MTB-News.de


In der Werkstatt von Jo Klieber – Hausbesuch bei Syntace / Liteville

Lite: leicht, Licht, Anzünden

Ville: Dorf, Gemeinschaft, Willen

Der erste Prototyp des 901

Ein Besuch in Liteville / Syntace ist etwas Besonderes. Das weiss ich allerdings jetzt noch nicht, vor der Ankunft in Tacherting, südöstlich von München, in der Gegend aus der auch der Papst kommt. Es ist 10 Uhr und ich bin unterwegs zu einem Treffen mit Michi Grätz und Jo Klieber. Letzterer ist eine echte Institution in der deutschsprachigen Welt des Radsports (und darüber hinaus). Er ist der Gründer von Syntace, ein Unternehmen, dass sich auf Lenker und Sattelstützen aus Carbon für Mountainbikes und Rennräder spezialisiert hat. Er steckt auch hinter dem Liteville Projekt, das von Michi Grätz geführt wird. Beide Bereiche werden nach aussen soweit wie möglich getrennt behandelt um Verstimmungen mit Syntace Kunden durch Konkurrenz zu den Kundenprodukten durch die eigene Palette zu vermeiden.

Jo Klieber beim arbeiten

Michi begrüßt mich am Hauptsitz von Syntace. Die Liteville-Zentrale ist 250km entfernt im Allgäu, wo Michi wohnt. Immer in Bayern, immer nahe an den Bergen. Nur ein anderes Nummernschild – sonst ist im Prinzip fast alles gleich. Wir sind hier in Tacherting um mit Jo zu sprechen. Jo, der gerade erst aufgewacht ist: „Ich bin heute früh um 4 aufgestanden, ein paar Stunden später war ich müde, da bin ich wieder ins Bett“, sagt er mir, als ich in sehe. Funktionstrikot, Wind-Jacke und ein RockShox-Bandana um den Kopf. Er unterscheidet nicht so sehr zwischen Tag und Nacht: Wenn ihn eine Sache beschäftigt geht er in seine Werkstatt und beginnt zu experimentieren, Schweißen, Fräsen.

Eine echte Garage

Ingenieure bei der Arbeit

Alles begann 1991. Während einer Motorradtour verletzte sich Jo bei einem Unfall am Knie. Der Physiotherapeut sagte ihm: Fahrradfahren. Als Folge daraus verlagert sich sein Interesse von Motoren hin zu Fahrrädern. Sein Ziel bleibt bis heute das gleiche – etwas leichtes und funktionelles zu konstruieren. „Das Design kommt erst danach“, sagt er während wir vor dem Prototyp des Liteville 901 stehen.

100 Jahre wären mir nicht genug um zu verstehen, wie diese Maschine funktioniert.

Die Einführung der Carbonlenker auf dem Markt bringt auch die Probleme wegen ihrer Haltbarkeit. Um sie zu gewährleisten, bastelt Jo Klieber 1 und 1/2 Jahr lang an einem Prüfstand. „Das hätte mir fast das Leben gekostet“, scherzt er jetzt. „Aber das ist unsere Versicherung. Damit wissen wir, dass unsere Qualität stimmt und, dass keiner sich wegen einem Lenkerbruch sich verletzt“.

Der Test-Lenker Nummer 5645 wird gerade gefoltert, bis er früher oder später bricht. Zehn Jahre Einsatz wird in kurzer Zeit simuliert. Sobald eine bestimmte Grenze erreicht wird, weiss man bei Syntace, dass die neu aus Taiwan eingetroffenen Charge gut ist und sie verkauft werden können. 5 Lenker auf ein paar hundert werden jeweils getestet, sobald eine neue Lieferung eintrifft. Nach 10 Jahren liegen jetzt 5645 zerstörte Lenker in Kartons sortiert nach dem Datum in einem Lagerraum, daran hängt jeweils ein Prüfbericht. Eine Heidenarbeit, aber mit der Qualität scherzt Jo nicht. Qualität ist sein zweiter Name.

Jo überwacht den Test

10 Personen arbeiten für Syntace, davon sind 5 Ingenieure, Jo eingeschlossen. 3 Personen einschließlich Michi arbeiten für Liteville. Alle drei sind Ingenieure – die komplette Verwaltungsarbeit wird von Syntace miterledigt. Michi und Jo verpassen keine Gelegenheit, ihre neuen Erfindungen zu besprechen. Ich komme mir vor als wäre ich bei Daniel Düsentrieb persönlich. Ich kann darüber hier nicht so viel schreiben – es handelt sich um neue Sachen, die demnächst vorgestellt werden. Die beiden haben mich schwören lassen, dass ich nichts verrate. Ihre Begeisterung ist nicht zu bremsen, und sie zeigen mir eine Menge neuer Dinge. Was hat mich am meisten beeindruckt, ist das Modell eines Windkanals, einschließlich Mini-Biker, dass Jo in einem benachbarten Gebäude bauen lässt – „hier gibt es nicht genug Platz dafür“.

Alternative Kabelführung – demnächst am Liteville

Hinterbau aus Carbon (hier ein Plastikprototyp). Um es für den Fahrer noch bequemer zu machen, wird der Hinterbau in Abhängigkeit vom Gewicht des Fahrers gebaut – Projekt aufgegeben

Die Geschichte von der Geburt des Liteville 901 ist exzentrisch wie Jo selber: „Ich habe den Prototyp vor allen für zwei Monate in meinem Büro versteckt“, sagt Jo. „Ich habe nachts an dem Projekt gearbeitet, wenn sonst niemand da war. Erst als ich am Ende wusste, dass es funktioniert, habe ich es den anderen gezeigt.“

Jo und Michi besprechen neue Ideen

Das erste Prototyp wurde aus einem 301er Rahmen gebastelt: neue Teile, wie die Dämpferaufnahme, wurden mit einem Spezialkleber festgemacht – das Teil ist fahrtauglich. Der 901 ist der Rahmen, der 2008 in Deutschland am meisten diskutiert wurde – sei es wegen dem von 170 auf 200mm verstellbarem Federweg, oder wegen des Gewichtes: 2990 Gramm in Größe M ohne Dämpfer. Bei dem Gewicht kann man das Bike bergauf als All-Mountain verwenden – und bergab auf dem Downhiller richtig Gas geben.

Die Frage kommt von selber: wie habt ihr einen solchen Rahmen machen können ohne, dass er bricht? Jo schaut mich von unter der Brille an und sagt: „Nimm eine Cola-Dose. Ihre Seitenwände sind extrem dünn aber, wenn du sie nach unten drückst, sind sie stark genug. Das Geheimnis steht in der Richtung der Kräfte“. Was passiert, wenn aber die Kräfte von der Seite kommen, wie bei einem Sturz? „Da hättest du beim 301 eine 5 mm tiefe Beule, bei anderen Rahmen vielleicht nur eine 3mm tiefe. Es ist aber immer nur eine Beule“.

Geklebt, nicht geschweißt

Problematisch sind extreme Belastungen, wie bei einem Bottom-Out, die nicht parallel zu den Seitenwände der Rahmenröhre laufen. Der 301 ist das perfekte Beispiel wie die Belastungen des Dämpfers parallel laufen, ohne jegliche trasversale Kräfte (siehe Video hier unten). Die Wandstärke des 301 beträgt 1,1 mm.

Prinzip der reinen Zugspannung. Ich bin kein Ingenieur, der das genau erklären kann, Michi ist aber bereit hier im Forum es zu machen!

Im 901 Rahmen werden die Belastungen des Dämpfers nicht so parallel wie beim 301 weitergegeben, das Unterrohr wurde aber wegen den Kräften aus der Gabel (mindestens 160mm Federweg empfohlen) sowieso verstärkt.

„Das andere Geheimnis ist das Design des Bikes zu vergessen, wenn man etwas leichtes und funktionelles bauen möchte“ geht Jo weiter. „Kurvige Rohre halten nur mit einer Wandverstärkung, die mehr Gewicht bedeutet“.

Beim Schweißen

In der Praxis hat sich das 901 als äusserst zuverlässiges Bike bewährt. Den Sommer über wurde es von Liteville-Teamfahreren, darunter auch Daniel Schaefer, aufs äußerste gestestet und es ist dabei kein Rahmen kaputtgegangen. Liteville gibt es jetzt seit 3 Jahren, 2005 wurde das 301 vorgestellt. 3500 Bikes sind bis jetzt verkauft worden, ab März wird das 901 verkauft. Die Rahmen werden in Taiwan geschweißt.

Ein Protoyp wird geschweißt

„Lasst uns gehen, es ist schon spät“ drängt Michi. „Sonst machen die Restaurants zu und wir bekommen nichts in den Magen!“. „Essen kann man doch immer“ antwortet Jo während wir zusammen Fotos machen. Schließlich gehen wir doch in eine italienische Pizzeria. Jo bestellt für sich alleine eine Pizza, einen riesigen Salat und extra Brot. Anscheinend ist es jetzt auch für Ihn an der Zeit etwas zu essen. Er isst doppelt so viel wie Michi und ich. Als ich ihn nach seinem Alter Frage antwortet er mir : 25! „Älter werden bedeutet aufhören neugierig zu sein und noch viel wichtiger aufhören zu spielen. Ich bin im Geiste 25 Jahre, Michi 15“. Sein normales Alter verrät er mir wirklich nicht.

Dünne Wandstärke

Vor dem Büro ist ein Elektroauto geparkt – der „Geschäftswagen“ wie man ihn bei Syntace nennt. Ich frage nicht, ob Jo ihn gebaut hat, es würde mich nicht wundern.

Jo hört nicht mehr auf zu reden, er ist wie eine Lawine in Richtung Tal. Kurz bevor ich mich verabschiede, 6 Stunden nach meiner Ankunft, sagt er mir: „Schreib in deinen Bericht, dass Liteville-Besitzer gerne mit ihren Rahmen spielen dürfen: Löcher bohren, fräsen, absägen. Hautpsache sie tun sich nicht weh, weil etwas kaputt geht. Den Rahmen erstatten wir ihnen zum Selbstkostenpreis.“

www.liteville.de

www.syntace.de

Text und Fotos von Marco Toniolo

Mehr Fotos hier

Die Software heisst „Solid Works“

Update 17.12. : der letzte Satz im Artikel hat sich geändert (Erstattung der Rahmen) – da gab es wohl ein kleines Mißverständnis

Interessant? Hier findest du weitere Hausbesuche und Blicke hinter die Kulissen bei zahlreichen Unternehmen der Bikebranche.

Die mobile Version verlassen