Scheibenbremsbelag: Reibungskoeffizient abhängig von Anpressdruck?

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Gibt es bekannte Abhängigkeiten des Reibungskoeffizienten eines Scheibenbremsbelags in Abhängigkeit vom Anpressdruck? Toll wären gemässene Diagramme verschiedener Typen / Marken von Bremsbelägen.
 
Hilfreichster Beitrag geschrieben von Yukio

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Ein Koeffizient ist doch per Definition eine Konstante, oder nicht?:confused:
Ein Koeffizient ist ein Multiplikationsfaktor, mit dem eine Grösse multipliziert werden muss, um auf ein bestimmtes Ergebnis zu kommen. Bei der Reibung ist die Reibungskraft = Reibungskoeffizient (Materialabhängig) mal die Kraft, mit welcher die zwei Reibungspartner gegeneinander gedrückt werden.
In der Physik werden bei vielen Formeln Annäherungen an die Wirklichkeit gemacht, da die Wirklichkeit viel zu komplex ist, um sie exakt in einer einfachen Formel darstellen zu können.

Ich weiss nicht, wie weit die Formel Reibungskraft = Reibungskoeffizient (Materialabhängig) mal die Kraft, mit welcher die zwei Reibungspartner gegeneinander gedrückt werden eine Annäherung ist bzw ob es überhaupt eine Kraftabhängigkeit des Reibungskoeffizienten gibt und wenn ja, wie gross die Abweichungen vom Durchschnittswert maximal sind.

Wieso frage ich nach dieserr Abhängigkeit: Verschiedene Bremsbelagsmischungen verhalten sich nach meinen Erfahrungen unterschiedlich, die eine entwickelt bei wenig Bremskraft schon viel Reibung, die Zunahme der Bremskraft mit der Handkraft scheint aber nicht linear zu sein, ab einer bestimmten Handkraft scheint die Bremskraft dann nicht mehr so stark zuzunehmen. Andere Beläge beissen bei wenig Handkraft nicht so stark, die Bremskraft nimmt aber kontinuierlich zu bei steigender Handkraft, ohne den "Knick" in der Kurve, den andere Beläge zu haben scheinen (alles bei "kalter" Bremse verglichen, mir ist klar, dass es eine starke Temperaturabhängigkeit des Reibungskoeffizienten gibt)

Ich kann mit vorstellen, dass bestimmte Beläge bei hohem Anpressdruck leicht verformt werden, was vermutlich auch einen Effekt auf den Reibungkoeffizienten haben kann.
 
Das Coulombsche Reibungsgesetz, das die Reibung zwischen zwei Materialien als proportional zur Normalkraft - und damit zum Anpressdruck - beschreibt, macht ja nur Sinn, wenn dieser Proportionalitätsfaktor eben konstant ist. Er ist abhängig von den Materialien sowie meist erheblich von der Temperatur. Wäre er nicht konstant hinsichtlich der Kraft, wäre das Verhältnis eben nicht proportional, was aber gerade die Aussage des Gesetzes ist — bei gleichbleibenden Bedingungen! Von dem her, wenn das die übliche Reibung ist, dann sollte es da keine Abhängigkeit des Koeffizienten von der Kraft geben.

Natürlich hat das Gesetz seine Grenzen, sobald durch die Kraft bzw. den Anpressdruck die beteiligten Materialien irgendwie verformt werden. Bei der Bremsscheibe aus Stahl würde ich das aber bei den herrschenden Kräften ausschließen. Bei den Belägen könnte es evntuell etwas anders sein. Ich würde zwar sagen, dass die Oberfläche des Belags da auch nicht betroffen sein sollte — sonst wäre die Wahl des Materials wohl suboptimal —, aber im Gesamtaufbau aus Trägerplatte und Bremsbelag * könnte es da eventuell zu Effekten kommen… wahrscheinlich halte ich das aber auch nicht.

Andererseits würde ich die Wärmeentwicklung beim Bremsen * nicht unterschätzen. Das geht recht schnell, dass da Hitze entsteht. Von dem her würde ich sagen, dass da gerade am Beginn — was du als kalt beschreibst — sich einiges tut und es eben kein Bremsen * unter konstanten Bedingungen ist. Das hätte man wahrscheinlich eher nach längerer gleichmäßiger Belastung, wenn sich eine Betriebstemperatur eingestellt hat, wo zwischen Wärmeentwickung beim Bremsen * und Wärmeabgabe des Systems ein Gleichgewicht herrscht. Da aber der Reibungskoeffizient durchaus sehr stark von der Temperatur beeinflusst wird, und das je nach Material des Bremsbelags eventuell auch sehr unterschiedlich, und eben gerade zu Beginn beim Bremsen * sich die Temperatur im System stark und schnell ändern kann, ist es durchaus leicht vorstellbar, dass sich Bremsbeläge * unterschiedlich bei steigender Belastung verhalten, was aber eben an der Temperaturzunahme liegt und nicht an der Änderung des Anpressdrucks an sich. Der höhere Anpressdruck sorgt aber für einen Temperaturanstieg, solange die Betriebstemperatur nicht erreicht ist.

Das wäre jetzt mal mein Erklärungsansatz. Eventuell gibt es da auch noch etwas, das ich jetzt übersehen und damit unterschlagen habe, dann bitte um Aufklärung. Eine Messung, wie von dir gesucht, müsste aber imho immer auch die Temperatur berücksichtigen und also mit messen, wobei das nicht so einfach ist, denn die Hitze entsteht natürlich direkt an der Kontaktfläche, wo sie gleich die Reibung beeinflusst, braucht aber wegen Ausbreitung im nichtleitenden Festkörper ein wenig, bis sie da ankommt, wo man sie einfach messen könnte, also etwa an der Trägerplatte des eigentlichen Belags. Schneller geht es natürlich an der Scheibe mit der Wärmeausbreitung, nur dreht sich die, was dann die Messung erschwert. Messung über Strahlung wäre da wohl ein guter Ansatz…
 
Es gibt tatsächlich Publikationen die einen sich verändernden Reibwert bei sich ändernder Flächenpressung beschreiben. Dies wird durch plastische Verformung des Materials erklärt. Genaueres muss man googeln.
Das Reibungsgesetz geht ja von idealen Materialien aus, die es eben nicht gibt.
 
Gibt es bekannte Abhängigkeiten des Reibungskoeffizienten eines Scheibenbremsbelags in Abhängigkeit vom Anpressdruck?
Grundsätzlich ja. Mal ganz grob aus dem Randgebiet eines Fachgebiets und ein paar Beispiele zu den Ursachen.

eine Annäherung ist
Nein, keine Näherung. Der tatsächliche Reibungskoeffizient kann nur durch Messungen ermittelt werden.
Tabellen geben bekannte Durchschnittswerte wieder.

Reibwerte bzw. Reibungskoeffizient in Abhängigkeit des Drucks bei 600 k Bremsscheiben/Bremsbeläge *
  • Druck p [bar] Reibwert µBSmax
  • 200>>>>>>>0.4
  • 150>>>>>>>0.43
  • 100>>>>>>>0.48
  • 50>>>>>>>>0.46
  • 0>>>>>>>>>0.46
nach Literatur Burckhardt, Manfred: Fahrwerktechnik: Bremsdynamik und Pkw-Bremsanlagen

Ursachen Beispiele aus Literatur:
unterschiedliche Ausbildung eines Reibungsfilms aus abrassiv abgetragenen Partikeln der
Reibpartner Bremsscheibe und Bremsbelag *, daher über den Umfang der Bremsscheibe schwankende Reibbeiwerte.
Höherer Bremsdruck führt dazu, dass der Belag fester an die Unebenheiten der Scheibe angepresst wird > veränderter Reibungskoeffizient
oder
Stick-Slip-Effekte, wegen zu hoher Reibung, Bauteilgeometrie, zu geringer Steifigkeit
etc.

Messungergebnisse würden dann in etwa
Paper
so aussehen > Figure 3. c)
Ursachenfeststellung hier: Verunreinigungen

Also, Messanlage installieren, viele Werte messen, feststellen, dass der Reibungskoeffizient mit steigendem Druck lustig mit ansteigender Amplitude vor sich hin oszilliert, das alles natürlich in 1/10 sec, bei sich verändernden thermischen Verhältnissen jeweils nach Bremsbelagzusammensetzung usw. :ka:

Toll wären gemässene Diagramme verschiedener Typen / Marken von Bremsbelägen.
Das wird dann wohl eher keiner messen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, keine Näherung. Der tatsächliche Reibungskoeffizient kann nur durch Messungen ermittelt werden.
Tabellen geben bekannte Durchschnittswerte wieder.
Was daran liegt, dass Oberflächen nie exakt gleich sind. Ob die realen Schwankungen aber so groß sind, dass man die beim Fahrrad-Bremsen * merken würde? Ich sicher nicht, aber gibt Leute, die beim Biken viel feinfühliger sind als ich. 😉

Reibwerte bzw. Reibungskoeffizient in Abhängigkeit des Drucks bei 600 k Bremsscheiben/Bremsbeläge *
  • Druck p [bar] Reibwert µBSmax
  • 200>>>>>>>0.4
  • 150>>>>>>>0.43
  • 100>>>>>>>0.48
  • 50>>>>>>>>0.46
  • 0>>>>>>>>>0.46
nach Literatur Burckhardt, Manfred: Fahrwerktechnik: Bremsdynamik und Pkw-Bremsanlagen
Mag mal ein Ingenieur ausrechnen, welcher Druck da beim Fahrrad typischerweise auftritt? Übersetzungen von Bremsen * kann man nachschlagen, die Fläche von Bremspads ausrechnen und die Kontaktfläche dann abschätzen (die Scheiben haben ja Löcher) und die Fingerkraft kann man auch abschätzen oder daheim mit einer Waage schnell messen... 600 sind Kelvin, nehme ich an (wäre dann ja K)? Die wird es bei der Fahrradbremse wohl nicht geben, aber auch nicht so weit von entfernt.

Jedenfalls sind die Schwankungen im Reibungskoeffizienten nicht riesig, vor allem nicht bis 150 bar. Da kann man schon näherungsweise von einer Konstante sprechen hinsichtlich des Anpressdrucks, vor allem in Bezug auf das, was man beim Bremsen * auf dem Rad spürt.

Ursachen Beispiele aus Literatur:
unterschiedliche Ausbildung eines Reibungsfilms aus abrassiv abgetragenen Partikeln der
Reibpartner Bremsscheibe und Bremsbelag *, daher über den Umfang der Bremsscheibe schwankende Reibbeiwerte.
Höherer Bremsdruck führt dazu, dass der Belag fester an die Unebenheiten der Scheibe angepresst wird > veränderter Reibungskoeffizient
Die Reibung kommt ja — nach klassischem Verständnis — prinzipiell durch die Interaktion von Unregelmäßigkeiten der Oberflächen zustande, bei Bremsen * halt im mikroskopischen Bereich. Dass die Interaktion steigt, wenn sich der Anpressdruck erhöht, liegt in der Natur der Sache und führt eben zu der direkten Proportionalität, wenn sich die Unebenheiten über die verschiedenen Größenordnungen, die über einen steigenden Anpressdruck hinweg abgefragt werden, strukturell nicht ändern. Strukturell liegt ein Unterschied vor allem beim Übergang in den Nanobereich nahe, ob das aber relevant wird und wann, ist dann die Frage, genauso ob da nicht zum Beispiel eine Verformung der Oberflächen vorher relevant wird. Gäbe es eine komplett glatte Oberfläche, was aber quantenmechanisch iwie als Beschreibung keinen Sinn macht, dann gäbe es keine Reibung. Reibung kann natürlich trotzdem verschwinden, aber das ist ein komplizierteres Konzept. Tut hier aber nichts zur Sache.

oder
Stick-Slip-Effekte, wegen zu hoher Reibung, Bauteilgeometrie, zu geringer Steifigkeit
etc.

Messungergebnisse würden dann in etwa
Paper
so aussehen > Figure 3. c)
Ursachenfeststellung hier: Verunreinigungen
Hab‘s jetzt nur ganz grob überflogen, aber hinsichtlich der Oszillation war die Rede von Noise, sprich die eigentlichen Messwerte wären die Durchschnittswerte und die Oszillationen erklären sich aus dem Messverfahren und sind kein realer Effekt, sehe ich das richtig?

Also, Messanlage installieren, viele Werte messen, feststellen, dass der Reibungskoeffizient mit steigendem Druck lustig mit ansteigender Amplitude vor sich hin oszilliert, das alles natürlich in 1/10 sec, bei sich verändernden thermischen Verhältnissen jeweils nach Bremsbelagzusammensetzung usw. :ka:


Das wird dann wohl eher keiner messen.
Doch, @Dani baut schon fleißig am Messstand. 😂

Es gibt tatsächlich Publikationen die einen sich verändernden Reibwert bei sich ändernder Flächenpressung beschreiben. Dies wird durch plastische Verformung des Materials erklärt. Genaueres muss man googeln.
Das Reibungsgesetz geht ja von idealen Materialien aus, die es eben nicht gibt.
Hab ich ja geschrieben, dass es das gibt, aber genauso auch, dass ich nicht glaube, dass dies bei Fahrradbremsen eine Rolle spielt. Eine plastische Verformung ist ja dauerhaft im Unterschied zur elastischen, und eine dauerhafte Änderung wäre ja kaum in Sinne des Bremsenkonstrukteurs. Entsprechend liegt es nahe, Materialien zu verwenden, wo das bei den auftretenden Kräften nicht passiert. Beim Stahl der Scheibe würde ich es eh ausschließen, bei den Reibkuchen hab ich keine Ahnung, aber irgendwie machen die nicht den Eindruck, als ließen sie sich leicht verformen.

Übrigens: Einbremsen ist nochmal ganz anders zu betrachten, da tut sich sicherlich einiges hinsichtlich Oberflächenanpassung als auch hinsichtlich Verteilung von Partikeln durch Abrieb. Das sollte bei allen obigen Betrachtungen insoweit abgeschlossen sein, dass sich ein relativ stabiles Gleichgewicht insbesondere hinsichtlich des Abriebs eingestellt haben.
 
@Dahigez Ich kürz das mal ab. Das ist alles eine Fußnote; ja da gibts was, externe Faktoren blablabla, marginal bis vollkommen unbedeutend. Ja, das K muss groß.

Viel wichtiger, gefühlter Faktor 100
https://www.brembo.com/de/company/news/brembo-anleitung-zum-richtigen-bremsbelag tl;dr
Unterschiedliche Belagsmischungen haben eine unterschiedliche Modulierbarkeit. Und die Betriebstemperatur ist ein wichtiger Aspekt.

Wird bei Belagsmischungen für Fahrräder nicht anders sein. Hat bestimmt jede schon mal wahrgenommen.
 


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