
Reach400,2 mm 405,0 mm 430,3 mm 435,0 mm 460,4 mm 465,0 mm 490,5 mm 495,0 mm
Stack636,2 mm 631,3 mm 636,2 mm 631,3 mm 633,5 mm 631,3 mm 636,2 mm 631,3 mm

# Der alles entscheidende Flipchip - der Blick in die Geometrie-Tabelle verrät, dass der Wechsel der Laufradgröße dadurch tatsächlich nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Geometrie hat.

Ausstattung

Basis für den Test war im Wesentlichen das reguläre Scott Gambler 920 – ein ausführlicher Test zum Rad wird noch folgen. Um eine möglichst große Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir das Gambler allerdings leicht modifiziert. DT Swiss hat uns mehrere hochwertige FR1950-Laufradsätze in den Größen 27,5″ und 29″ zur Verfügung gestellt. Von Schwalbe kamen die griffigen Magic Mary-Reifen in 2,5″-Breite, DH-Karkasse und Addix Ultra Soft-Mischung, während Shimano uns mit passenden Bremsscheiben ausgestattet hat. Außerdem waren beide Hinterräder mit identischen Kassetten und Ventilen sowie demselben Felgenband bestückt und der gleichen Menge an Dichtmilch befüllt. Da es während einiger unserer winterlichen Testfahrten relativ kalt war, haben wir zudem eine RockShox Boxxer Ultimate-Federgabel eingebaut, die deutlich weniger kälteempfindlich als das günstige Fox-Modell war.

Gambler 920
FedergabelFox 40 Performance Elite (später RockShox Boxxer Ultimate) / 200 mm Federweg
DämpferFox Van RC / 200 mm
SteuersatzSyncros DH adjustable, Semi integrated / adj ±1° with cup, ID 49,6 mm / OD 56 mm
SchaltwerkSRAM GX DH, Short Cage, 7-fach
SchalthebelSRAM GX DH
BremsenShimano BR-MT520
4-Kolben / 203 mm
KurbelnSRAM Descendant DUB, 34 T, 165 mm
KettenführungScott DH Custom
TretlagerSRAM DUB PF MTB107, Shell 107 x 41 mm
LenkerSyncros Hixon 1.5 DH
31,8 mm / 15 mm Rise/ 8° / 800 mm
VorbauSyncros DH1.5
31,8 mm / Direct Mount 50 mm
SattelstützeSyncros DH1.5 / 31,6 mm / Alloy6061
SattelSyncros Comox 2.0
CrMo Rails
KetteKMC X11-1
KassetteSRAM CS PG-720 DH 11–25
ReifenSchwalbe Magic Mary / Ultra Soft / 29" x 2,4" oder 27,5" x 2,4" / DH-Karkasse
LaufräderDT Swiss FR 1950 / 29" oder 27,5" / 157 mm x 12 mm / 110 mm x 20 mm
ExtrasSyncros DH Fender
Gewicht16,7 kg (gewogen)
Preis4.399 €

# An der Front ist das Scott Gambler 920 mit einer Fox 40 Performance Elite-Federgabel ausgestattet - da unser Test im Winter bei eher tiefen Temperaturen stattfand, sind wir nach einiger Zeit auf die High-End RockShox Boxxer Ultimate umgestiegen. Diese ist Kälte gegenüber deutlich unempfindlicher – kostet allerdings auch wesentlich mehr.
# Am Heck arbeitet ein Fox Van RC-Dämpfer - dieser lässt zwar einige Einstellmöglichkeiten vermissen, hat aber erstaunlich gut funktioniert. Die Performance am Heck ließ nichts zu wünschen übrig.
# Für den Laufradgrößen-Vergleich war sehr wichtig, dass alle Komponenten absolut identisch sind - zu diesem Zweck hat uns DT Swiss verschiedene FR 1950-Laufradsätze zur Verfügung gestellt.
# Die Felgen waren bei Auslieferung bereits mit Tubeless-Tape bestückt - auch die Tubeless-Montage ging extrem leichtgängig vonstatten.
# Obwohl wir mit Ersatz-Laufrädern ausgestattet waren, gab es keine Defekte zu beklagen - nichtmal nachzentrieren war nötig.
# Schwalbe wiederum stattete uns für den Test mit Magic Mary-Reifen in Ultra Soft-Mischung und mit DH-Karkasse aus - der Reifen-Klassiker schlug sich in den wechselhaften Winter-Bedingungen hervorragend. Defekte waren auch hier Fehlanzeige.

Die Testbedingungen

Wie eingangs bereits erwähnt, haben wir uns bei unserem Mullet-Vergleichstest diesmal nicht ausschließlich auf unsere Erfahrungen und Eindrücke verlassen, sondern tatsächlich bei den Vergleichsfahrten die Uhr mitlaufen lassen. Um eine präzise Zeitnahme zu gewährleisten, hat uns MRC Trading mit dem unter Racern bekannten Freelap-Timing-System ausgerüstet. Dieses besteht aus einer Start- und Ziel-Box, die jeweils ein Signal an einen an der Federgabel befestigten Chip senden. Mit seinem Smartphone und der Freelap-eigenen App kann man dieses Signal schließlich auslesen – die gefahrenen Zeiten können nach Sessions und Startlisten übersichtlich sortiert angezeigt werden. Das ganze System ist jedoch nicht komplett selbsterklärend und detaillierte Anleitungen sind Mangelware. Bevor es ernst wird, sollte man die Zuverlässigkeit des Systems daher gründlich testen und im Zweifel bei den Experten von MRC nachfragen. Als Back-Up lief bei uns zudem die GoPro-Kamera mit, die eine zwar etwas umständlichere, aber ebenfalls ziemlich genaue Zeitnahme per späterer Video-Analyse erlaubt, sowie – wenn die Streckenverhältnisse es erlaubten – eine einfache Stoppuhr am Lenker.

# Für den Mullet-Test haben wir uns entschieden, auf mehreren Strecken Zeiten zu nehmen - mit nur zwei verschiedenen Setups und mehreren Tagen Zeit lassen sich ausreichend viele Fahrten realisieren, um einen fairen Vergleich anzustellen. Die Zeitnahme erfolgte über das bei Racern beliebte Freelap-System. In Deutschland wird dieses von MRC vertrieben.

Das Gros unserer Testzeit fand auf der bekannten und beliebten iXS Cup-Strecke im thüringischen Ilmenau statt. Auch wenn hier Gespräche mit der Kommune laufen, ist diese im Allgemeinen für die Öffentlichkeit gesperrt – möchte man sich selbst ein Bild machen, bleibt also nur die Anmeldung zum Rennen. Die Strecke ist nicht übermäßig steil, bietet jedoch neben einigen rutschigen und technischen Sektionen viele große Sprünge. Außerdem haben wir das Mullet-Setup auch auf einer deutlich engeren, steileren und gerölligeren Teststrecke, auf der sich auch langhubige Enduro-Bikes gut machen würden, auf die Probe gestellt. Zum Schluss ging es noch für zwei Tage nach Heidelberg, wo der lokale HD Freeride e. V. eine vor allem im unteren Teil ruppige Downhill-Strecke an den Königstuhl gezimmert hat. Nicht-Vereinsmitglieder sollten hier jedoch unter allen Umständen die erforderliche Gästekarte lösen, die ganz einfach per QR-Code und Paypal am Streckenstart erworben werden kann. Für die Zeitnahme haben wir uns jeweils abwechslungsreiche Segmente von etwas über 1 Minute Länge ausgesucht, um trotz einer hohen Anzahl an Wiederholungen Ermüdungserscheinungen bestmöglich ausschließen zu können.

# Alle vier bis fünf Fahrten haben wir die Laufradgröße am Hinterrad gewechselt - dadurch waren wir mit beiden Settings ungefähr gleich gut vertraut.

Auf dem Trail

Bevor wir auch nur an Zeitnahme denken konnte, hieß es erstmal viele, viele Fahrten mit beiden Setups zu machen, um sowohl mit den Strecken, als auch dem Scott Gambler sowie den Laufradgrößen vertraut zu werden. Den Anfang wagten wir in der regulären, uns besser vertrauten 29″-Einstellung. Hier zeigt sich das Gambler 920 als extrem leicht zu fahrendes und neutrales Bike, das einen guten Mix aus Laufruhe und Agilität bietet. Wie bei allen 29ern muss man das Rad in schnellen Anliegern mit etwas mehr Nachdruck reinlegen. Enge, flache Kurven hingegen wollen gerne in einer sanften Linie von außen angefahren werden. Selbst in den engen Fichtenslalom-Passagen Ilmenaus hatten wir hier jedoch keinerlei Probleme, die Ideallinie zu halten.

# Auf sanften Streckenabschnitten ist der Unterschied zwischen 29" und 27,5" am Heck nicht sehr groß - zu Beginn des Tests haben wir vor allem gemerkt, dass sich die Bremspunkte leicht verschoben haben.

Der Wechsel auf das Mullet-Setup ist erstmal weniger aufregend, als man meinen möchte. Zu Beginn sind uns vor allem zwei Dinge stark aufgefallen: Der Grip am Hinterrad lässt nach und man kann eine deutlich hecklastigere Position einnehmen. Während man beim 29er recht statisch, aufrecht und zentral zwischen den Rädern steht und das Rad für sich arbeiten lässt, muss man beim Rad mit Laufradgrößen-Mix etwas weicher in den Knien werden, um die geringere Haftung und Spurtreue am Heck auszugleichen. Bis wir das wirklich umsetzen konnten, hat es einige Fahrten benötigt, doch dann lagen Speed und Bremspunkte wieder in einem sehr ähnlichen Bereich wie beim 29er. Die identische Geometrie, die hohe Front und das große Vorderrad verleiten dazu, auch in ruppige Passagen ähnlich kompromisslos reinzuknallen. Das kann man durchaus machen – erwischt man mal ein tieferes Loch oder einen etwas weiter herausstehenden Stein, ist es mit dem Sänften-artigen 29er-Gefühl jedoch ganz schnell vorbei. Wir hatten nicht wirklich den Eindruck, dass uns das kleinere 27,5″-Hinterrad ausbremst – es reicht aber eben das ein oder andere Mal unangenehme Schläge an die Knöchel weiter.

# Wird es etwas ruppiger, reicht das kleinere Hinterrad mehr kleine Schläge und Vibrationen an die Fußsohlen weiter - dafür hat man etwas mehr Platz, wenn man mit dem Allerwertesten nach hinten gehen möchte.

Doch wie steht es um die oft hochgelobten Kurven-Eigenschaften des 27,5/29″-Settings? In Anliegern merkt man vor allem, dass man mit dem Hinterteil tiefer stehen kann und sich das Gambler ein Quäntchen leichter hineinlegen lässt. Der spürbarste Unterschied ist, dass man Kurven weniger rund fahren muss, sondern Anlieger, Ruts oder flache Kurven mit demselben Aufwand auch eher mal eckig von Innen anfahren kann. Die Ideallinie ist das meistens nicht – vermasselt man diese jedoch einmal, lässt es sich mit dem Mullet-Bike spürbar besser improvisieren.

Deutlich auffälliger fanden wir die Unterschiede beim Wechsel zurück auf 29″. Auf den ersten Fahrten kam es hier mehr als einmal zu unfreiwilligem Reifen-Hinterteil-Kontakt, was aufzeigt, wie weit man beim Mullet-Setup tatsächlich mit dem Schwerpunkt nach hinten wandert. Insgesamt gefiel uns die zentrale, aufrechte Körperposition beim 29″-Gambler allerdings besser: Man fühlt sich sicherer und relaxter, steht insgesamt etwas mehr „im Bike“. Das führt auch dazu, dass wir uns mit dem 29er – gerade wenn man sich stark darauf konzentriert hat – langsamer gefühlt haben … was sagt hier also die Zeit?

# Enge Kurven mit einer ruppigen Anfahrt brauchen mit dem Mullet-Bike weniger Präzision - wenn man es mal nicht schafft, schwungvoll von außen anzufahren, lässt sich das Rad spürbar leichter um die Kurve pressen.
# Bei kleinen Spielereien in der Luft haben wir keinen Unterschied zwischen den Laufradgrößen feststellen können - dafür konnte uns das Scott Gambler 920-Testbike mit seiner Agilität mehr als einmal begeistern.

29″ vs. Mullet-Bike – was ist schneller?

Nach mehreren Tagen voller ziemlich konzentrierter Läufe können wir sagen, dass die Zeit keine extrem deutlichen Differenzen aufzeigt. Allerdings haben wir bei gezeiteten Segmenten von nur etwas über 1 min Länge auch keine riesigen Unterschiede erwartet. Da wir jedoch pro Session mindestens zehn konzentrierte Fahrten eingeplant hatten (fünf pro Laufrad-Konfiguration), hätte die Ermüdung bei niedrigen Temperaturen mitten im Winter eine viel zu große Rolle gespielt. Außerdem mussten wir einige Fahrten wegen Fahrfehlern oder Verkehr auf der Strecke abbrechen und wiederholen.

Gezeitete Fahrten aus Heidelberg:

29erMullet-Bike
Run 101:04.6 min*01:03.0 min
Run 201:02.9 min01:03.8 min
Run 301:02.1 min01:03.7 min
Run 401:03.4 min01:03.9 min*
Run 501:03.1 min01:03.4 min
Durchschnitt1:02.9 min01:03.5 min

*Die jeweils langsamste Fahrt wurde von uns für eine bessere Vergleichbarkeit gestrichen!

29″ vs Mullet-Bike im Vergleich von GregorMehr Mountainbike-Videos

Rein subjektiv waren wir uns sicher, auf dem 29er langsamer zu sein – die Zeit sagt jedoch das Gegenteil! Gerade auf der etwas ruppigeren, steinigeren Strecke in Heidelberg hatten wir das Gefühl, mit 29″-Laufrädern hinter den Möglichkeiten von Fahrer und Bike zurückzubleiben. Das liegt vor allem daran, dass man weniger Feedback vom Hinterrad bekommt und die teils recht engen Kurven doch etwas mehr Arbeit, beziehungsweise eine weitere Linie benötigen. Das fühlt sich dann so an, als wäre man auf der Geraden zu langsam und würde die Kurven trotzdem vermasseln. Während wir also mit dem Mullet-Bike dachten, dass wir ordentlich stempeln und in der Kurve liegen, wäre beim 29er noch Luft nach oben gewesen. Im etwas smootheren, sprunglastigeren Ilmenau ergaben sich übrigens keine signifikanten Zeitunterschiede zwischen den Konfigurationen.

# Wenn es ordentlich stempelt, kann das Mullet-Bike noch mit dem 29er mithalten, wo ein reines 27,5"-Bike wohl schon arg unruhig werden würde - gerade bei vielen aufeinanderfolgenden Schlägen reicht es erwartungsgemäß jedoch mehr Feedback an die Füße weiter. Da dies bereits auf ruppigeren mitteldeutschen Strecken spürbar ist, dürfte der Effekt auf alpinen EDC- und World Cup-Pisten noch spürbarer ausfallen.
# Am auffälligsten wird der Unterschied in steilen, engen Sektionen wie hier in Heidelberg - auch mit 1,83 m Körpergröße und eher langen Beinen sagt das 29" Hinterrad hier den Hintern öfters mal hallo.
# Wenn man nicht unbedingt gegen die Zeit fahren will, hat man auf beiden Laufradgrößen seinen Spaß - das etwas trägere Handling des 29ers kann in der Luft auch richtig Laune machen, da das Rad sehr sicher und stabil fliegt.

Fazit – Für wen ist das Mullet-Bike?

Ist die gemixte Laufradgröße also die Offenbarung, die alle anderen Konfigurationen und Größen überflüssig macht? Nein! Für manche Racer kann das Mullet-Bike durchaus eine Alternativ zum reinen 29er sein. Die hohe Front und die guten Überrolleigenschaften des Vorderrads bringen das Mullet-Bike in ähnliche Sphären – die Ruhe und Spurtreue eines reinen 29ers bleiben jedoch unerreicht.
Wir waren auf ruppigeren Strecken mit dem 29er zwar etwas schneller und würden diesem Rad auch noch weiteres Potenzial zutrauen – Hobby-Fahrern raten wir jedoch zu dem Bike, auf dem sie sich am wohlsten fühlen. Daher dürfte ein Mullet-Bike vor allem für Fahrer ideal ist, die schnell fahren wollen, sich aber aufgrund ihrer Körpergröße oder -position einfach nicht mit einem 29er anfreunden können.

Schiebe den Slider in der Mitte des Bildes einfach nach links und rechts, um dir den Unterschied nochmal in Ruhe anzuschauen.

Was glaubst du – mit welcher Laufradgröße würdest du dich am wohlsten fühlen? Konntest du es schonmal ausprobieren?


Testablauf

Um die beiden Laufrad-Konfigurationen 29″ und 29/27,5″ möglichst gut vergleichen zu können, haben wir über 50 Vergleichsfahrten auf verschiedenen Downhill-Strecken unternommen. Bei gut der Hälfte aller Testfahrten sind die Stoppuhr und die GoPro mitgelaufen, um unsere subjektiven Eindrücke auch mit objektiven Daten zu untermauern. Die beiden Konfigurationen waren abgesehen von der Größe des Hinterrades identisch. Dafür wurden uns neben dem Scott Gambler die passenden Laufräder von DT Swiss und Magic Mary-Reifen von Schwalbe zur Verfügung gestellt.

Hier haben wir das Scott Gambler 920 getestet

Tester-Profil: Gregor Sinn
Körpergröße 183 cm
Schrittlänge 85,5 cm
Oberkörperlänge 60 cm
Armlänge 61 cm
Gewicht 76 kg
Gregor fährt gerne Fahrräder jeglicher Kategorie, von Mountainbike bis Rennrad. Am liebsten ist er jedoch auf Downhill- und Enduro-Bikes unterwegs – gerne auch unter Zeitdruck im Renneinsatz.
Fahrstil
verspielt
Ich fahre hauptsächlich
Downhill, Enduro
Vorlieben beim Fahrwerk
unauffällig, hinten progressiv, wenig Druckstufe
Vorlieben bei der Geometrie
hinten nicht zu kurz, vorne geräumig, Lenkwinkel nicht zu flach

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