
24h Finale Ligure 2018 – Rennbericht
Ungläubig starren wir dem älteren Herren hinterher, der in weiten Schwüngen die Toboga hinabzirkelt. Die Toboga ist die berühmte und kurvenreiche letzte Abfahrt auf dem Hochplateau La Manie, auf dem in diesem Jahr zum 20. Mal die 24h von Finale Ligure ausgetragen werden. Nicht nur unter 24h-Fans hat sich das Rennen in dieser Zeit zu einer festen Instanz unter den Langstreckenrennen entwickelt. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass es das beste 24h Mountainbike-Rennen auf dieser Welt ist. Der Grund ist unter anderem der beschriebene Herr: Er ist dem Motto der diesjährigen Veranstaltung gefolgt und fährt gemäß dem Jubiläumsrennen mit einem klassischen Bike. Der Veranstalter hatte dazu aufgerufen und einige Teams sind ihm gefolgt. So findet sich zwischen all den hochgezüchteten Kohlefaser-Boliden auch der ein oder andere Klassiker. Wer den nicht aufbieten kann oder will, greift zu anderen Mitteln. Unser Protagonist fährt mit einem Trekking-Bike auf Straßenreifen. Mit Gepäckträger. Und Packtaschen. Es ist dieser Wahnsinn, der die 24h von Finale Ligure so besonders macht. Hier wird Mountainbiken als Festival zelebriert – fast könnte man als Zuschauer meinen, dass hier gar kein Rennen stattfindet.



In der Gesamtheit der Teams, Fahrerinnen und Fahrer, gehen die Klassiker am Ende des Tages jedoch trotz des besonderen Jubiläums unter. Der Grund dafür ist ebenfalls typisch Finale Ligure – das ist die einmalige Strecke, die hier befahren wird. Anders als bei anderen 24h-Rennen führt sie zu großen Teilen über fein angelegte, technisch durchaus anspruchsvolle Trails. So mischen sich enge Waldsektionen voller Wurzeln und Steine mit offenen, schnellen Schotterabschnitten ab. Und schnell heißt hier wirklich schnell – die Spitzengeschwindigkeiten liegen bei den Top-Fahrern bei über 50 km/h. Auf einem kaum handtuchbreiten Singletrail. Zwei längere Abschnitte Forstpiste bieten immerhin etwas Möglichkeit zum Verschnaufen, zum Beispiel bevor es in den technischen Uphill durch den Canyon hinauf zur Toboga geht. Und immer wieder werden die Mühen mit bester Sicht aufs Meer belohnt. So erstreckt sich die abwechslungsreiche Rennrunde auch in diesem Jahr wieder über eine Distanz von 11,7 km mit gut 315 hm.


Für mich war es die achte Teilnahme bei den 24h von Finale Ligure und auch in diesem Jahr gab es einige Neuerungen. Langweilig wird es in Finale auf jeden Fall nie. Das liegt alleine schon am Startprozedere, zu dem sich Riccardo und das Veranstalter-Team jedes Jahr kleine Änderungen einfallen lassen. So gehen in diesem Jahr die Solo-Fahrerinnen und -Fahrer (Rennbericht von Solo-Sieger Kai Saaler) wieder quasi zeitgleich mit den Teamfahrern an den Start. Lediglich drei Stunden Vorsprung gibt man den Einzelstartern auf ihrem Weg. Und das Team-Rennen startet wie früher schon auf der Strandpromenade von Finale Marina, von wo aus es hinter einem Begleitfahrzeug bis nach Varigotti geht. Hier wird schließlich das Rennen freigegeben und der Wahnsinn der 24h von Finale Ligure nimmt seinen Lauf.
Im Team von MTB-News.de, dem eigenen Anspruch gemäß „Slow-News“ genannt, übernimmt in diesem Jahr Tobi Pflumm den Startfahrer, der sich die steile Rampe hinauf zur Rennstrecke kämpfen darf. Dem Motto Rechnung tragend kleidet er sich stilbewusst in einem alten T-Mobile MTB-Trikot. Das war es dann aber auch mit Retro, denn um das Rennen erträglich und die Zeiten gut zu machen ist er wie auch ich auf unserem Scott Spark RC 900 World Cup Dauertest-Bike unterwegs. Wie auch in den Vorjahren schon nutzen wir so dieses harte 24h Rennen, um über die modernsten Cross Country-Bikes eine valide Aussage im Praxiseinsatz unter verschiedenen Fahrern treffen zu können.

Das Team komplettieren Julia und Franziska Weihing (girlsridetoo.de), die sich ihrerseits ein Plus-Bereiftes Damen-Bike teilen. Ob das die ideale Wahl für diese Strecke ist? Meiner Erfahrung nach fährt man hier trotz der vielen Steine und nicht immer einfachen Passagen am Ende des Tages trotzdem am besten ein XC-Bike. Eines, das die Schmerzen in den steilen Uphills lindert. Wie dem auch sei, sind wir somit auch in diesem Jahr wieder im Vierer-Mixed-Team unterwegs. Diese Konstellation ist in meinen Augen ideal, denn der körperliche Anspruch ist weder zu verachten noch vernichtend. So bleibt Zeit für das ein oder andere Pläuschen, gutes Essen und die allfälligen Reparaturen. Und eine Mütze Schlaf. Mit Tobi und Franzi haben wir abermals zwei Neulinge im Team, die sich von den mitreißenden Erzählungen vergangener Jahre haben anstecken lassen.
Wie in noch fast jedem Jahr ist unsere Taktik einfach: Nach jeder Runde wird gewechselt, nur nachts werden zur Verlängerung der Schlafenszeit jeweils zwei Runden am Stück gedreht. Anders als in anderen Jahren scheint dieser Plan jedoch auch tatsächlich aufzugehen. Runde um Runde dreht das Team und wir fahren alle konstant unsere Rundenzeiten – auf dem jeweils möglichen Niveau. Allein dieser Umstand nimmt schon einigen Stress aus der Veranstaltung, bei der man sonst all zu gern vergisst, dass man einen ganzen Tag lang unterwegs sein wird und nicht bloß eine Runde.


Nachdem wir am Vortag noch einigen Ärger mit der Technik hatten (Kernherausforderung: Montiere einen mit alter Milch verdreckten Reifen schlauchlos ohne Kompressor), läuft es in den ersten Stunden wie am Schnürchen. Die Übergaben laufen reibungslos, die Gänge rasten sauber und die Reifen halten ihre Luft. Irgendwann wird es Abend und endlich sinken die Temperaturen ein wenig. Im großen Fahrerlager macht sich bei bester Stimmung Grill-Feeling bereit. Gemein für die Solisten, ein Traum für die Teams. Und wir haben in diesem Jahr sogar eine Art Beleuchtung, die ihren Namen verdient. Zumindest für unser Camp. An den Bikes haben wir nicht ganz genügend Lampen und Akkus, so dass Tobi tatsächlich irgendwann in den frühen Morgenstunden mit nur seiner Helmleuchte zurückkommt und wir anfangen, nicht mehr zu jeder Zeit die volle Leistung unserer Lupinen abzurufen. Das Thema mit der Lagerung der Li-Ionen-Akkus wird kurz diskutiert und ich entschuldige mich damit, dass ich im Job einfach zu wenig zum Night-Riden komme, um die Akkus entsprechend in Schuss zu halten.

Als die Sonne in voller Pracht über Genua aufgeht und die Strecke und mit ihr die geschundenen Körper in pures Gold zu hüllen scheint, wird dieser Punkt zur Nebensache. Mit konstanten Rundenzeiten haben wir uns gut im Rennen gehalten und sind Stück für Stück nach vorne gefahren. Wobei nach vorne relativ ist und zumindest die Hälfte unseres Teams am Ende die eigene Platzierung gar nicht kennen wird. Auch gut, schließlich sind wir zum Spaß hier.







Minütlich wird es wärmer – ja richtiggehend heiß – und wir erinnern uns an das letzte Jahr, wo es gegen Mittag so heiß wurde, dass wir irgendwie verpassten oder verpassen wollten, den letzten Fahrer auf die Strecke zu schicken. Nicht so in diesem Jahr. Trotz der hohen Temperaturen komme gerade ich endlich in Schwung. Die letzten Tage vor Finale hatte ich noch mit undefiniert fiebrigen Zustand im Bett verbracht und nur unter der Auflage gemütlicher Rundenzeiten war der Start überhaupt in Frage gekommen. Doch so ein Rennen und Stimmung vor Ort können wahre Wunder wirken. So werden die Beine von Runde zu Runde besser und die Power kommt endlich wieder in den Pedalen an. In Renntempo gefahren gehört diese Strecke einfach zu den besten der Welt und mein Körper will mir die Freude ermöglichen. Ich sage vielen Dank.

Nach etwas mehr als 24 Stunden überquert dann auch unser Team zum letzten Mal die Ziellinie. Bis zum Ende sind wir von technischen Defekten verschont geblieben und nur Julia muss leicht ihre Wunden lecken. Einen kleinen Tribut müssen wir alle zollen. Im allgemeinen Trubel packen auch wir unsere Sachen und sehen zu, dass wir zu Pizza und Strand nach Finale kommen. Jetzt kann der Urlaub losgehen, es warten die NATO-Base und abwechslungsreiche EWS-Stages – Finale, wir kommen wieder.
24h Finale Ligure 2018 – Ergebnisse
Solo
Team-Wertung
4er Team-Wertung
Weitere Informationen: www.24hfinale.com
9 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumAb wann kann man sich für 2019 anmelden?
Mal eine Frage von 'nem potentiellen Erstteilnehmer für 2019 (4er-Team): Kann man die Strecke auch gut mit Starrbike in Angriff nehmen? Ich fahre ein Niner Air 9 Carbon mit der RDO Starrgabel. Ich mag einfach das Feeling von Starrbikes und fahre auch alle meine Rennen damit. In der Regel sind das aber deutsche Mittelgebirgsmarathons wie der Ultra-Bike, Schwarzwald-Bike-Marathon in Furtwangen, Münsingen, Singen, manchmal Neustadt an der Weinstraße. Da klappt das in der Regel ganz gut, aber wie sieht's Eurer Meinung nach in Finale Ligure aus? Ich war da noch nie.
Danke und viele Grüße
corfrimor
Ganz schlechter Plan
Schau dir die Strecke mal auf youtube an, die ist schon etwas gröber und wenig Forstweglastig ggü deutschen "MTB-Marathons".
Ich persönlich mag mein HT sehr gerne, würde dort aber nur das Fully nehmen. Vorausgesetzt, du hast keine Treppchen-Ambitionen?
Grüße
Starrbike hat hier nichts verloren....
Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular: