Teil 7: Worin Katzenvolk "Sympathy For The Devil" miaut
Bevor es an das Badevergnügen im Toten Meer geht, noch einmal schnell zurück in die Field School nach En Gedi. Seit dem 5. Jahrhundert als Siedlung aufgegeben, entwickelte sich erst aus einem Militärstützpunkt in den 50er Jahren wieder eine kleinere Ansiedlung. Mächtige, zerklüftete Felsmassive erheben sich zu Füßen des Toten Meeres und das Auge sucht hilflos Wege und Möglichkeiten des Aufstiegs. Schon die Bibel spricht von schwer zugänglichen Orten in En Gedi und so versteckte sich David, bekannt aus David vs. Goliath, in einer der unzähligen Höhlen in den Hängen vor den Häschern König Sauls.
Symbolfoto oder kleiner Test ob alle noch aufpassen: Bronze-Kopie des David Michelangelos auf dem Piazzale Michelangelo in Florenz, wo wir, wie berichtet, auf dem Weg nach Rom vorbeikamen
Einige Kraftausdauer-Einheiten oberhalb der Straße lag das weiträumige Gelände der Lehreinrichtung, auf welchem eine lange Reihe kleiner Bungalows, ein großer Speiseraum und einige Seminar- und Wirtschaftsräume verteilt waren. Sorgsam gehegte und bewässerte Pflanzen gaben dem Ganzen sogar eine grüne Anmutung.
Nach dem Einchecken kam der Hunger; der Tisch und das Büffet im Speisesaal waren reichlich bestückt: Fleisch- und Gemüsepasten jedweder Art, Fleischbällchen und das unvermeidliche Weißbrot liesen keine Wünsche offen. Wir teilten das Mahl mit einer größeren Wandergruppe und einer stark schwankenden Anzahl Katzen. Vom Koch angestachelt, ging die Hilfskraft alle 10min auf die Jagd und verjagte, teils mit Fußtritten, die hungrigen, aber unerwünschten Mäuler. An den Nebentischen wurde diese Bemühungen immer wieder sabotiert, indem Speisen ihren Weg auf den Boden fanden und dort auch nicht lange liegenblieben, bis unter viel Geschrei die Hatz auf die Meute wieder eröffnet wurde.
Die Folge all dieser Jagdszenen waren höchst neurotische Katzen, die einerseits höchst zutraulich, andererseits hochgradig verunsichert waren. Große Gruppen kamen uns auf dem Gelände sehr schnell nah, nahmen aber bei der kleinsten harmlosen Bewegung sofort Reißaus. Das Vertrauen diese Katzen musste man sich erarbeiten, Hunger und Gewalt sind schlechte Erfahrungen und widersprüchliche Signale. EP hatte genug vom Tag und verschwand ins Traumland, nicht ohne vorher die Klimaanlage auszuschalten; seine Neurose ist die Zugluft. Ich wollte die Zeit noch nutzen, suchte Kraft im Islam und begann mit dem Schreiben von Karten. Man mag es im Angesicht der hoffnungslosen Lage der Daheimgebliebenen gar nicht wiederholen, aber der Novemberabend war natürlich angenehm warm, der Mond schimmerte durch die zwei großen Palmen am Fußende der Bank und ich gedachte des entbehrungsreichen Winters 03/04.
Nach der ersten Postkarte fiel mir noch nichts auf, aber schon der Zweiten fühlte ich mich beobachtet, hob den Kopf und sah tatsächlich, ohne große den Blick schweifen lassen zu müssen, schon vier Katzen, die sich unmerklich angeschlichen hatten und mich erwartungsfroh anstarrten. Alle anderen Sitzplätze vor den Bungalows waren unbesetzt und unbeleuchtet, ich stand anscheinend im Mittelpunkt des Interesses. Ein Gestalter hätte das Katzenvolk nicht schöner anordnen können. Im Licht des Mondes warf es Schatten, die wohl scharf begrenzt gewesen wären, wenn Palmenwedel und krauses Fell keine so rauhen Strukturen besäßen. Die putzigen Ohren und Nasen an den schnurrhaarbesetzten Köpfchen waren deutlich und surreal vergrößert.
Bereits das Weglegen des Kugelschreibers genügte, um den Rückzug meiner Gäste einzuleiten. Ich entschuldigte mich still und vermied in Folge alle überflüssigen Bewegungen. Die Invasionsarmee startete einen neuen Versuch und ich zählte inzwischen 5 Katzen. Eine genauere Inspektion der Gegend lies mich noch weitere Augenpaare entdecken, die an die Dunkelheit gewöhnten Augen und eine rege Fantasie sahen immer mehr Katzen. Völlig irre wurde es, als etwas sehr Großes in den weiter entfernten Bäumen raschelte.
Ich wußte, wie das ausgehen würde und fürchtete um mein Leben. Denn jeder Filmfreund sollte diese Gefahrensituation kennen, von Hitchcocks "Birds" über "Gremlins" ist es immer das selbe Muster. Eben noch "Oh, sind die süß!", dann, je nach Jugendfreigabe entsetzliche Mahl- und Splittergeräusche, gefolgt von spritzendem Blut und herumfliegenden Körperteilen. Ich musste handeln, und -Katzenfreunde weggehört- sprang mit einer Behendigkeit die man mir gar nicht zutrauen würde, über die Bank in Richtung Feindesland. Das folgende Schauspiel lässt mich heute noch kichern, denn unter großen Geschrei, Gemauze und großer körperlicher Geschicklichkeit löste sich die ganze Veranstaltung in alle vier Himmelsrichtungen auf. Auch das Monster auf dem Baum ergriff die Flucht.
The Monster, Morning After
Am nächsten Tag ging es zum Strand, der einen arg improvisierten Eindruck machte. Durch die ständige Wasserentnahme aus dem Jordan, dem einzigen Zufluss des Toten Meers, zur Versorgung Israels und Jordaniens mit Trinkwasser sinkt der Wasserspiegel jährlich um etwa einen Meter. Die Infrastruktur der Badestelle, kleinere Tische und große Sonnenschirme standen einige Meter zu hoch, zum Wasser musste man über einen steinigen Abhang mühsam herabgehen. Das Badevergnügen war auf jeden Fall eine interessante Erfahrung. Das "Wasser" hat eine fast ölige Konsistenz, sobald man die Nase eine Idee zu tief hält bemerkt man die aggressiven salzigen Ausströmungen und der kleinste Spritzer beschert 5 Minuten tränige Augen, aber bei aller Bedenkenträgerei ist es das "Toter Mann" spielen in entspannter, aufrechter Position alle Mal wert.
Intern hießen solcherlei Versuche bei uns "Pirat"-Foto. Ohne jehmals dem großen Meister auch nur entfernt nahzukommen.
Nach dem Vergnügen folgt die Pflicht, unser nächster Stop war En Bokek, ein großes touristisches Zentrum voller Hotels, Neppgeschäften, Wellness-Bädern und, besonders wichtig, Standort des tiefstgelegenen McDonalds der Welt.
Wir hatten zwei Ziele: Ein Fahrradgeschäft, vielleicht sollte ich es einmal erwähnen, EP vermisste seit einiger Zeit eine Schraube für ein Cleat am Schuh und mir war eine Wasserflasche abhanden gekommen. Was in der Wüste überlebenswichtig ist, aber auch Wüstenwitzpotential hat. Einen Fahrradladen gab es nicht, aber da wir eine Riesentour planten, steuerte ich vorsichtshalber das Einkaufszentrum für das kühle Nass an. Ein Wachposten stoppte meine Einkaufsfreuden, denn wie üblich, war der Einlass in alle größeren öffentlichen Gebäude bewacht und nur nach Taschenkontrolle möglich. Was Sicherheitsleute, die auch nur ihre Arbeit machen, nicht wissen können ist, dass ein bis an Rand gefüllter Reise-Rucksack, und besonders am Anfang des Tages, ergänzt um eine mit Mühe hereingequetschte Trinkblase, das Potential für die Detonationswelle einer kleineren Bombe in sich trägt. Der aufgerufene Preis, von 20 Schekel - 4 Euro, für eine 0,5l-Flasche Evian hätte mich dann fast dazu gebracht die Bombe zu zünden.
Nach Arad, unserem nächsten Ziel, mussten wir hoch hinaus, und natürlich nicht auf der Straße, sondern direkt in die Felswand hinein und dann einem zweifelhaft gestrichelten Weg auf unsere Karte folgend. Wir waren auf 400 Meter unter Null und wollten bis auf 500 Meter. ßber Null, versteht sich.
Es ging gleich richtig los, eine Himmelsleiter hinauf. An Fahren war ob der Steilheit und der Geröllmassen bald nicht mehr zu denken, die Temperaturen hatten inzwischen unglaubliche Dimensionen erreicht. Ich hatte solche Temperaturen, solche gnadenlose trockene Hitze noch nicht erlebt. Auch muss man es einfach mal ansprechen, aber übermäßiges Schwitzen gehört eigentlich in den Katalog der Todsünden oder zumindestens in das Große Buch der Würdelosigkeiten. Die Kontrolle über elementare Körperfunktionen ist elementar, ein derartig massiver Kontrollverlust über Körperflüssigkeiten sollten einzig und allein der Ekstase vorbehalten bleiben. Man hatte das Gefühl, das Getrunkene augenblicklich mittels Umlaufpumpen effizient über den Körper zu verteilen, und kein Windhauch linderte die Qualen!
Hach, wie schön macht hingegen Frieren: magisch und geheimnisvoll. Man denkt unwillkürlich an zierliche unterkühlte Elfen, die sich fahl durch einsame Gäßchen tasten, und würde gern die Frage stellen: Warum so ruhelos, Sie Traum von Mademoisellchen? Und die Prinzessin würde antworten: Edler Herr, mir ist so matt zumute, weil ich friere. Und welcher Gentleman würde da nicht gerne das Jäckchen reichen und Folgendes entgegnen: Wie praktisch, ich friere auch. Wollen sie mich wohl begleiten? Und so entschwindet ein Paar in das Dunkel einer Nacht, in der alles erlaubt ist.
Am besten sehe ich aus, wenn ich ein wenig friere. Auch frierende Frauen sind hübscher. (Auch nicht auf dem Foto)
Warum hatte ich eigentlich islamische Erbauungsliteratur im Rucksack und nicht Adalbert Stifters Schilderung eines Schneesturms im Bayrischen Wald? Aber alles Klagen half nichts, wir mussten da rauf und mit letzter Kraft erreichten wir das Plateau, wo schon wieder einmal ein spektakulärer Anblick für alle Mühen entschädigte.
Unter uns lag das Tote Meer, vor uns Totes Land.